Mit indi­vi­du­ellem Konsum gegen die Klimakrise?

Die Frage ist bekannt: Welche Rolle spielt der indi­vi­du­elle Konsum im Kampf gegen die Klima­krise? Ist es wirk­lich der private Einkaufs­korb, der den Unter­schied macht? Die zwei Lamm-Redaktor*innen Alex Tiefen­ba­cher und Timo Krstin liefern sich dazu eine SchLAMMSchlacht. 
Eine Seite wählen ist manchmal schwerer als es scheint – selbst im Kampf gegen den Klimawandel. (Foto: Moritz Kindler, unsplash)

Ja!

Am Schluss ist alles privat

Alex Tiefen­ba­cher

Ist es wirk­lich der Kauf meiner Bioto­mate, der die Klima­krise aufhalten wird? Macht es einen Unter­schied, ob ich auf das Fliegen verzichte? Oder sind es nicht viel­mehr die Gross­kon­zerne, die sich bewegen müssten, um das totale Klima­de­sa­ster noch abzu­wenden? An dieser Frage haben sich schon so einige die Zähne ausge­bissen – auch bei Diskus­sionen an meinem Küchen­tisch. Sie endeten immer gleich: ohne klares Ergebnis.

Und das ist eigent­lich auch logisch. Denn auf die Frage, ob es Privat­per­sonen oder Gross­kon­zerne sind, die die Klima­krise lösen, kann es gar keine klare Antwort geben. Das Problem: Die Frage ist falsch gestellt. Sie schafft einen Gegen­satz, den es gar nicht gibt. Der indi­vi­du­elle Konsum und die Wirt­schaft sind nicht zwei vonein­ander getrennte Sphären. Sie sind kein Entweder-oder, sondern mitein­ander verbunden.

Damit meine ich nicht die plumpe Angebot- und Nach­frage-Rück­kopp­lung, die bei diesem Thema gerne ins Feld geführt wird. Also das Argu­ment, dass wenn die Konsument*innen mehr vegane Produkte nach­fragen würden, die Wirt­schaft diese auch liefern würde. Oder wenn die Konsument*innen Ökostrom kaufen würden, dann gäbe es auch mehr erneu­er­bare Ener­gien. Diese Zusam­men­hänge funk­tio­nieren, wenn über­haupt, nur in der Theorie. In der Praxis werden sie durch klima­schäd­liche Subven­tionen, bereits vorge­spulte Struk­turen und einen Werbe­markt, der Anreize an der falschen Stelle setzt, zunichtegemacht.

„Die Vorstel­lung, dass entweder die einen oder die anderen zahlen, ist falsch.“

Alex Tiefen­ba­cher

Nein, es geht mir um eine andere Verbin­dung und diese geht über das Porte­mon­naie. Die Klima­krise wird kosten. Soviel ist klar. Denn nichts wird unsere ressour­cen­hung­rige Wirt­schafts­ma­schi­nerie so billig schmieren können wie fossiles Erdöl. Was jedoch noch nicht klar ist: Wer wird für die Abwen­dung der Klima­ka­ta­strophe bezahlen?

Werden das die Privat­per­sonen sein? Mit höheren Reise­ko­sten? Mit höheren Kosten für Lebens­mittel? Mit weniger Wohl­stand? Oder müssten da nicht viel­mehr die wirk­lich grossen Emittent*innen zur Kasse gebeten werden? Also Unter­nehmen wie der Phar­ma­kon­zern Lonza, die Stahl­pro­du­zentin Steeltec AG oder der Beton­riese Holcim. Zum Beispiel mit saftigen CO2-Abgaben, mit Inve­sti­ti­ons­ko­sten in den klima­ver­träg­li­chen Umbau oder sogar mit einer rück­wir­kenden Über­ge­winn­steuer auf Profite, die auf Kosten der zukünf­tigen Gene­ra­tionen erwirt­schaftet wurden.

Stahl, Beton, Alumi­nium und Plastik – aus diesen Stoffen sind die Indu­strie­na­tionen gebaut. Und die Herstel­lung dieser Stoffe verur­sacht immense Emis­sionen. Steeltec und Co. gehören schweiz­weit zu den Firmen mit den höch­sten Klima­gas­emis­sionen. Dementspre­chend sollten sie auch am meisten für die Abwen­dung der Klima­ka­ta­strophe bezahlen. Und nicht die einzelnen Bürger*innen.

So weit, so eingängig. Aber eben: Die Vorstel­lung, dass entweder die einen oder die anderen zahlen, ist falsch. Denn wenn Holcim, Steeltec oder Lonza drauf­legen, dann müssen das auch die Konsument*innen. Wieso? Wir kaufen die Produkte der Gross­kon­zerne und zwar Tag für Tag. Denn unsere ganze Gesell­schaft fusst auf den Mate­ria­lien, die eine Hand­voll Gross­kon­zerne produziert.

„In einem System, in welchem das Profit­streben der Wirt­schaft unan­tastbar ist, [...] bleibt dem Einzelnen nichts Anderes übrig, als mit dem indi­vi­du­ellen Konsum­ver­halten so gut wie möglich emis­si­ons­arme Unter­nehmen zu unterstützen.“

Alex Tiefen­ba­cher

Du kaufst eine Bioto­mate im Biosuper­markt? Dann zahlst du auch für den Beton, aus dem die Wände des Biola­dens bestehen. Du fährst mit dem Zug zur Arbeit? Dann zahlst du mit deinem Zugticket auch ein wenig an die Stahl­schienen dran, auf denen dein Zug fährt. Und schliess­lich hat wohl schon jede*r von uns der Lonza AG etwas abge­kauft. Denn ein biss­chen Lonza steckt in vielen Medi­ka­menten drin. Und auch in der Corona-Impfung.

Was wir Lonza, Holcim und Co. an Klima­ko­sten aufbrummen, werden diese, wenn immer möglich, an ihre Abnehmer*innen weiter­rei­chen – egal, ob das nun eine CO2-Steuer oder die Inve­sti­ti­ons­ko­sten in klima­ver­träg­li­chere Produk­ti­ons­ab­läufe sind. Und diese Abnehmer*innen werden es wiederum an ihre Kund*innen weiter­rei­chen. Und die näch­sten wieder. Solange bis der Aufschlag bei der Bioto­mate, dem Zugticket oder der Corona-Impfung ankommt und somit bei den privaten Konsument*innen landet.

Am Schluss ist also alles privat. Deshalb ja: Der indi­vi­du­elle Konsum ist im Kampf gegen die Klima­krise wichtig. Zumin­dest solange wie wir akzep­tieren, dass wir in einem Wirt­schafts­sy­stem leben, in welchem Konzern­füh­rungen nach Belieben Profit abschöpfen und Klima­ko­sten weiter­rei­chen können.

In einem System, in welchem das Profit­streben der Wirt­schaft unan­tastbar ist, ja sogar wich­tiger zu sein scheint, als den Planeten bewohnbar zu halten, in einem solchen System bleibt dem Einzelnen nichts anderes übrig, als mit dem indi­vi­du­ellen Konsum­ver­halten so gut wie möglich emis­si­ons­arme Unter­nehmen zu unter­stützen, um den eigenen Fuss­ab­druck klein zu halten.

Oder anders: Im Kapi­ta­lismus werden es immer die Privaten, die Haus­halte und die Einzelnen sein, die bezahlen. Egal, ob die CO2-Kosten und die Klima­schutz­mass­nahmen in erster Linie bei den Indi­vi­duen oder den Unter­nehmen ansetzen. Erst wenn die Klima­ko­sten vom Profit der Konzerne abgehen, werden tatsäch­lich die Rich­tigen zur Kasse gebeten. Obwohl es auch dann Indi­vi­duen sein werden, die bezahlen. Nämlich CEOs, Aktionär*innen und Konzernleitungen.

Nein!

Konsum ist keine Lösung

Timo Krstin

Kann ein verän­dertes Konsum­ver­halten für mehr Klima­schutz sorgen? Kurz­fri­stig mag das möglich sein. Etwa durch den vermehrten Kauf von Elek­tro­autos. Lang­fri­stig aber bleibt der Konsum, was er ist: ein wich­tiges Schmier­mittel im globalen Kapi­ta­lismus und damit Teil des Problems und nicht der Lösung.

Geht man nämlich davon aus, dass der Klima­wandel nicht nur auf das „was“ der Produk­tion, sondern auch auf ihr „wie“ zurück­zu­führen ist (immer mehr produ­zieren zu immer höheren Profi­traten), ist durch Konsum – egal welchen – eine System­än­de­rung und damit ein Wandel hin zu echtem Klima­schutz kaum denkbar.

Im Gegen­teil: Durch die Verla­ge­rung der Verant­wor­tung auf die Seite der Konsument*innen – einfach, indem man ihnen diese Verant­wor­tung zuspricht – werden neue Bedürf­nisse und damit neue Absatz­märkte geschaffen.

Um beim Beispiel Elek­tro­auto zu bleiben: Wenn Menschen nur als Konsument*innen ange­spro­chen werden, besteht ihre einzige Hand­lungs­mög­lich­keit im Kaufen neuer Autos – dann halt mit Elek­tro­motor. Im Ergebnis steigt die Nach­frage, worauf die Produ­zie­renden mit verstärkter Produk­tion reagieren.

Immer mehr Elek­tro­autos über­schwemmen den Markt und der für das Klima wich­tige Effekt, dass Elek­tro­autos weniger Treib­haus­gase ausstossen, wird allein schon durch die grossen Produk­ti­ons­mengen an anderer Stelle wieder einge­holt. Etwa durch Raubbau an seltenen Erden, bei der Batte­rie­pro­duk­tion oder durch hohen Ener­gie­ver­brauch beim Recy­celn der Bestandteile.

„Der Klima­schutz braucht also mit Sicher­heit das Elek­tro­auto, aber er braucht auch insge­samt weniger Produktion.“

Timo Krstin

Eine Studie der Univer­sität der Bundes­wehr in München belegt, dass Elek­tro­autos im Betrieb zwar weniger CO2 produ­zieren, bei der Herstel­lung aber CO2-inten­siver sind als Benziner und Diesel. Das heisst: Einen posi­tiven Effekt auf das Klima haben sie nur, wenn sie lange und nach­haltig genutzt werden. Beides ist im kapi­ta­li­sti­schen Konsum nicht vorgesehen.

Der Klima­schutz braucht also mit Sicher­heit das Elek­tro­auto, aber er braucht auch insge­samt weniger Produktion.

Ein anderes Problem ist, dass sich Konsument*innen nicht wirk­lich poli­ti­sieren lassen – sie sind keine Klasse, keine orga­ni­sier­bare Gruppe und stützen durch ihr einziges gemein­sames Inter­esse, den Konsum, ledig­lich die kapi­ta­li­sti­sche Profitlogik.

Der Versuch, Konsument*innen auf ein Ziel hin zu orga­ni­sieren, das mehr sein könnte als verän­derter Konsum im Sinne der Produ­zie­renden – zum Beispiel hin zum Elek­tro­auto –, läuft darum meistens auf indi­vi­du­elle Psycho­lo­gi­sie­rung hinaus: Die Einzelne wird verant­wort­lich gemacht, verur­teilt und soll sich jetzt ändern, also ihren Konsum verrin­gern – Stich­wort: Flugscham.

Auf diese Weise wird jedoch die Verant­wor­tung priva­ti­siert und konse­quenten gesell­schafts­po­li­ti­schen Lösungen entge­gen­ge­ar­beitet. Gerade die Flug­scham macht das sehr deut­lich: In einer anderen Studie lässt sich nach­lesen, dass 80 Prozent der Welt­be­völ­ke­rung noch nie ein Flug­zeug bestiegen haben, während die Hälfte der durch den Flug­ver­kehr emit­tierten CO2-Menge von einem Prozent der Mensch­heit stammt.

An dieses eine verant­wor­tungs­lose Prozent sollte sich der Rest der Bevöl­ke­rung mit klaren poli­ti­schen Ansagen richten, statt ihm die Entschei­dung über die gemein­same Zukunft einfach zu über­lassen. Aber genau das tun wir, wenn wir auf das „edle“ Gefühl der Flug­scham hoffen.

„Eine linke Klima­po­litik setzt in den Betrieben an und sucht Verbün­dete unter den Betriebsrät*innen.“

Timo Krstin

Also nein: Die Gruppe der Konsument*innen wird die Welt nicht retten. Wer effektiv gegen den Klima­wandel mobi­li­sieren will, sollte die Menschen darum gerade nicht als Konsument*innen anspre­chen, sondern helfen, sie zu orga­ni­sieren und zu politisieren.

Drei Elemente sind wichtig:

1) Die Bewe­gung: Es bedarf einer poli­ti­schen Masse mit gemein­samen Zielen, aber auch einer klaren Gegner*innenschaft. Gesehen zuletzt zum Beispiel im Hamba­cher Forst. Hier ist eine Bewe­gung entstanden, die Gegner*innen klar benannte und mit einem posi­tiven Ziel Menschen mobi­li­sierte. Vereint im Kampf um den Hamba­cher Forst, wurde aus den verein­zelten Konsument*innen eine poli­ti­sche Einheit, die letzt­lich auch zahl­reiche Vertreter*innen der Klima­be­we­gung in die Parla­mente brachte.

2) Zusam­men­ar­beit mit Gewerk­schaften. All die notwen­digen Verän­de­rungen in Indu­strie und Produk­tion werden am Ende von den Arbeiter*innen getragen. Ihr Leben und Arbeiten verän­dert sich, sie sind von struk­tu­reller Arbeits­lo­sig­keit bedroht. Eine linke Klima­po­litik setzt in den Betrieben an und sucht Verbün­dete unter den Betriebsrät*innen. Das ist bislang noch kaum geschehen.

3) Globaler Klas­sen­kampf. Welt­weit werden die unter­pri­vi­le­gierten Schichten dem Klima­wandel zuerst zum Opfer fallen. Arme Menschen leben oft in gefähr­deten Küsten­ge­bieten oder Über­schwem­mungs­zonen. Es wäre wichtig, eine echte Allianz mit den Betrof­fenen einzu­gehen; und das nicht nur in grossen Foren wie den Vereinten Nationen, zu denen gerne auch Klimaaktivist*innen einge­laden werden, sondern ganz beson­ders im Kleinen: poli­ti­sche Arbeit vor Ort, Vernet­zung regio­naler Initiativen.

Bei all diesen Punkten geht es darum, die Konsument*in als poli­ti­sches Subjekt durch andere Gruppen zu ersetzen, weil die Konsument*in als Akteur*in per Defi­ni­tion die kapi­ta­li­sti­sche Profit­logik befeuert.

Trotzdem sind wir natür­lich am Ende alle auch Konsument*innen, die sich drin­gend Gedanken über ihr Konsum­ver­halten machen sollten. Oder anders gesagt: Wer an den genannten Kämpfen teil­haben will, ist nur glaub­würdig, wenn er*sie auch im persön­li­chen Leben als Beispiel voran­geht. Das sollte jedoch ledig­lich eine Selbst­ver­ständ­lich­keit sein und gerade von den Menschen in reichen Indu­strie­län­dern nicht schon als poli­ti­scher Akt ausge­legt werden.

Nur dann ist auch die Gerech­tig­keits­lücke zu schliessen, die darin besteht, dass wir im Globalen Norden jahr­zehn­te­lang über­kon­su­miert haben, jetzt aber bitte die ganze Welt ihren Konsum zum Wohle der Mensch­heit dros­seln soll.

Natür­lich haben Länder des Globalen Südens ein Recht, in Umfang und Qualität an den Konsum der Indu­strie­länder anzu­schliessen. Umso mehr bleibt es unsere Pflicht, hier in der Schweiz für bessere Konsum­güter (zum Beispiel Elek­tro­autos) einzu­treten, gleich­zeitig aber auch unseren Konsum massiv zu beschränken.


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