Das Lamm: Komitee Kapital Kollaboration Kriegsgewinn hat bislang zwei Führungen in der Sammlung Bührle im Kunsthaus durchgeführt. Zu Beginn ihrer Führung warnen Sie davor, man betrete kontaminiertes Gebiet. Dafür verteile Sie jeweils Schutzkleidung. Warum die ganze Theatralik?
Kim Kunz: Wir wollen aufzeigen, dass es alles andere als ‚normal‘ ist, eine solche Sammlung zu betrachten. Es handelt sich dabei um Kunst, die unter Druck verkauft und durch Zwangsarbeit finanziert wurde. Dabei orientieren wir uns unter anderem am Buch „Das kontaminierte Museum“ von Erich Keller. Der Historiker schreibt, dass die Metapher der Kontamination nützlicher ist, als von einer „historischen Last“ zu sprechen. Eine Last kann abgelegt werden, man kann einen Schlussstrich unter sie setzen. Die Kontamination aber bleibt und strahlt. So tut es auch die Sammlung Bührle – sie strahlt auf die Besucher*innen, diese Stadt und die Zeit, in der wir leben.
Das Komitee Kapital Kollaboration Kriegsgewinn besteht aus drei Kunstschaffenden in Zürich. Sie haben sich zusammengeschlossen, um auf die fortbestehende Problematik der Bührle-Sammlung aufmerksam zu machen. Im Interview spricht der*die fiktive Mediensprecher*in des Kollektivs Kim Kunz.
Bei Ihrer letzten Führung am 16. August war auch Ann Demeester, die Direktorin des Kunsthauses, mit weiteren Mitarbeiter*innen anwesend. Sie trugen keine Schutzkleidung.
Neben den Schutzanzügen haben wir ihnen auch angeboten, das G für Gefahr zu tragen wie alle anderen Besucher*innen. Sie meinten aber, dass sie keine bräuchten. Ich glaube, sie sind vermutlich zu kontaminiert. (lacht)
Dabei ist unsere Kritik nicht persönlich, sondern an die ganze Institution gerichtet. Das Museum und die Stiftung sind seit Jahrzehnten zu eng verbandelt, als dass Kritik aus den eigenen Reihen angebracht werden könnte.
Sie sprechen die lange Zusammenarbeit zwischen dem Kunsthaus und Emil Bührle, und später mit seiner Stiftung an. So hat Bührle bereits die Erweiterung des Kunsthauses im Jahr 1958 finanziert. Wenn Sie die Sammlung Bührle kritisieren und fordern, sie komplett zu schliessen, sollte dann nicht eigentlich das ganze Museum geschlossen werden?
Natürlich ist das Problem grösser als diese Ausstellung, aber es ist auch grösser als das Kunsthaus. Solche Sammlungen sind ein Schauplatz, an dem wir als Gesellschaft über unsere Geschichte und unser politisches Selbstverständnis diskutieren.
Und ja, wir sind der Meinung, dass man Museen an sich hinterfragen sollte. Denn sie sind Ausdruck einer kolonialen Geschichte. Die Idee, dass es unser Recht ist, als Gesellschaft und Individuen Kunst zu sammeln und zu besitzen, hängt stark mit der Ausbeutung und Unterwerfung anderer Menschen zusammen. Die Praxis des Sammelns an sich muss überdacht werden, da es untrennbar mit der Zerschlagung jüdischer Sammlungen oder Enteignungen aus kolonialen Kontexten zusammenhängt.
Die Sammlung Emil Georg Bührle besteht aus rund 180 Gemälden der Privatsammlung des verstorbenen Rüstungsunternehmers Georg Bührle. Heute ist sie im Besitz der gleichnamigen Stiftung. Im Jahr 2021 zogen die Gemälde in den eigens dafür gebauten Flügel im Kunsthaus Zürich. Das führte anfänglich zu Kritik an der Ausstellung: Viele Gemälde hatten ursprünglich Verfolgten des NS-Regimes gehört. Diese mussten die Werke unter Druck oder gar Zwang verkaufen. Bei anderen Gemälden in der Sammlung Bührle besteht der Verdacht, es handelt sich um Raubkunst, bei denen die ehemaligen Besitzer*innen enteignet und in Konzentrationslager geschickt wurden.
Dazu kommt, dass der bekennende NS-Befürworter Bührle seinen Reichtum durch Waffengeschäfte mit Hitlerdeutschland, Zwangsarbeit und später illegalen Waffengeschäften mit geächteten Regimen in aller Welt – unter anderem dem Apartheidregime in Südafrika – verdiente.
Historiker*innen und Journalist*innen kritisieren, dass die Stiftung keinen unabhängigen Zugang zu den Dokumenten zulässt, die eine Provenienzforschung der Gemälde ermöglichen würden. Die Stiftung würde aktiv versuchen, die Geschichte der Sammlung in ein besseres Licht zu rücken und unangenehme Stellen ausblenden, so die Kritik. In mehreren Fällen führten Gerichtsverfahren dazu, dass Bührle einzelne Gemälde zurückgeben oder Entschädigungen zahlen musste. Bis heute fordern die Nachfahr*innen der ehemaligen Besitzer*innen weitere Entschädigungen und Rückgaben.
Die Zürcher Stadtpräsidentin Corinne Mauch gab in einem Interview gegenüber SRF im Jahr 2022 grossen Teilen der Kritik recht. Der bestehende Vertrag zwischen dem Kunsthaus und der Stiftung Bührle sei „ein Fehler“ gewesen, so Mauch, „entscheidend ist jetzt, dass eine nationale Kommission eingesetzt wird, die bei Fragen von Restitutionsbegehren dazu beiträgt, faire und gerechte Lösungen zu finden“.
Aber warum gerade Bührle? In Zürich mangelt es nicht an Zeichen kolonialer Ausbeutung und der vergangenen Zusammenarbeit mit dem NS-Regime.
Die Sammlung Bührle ist Ausdruck dieser Geschichte. Sie ist ein Schlüsselnarrativ über unser politisches und historisches Selbstverständnis. Sie wirft Fragen auf: Wie denken wir über Kriegsgewinn nach? Wie über die Verbrechen der NS-Zeit und die Rolle der Schweiz? Die Art und Weise, wie man über Emil Bührle spricht, prägt auch unseren Blick auf die Schweiz und somit auch die Gesellschaft, in der wir leben.
Und so taucht die Debatte um Bührle über Generationen hinweg immer wieder auf: Wenn es um illegale Waffenexporte geht, wenn mit seinem dreckigen Geld ein Kunsthausanbau finanziert werden soll oder ein neues Schauspielhaus. Wir führen diese Debatte nur fort.
Man könnte behaupten, beim Umgang mit Bührle habe es Fortschritte gegeben. Nun gibt es zumindest einen Dokumentationsraum, der die Sammlung in den historischen Kontext rücken will.
Natürlich gibt es nun den Dokumentationsraum, der vermeintlich über den Kontext der Sammlung informiert. Allerdings werden die Inhalte in diesem Raum aus der Perspektive der Stiftung Bührle vermittelt und zwar mit dem eigennützigen Interesse, die Sammlung in ihrer aktuellen Form zu bewahren. Die Darstellung im Dokumentationsraum sagt viel darüber aus, wer für die Stiftung Teil der Gesellschaft ist und wen das Kunsthaus als sein Publikum sieht. Dass von der Shoah als „schwierige Zeit“ gesprochen wird, ist ein Beispiel dafür, wie Opferperspektiven bis heute zum Verschwinden gebracht werden.
Aber unsere Kritik ist noch grundsätzlicher: Wir glauben, dass der Neubau des Kunsthauses bereits ein Rückschritt war. Dies beginnt bei der Architektur, die an längst vergangene Zeiten erinnert. Eigentlich war geplant, das Foyer als öffentlichen Raum zugänglich zu machen. Dies ist aber nicht geschehen. Das Museum ist ein Tresor, der sich der Öffentlichkeit verschliesst.
Am Ende Ihrer Führung haben Sie im Dokumentationsraum gesagt, die Teilnehmer*innen könnten die Schutzkleidung nun ablegen, da sie „dekontaminiert“ seien. Warum hat der Raum für Sie diese Funktion?
Dass der Raum tatsächlich “dekontaminiere”, sagen nicht wir, sondern das Kunsthaus. In ihrer Logik können die Besucher*innen die Kunst problemlos betrachten und müssten danach nur etwas über die Geschichte erfahren – wenn man denn will. Dabei sind die Sammlung und der Dokumentationsraum vollständig voneinander getrennt. So wird klar kommuniziert, dass die blutige Entstehung der Sammlung nicht Teil der Ausstellung ist.
Ausserdem werden hier keine Fragen gestellt. Es ist also keine kritische Einordnung, die die Besucher*innen dazu anregt, über den Kontext nachzudenken.
Wie hat das Kunsthaus bisher auf Ihre Arbeit reagiert?
Zuerst gar nicht. Sie wurden erst auf uns aufmerksam, als Medien darüber berichtetet haben, dass wir die QR-Codes neben den Gemälden ausgewechselt haben. Die originalen Codes führten zur Webseite der Stiftung Bührle, die sehr umständlich und unverständlich die Herkunft der Gemälde dokumentiert und das, ohne dabei Kontext zu vermitteln. Neu führten die Codes zu unserer Webseite, wo der Versuch einer ehrlicheren Geschichtsvermittlung unternommen wird. Unsere QR-Codes werden nun regelmässig vom Kunsthaus entfernt.
Ein konkretes Beispiel ist das Gemälde „Mohnblumenfeld bei Vétheuil“: Die Stiftung Bührle spricht hier von „einem regulären Verkauf zu schwierigen Zeiten“. Tatsächlich hatte es der jüdische Besitzer Hans Erich Emden mitten im Krieg auf der Flucht vor dem NS-Regime verkauft.
Gab es Gesprächsangebote vonseiten der Direktion?
Ja, die Direktorin hat uns auf ein persönliches Gespräch eingeladen, aber wir bestehen auf ein öffentliches Treffen. Das Museum hat nämlich ein Transparenzproblem. Zum Beispiel wenn es darum geht zu informieren, wie es in Zukunft einen verantwortungsvollen und reflektierten Umgang mit der Sammlung Bührle finden will.
Wir denken, mit dem Angebot geht es auch darum, unsere Arbeit zu vereinnahmen und sich plakativ gesprächsbereit zu zeigen.
Für den 3. September kündigen Sie die endgültige Schliessung der Sammlung Bührle an. Was können wir erwarten?
Wir behaupten, dass die Schliessung endgültig sei, weil wir die Existenz dieser Sammlung grundsätzlich infrage stellen wollen. Wir planen ein rauschendes Festival mit Workshops, Audiowalks und Vorträgen zum Thema Zwangsarbeit in den Bührles Fabrikheimen. Das Ganze endet mit der offiziellen Schliessung der Sammlung um 18 Uhr.
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