Werbungen sind immer Versprechen: Dieses Getränk löscht nicht nur deinen Durst, es macht dich auch attraktiv, beliebt und einfach glücklich. Neuerdings sind Werbungen sogar politisch. Nike kniet mit Colin Kaepernick, Gillette will plötzlich nichts mehr von toxischer Männlichkeit wissen, Starbucks solidarisiert sich mit Transgender-Personen – und Coca-Cola, die schwarze Brause mit dem ikonischen, roten Etikett, ist jetzt regenbogenfarben.
In der letzten Januarwoche erschienen Schweizer Zeitungen aller Landessprachen (darunter 20 Minuten, Blick, Weltwoche, La Quotidiana) auf der Titelseite mit einem regenbogenfarbenen Manifest für eine inklusivere Gesellschaft. Der Zeitpunkt der Kampagne ist dabei nicht zufällig: Zwei Wochen später wird sich die Schweiz an der Urne für die Erweiterung der Anti-Rassismusstrafnorm entscheiden, womit Hetze und Diskriminierung gegen Lesben, Schwule und Bisexuelle nun strafbar werden.
Der Jungen SVP, die zusammen mit der EDU das Referendum ergriffen hatte, stösst der Eingriff in den Abstimmungskampf sauer auf. In ihrem Newsletter geben sie ihren Boykott von Coca-Cola bekannt und loben die Konkurrenzprodukte Pepsi und Vivi Kola (keiner der beiden Hersteller äussert sich auf Anfrage von das Lamm zur Abstimmung oder zum Boykott). Bei der EDU und dem Referendumskomitee „Zensurgesetz Nein“ vermutet man rein wirtschaftliche Interessen. LGBT-Anliegen lägen halt „im Trend” (Anian Liebrand, Zensurgesetz Nein) und die Community sei „überdurchschnittlich kaufkräftig und imagebewusst” (Harold Salzmann, EDU).
Bei Coca-Cola versteht man diese Vorwürfe nicht. „Freiheit, Toleranz, Gemeinsamkeit und Respekt” seien einfach Kernwerte von Coca-Cola, für die das Unternehmen in der Gesellschaft einstehe. „Dies ist kein Selbstzweck, sondern unsere Überzeugung”, sagt Kommunikationschef Matthias Schneider.
Coca-Colas Engagement
Tatsächlich unterstützt Coca-Cola seine queeren Angestellten aktiv. Der Konzern arbeitet mit verschiedenen LGBT-Netzwerken zusammen und unterhält eigene, er implementiert Verhaltenskodizes und in den USA erhalten Angestellte sogar transgender-inklusive Krankenversicherungen. Als Arbeitgeber erlangt Coca-Cola deswegen regelmässig Bestnoten für Gleichberechtigung. Von fadenscheinigem Pinkwashing ist also nicht zu sprechen. Hiesige LGBT-Organisationen wurden nicht mit einbezogen, begrüssen die Kampagne aber – wenn auch kritisch. „Die Werbung wurde in Zeitungen wie 20 Minuten und Weltwoche gedruckt. Das macht sichtbar, dass die Community mitten in der Gesellschaft steht”, so Roman Heggli, Geschäftsleiter von Pink Cross und Co-Kampagnenleiter von „Ja zum Schutz“. Und Kathrin Meng, Geschäftsleitung der Milchjugend, weist darauf hin: „Das Image einer Marke ist nie neutral. Wenn Versicherungen mit einem klassischen Familienbild (Mann-Frau-Kind) werben, zeigen sie damit ihre Befürwortung. Wieso also nicht auch für Homosexuelle?”
Politisch erschöpft sich die Kampagne aber in der Symbolwirkung für die Betroffenen. Umgestimmt wird damit niemand. Studien zeigen, dass politische Kampagnen nur dann eine Wirkung haben, wenn es noch keine erhärteten Positionen zum Thema gibt. Und ein Nein gegen LGBT-Rechte ist immer laut und sicher. Umso grösser ist dafür der mediale Knalleffekt einer Werbung, die derart starke Meinungen herausfordert. Und knallen muss es, um in der heutigen Werbeflut bemerkt zu werden.
Es zahlt sich auch aus. Kontroverse oder lobenswerte Kampagnen werden gratis von Menschen und Medien auf verschiedensten Kanälen weiterverbreiten. Und Coca-Cola profitiert noch von einem zweiten Effekt. Knapp zwei Drittel aller Konsument*innen weltweit kaufen oder boykottieren eine Marke aufgrund ihrer politischen Positionierung. Wenn Coca-Cola also eine populäre Position (63.1% Ja) vertritt und möglichst viele Menschen davon in Nachrichten und Social Media erfahren, dann kann der Konzern mit vergleichsweise kleinem Marketingaufwand grosse Gewinne einfahren. Vor allem, wenn an der ersten Hauptversammlung der Jungen SVP bereits wieder Coca-Cola und Valser (2002 von Coca-Cola aufgekauft) getrunken wird.
Erste Hauptversammlung der @jungesvp nach dem Boykottaufruf gegen @CocaCola. Proscht! #colagate pic.twitter.com/1njzMdqIn1
— Mirjam Kohler (@mirjamkohler) February 16, 2020
Mutig muss man die Kampagne von Coca-Cola also nicht nennen. Mutig wäre sie in Ländern wie Saudi-Arabien, Indonesien oder der Türkei. Und es ist auch möglich. In Ungarn hat Coca-Cola sich nach einer Werbung, die zwei Schwule darstellte, gegen eine Klage der Regierung gestellt. Richtig so! Internationaler Handel verlangt internationale Solidarität!
Zuckersüss und schmutzig
Dass eine Firma aus finanziellen Interessen handelt, liegt in der Natur der Sache. Und wenn dabei eine wichtige soziale Bewegung unterstützt wird, scheint das ja begrüssenswert. Das lenke aber vom eigentlichen Problem ab, erklärt Guido Zurstiege, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen: „Die meisten Kinder und Jugendlichen unterstützen LGBT-Rechte. Aber sie sind auch am Stärksten gefährdet durch problematisches Essverhalten. Die Aktion lenkt davon ab, dass Coca-Cola zumindest im gleichen, wenn nicht sogar in einem grösseren Umfang Verantwortung für die eigenen Produkte und die Folgen ihres Konsums hat.”
Und die Fakten zeichnen ein dramatisches Bild. Gemäss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich die Zahl der Adipositas-Erkrankungen (Fettleibigkeit) von 1975 bis 2016 verdreifacht, bei Kindern und Jugendlichen sogar verzehnfacht. Deshalb führen immer mehr Länder eine Steuer auf Zucker ein. In der Schweiz kommt die Verbindung von Süssgetränken zu Gesundheitsproblemen aber nur langsam im öffentlichen Bewusstsein an: 2017 wurde eine Zuckersteuer vom Ständerat abgelehnt.
Ein Grund dafür? Coca-Cola führt international eine aggressive Strategie der Fehlinformierung. 2015 wurde publik, dass der Konzern Millionen in ein Forschungszentrum investiert hat, das irreführende Adipositas-Studien publizierte. In China konnte Coca-Cola mit solcher ‚Wissenschaft‘ sogar direkten Einfluss auf das Gesundheitsgesetz ausüben. Ähnlich wird beim Thema Nachhaltigkeit verfahren. Auch hier gibt sich der Konzern sozial und verweist auf seine Anstrengungen zum Recycling der Plastikflaschen – aber hat 2018 knapp eine Million Euro in Lobbying investiert, um entsprechende EU-Richtlinien abzuschwächen. Genau hier, bei Gesundheit und Umwelt, hätte Coca-Cola die Möglichkeit, effektiv in einem globalen Wandel mitzuwirken. Aber die soziale Rolle scheint aufzuhören, wo sie Kapitalinteressen bedroht oder wirklich kontrovers ist. Wieso spricht sich Coca-Cola nicht auch für ein faires Asylwesen aus? Sind Asylsuchende nicht Teil einer inklusiven Gesellschaft?
Wenn sich ein kapitalstarker Konzern wie Coca-Cola in gesellschaftlichen Debatten positioniert, kann dies durchaus eine starke Symbolwirkung haben. Vor allem aber sollen die Konsument*innen gewisse Werte mit einer Marke verknüpfen. „Die mit dem roten Etikett? Das sind die LGBT-freundlichen!” Die massiven Gesundheits- und Umweltschäden werden damit aus dem öffentlichen Bewusstsein gedrängt. Also je lauter die Werbetrommel gerührt wird, desto besser muss man hinhören, was in den hinteren Reihen geflüstert wird.
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