GSoA Lewin Lempert zur Korrektur-Initia­tive: „Der Bundesrat hat sein mora­li­sches Gewissen verloren.”

Mitten in einem der heis­se­sten Sommer seit Mess­be­ginn winkt der Bundesrat eine Verord­nugs­än­de­rung für die Ausfuhr­be­stim­mungen von Kriegs­ma­te­rial durch – und entfacht damit eine Grund­satz­dis­kus­sion über Schweizer Waffen­ex­porte und die “huma­ni­täre Tradi­tion”. Die Korrektur-Initia­tive möchte jetzt das Rad der Zeit zurück­drehen. Ein Inter­view mit Lewin Lempert von der Gruppe Schweiz ohne Armee (GsoA), die an der Lancie­rung der Initia­tive betei­ligt war. 

Das Lamm: Herr Lempert, die Initia­tive, die heute von der GSoA vorge­stellt wurde, heisst Korrektur-Initia­tive. Was konkret soll korri­giert werden?

Lewin Lempert: Vorweg: Die Initia­tive wird nicht alleine von der GSoA, sondern von einer breiten Allianz, die bis ins bürger­liche Lager reicht, getragen. Ausschlag­ge­bend für die Lancie­rung der Initia­tive war die Tatsache, dass Waffen­ex­porte in Bürger­kriegs­länder bei extrem vielen Menschen ein rotes Tuch sind. Viele haben uns geschrieben und gesagt: Wir mögen die GSoA eigent­lich nicht – aber hier unter­stützen wir euch. Mit der Korrektur-Initia­tive soll sowohl die aktu­elle Locke­rung als auch dieje­nige von 2014, bei der es um syste­ma­ti­sche Menschen­rechts­ver­let­zungen ging, rück­gängig gemacht werden.

Der Name der Initia­tive sticht ins Auge. Norma­ler­weise sind Initia­tiven mit einem neuen Anliegen verbunden. Was steckt hinter der Namenswahl?

Der Name soll signa­li­sieren, dass der Entscheid des Bundes­rates korri­giert werden soll. Für solche Anliegen wäre ja eigent­lich das Refe­rendum vorge­sehen. Aber weil es sich nur um eine Verord­nungs­än­de­rung handelt, müssen wir jetzt den aufwän­digen Weg über die Initia­tive nehmen.

War die Art und Weise, wie diese Locke­rungen beschlossen wurden, ein weiterer Grund dafür, die Initia­tive zu lancieren?

Das war sicher­lich ein wich­tiger Faktor, ja. Die Rüstungs­lobby hat sich in einem Brief an die sicher­heits­po­li­ti­sche Kommis­sion des Stän­de­rats gewendet. Die Kommis­sion hat über das Anliegen aber gar nicht erst abge­stimmt, sondern den Brief direkt an die zustän­digen Depar­te­mente von Bundesrat Johann Schneider-Ammann und Ignazio Cassis weiter­ge­leitet. Anfangs Sommer kam dann die erste Grund­satz­ent­schei­dung des Bundes­rates – ohne dass die Räte oder die Bevöl­ke­rung in den demo­kra­ti­schen Prozess einbe­zogen worden waren. Dieses äusserst frag­wür­dige Vorgehen ist nur möglich dank der neuen Zusam­men­set­zung des Bundesrates.

Die zivil­ge­sell­schaft­li­chen Reak­tionen auf die Locke­rungen glei­chen ein wenig denje­nigen, die es nach der Verab­schie­dung des Über­wa­chungs­ge­setzes für Sozi­al­ver­si­cherte gab. Gegen diesen Entscheid wurde das Refe­rendum ergriffen. Poli­ti­siert der Bundesrat an der Bevöl­ke­rung vorbei?

Ja, meiner Meinung nach hat er gerade bei Anliegen wie Waffen­ex­porten in Bürger­kriegs­länder das Gespür für die Bevöl­ke­rung verloren. Das hat mit der neuen Zusam­men­set­zung zu tun: Ex-Bundesrat Didier Burk­halter hatte noch ein mora­li­sches Gewissen. Aber heute scheint ein Brief eines Wirt­schafts­ver­bands auszu­rei­chen, damit die SVP und FDP entspre­chende Politik machen. Das ist bedenklich.

Die FDP und die SVP sind die Wirt­schafts­par­teien. Vom Rüstungs­sektor sind je nach Angaben zwischen 10’000 und 20’000 Arbeits­plätze abhängig. Insge­samt betrug das Export­vo­lumen laut SECO im Jahr 2016 412 Millionen. Ist es nicht verständ­lich, dass sie sich für diesen Wirt­schafts­sektor einsetzen?

Dieses Argu­ment zieht bei der Korrektur-Initia­tive über­haupt nicht! Die Locke­rungen, die aufge­hoben werden sollen, wurden ja noch gar nicht umge­setzt. Es ist nicht eine Verbots­in­itia­tive, wie sie 2009 zur Abstim­mung gekommen ist. Bei einer Annahme der Korrektur-Initia­tive würde der Stand von vor 2014 wieder­her­ge­stellt werden. Der aller­grösste Teil der Arbeits­plätze, die unter den heutigen Rege­lungen bestehen, ist also unge­fährdet. Die Arbeits­plätze sind uns übri­gens auch wichtig: Bereits bei unserer Initia­tive von 2009 haben wir eine Über­gangs­frist fest­ge­schrieben, in welcher die Arbeit­neh­me­rInnen bei der Suche nach einer neuen Stelle unter­stützt worden wären. Auf der anderen Seite darf man die Propor­tionen nicht aus den Augen verlieren. Die Rüstungs­in­du­strie ist für die Schweizer Export­wirt­schaft prak­tisch irrele­vant. Sie macht gerade mal 0.14 % des Export­vo­lu­mens der Schweiz aus.

Die Schweiz ist nur Platz 11 der Waffen­ex­por­teure, hinter Israel und der Ukraine. Wenn wir also nicht mehr in Bürger­kriegs­länder expor­tieren, liefert die Waffen einfach jemand anderes. Sind wir ehrlich: Sie wollen uns mit dieser Initia­tive doch einfach ein gutes Gewissen kaufen.

Das ist ein völlig absurder Vorwurf. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass nicht nur mora­li­sche Gründe gegen die Locke­rungen spre­chen. Die RUAG-Granaten, die beim IS gefunden wurden, die Schweizer Granat­werfer in Libyen: Das zeigt doch, dass Schweizer Waffen­lie­fe­rungen ein Sicher­heits­ri­siko sind. Ausserdem hat die Schweiz als Sitz­staat von vielen huma­ni­tären Orga­ni­sa­tionen eine wich­tige geopo­li­ti­sche Rolle.

Die Korrektur-Initia­tive möchte den Stand von vor den Locke­rungen 2014 wieder­her­stellen. Warum hat man bis jetzt gewartet und nicht bereits 2014 den Entscheid ‚korri­giert‘? Immerhin ging es da bereits um Länder, die „syste­ma­tisch Menschen­rechte verletzten“. Ist es jetzt einfach opportun?

Dazu kann ich nichts sagen, damals habe ich noch nicht für die GSoA gear­beitet. Aber die neue Locke­rung bewegt sich in einer neuen Dimen­sion. Viele Menschen sind empört, weil sie begreifen, dass die ‚huma­ni­täre Tradi­tion‘ der Schweiz, von der ihnen in der Schule erzählt wurde, hier mit Füssen getreten wird. Die Schweiz riskiert mit solchen Entscheiden, die Glaub­wür­dig­keit als Sitz­staat für huma­ni­täre Orga­ni­sa­tionen zu verlieren. Das zeigt etwa die Kritik von IKRK-Präsi­dent Peter Maurer. Die Empö­rung ist gross – und das längst nicht nur im linken Lager: Die Allianz ist breit.

Aber riskiert man mit dieser breiten Allianz nicht, dass bürger­liche Parteien, die 2014 die Locke­rungen unter­stützt hatten, sich in der allge­meinen Empö­rung über den Entscheid des Bundes­rates jetzt an ein popu­läres Anliegen anbiedern?

Nein, die GLP war bereits 2014 geschlossen gegen die Locke­rung. Auch der grösste Teil der BDP hat die Verord­nungs­än­de­rung damals abge­lehnt. Die CVP war damals gespalten. Bis jetzt ist sie der Allianz noch nicht beigetreten – mal schauen, was da noch passiert.

Fair­food-Initia­tive, Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive und jetzt die Korrektur-Initia­tive: All diese Vorstösse appel­lieren in irgend­einer Form an die Verant­wor­tung der Schweiz gegen­über dem Ausland. Die beiden erst­ge­nannten lehnt der Bundesrat ab, und auch die Korrektur-Initia­tive wird er mit grosser Wahr­schein­lich­keit ablehnen. Wie erklären Sie sich diese Haltung?

Im Gegen­satz zum Bundesrat ist die Schweizer Bevöl­ke­rung nicht bereit, eine rein profit­ge­trie­bene Politik zu unter­stützen. Viele Leute sind nicht bereit, eine Politik mitzu­tragen, die im Wider­spruch zu ihren mora­li­schen Idealen steht. Das hat der Bundesrat noch nicht verstanden.

Die GsoA hat einen zwie­späl­tigen Ruf in der Schweiz. Glauben Sie nicht, dass Ihr Ruf Ihrem Anliegen schadet?

Die GsoA alleine wäre sicher­lich die falsche Trägerin für die Initia­tive. Aber bei einer so breit abge­stützten Allianz wie bei der Korrektur-Initia­tive ist es völlig richtig, dass wir uns betei­ligen. Die GsoA hat bereits beim Refe­rendum gegen den Gripen-Kauf erfolg­reiche Arbeit im Hinter­grund geleistet.

Sind Sie zuver­sicht­lich, dass Sie bis am 24. September die 25’000 Zusagen haben?

Es ist sicher eine grosse Heraus­for­de­rung. Wenn wir es schaffen, dann stellen wir damit sicher­lich einen Schweizer Rekord auf. Wir lancieren die Initia­tive nur, wenn wir die 25’000 Zusagen inner­halb von 2 Wochen erhalten. Es steht also viel auf dem Spiel. Aber das ist ja auch das Inter­es­sante daran.

Zum Zeit­punkt der Fertig­stel­lung dieses Textes hatte die Korrektur-Initia­tive das selbst­auf­er­legte Quorum von 25’000 Zusagen bereits erreicht.

 


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