Wohnungsnot hat nichts mit persön­li­chem Versagen zu tun

Eine Recherche von das Lamm zeigt: Ein Anbieter von Gemein­schafts­woh­nungen, die sich an Sozialhilfebezüger*innen zu richten scheinen, setzt seine Mieter*innen mit weit­rei­chenden Miet- und Haus­re­geln massiv unter Druck. Es ist ein bedrückender Einblick in eine unter­schätzte Armuts­di­men­sion. Ein Kommentar. 
Symbolbild eines Hochhauses. (CC by pxhere)
Symbolbild eines Hochhauses. (Foto: pxhere)

Wer armuts­be­troffen ist, hat auf dem Wohnungs­markt schlechte Karten. Refe­renzen, Arbeits­ver­träge und Betrei­bungs­re­gi­ster­aus­züge sind oft Bedin­gungen für einen unbe­fri­steten Miet­ver­trag. Bedin­gungen, die für Sozialhilfebezüger*innen und Asyl­su­chende oft zur unüber­wind­baren Hürde werden. In den grossen Städten der Schweiz herrscht heute ein über­hitzter Wohnungs­markt; Armuts­be­trof­fene finden darin kaum einen Platz – auch wenn die Sozi­al­hilfe eigent­lich bis zur fest­ge­legten Miet­zins­li­mite für die Miete einer Wohnung aufkommt.

Wie aus dieser Not schamlos Profit geschlagen wird, zeigt unsere Recherche. Die spär­lich einge­rich­tete Wohnung, in der Markus, Linda und Roger wohnen, gene­riert gemäss unserer Berech­nung Miet­ein­nahmen von ca. 6’000 Franken. Pro Monat.

Mit der strikten Haus­ord­nung greift der Vermieter zudem in die intim­sten Lebens­be­reiche der Mieter*innen ein. Die erlas­sene Haus­ord­nung regelt ihr Zusam­men­leben bis ins kleinste Detail. Und ihre Einhal­tung kann jeder­zeit über­prüft werden, etwa mit unan­ge­kün­digten Haus­be­su­chen. Das Ziel dieser Über­wa­chung ist klar: die Selbst­dis­zi­pli­nie­rung der Bewohner*innen. Einen anderen Grund konnte oder wollte uns die Firma nicht nennen.

Was bedeuten diese strikten Haus­ord­nungen und die stän­digen Drohungen für die Betrof­fenen? Der schwie­rige Zugang zu ange­mes­senem und bezahl­barem Wohn­raum, aber vor allem auch der ernied­ri­gende Umgang mit Sozialhilfebezüger*innen und Asyl­su­chenden wirkt sich auf die Schuld­ge­fühle der Betrof­fenen aus. Ein Gefühl, dass sie versagt haben in ihrem Leben, macht sich breit, wann immer sie fürchten müssen, bald wieder auf der Strasse zu stehen. Dass solche strikten Regu­lie­rungen wie dieje­nigen der GSSA AG viel­leicht doch ihre Berech­ti­gung haben, weil sich das Zusam­men­leben oftmals schwierig gestaltet – weil vielen Bewohner*innen ihre unsta­bile Lebens­si­tua­tion sowie psychi­sche Bela­stungen zu schaffen machen. Andro­hungen von finan­zi­ellen Kollek­tiv­strafen, Kündi­gungen auf Bewäh­rung und mit Mahn­ge­bühren verschärfen dieses Schuld­ge­fühl – und erhöhen auf perverse Weise den Druck auf den sonst schon knapp berech­neten Grundbedarf.

Unsicht­bare Armut

Wenn Politiker*innen von Spar­po­ten­zial in der Sozi­al­hilfe spre­chen, reden sie oft von einem eindi­men­sio­nalen Bild der Armut. „Gib ihnen möglichst wenig Geld, dann werden sie schon arbeiten“: So lässt sich das Motto hinter den Vorstössen zusam­men­fassen, die landauf landab eine brachiale Kürzung des Grund­be­darfs fordern. Die Realität ist indes kompli­zierter, eine Armuts­di­men­sion verschärft die nächste. Wer ein insta­biles Einkommen hat, wird auf dem Wohnungs­markt diskri­mi­niert und in die Arme von dubiosen Anbie­tern wie der GSSA AG getrieben. Der stän­dige Druck und raue Umgangston verschärft die Problem­lage der Betrof­fenen. Im schlimm­sten Fall müssen Sozialhilfebezüger*innen die Diffe­renz zwischen Miet­zins­richt­linie und Miet­zins vom Grund­be­darf berappen – auf Kosten der sozialen Teil­habe oder einer gesunden Ernäh­rung. Wer gegen „Schmarotzer*innen“ in der Sozi­al­hilfe vorgehen möchte, sollte dort ansetzen, wo Miet­zins­li­miten abge­schröpft und fette Renditen einge­stri­chen werden – nicht bei den 986 Franken Grundbedarf.

Den Sozi­al­dien­sten, die oft die Miete über ihre Klient*innen an die GSSA AG über­weisen, sind indes die Hände gebunden: Sie sind nicht Miet­partei. Sie können ihrem Klientel zwar mit verschie­denen nicht­staat­li­chen Unter­stüt­zungs­an­ge­boten oder miet­recht­li­cher Unter­stüt­zung weiter­helfen, aber dies löst die Proble­matik auf dem Wohnungs­markt nicht. Markus, Linda und Roger, die wir in unserem Text porträ­tieren, haben nicht viele andere Möglich­keiten, als in einer Liegen­schaft der GSSA AG zu wohnen. Die Firma — auf der anderen Seite — kann sich fast alles erlauben.

Was kann man dagegen tun? Einige Städte kaufen und werten die Liegen­schaften von dubiosen Anbie­tern auf oder senken einfach die kommu­nale Miet­zins­li­mite. Was zuerst nach einer passa­blen Lösung klingt, entpuppt sich als zyni­sches Vorgehen. Die Folge daraus: Viele Sozialhilfebezüger*innen können sich das Leben in diesen Städten nicht mehr leisten, da die Sozi­al­hilfe weniger an die Mieten zahlt. So setzt sich der Staat nicht etwa für menschen­wür­dige Miet­be­din­gungen für Armuts­be­trof­fene ein, sondern betreibt deren fakti­sche Abschiebung.

Der einzige Weg, das Problem nach­haltig zu lösen und das Recht auf Wohnen für alle zu erfüllen, liegt in einer deut­lich stär­keren Regu­lie­rung des Immo­bi­li­en­markts und der Förde­rung von gemein­nüt­zigem Wohnungsbau. Die Wohnungs­in­itia­tive wäre ein Schritt in die rich­tige Rich­tung: mehr gemein­nüt­zigen Wohnungsbau durch die staat­liche Spre­chung von Darlehen, durch raum­pla­ne­ri­sche Mass­nahmen, durch erleich­terten Zugang zu Bauland, durch Vorkaufs­rechte. Und bei solchen Mass­nahmen muss spezi­elles Augen­merk darauf gelegt werden, diskri­mi­nierte Gruppen nicht weiterhin auszu­schliessen. Armuts­be­trof­fenen bleibt etwa der Zugang zu Genos­sen­schafts­woh­nungen oft verwehrt, weil sie sich einen Eintritt mittels Anteils­scheine schlicht nicht leisten können.

Wie es mit der Initia­tive weiter­geht, steht offen: Bundesrat sowie National- und Stän­derat empfehlen dem Volk ein Nein. Als Gegen­vor­schlag legen sie einen Rahmen­kredit von 250 Millionen Franken über die näch­sten 10 Jahre vor; eine nach­hal­tige Lösung sieht anders aus. Wem die Bevöl­ke­rung am Ende folgt, wird sich zeigen. Eines ist indes klar: Armut in der Schweiz ist erschreckend unsichtbar. Ideale Voraus­set­zungen also für ein Schat­ten­ge­wächs wie die GSSA AG.

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