Das Lamm dokumentiert das Stück in einer Rezension von Mbene Mwambene in Englisch und in deutscher Übersetzung. Mit der Zweisprachigkeit soll auf die sich zunehmend diversifizierende Freie Theaterszene in der Schweiz aufmerksam gemacht werden. Hier arbeiten Menschen aus verschiedenen Ländern und Sprachregionen eng zusammen, schaffen kulturellen Austausch und Kommunikation. Die Arbeitssprache ist oft Englisch, die Berichterstattung findet jedoch noch ausschliesslich auf Deutsch statt. Das Lamm versucht, dieser Tatsache entgegenzuwirken und mehr Zugänglichkeit zu schaffen.
We walk along a road that leads to a church. Not to pray or ask for forgiveness but rather to witness how godly men installed and legitimized one enormous flare of injustice: slavery. Before the church bells announce the start of the show, cold walls narrowing down to the prayer room greet you.
There is an isle that is to be walked later. There is the Bible, a red carpet, a painting of Jesus, candles and golden ornaments. There are dancers, too. Every place and space can be a stage, so keep your eyes and ears open. There are movements, singing and drum beatings.
The dance piece starts here and then takes you back right to the entrance. That is not the end, as the five dancers, whilst dancing, find themselves on the stairs of the city council’s building. Here is another symbol of power. The first was the church. Every body movement along with the talking drum is a message. There is history being told. There is also protest.
The 40-minute show is a culmination of EXPOSED, the last production of the dance company Le Cercle Essentiel. It is called RÉSISDANSE! and it is about slavery, colonialism and racism embedded in our very own societal fabrics. It also mirrors the role of the church in the dark chapters of history, something usually kept under the carpet in this country.
RÉSISDANSE! connects these topics with a minor element of rap and singing that perfectly fits into the church where the play is performed. The church becomes a place of painful memories, a place of reconciliations and – if need be – confrontations with racism.
According to dancer Noëlle Altenburger from Le Cercle Essentiel, “there is a culture of deniability that Switzerland did not benefit from slavery and colonialism.” She developed the play together with her sister Pascale. Before the show, she gave an interview to das Lamm.
“Our mother is from Haiti, a descendant of slaves. We have lived here in Switzerland as full Swiss citizens, but we have been constantly denied that existence through racist books and songs. So you cannot avoid such topics of personal and historical importance.”
In RÉSISDANSE!, according to Noëlle and Pascale, the performers of Le Cercle Essentiel dance and play music on the traces of the effects of colonialism, the slave trade and racism. The influence of the church, the colonial powers, science, but also the role of Switzerland, which profited in many ways from the transatlantic colonial exploitation system, serve as the basis for the piece. One particular aspect illuminated by Le Cercle Essentiel is that the abducted people and their descendants were not simply will-less and submissive. Resistance was formed from the beginning, be it through suicide on the slave ships, escape, rituals, refusal or revolts.
“We dance not to look stunning and beautiful. We dance to provoke a discussion, to emphasize a statement. Switzerland claims to be a peaceful country but it isn’t, so we want to talk about it”, as Noëlle explains.
Pascale adds that they, of course, also dance to feel each other and not just to engage in a series of highly charged narratives of social politics.
“Maybe sometimes it’s more important to feel than to ‘read’. With that feeling, we also dance the pain and the trauma away.”
Nevertheless, RÉSISDANSE! follows also a clearly readable narrative. The focus is on the enslaved black people who resisted and ran into the mountains. In hiding, they relied on songs and dances to comfort themselves, to celebrate and drive away hostile spirits which birthed trauma and depression. They also crafted musical instruments with available resources when their drums were taken away. They danced, they sung, they healed and preserved the culture amidst white terrorism and the barbarism of slavery. Their dance has always been resistance: RÉSISDANSE!
The ensemble of RÉSISDANSE! brings together different people of different experiences and demographical associations who are affected differently by racism, thereby indicating how varied racism manifests in society. On a brighter side, it is a celebration of different cultures and backgrounds.
“We have two biracial Swiss, a Cuban, a Senegalese drummer, three white Swiss who either have a biracial child or are married to a Black person and so forth. We are dancing to share and explain their stories. We are dancers and humans who have grown and developed together. We also worked with an Afro-Cuban choreographer, which allows us to integrate elements of Orisha dance.”
RÉSISDANSE! continues the work done in EXPOSED, which is produced by the same company and uses mostly the same performing cast.
The cast is composed of Pascale and Noëlle Altenburger, Vieux Daffé, Sandra Gonzalez, Vivianne Günter, Lilian Stettler. In collaboration with Yorgenis Danger Garcia, Izabel Barros, Meisterbeatz, Anna Blöchlinger and with small cast support.
The dance performance premiered at BETA stage festival on 25 March 2022 at St Peter and Paul in Bern.
Das Tanz-Theaterstück RÉSISDANSE! lief im Programm des BETA-Stage-Festivals. Das Festival fand vom 3. März bis 4. April in Bern statt, zeigte Produktionen von über 40 Tanzkompanien aus dem Kanton Bern, ergänzt durch Filmvorführungen und Workshops. Die Tanzschaffenden sind angehalten, ungewöhnliche Orte und öffentliche Plätze zu bespielen. RÉSISDANSE! nahm sich die Kirche St. Peter und Paul und den öffentlichen Raum vor dem Rathaus zur Bühne, um über Kolonialismus und rassistische Machtstrukturen nachzudenken.
Wir gehen die Strasse entlang zu einer Kirche. Aber wir sind nicht auf dem Weg in die Kirche, um zu beten oder um Vergebung zu erbitten, sondern um Zeug*innen zu werden, wie sich Menschen selbst zu Göttern erklärten und ein unvergleichliches Unrechtssystem errichteten: die Sklaverei. Auf dem Weg in den Gebetsraum bedrängen kalte enge Wände die Zuschauer*in.
In der Kirche gibt es eine Insel, die wir erst später betreten werden, darauf eine Bibel, ein roter Teppich und ein Jesusgemälde, ausserdem Kerzen und goldene Ornamente. Im Stück verwandelt sich das Gotteshaus in eine Bühne. Im riesigen Schiff muss man genau hinschauen, um die Tänzer*innen sehen zu können. Überall ist Bewegung. Gesang und Trommeln sind hörbar.
Das Tanzstück beginnt hier, mitten in der Kirche, und führt das Publikum dann durch den Raum zurück an den Eingang. Von dort bewegen sich die Performer*innen tanzend weiter nach draussen bis auf die Treppe zum Rathaus. Beides, Kirche und Rathaus, sind Symbole der Macht. Dazwischen pendeln die Körper der Tänzer*innen zum Beat der Trommeln. Ihre Bewegungen sind Botschaften. Sie erzählen eine Geschichte. Sie protestieren.
Die 40-minütige Show heisst RÉSISDANSE!. Sie ist eine Weiterführung von EXPOSED, dem letzten Stück der Tanzkompanie Le Cercle Essentiel. RÉSISDANSE! handelt von Sklaverei, Kolonialismus und Rassismus in unseren ureigensten gesellschaftlichen Strukturen und denkt über die dunkle Rolle der Kirche in der Geschichte nach. Ein Kapitel, das hierzulande gerne unter den Teppich gekehrt wird.
RÉSISDANSE! verbindet diese Themen mit kleinen Rap- und Gesangseinlagen, die sich perfekt in die Kirche, in der das Stück aufgeführt wird, einfügen. Dadurch wird die Kirche zu einem Hort schmerzvoller Erinnerungen, zu einem Ort der Versöhnung und – wo nötig – auch der Konfrontation mit Rassismus.
„In der Schweiz gibt es eine Kultur des Wegschauens“, sagt die Tänzerin Noëlle Altenburger von Le Cercle Essentiel. Sie hat das Stück zusammen mit ihrer Schwester Pascale entwickelt. Vor der Show hat sie das Lamm ein Interview gegeben.
„Unsere Mutter ist Nachkommende haitianischer Sklav*innen. Wir haben immer hier in der Schweiz als Schweizer Staatsbürger*innen gelebt. Unsere Existenz aber wurde durch rassistische Bücher und Lieder andauernd negiert und in Frage gestellt. Wir können also gar nicht anders, als uns dieser Themen anzunehmen. Sie sind aus historischer und persönlicher Perspektive wichtig“, erklärt Noëlle.
Die Performer*innen von Le Cercle Essentiel tanzen und musizieren unter der Regie von Noëlle und Pascale auf den Spuren von Kolonialismus, Sklavenhandel und Rassismus. Die inhaltliche Grundlage von RÉSISDANSE! bilden der Einfluss der Kirche und der Wissenschaft auf koloniale Macht, aber auch die Rolle der Schweiz, die auf vielfältige Weise vom transatlantischen kolonialen Ausbeutungssystem profitierte. Le Cercle Essentiel beleuchtet dabei besonders die Tatsache, dass sich die entführten Menschen und ihre Nachkommen nicht einfach willenlos unterworfen haben. Von Beginn an gab es Widerstand, sei es durch Selbsttötung auf den Sklav*innenschiffen, durch Flucht, Rituale, Verweigerung oder Revolte.
„Wir tanzen nicht, um schön auszusehen. Wir tanzen, um Diskussionen anzuregen und Stellung zu beziehen. Die Schweiz behauptet, ein friedliches Land zu sein. Aber das ist sie nicht. Darüber wollen wir sprechen“, erklärt Noëlle.
Sie tanzen aber auch, um sich gegenseitig zu spüren, wie Pascale anfügt. Nicht nur, um ausgeklügelte politische Narrative zu bedienen.
„Vielleicht ist es manchmal wichtiger zu fühlen als zu ‚verstehen‘. Mit dem Gefühl überwinden wir tanzend auch Schmerz und Traumata.“
Trotzdem folgt RÉSISDANSE! auch einer klar verständlichen Erzählung. Das Stück bringt die Geschichte der Sklaverei in Haiti auf die Bühne. Im Fokus stehen versklavte People of Color, die Widerstand leisteten und in die Berge flohen. In ihren Verstecken nutzten sie Tänze und Lieder, um das Leid zu bewältigen, um zu feiern und bösartige Geister, die Traumata und Depressionen auslösen, zu vertreiben. Wenn ihnen die Trommeln weggenommen wurden, stellten sie aus dem, was zur Verfügung stand, selbst Instrumente her. Inmitten von Barbarei, Sklaverei und weissem Terror tanzten sie. Sie sangen, heilten und bewahrten so ihre eigene Kultur. Ihr Tanz war immer auch Widerstand: RÉSISDANSE!
Dabei versammelt das Ensemble selbst Menschen mit unterschiedlichen Herkünften und je eigenen Rassismuserfahrungen auf der Bühne und macht so seinerseits darauf aufmerksam, wie vielseitig sich Rassismus in der Schweiz auszudrücken vermag. Oder positiver ausgedrückt: Es feiert verschiedenste Kulturen und Herkünfte.
„Wir haben im Team zwei Schweizer People of Color, einen Kubaner, einen Drummer aus dem Senegal, drei weisse Schweizer*innen, die entweder mit People of Color verheiratet sind oder mit ihnen Kinder haben und so weiter. Wir tanzen, um ihre Geschichten zu teilen und zu verbreiten. Wir sind Tänzer*innen – und wir sind Menschen, die sich miteinander entwickelt haben, die aneinander gewachsen sind. Zusätzlich haben wir mit einem afrokubanischen Choreographen gearbeitet und integrieren darum Elemente des Orisha-Tanzes.“
RÉSISDANSE! ist die Fortsetzung von EXPOSED, einer früheren Performance der gleichen Kompanie mit nahezu identischer Besetzung.
Beteiligt sind Pascale und Noëlle Altenburger, Vieux Daffé, Sandra Gonzalez, Vivianne Günter, Lilian Stettler. In Zusammenarbeit mit Yorgenis Danger Garcia, Izabel Barros, Meisterbeatz, Anna Blöchlinger. Ergänzt von kleinen Nebenrollen.
Premiere: 25. März 2022, Kirche St. Peter und Paul in Bern, BETA Festival.
Journalismus kostet
Die Produktion dieses Artikels nahm 18 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1196 einnehmen.
Als Leser*in von das Lamm konsumierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demokratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produktion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rechnung sieht so aus:
Wir haben einen Lohndeckel bei CHF 22. Die gewerkschaftliche Empfehlung wäre CHF 35 pro Stunde.
CHF 630 → 35 CHF/h für Lohn der Schreibenden, Redigat, Korrektorat (Produktion)
CHF 306 → 17 CHF/h für Fixkosten (Raum- & Servermiete, Programme usw.)
CHF 260 pro Artikel → Backoffice, Kommunikation, IT, Bildredaktion, Marketing usw.
Weitere Informationen zu unseren Finanzen findest du hier.
Löse direkt über den Twint-Button ein Soli-Abo für CHF 60 im Jahr!