Wer armutsbetroffen ist, hat auf dem Wohnungsmarkt schlechte Karten. Referenzen, Arbeitsverträge und Betreibungsregisterauszüge sind oft Bedingungen für einen unbefristeten Mietvertrag. Bedingungen, die für Sozialhilfebezüger*innen und Asylsuchende oft zur unüberwindbaren Hürde werden. In den grossen Städten der Schweiz herrscht heute ein überhitzter Wohnungsmarkt; Armutsbetroffene finden darin kaum einen Platz – auch wenn die Sozialhilfe eigentlich bis zur festgelegten Mietzinslimite für die Miete einer Wohnung aufkommt.
Wie aus dieser Not schamlos Profit geschlagen wird, zeigt unsere Recherche. Die spärlich eingerichtete Wohnung, in der Markus, Linda und Roger wohnen, generiert gemäss unserer Berechnung Mieteinnahmen von ca. 6’000 Franken. Pro Monat.
Mit der strikten Hausordnung greift der Vermieter zudem in die intimsten Lebensbereiche der Mieter*innen ein. Die erlassene Hausordnung regelt ihr Zusammenleben bis ins kleinste Detail. Und ihre Einhaltung kann jederzeit überprüft werden, etwa mit unangekündigten Hausbesuchen. Das Ziel dieser Überwachung ist klar: die Selbstdisziplinierung der Bewohner*innen. Einen anderen Grund konnte oder wollte uns die Firma nicht nennen.
Was bedeuten diese strikten Hausordnungen und die ständigen Drohungen für die Betroffenen? Der schwierige Zugang zu angemessenem und bezahlbarem Wohnraum, aber vor allem auch der erniedrigende Umgang mit Sozialhilfebezüger*innen und Asylsuchenden wirkt sich auf die Schuldgefühle der Betroffenen aus. Ein Gefühl, dass sie versagt haben in ihrem Leben, macht sich breit, wann immer sie fürchten müssen, bald wieder auf der Strasse zu stehen. Dass solche strikten Regulierungen wie diejenigen der GSSA AG vielleicht doch ihre Berechtigung haben, weil sich das Zusammenleben oftmals schwierig gestaltet – weil vielen Bewohner*innen ihre unstabile Lebenssituation sowie psychische Belastungen zu schaffen machen. Androhungen von finanziellen Kollektivstrafen, Kündigungen auf Bewährung und mit Mahngebühren verschärfen dieses Schuldgefühl – und erhöhen auf perverse Weise den Druck auf den sonst schon knapp berechneten Grundbedarf.
Unsichtbare Armut
Wenn Politiker*innen von Sparpotenzial in der Sozialhilfe sprechen, reden sie oft von einem eindimensionalen Bild der Armut. „Gib ihnen möglichst wenig Geld, dann werden sie schon arbeiten“: So lässt sich das Motto hinter den Vorstössen zusammenfassen, die landauf landab eine brachiale Kürzung des Grundbedarfs fordern. Die Realität ist indes komplizierter, eine Armutsdimension verschärft die nächste. Wer ein instabiles Einkommen hat, wird auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert und in die Arme von dubiosen Anbietern wie der GSSA AG getrieben. Der ständige Druck und raue Umgangston verschärft die Problemlage der Betroffenen. Im schlimmsten Fall müssen Sozialhilfebezüger*innen die Differenz zwischen Mietzinsrichtlinie und Mietzins vom Grundbedarf berappen – auf Kosten der sozialen Teilhabe oder einer gesunden Ernährung. Wer gegen „Schmarotzer*innen“ in der Sozialhilfe vorgehen möchte, sollte dort ansetzen, wo Mietzinslimiten abgeschröpft und fette Renditen eingestrichen werden – nicht bei den 986 Franken Grundbedarf.
Den Sozialdiensten, die oft die Miete über ihre Klient*innen an die GSSA AG überweisen, sind indes die Hände gebunden: Sie sind nicht Mietpartei. Sie können ihrem Klientel zwar mit verschiedenen nichtstaatlichen Unterstützungsangeboten oder mietrechtlicher Unterstützung weiterhelfen, aber dies löst die Problematik auf dem Wohnungsmarkt nicht. Markus, Linda und Roger, die wir in unserem Text porträtieren, haben nicht viele andere Möglichkeiten, als in einer Liegenschaft der GSSA AG zu wohnen. Die Firma — auf der anderen Seite — kann sich fast alles erlauben.
Was kann man dagegen tun? Einige Städte kaufen und werten die Liegenschaften von dubiosen Anbietern auf oder senken einfach die kommunale Mietzinslimite. Was zuerst nach einer passablen Lösung klingt, entpuppt sich als zynisches Vorgehen. Die Folge daraus: Viele Sozialhilfebezüger*innen können sich das Leben in diesen Städten nicht mehr leisten, da die Sozialhilfe weniger an die Mieten zahlt. So setzt sich der Staat nicht etwa für menschenwürdige Mietbedingungen für Armutsbetroffene ein, sondern betreibt deren faktische Abschiebung.
Der einzige Weg, das Problem nachhaltig zu lösen und das Recht auf Wohnen für alle zu erfüllen, liegt in einer deutlich stärkeren Regulierung des Immobilienmarkts und der Förderung von gemeinnützigem Wohnungsbau. Die Wohnungsinitiative wäre ein Schritt in die richtige Richtung: mehr gemeinnützigen Wohnungsbau durch die staatliche Sprechung von Darlehen, durch raumplanerische Massnahmen, durch erleichterten Zugang zu Bauland, durch Vorkaufsrechte. Und bei solchen Massnahmen muss spezielles Augenmerk darauf gelegt werden, diskriminierte Gruppen nicht weiterhin auszuschliessen. Armutsbetroffenen bleibt etwa der Zugang zu Genossenschaftswohnungen oft verwehrt, weil sie sich einen Eintritt mittels Anteilsscheine schlicht nicht leisten können.
Wie es mit der Initiative weitergeht, steht offen: Bundesrat sowie National- und Ständerat empfehlen dem Volk ein Nein. Als Gegenvorschlag legen sie einen Rahmenkredit von 250 Millionen Franken über die nächsten 10 Jahre vor; eine nachhaltige Lösung sieht anders aus. Wem die Bevölkerung am Ende folgt, wird sich zeigen. Eines ist indes klar: Armut in der Schweiz ist erschreckend unsichtbar. Ideale Voraussetzungen also für ein Schattengewächs wie die GSSA AG.