CO2 und Klima-Akti­vismus kennen keine Grenzen, wieso sollten wir?

Das Lamm beglei­tete die dies­jäh­rigen Vorbe­rei­tungen und Aktionen, die unter dem Titel «Ende Gelände» beim Kohle­tagbau von RWE in der Nähe des Hamba­cher Forstes durch­ge­führt wurden. Nach drei Tagen kalten Füssen und vollen Notiz­blöcken wurde deut­lich: Dass wir dort waren, war wichtig. Denn kaum ein anderes Schweizer Medium hatte sich ins Klima­camp, geschweige denn an die Aktionen verirrt. Das Edito­rial zur Lamm-Serie über Ende Gelände, den Hamba­cher Forst, zivilen Unge­horsam und mehr. 
AktivistInnen des Aktionsbündnisses Ende Gelände beim öffentlichen Aktionstraining am 26.10 in der Nähe von Düren. Die weissen, selbstbedruckten Schutzanzüge sind Markenzeichen und Dresscode an Aktionen von Ende Gelände. (© N.W.)

„Für wen schreibt ihr?“

„Für das Lamm, so ein kleines Online­ma­gazin in der Schweiz, schau es dir unbe­dingt mal an!“

„Und ihr seid extra für die Aktion hierhin gereist?“

„Ja.“

„Cool, schön, dass ihr hier seid!“

Dieses Gespräch führen wir am vergan­genen Wochen­ende immer und immer wieder. Trotz allem Miss­trauen der Presse gegen­über: Die meisten Akti­vi­stInnen des Akti­ons­bünd­nisses Ende Gelände freuen sich, wenn man über sie schreiben will, und sie sind gerne bereit, mit uns zu reden. Nur Namen, genauere Angaben und Fotos, das möchte man uns dann doch nicht geben – aus Angst vor Repres­sion. Und weil es hier schliess­lich nicht um Indi­vi­duen geht, wie eine Akti­vi­stin sagt, sondern um das Kollektiv, die Bewegung.

Mit einem klischee­haften VW-Bus sind wir zu fünft ange­reist. Mitten in der Nacht und bei drei Grad sind wir auf dem Gelände des dies­jäh­rige Klima­camps von Ende Gelände in Düren, rund 50 Kilo­meter südwest­lich von Köln, ange­kommen. Wir sind gekommen aus Neugier: Weil wir wissen wollen, wie es um den Klima-Akti­vismus in Europa fast vierzig Jahre nach dem Höhe­punkt der Anti-Atom-Bewe­gung steht. Weil wir sehen wollen, wie es dem Hamba­cher Forst geht. Und weil wir hören wollen, was die Anwoh­ne­rInnen zu sagen haben, die seit Wochen, Monaten und Jahren inmitten von Akti­vi­stInnen, Polizei, Presse und RWE immer seltener Gehör finden.

Die Aktionen von Ende Gelände, einer 2015 gegrün­deten, dezen­tral orga­ni­sierten Anti-Kohle­kraft-Bewe­gung, stehen in diesem Jahr im Namen der Klima­ge­rech­tig­keit im Rhei­ni­schen Braun­koh­le­re­vier. Im Faden­kreuz der Akti­vi­stInnen: der Braun­koh­le­gi­gant RWE.

RWE ist der zweit­grösste Ener­gie­kon­zern Deutsch­lands und euro­pa­weit tätig. Bekannt­heit erlangte RWE dieses Jahr mit der medialen Aufmerk­sam­keit rund um die Räumung der jahre­langen Beset­zungen des Hamba­cher Forstes, der für einen gigan­ti­schen Kohle­tagbau von RWE gerodet werden soll. Es hagelte Kritik, Lob für die Einsatz­kräfte, es wurde debat­tiert – und um die Deutungs­ho­heit gestritten. Ein Bild vor Ort haben sich aber die wenig­sten gemacht; die Diskus­sion stützte sich zu oft auf uniforme Agenturmeldungen.

Vom Hamba­cher Forst, liebe­voll „Hambi“ genannt, ist indes nicht mehr viel übrig. Zwischen verein­zelten Wald­fetzen sieht man riesige Kohle­bagger, über die Strassen der Umge­bung bret­tern reihen­weise Last­wagen. Die meisten den Tagebau umge­benden Dörfer wurden bereits umge­sie­delt. Nur wenige der rund 5000 betrof­fenen Anwoh­ne­rInnen weigerten sich, ihre Häuser zugun­sten der neuen, von RWE ange­bo­tenen Parzellen zu verlassen. Immer wieder kam und kommt es in den Geister­städten rund um das Rhei­ni­sche Braun­koh­le­re­vier zu Beset­zungen. Die Polizei, aber auch private Sicher­heits­mit­ar­bei­te­rInnen von RWE versu­chen, die Häuser zu räumen. In den Geister­städten prangen Parolen und Ton-Steine-Scherben-Lyrics an den Haus­wänden. Polizei und Sicher­heits­dienst – letz­terer will oder kann sich uns gegen­über nicht ausweisen – verwei­gern der Presse den Durch­gang. Auch der Pres­se­aus­weis hilft uns nicht weiter. Es ist nicht das einzige Aufein­an­der­treffen von das Lamm und den Beam­tInnen an diesem Wochenende.

Akti­vismus, Wider­stand, Unge­horsam und Utopie-Stim­mung: Am Ende Gelände hat das Lamm versucht, aus näch­ster Nähe aufzu­ar­beiten und wieder­zu­geben, was war und warum. Natür­lich stellt sich die pole­mi­sche Frage, was ein Schweizer Medium in einem Klima­camp für Akti­vi­stInnen im deut­schen Nirgendwo verloren hat. Doch die Antwort ist so einfach wie einleuch­tend: Die Sache, für die sich Ende Gelände einsetzt, nämlich eine Reduk­tion der CO2-Emis­sionen durch einen Ausstieg aus der Braun­kohle, betrifft uns alle. Emis­sionen machen keinen Halt vor Landes­grenzen. Dass Klima­ak­ti­vi­stInnen aus Tsche­chien, Holland, Frank­reich, Italien und der Schweiz ange­reist sind, zeigt: der Protest dagegen auch nicht. Noch etwas greif­barer sind die Verket­tungen von RWE mit der hiesigen Wirt­schaft. Die Schat­ten­bank Black Rock etwa, der grösste insti­tu­tio­nelle Inve­stor von RWE, rühmt sich mit einem Schweizer vice chairman und einer wich­tigen Nieder­las­sung in der Limmat­stadt. Vor dieser Nieder­las­sung demon­strierten vor einigen Wochen auch soli­da­ri­sche Zürche­rInnen gegen die Rodungen im Hambi.

Akti­vi­stInnen des Akti­ons­bünd­nisses Ende Gelände beim öffent­li­chen Akti­ons­trai­ning am 26.10 in der Nähe von Düren. Die weissen, selbst­be­druckten Schutz­an­züge sind Marken­zei­chen und Dress­code an Aktionen von Ende Gelände. (Foto: Natalia Widla)

Auch wenn die Aktion der Braun­koh­le­geg­ne­rInnen von Ende Gelände zwischen dem 25.10. und dem 28.10. dieses Jahr in unmit­tel­barer Nähe zum Hamba­cher Forst statt­fand, ist es den Ende-Gelände-Akti­vi­stInnen doch wichtig, sich als eigene Bewe­gung zu posi­tio­nieren. In einer Pres­se­mit­tei­lung schreiben sie: „Ende Gelände ist Teil der Proteste für den Erhalt des Hamba­cher Forstes gewesen […]. Uns geht es jedoch – seit Jahren – um viel mehr als nur einen Wald, uns geht es um einen sofor­tigen Kohle­aus­stieg und um Klima­ge­rech­tig­keit. Diese Forde­rungen standen bei unseren Aktionen am Wochen­ende ganz klar im Vorder­grund.“ Dennoch: Die mediale Dauer­prä­senz des Hambi hat bei der Mobi­li­sie­rung geholfen: Über 6’500 Akti­vi­stInnen betei­ligten sich an den Aktionen — so viele, wie seit Jahren nicht mehr für Klima­ge­rech­tig­keit zu zivilem Unge­horsam gegriffen hatten.


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