„Für wen schreibt ihr?“
„Für das Lamm, so ein kleines Onlinemagazin in der Schweiz, schau es dir unbedingt mal an!“
„Und ihr seid extra für die Aktion hierhin gereist?“
„Ja.“
„Cool, schön, dass ihr hier seid!“
Dieses Gespräch führen wir am vergangenen Wochenende immer und immer wieder. Trotz allem Misstrauen der Presse gegenüber: Die meisten AktivistInnen des Aktionsbündnisses Ende Gelände freuen sich, wenn man über sie schreiben will, und sie sind gerne bereit, mit uns zu reden. Nur Namen, genauere Angaben und Fotos, das möchte man uns dann doch nicht geben – aus Angst vor Repression. Und weil es hier schliesslich nicht um Individuen geht, wie eine Aktivistin sagt, sondern um das Kollektiv, die Bewegung.
Mit einem klischeehaften VW-Bus sind wir zu fünft angereist. Mitten in der Nacht und bei drei Grad sind wir auf dem Gelände des diesjährige Klimacamps von Ende Gelände in Düren, rund 50 Kilometer südwestlich von Köln, angekommen. Wir sind gekommen aus Neugier: Weil wir wissen wollen, wie es um den Klima-Aktivismus in Europa fast vierzig Jahre nach dem Höhepunkt der Anti-Atom-Bewegung steht. Weil wir sehen wollen, wie es dem Hambacher Forst geht. Und weil wir hören wollen, was die AnwohnerInnen zu sagen haben, die seit Wochen, Monaten und Jahren inmitten von AktivistInnen, Polizei, Presse und RWE immer seltener Gehör finden.
Die Aktionen von Ende Gelände, einer 2015 gegründeten, dezentral organisierten Anti-Kohlekraft-Bewegung, stehen in diesem Jahr im Namen der Klimagerechtigkeit im Rheinischen Braunkohlerevier. Im Fadenkreuz der AktivistInnen: der Braunkohlegigant RWE.
RWE ist der zweitgrösste Energiekonzern Deutschlands und europaweit tätig. Bekanntheit erlangte RWE dieses Jahr mit der medialen Aufmerksamkeit rund um die Räumung der jahrelangen Besetzungen des Hambacher Forstes, der für einen gigantischen Kohletagbau von RWE gerodet werden soll. Es hagelte Kritik, Lob für die Einsatzkräfte, es wurde debattiert – und um die Deutungshoheit gestritten. Ein Bild vor Ort haben sich aber die wenigsten gemacht; die Diskussion stützte sich zu oft auf uniforme Agenturmeldungen.
Vom Hambacher Forst, liebevoll „Hambi“ genannt, ist indes nicht mehr viel übrig. Zwischen vereinzelten Waldfetzen sieht man riesige Kohlebagger, über die Strassen der Umgebung brettern reihenweise Lastwagen. Die meisten den Tagebau umgebenden Dörfer wurden bereits umgesiedelt. Nur wenige der rund 5000 betroffenen AnwohnerInnen weigerten sich, ihre Häuser zugunsten der neuen, von RWE angebotenen Parzellen zu verlassen. Immer wieder kam und kommt es in den Geisterstädten rund um das Rheinische Braunkohlerevier zu Besetzungen. Die Polizei, aber auch private SicherheitsmitarbeiterInnen von RWE versuchen, die Häuser zu räumen. In den Geisterstädten prangen Parolen und Ton-Steine-Scherben-Lyrics an den Hauswänden. Polizei und Sicherheitsdienst – letzterer will oder kann sich uns gegenüber nicht ausweisen – verweigern der Presse den Durchgang. Auch der Presseausweis hilft uns nicht weiter. Es ist nicht das einzige Aufeinandertreffen von das Lamm und den BeamtInnen an diesem Wochenende.
Aktivismus, Widerstand, Ungehorsam und Utopie-Stimmung: Am Ende Gelände hat das Lamm versucht, aus nächster Nähe aufzuarbeiten und wiederzugeben, was war und warum. Natürlich stellt sich die polemische Frage, was ein Schweizer Medium in einem Klimacamp für AktivistInnen im deutschen Nirgendwo verloren hat. Doch die Antwort ist so einfach wie einleuchtend: Die Sache, für die sich Ende Gelände einsetzt, nämlich eine Reduktion der CO2-Emissionen durch einen Ausstieg aus der Braunkohle, betrifft uns alle. Emissionen machen keinen Halt vor Landesgrenzen. Dass KlimaaktivistInnen aus Tschechien, Holland, Frankreich, Italien und der Schweiz angereist sind, zeigt: der Protest dagegen auch nicht. Noch etwas greifbarer sind die Verkettungen von RWE mit der hiesigen Wirtschaft. Die Schattenbank Black Rock etwa, der grösste institutionelle Investor von RWE, rühmt sich mit einem Schweizer vice chairman und einer wichtigen Niederlassung in der Limmatstadt. Vor dieser Niederlassung demonstrierten vor einigen Wochen auch solidarische ZürcherInnen gegen die Rodungen im Hambi.
Auch wenn die Aktion der BraunkohlegegnerInnen von Ende Gelände zwischen dem 25.10. und dem 28.10. dieses Jahr in unmittelbarer Nähe zum Hambacher Forst stattfand, ist es den Ende-Gelände-AktivistInnen doch wichtig, sich als eigene Bewegung zu positionieren. In einer Pressemitteilung schreiben sie: „Ende Gelände ist Teil der Proteste für den Erhalt des Hambacher Forstes gewesen […]. Uns geht es jedoch – seit Jahren – um viel mehr als nur einen Wald, uns geht es um einen sofortigen Kohleausstieg und um Klimagerechtigkeit. Diese Forderungen standen bei unseren Aktionen am Wochenende ganz klar im Vordergrund.“ Dennoch: Die mediale Dauerpräsenz des Hambi hat bei der Mobilisierung geholfen: Über 6’500 AktivistInnen beteiligten sich an den Aktionen — so viele, wie seit Jahren nicht mehr für Klimagerechtigkeit zu zivilem Ungehorsam gegriffen hatten.
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