Schweizer Handel im Schatten des Krieges

Im 18. Jahr­hun­dert waren Kauf­leute aus dem neutralen Basel wich­tige Liefe­ranten von Kriegs­gü­tern. Sie gerieten deshalb immer wieder in die Kritik von aussen. Ein neuer Blick auf die lange Geschichte der schwei­ze­ri­schen Neutralität. 
Unweit von Basel tobte zu Beginn des 18. Jahrhunderts Krieg und die Stadt nutzte geschickt ihre Neutralität, um Geschäfte machen zu können. Der Friedenskongress fand 1714 in Baden statt. (Bild: Johann Rudolf Huber)

Im September 1713 steht die Stadt Basel unter diplo­ma­ti­schem Druck. Es ist ein Protest­schreiben einge­troffen: Basler Kauf­leute hätten angeb­lich tausende Woll­säcke mit Getreide befüllt und diese rhein­ab­wärts ins Lager der fran­zö­si­schen Armee geschmug­gelt. Das Schreiben stammt von dem Mili­tär­kom­man­danten der damals kaiser­lich-öster­rei­chi­schen Stadt Rhein­felden, Baron von Neuhoff, und dem Botschafter des Kaisers in der Eidge­nos­sen­schaft, Franz Ehren­reich Graf von Trautt­mans­dorff. Sie finden, Basel unter­stütze damit einen Angriff auf die Truppen ihres Kaisers, die auf der anderen Seite des Rheins stehen. Sie drohen der Stadt mit Sank­tionen und fordern, dass die Schul­digen unter den Kauf­leuten zur Rechen­schaft gezogen werden.

Wir befinden uns mitten im Spani­schen Erbfol­ge­krieg. Seit 1701 kämpfen der fran­zö­si­sche König Louis XIV. und der habs­bur­gi­sche Kaiser des Heiligen Römi­schen Reichs um die spani­sche Krone. Der Krieg konzen­triert sich auf zwei Schau­plätze, an denen die beiden Macht­blöcke direkt anein­an­der­grenzen: in Nord­ita­lien und am Ober­rhein. Inmitten dieser Schlacht­felder liegt die Eidgenossenschaft.

Die eidge­nös­si­schen Orte haben sich bei Kriegs­be­ginn für neutral erklärt – eine Praxis, die sie seit dem 17. Jahr­hun­dert verfolgen. Doch was neutral zu sein genau bedeutet, war damals wie heute umstritten. Wie das Beispiel des Getrei­de­schmug­gels aus Basel 1713 zeigt, stellen sich immer wieder die Fragen, was Neutrale dürfen, was sie nicht dürfen und was sie trotzdem tun. Das histo­ri­sche Beispiel Basel zeigt die Rolle der neutralen Handels­städte in den vormo­dernen Kriegen auf – und was davon heute noch übrig ist.

Basel wird zur neutralen Handelsdrehscheibe

Ab 1701 trennen nur wenige Kilo­meter Basel vom Kriegs­ge­schehen. Doch für die Stadt ist die Nähe zum Krieg auch eine Chance, denn Frank­reich und das Heilige Römi­sche Reich versehen sich zu Kriegs­be­ginn gegen­seitig mit Handels­blockaden. Beide Kriegs­par­teien verfolgen dabei die glei­chen Ziele: Aus dem eigenen Land sollen keine kriegs­wich­tigen Güter an den Feind gelangen und gleich­zeitig soll der Feind daran gehin­dert werden, seine Kriegs­kasse durch Export­ge­schäfte zu füllen.

Kauf­leute impor­tieren verbo­tene Waren aus Frank­reich oder dem Reich, dekla­rieren diese Waren kurzer­hand zu eidge­nös­si­schen Gütern um und expor­tieren sie anschlies­send an beide Kriegsparteien.

Von dieser Ausgangs­lage profi­tieren die Neutralen. Denn trotz Handels­ver­boten benö­tigen die Armeen weiterhin Kriegs­ma­te­rial, die Kauf­leute Kauf­manns­güter und die Bevöl­ke­rung Lebens­mittel. Und so impor­tieren Kauf­leute verbo­tene Waren aus Frank­reich oder dem Reich, dekla­rieren diese Waren kurzer­hand zu eidge­nös­si­schen Gütern um und expor­tieren sie anschlies­send an beide Kriegs­par­teien. In Genf, Schaff­hausen, Zürich und Basel blüht der Zwischen­handel und die Eidge­nos­sen­schaft wird zur zentralen Handels­dreh­scheibe des Krieges. 

Über­lie­ferte Waren­at­te­sta­tionen sowie Berichte und Korre­spon­denzen der Kauf­leute zeigen: Harm­lose, aber durch die Handels­ver­bote ille­ga­li­sierte Handels­waren wie Hand­schuhe, Nadeln, Finger­hüte, Tabak, Wein und Seiden­bänder stehen ebenso im Angebot der Basler Kauf­leute wie Waffen, Muni­tion oder kriegs­wich­tige Metalle wie Kupfer und Eisen, die zu Waffen weiter­ver­ar­beitet werden.

Basel wird auch zum Haupt­um­schlag­platz des kriegs­wich­tigen schwä­bi­schen Getreides. Unter dem Vorwand des Eigen­be­darfs werden in Basel die Spei­cher gefüllt und die Vorräte bei Bedarf an die Truppen Frank­reichs im Feld geliefert.

Neben Getreide beschaffen sich die Krieg­füh­renden in Basel sämt­li­ches Verschleiss­ma­te­rial, das sie für ihre Kriege benö­tigen, wie Menschen, Geld und Informationen.

Im Jahr 1712 kauft etwa der Basler Kauf­mann Johann Georg Salathé in der Pfalz 10‘000 Säcke Getreide. Der kaiser­liche Botschafter Trautt­mans­dorff will den Import des Getreides nach Basel verhin­dern. In einem Brief an den Kaiser hält er fest, zwar sei das Getreide für den Eigen­ge­brauch gekenn­zeichnet, doch er habe erfahren, dass die Hälfte der Ladung für den Feind bestimmt sei. 

Trautt­mans­dorffs Vorhaben schei­tert und das Getreide landet über den Handels­platz Basel bei den fran­zö­si­schen Truppen. Importe wie die von Salathé geschehen wieder­holt abge­stimmt auf bevor­ste­hende fran­zö­si­sche Inva­sionen ins Reich.

Neben Getreide beschaffen sich die Krieg­füh­renden in Basel sämt­li­ches Verschleiss­ma­te­rial, das sie für ihre Kriege benö­tigen, wie Menschen, Geld und Infor­ma­tionen. In den Basler Wirts­häu­sern werben fran­zö­si­sche Offi­ziere neue Söldner an, Basler Kauf­leute vergeben Kredite an die Kriegs­herren und Spion*innen aus der Basler Elite vermit­teln geheime diplo­ma­ti­sche Infor­ma­tionen auf das Schlacht­feld und an die Fürstenhöfe.

Geschäfts­prak­tiken der Basler Kaufleute

Da die Handels­wege und die Kommu­ni­ka­ti­ons­in­fra­struktur vom Krieg verschont bleiben und die Nach­frage der Kriegs­füh­renden zunimmt, können die Kauf­leute ihre inter­na­tio­nalen Bezie­hungs­netze ausbauen und im Gegen­satz zu Kauf­leuten aus Kriegs­län­dern unter erleich­terten Bedin­gungen weiterhin Geschäfte machen. Die neutrale Lage wird zum ökono­mi­schen Standortvorteil.

Die Handels­tä­tig­keit der Basler Kauf­leute und die Handels­po­litik der Basler Obrig­keit lassen sich anhand der Proto­kolle des Direk­to­riums der Kauf­mann­schaft Basels rekon­stru­ieren. Ein eigener Schreiber des Direk­to­riums proto­kol­lierte nicht nur die wöchent­li­chen Sitzungen des Direk­to­riums, sondern fertigte Abschriften von Korre­spon­denzen mit der stadt­ei­genen Obrig­keit, mit anderen eidge­nös­si­schen Orten sowie mit Zöll­nern, Offi­zieren, Regie­rungs­mit­glie­dern und Herr­schenden aus Süddeutsch­land, dem Elsass und Nord­ita­lien an. Dank der Proto­kol­lie­rung der ein- und ausge­henden Briefe sammelte das Direk­to­rium wert­volle Infor­ma­tionen, die heute eine Gold­grube für histo­ri­sche Unter­su­chungen sind.

Die Profite der Kauf­leute sind aber nicht allein auf die Neutra­lität Basels zurück­zu­führen. Den Basler Kauf­leuten hilft ihre effi­zi­ente Zusam­men­ar­beit: Sie verfügen über ein eigenes Direk­to­rium. Dieses führt den einträg­li­chen Basler Post­be­trieb, hat darum stets eine volle Kasse und vertritt im Spani­schen Erbfol­ge­krieg die Inter­essen der Kauf­leute mit der notwen­digen finan­zi­ellen Über­zeu­gungs­kraft. Aus den Proto­kollen des Direk­to­riums wird ersicht­lich, wie dieses den Auskauf konfis­zierter Basler Schmug­gel­ware bezahlt und fleissig Geschenke an auslän­di­sche Zoller und Rats­herren macht, damit diese mal ein Auge zudrücken, wenn sie verdäch­tige Basler Fuhren kontrollieren.

Die Obrig­keit versi­chert den Kauf­leuten in einem Schreiben sogar: Schmuggel ist in einem kleinen Ausmass erlaubt.

Diese Geschäfts­prak­tiken werden von der Basler Obrig­keit weit­ge­hend tole­riert. Das hat damit zu tun, dass viele Kauf­leute gleich­zeitig poli­ti­sche Amts­tra­gende sind. Grenzen zwischen staat­li­cher Politik und privater Wirt­schaft existieren kaum. Die Handels­branche erhält deshalb viele Frei­heiten und Unter­stüt­zung von der Stadt. Die Obrig­keit versi­chert den Kauf­leuten in einem Schreiben sogar: Schmuggel ist in einem kleinen Ausmass erlaubt.

Im Falle des Getrei­de­schmug­gels von 1713 an die fran­zö­si­schen Truppen, dele­giert die Obrig­keit diese Sache an das Direk­to­rium. Der Schmug­gel­fall hat ein derart grosses Ausmass, dass sich einige Kauf­leute vor ihrem eigenen Gremium verant­worten müssen. Aus den Direk­to­ri­ums­pro­to­kollen ist ersicht­lich, wie sich die verdäch­tigen Kauf­leute bei dieser Anhö­rung unwis­send stellen: In Basel habe niemand Getreide oder Wolle verschifft. Mit dieser Antwort gibt sich das Direk­to­rium bereits zufrieden, die Unter­su­chungen werden eingestellt.

Im diplo­ma­ti­schen Kreuzfeuer

Direk­to­rium und Obrig­keit setzen sich in Konflikt­fällen in der Regel für ihre Kauf­leute ein. Im Gegen­satz zu anderen neutralen Städten wie Hamburg oder Genua verfolgt Basel aber keine dezi­diert neutrale Handelspolitik.

Die neutrale Handels­po­litik Hamburgs etwa fordert für die Neutralen unbe­schränkten, freien Handel in Kriegs­zeiten. Den länder­über­grei­fenden Handel auch im Krieg aufrecht­zu­er­halten habe oberste Prio­rität – und die Neutra­lität diene dazu, dies durch unpar­tei­ische Trans­ak­tionen mit sämt­li­chen Kriegs­par­teien zu bewerkstelligen.

Auch die nieder­län­di­schen Gene­ral­staaten sind in den Kriegen dieser Zeit häufig neutral. Sie beginnen, mit den unter­schied­li­chen Kriegs­füh­renden Handels­al­li­anzen abzu­schliessen und etablieren dadurch bila­te­rale Verträge als Garanten des neutralen Handels.

Nichts­de­sto­trotz nutzen die eidge­nös­si­schen Orte ihre neutrale Lage gerne, um daraus diskret finan­zi­elle Profite einzustreichen.

An solchen Neutra­li­täts­dis­kursen betei­ligen sich weder Basel noch die übrige Eidge­nos­sen­schaft. Die Neutra­lität wird aus vorder­gründig sicher­heits­po­li­ti­schen Über­le­gungen erklärt. Wenn die eidge­nös­si­schen Orte mit den Kriegs­füh­renden jeweils ihre Neutra­lität aushan­deln, geht es nicht um Handels­pri­vi­le­gien, sondern immer nur um die terri­to­riale Inte­grität der Eidge­nos­sen­schaft. Nichts­de­sto­trotz nutzen die eidge­nös­si­schen Orte ihre neutrale Lage gerne, um daraus diskret finan­zi­elle Profite einzustreichen.

Dieses Vorgehen sorgt immer wieder für Konflikte mit den Kriegs­füh­renden. Ihnen sind Geschäfte, die dem Gegner helfen, ein Dorn im Auge. Sie prote­stieren gegen den Schmuggel von Kriegs­ma­te­rial, den Trans­port feind­li­cher Post oder die Passage gegne­ri­scher Truppen. Die Neutra­lität kommt dabei selten gut weg.

Mit Prote­sten gegen die Ungleich­be­hand­lung zielen die Krieg­füh­renden aber nicht unbe­dingt auf das Ende der neutralen Dienste ab.

Während des Getrei­de­schmug­gels von 1713 prote­stierte der kaiser­liche Botschafter Trautt­mans­dorff zunächst heftig gegen die Bevor­tei­lung Frank­reichs. Bald verstimmt aller­dings der Ruf nach Ermitt­lung und Bestra­fung. Der Protest hatte vor allem zum Ziel von Basel Neutra­li­täts­pflichten und somit Gleich­be­hand­lung einzu­for­dern. Die Proteste gegen Schmuggel, Brief­trans­port, Trup­pen­pas­sagen und Kredit­ver­gaben wollen diese nicht unter­binden. Im Gegen­teil: Sie sind die Forde­rung auf eine ausglei­chende Gegenleistung.

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Handel trotz allem

Die Kriegs­füh­renden machen zwar Lärm und klagen häufig über Neutra­li­täts­ver­let­zungen. Hinter dem diplo­ma­ti­schen Theater lenkt aber eine ökono­mi­sche Realität die Inter­essen. Der Krieg benö­tigt Ressourcen und die Ressour­cen­be­schaf­fung braucht Prag­ma­tismus. In Basel beschaffen sich die Kriegs­füh­renden Kriegs­ma­te­rial, Söldner, Geld und Informationen.

Daneben profi­tieren auch schwä­bi­sche Bäuer*innen vom Zwischen­handel mit ihrem Getreide, kaiser­liche Zöllner möchten von möglichst vielen Basler Fuhren Abgaben einziehen und Elsässer Krämer*innen verkaufen gerne die stark nach­ge­fragte Basler Schmug­gel­ware. Viele Akteur*innen haben kein Inter­esse an der strikten Durch­set­zung der Handels­ver­bote. Kriegs­wirt­schaft­liche Realität, ökono­mi­scher Prag­ma­tismus und eidge­nös­si­scher Oppor­tu­nismus gehen Hand in Hand.

Es zeigt sich: Neutrale sind ein zentraler Bestand­teil des Krieges. Handels­städte wie Basel fungierten als Dreh­scheiben, an denen alle mögli­chen Kriegs­res­sourcen vermit­telt wurden. Damit trugen sie wie andere neutrale Städte zur Fort­füh­rung des Krieges bei. Während die Kauf­leute den Kriegs­füh­renden neutrale Dienste anboten und vom Krieg profi­tieren konnten, verhielt sich die Obrig­keit ruhig.

Weder Basel noch die übrigen eidge­nös­si­schen Orte betei­ligten sich an Diskus­sionen über die Neutra­lität. Sie sassen Konflikte mit den Kriegs­füh­renden aus und versuchten unter dem Radar zu bleiben, um unauf­ge­regt ihren Geschäften nach­gehen zu können. Damit hatten sie Erfolg: Irgendwie konnten sich die Orte immer wieder durch­wur­steln, wenn von aussen Druck auf sie ausgeübt wurde. Die Frage, wofür ihre Neutra­lität stehen soll, mussten sie sich dabei nicht stellen.

Noah Businger ist frei­schaf­fender Histo­riker. Er forscht und publi­ziert zu unter­schied­li­chen Themen der Schweizer Geschichte.


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