Das Lamm: Herr Lempert, die Initiative, die heute von der GSoA vorgestellt wurde, heisst Korrektur-Initiative. Was konkret soll korrigiert werden?
Lewin Lempert: Vorweg: Die Initiative wird nicht alleine von der GSoA, sondern von einer breiten Allianz, die bis ins bürgerliche Lager reicht, getragen. Ausschlaggebend für die Lancierung der Initiative war die Tatsache, dass Waffenexporte in Bürgerkriegsländer bei extrem vielen Menschen ein rotes Tuch sind. Viele haben uns geschrieben und gesagt: Wir mögen die GSoA eigentlich nicht – aber hier unterstützen wir euch. Mit der Korrektur-Initiative soll sowohl die aktuelle Lockerung als auch diejenige von 2014, bei der es um systematische Menschenrechtsverletzungen ging, rückgängig gemacht werden.
Der Name der Initiative sticht ins Auge. Normalerweise sind Initiativen mit einem neuen Anliegen verbunden. Was steckt hinter der Namenswahl?
Der Name soll signalisieren, dass der Entscheid des Bundesrates korrigiert werden soll. Für solche Anliegen wäre ja eigentlich das Referendum vorgesehen. Aber weil es sich nur um eine Verordnungsänderung handelt, müssen wir jetzt den aufwändigen Weg über die Initiative nehmen.
War die Art und Weise, wie diese Lockerungen beschlossen wurden, ein weiterer Grund dafür, die Initiative zu lancieren?
Das war sicherlich ein wichtiger Faktor, ja. Die Rüstungslobby hat sich in einem Brief an die sicherheitspolitische Kommission des Ständerats gewendet. Die Kommission hat über das Anliegen aber gar nicht erst abgestimmt, sondern den Brief direkt an die zuständigen Departemente von Bundesrat Johann Schneider-Ammann und Ignazio Cassis weitergeleitet. Anfangs Sommer kam dann die erste Grundsatzentscheidung des Bundesrates – ohne dass die Räte oder die Bevölkerung in den demokratischen Prozess einbezogen worden waren. Dieses äusserst fragwürdige Vorgehen ist nur möglich dank der neuen Zusammensetzung des Bundesrates.
Die zivilgesellschaftlichen Reaktionen auf die Lockerungen gleichen ein wenig denjenigen, die es nach der Verabschiedung des Überwachungsgesetzes für Sozialversicherte gab. Gegen diesen Entscheid wurde das Referendum ergriffen. Politisiert der Bundesrat an der Bevölkerung vorbei?
Ja, meiner Meinung nach hat er gerade bei Anliegen wie Waffenexporten in Bürgerkriegsländer das Gespür für die Bevölkerung verloren. Das hat mit der neuen Zusammensetzung zu tun: Ex-Bundesrat Didier Burkhalter hatte noch ein moralisches Gewissen. Aber heute scheint ein Brief eines Wirtschaftsverbands auszureichen, damit die SVP und FDP entsprechende Politik machen. Das ist bedenklich.
Die FDP und die SVP sind die Wirtschaftsparteien. Vom Rüstungssektor sind je nach Angaben zwischen 10’000 und 20’000 Arbeitsplätze abhängig. Insgesamt betrug das Exportvolumen laut SECO im Jahr 2016 412 Millionen. Ist es nicht verständlich, dass sie sich für diesen Wirtschaftssektor einsetzen?
Dieses Argument zieht bei der Korrektur-Initiative überhaupt nicht! Die Lockerungen, die aufgehoben werden sollen, wurden ja noch gar nicht umgesetzt. Es ist nicht eine Verbotsinitiative, wie sie 2009 zur Abstimmung gekommen ist. Bei einer Annahme der Korrektur-Initiative würde der Stand von vor 2014 wiederhergestellt werden. Der allergrösste Teil der Arbeitsplätze, die unter den heutigen Regelungen bestehen, ist also ungefährdet. Die Arbeitsplätze sind uns übrigens auch wichtig: Bereits bei unserer Initiative von 2009 haben wir eine Übergangsfrist festgeschrieben, in welcher die ArbeitnehmerInnen bei der Suche nach einer neuen Stelle unterstützt worden wären. Auf der anderen Seite darf man die Proportionen nicht aus den Augen verlieren. Die Rüstungsindustrie ist für die Schweizer Exportwirtschaft praktisch irrelevant. Sie macht gerade mal 0.14 % des Exportvolumens der Schweiz aus.
Die Schweiz ist nur Platz 11 der Waffenexporteure, hinter Israel und der Ukraine. Wenn wir also nicht mehr in Bürgerkriegsländer exportieren, liefert die Waffen einfach jemand anderes. Sind wir ehrlich: Sie wollen uns mit dieser Initiative doch einfach ein gutes Gewissen kaufen.
Das ist ein völlig absurder Vorwurf. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass nicht nur moralische Gründe gegen die Lockerungen sprechen. Die RUAG-Granaten, die beim IS gefunden wurden, die Schweizer Granatwerfer in Libyen: Das zeigt doch, dass Schweizer Waffenlieferungen ein Sicherheitsrisiko sind. Ausserdem hat die Schweiz als Sitzstaat von vielen humanitären Organisationen eine wichtige geopolitische Rolle.
Die Korrektur-Initiative möchte den Stand von vor den Lockerungen 2014 wiederherstellen. Warum hat man bis jetzt gewartet und nicht bereits 2014 den Entscheid ‚korrigiert‘? Immerhin ging es da bereits um Länder, die „systematisch Menschenrechte verletzten“. Ist es jetzt einfach opportun?
Dazu kann ich nichts sagen, damals habe ich noch nicht für die GSoA gearbeitet. Aber die neue Lockerung bewegt sich in einer neuen Dimension. Viele Menschen sind empört, weil sie begreifen, dass die ‚humanitäre Tradition‘ der Schweiz, von der ihnen in der Schule erzählt wurde, hier mit Füssen getreten wird. Die Schweiz riskiert mit solchen Entscheiden, die Glaubwürdigkeit als Sitzstaat für humanitäre Organisationen zu verlieren. Das zeigt etwa die Kritik von IKRK-Präsident Peter Maurer. Die Empörung ist gross – und das längst nicht nur im linken Lager: Die Allianz ist breit.
Aber riskiert man mit dieser breiten Allianz nicht, dass bürgerliche Parteien, die 2014 die Lockerungen unterstützt hatten, sich in der allgemeinen Empörung über den Entscheid des Bundesrates jetzt an ein populäres Anliegen anbiedern?
Nein, die GLP war bereits 2014 geschlossen gegen die Lockerung. Auch der grösste Teil der BDP hat die Verordnungsänderung damals abgelehnt. Die CVP war damals gespalten. Bis jetzt ist sie der Allianz noch nicht beigetreten – mal schauen, was da noch passiert.
Fairfood-Initiative, Konzernverantwortungsinitiative und jetzt die Korrektur-Initiative: All diese Vorstösse appellieren in irgendeiner Form an die Verantwortung der Schweiz gegenüber dem Ausland. Die beiden erstgenannten lehnt der Bundesrat ab, und auch die Korrektur-Initiative wird er mit grosser Wahrscheinlichkeit ablehnen. Wie erklären Sie sich diese Haltung?
Im Gegensatz zum Bundesrat ist die Schweizer Bevölkerung nicht bereit, eine rein profitgetriebene Politik zu unterstützen. Viele Leute sind nicht bereit, eine Politik mitzutragen, die im Widerspruch zu ihren moralischen Idealen steht. Das hat der Bundesrat noch nicht verstanden.
Die GsoA hat einen zwiespältigen Ruf in der Schweiz. Glauben Sie nicht, dass Ihr Ruf Ihrem Anliegen schadet?
Die GsoA alleine wäre sicherlich die falsche Trägerin für die Initiative. Aber bei einer so breit abgestützten Allianz wie bei der Korrektur-Initiative ist es völlig richtig, dass wir uns beteiligen. Die GsoA hat bereits beim Referendum gegen den Gripen-Kauf erfolgreiche Arbeit im Hintergrund geleistet.
Sind Sie zuversichtlich, dass Sie bis am 24. September die 25’000 Zusagen haben?
Es ist sicher eine grosse Herausforderung. Wenn wir es schaffen, dann stellen wir damit sicherlich einen Schweizer Rekord auf. Wir lancieren die Initiative nur, wenn wir die 25’000 Zusagen innerhalb von 2 Wochen erhalten. Es steht also viel auf dem Spiel. Aber das ist ja auch das Interessante daran.
Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Textes hatte die Korrektur-Initiative das selbstauferlegte Quorum von 25’000 Zusagen bereits erreicht.
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