Ja!
Am Schluss ist alles privat
Alex Tiefenbacher
Ist es wirklich der Kauf meiner Biotomate, der die Klimakrise aufhalten wird? Macht es einen Unterschied, ob ich auf das Fliegen verzichte? Oder sind es nicht vielmehr die Grosskonzerne, die sich bewegen müssten, um das totale Klimadesaster noch abzuwenden? An dieser Frage haben sich schon so einige die Zähne ausgebissen – auch bei Diskussionen an meinem Küchentisch. Sie endeten immer gleich: ohne klares Ergebnis.
Und das ist eigentlich auch logisch. Denn auf die Frage, ob es Privatpersonen oder Grosskonzerne sind, die die Klimakrise lösen, kann es gar keine klare Antwort geben. Das Problem: Die Frage ist falsch gestellt. Sie schafft einen Gegensatz, den es gar nicht gibt. Der individuelle Konsum und die Wirtschaft sind nicht zwei voneinander getrennte Sphären. Sie sind kein Entweder-oder, sondern miteinander verbunden.
Damit meine ich nicht die plumpe Angebot- und Nachfrage-Rückkopplung, die bei diesem Thema gerne ins Feld geführt wird. Also das Argument, dass wenn die Konsument*innen mehr vegane Produkte nachfragen würden, die Wirtschaft diese auch liefern würde. Oder wenn die Konsument*innen Ökostrom kaufen würden, dann gäbe es auch mehr erneuerbare Energien. Diese Zusammenhänge funktionieren, wenn überhaupt, nur in der Theorie. In der Praxis werden sie durch klimaschädliche Subventionen, bereits vorgespulte Strukturen und einen Werbemarkt, der Anreize an der falschen Stelle setzt, zunichtegemacht.
Nein, es geht mir um eine andere Verbindung und diese geht über das Portemonnaie. Die Klimakrise wird kosten. Soviel ist klar. Denn nichts wird unsere ressourcenhungrige Wirtschaftsmaschinerie so billig schmieren können wie fossiles Erdöl. Was jedoch noch nicht klar ist: Wer wird für die Abwendung der Klimakatastrophe bezahlen?
Werden das die Privatpersonen sein? Mit höheren Reisekosten? Mit höheren Kosten für Lebensmittel? Mit weniger Wohlstand? Oder müssten da nicht vielmehr die wirklich grossen Emittent*innen zur Kasse gebeten werden? Also Unternehmen wie der Pharmakonzern Lonza, die Stahlproduzentin Steeltec AG oder der Betonriese Holcim. Zum Beispiel mit saftigen CO2-Abgaben, mit Investitionskosten in den klimaverträglichen Umbau oder sogar mit einer rückwirkenden Übergewinnsteuer auf Profite, die auf Kosten der zukünftigen Generationen erwirtschaftet wurden.
Stahl, Beton, Aluminium und Plastik – aus diesen Stoffen sind die Industrienationen gebaut. Und die Herstellung dieser Stoffe verursacht immense Emissionen. Steeltec und Co. gehören schweizweit zu den Firmen mit den höchsten Klimagasemissionen. Dementsprechend sollten sie auch am meisten für die Abwendung der Klimakatastrophe bezahlen. Und nicht die einzelnen Bürger*innen.
So weit, so eingängig. Aber eben: Die Vorstellung, dass entweder die einen oder die anderen zahlen, ist falsch. Denn wenn Holcim, Steeltec oder Lonza drauflegen, dann müssen das auch die Konsument*innen. Wieso? Wir kaufen die Produkte der Grosskonzerne und zwar Tag für Tag. Denn unsere ganze Gesellschaft fusst auf den Materialien, die eine Handvoll Grosskonzerne produziert.
Du kaufst eine Biotomate im Biosupermarkt? Dann zahlst du auch für den Beton, aus dem die Wände des Bioladens bestehen. Du fährst mit dem Zug zur Arbeit? Dann zahlst du mit deinem Zugticket auch ein wenig an die Stahlschienen dran, auf denen dein Zug fährt. Und schliesslich hat wohl schon jede*r von uns der Lonza AG etwas abgekauft. Denn ein bisschen Lonza steckt in vielen Medikamenten drin. Und auch in der Corona-Impfung.
Was wir Lonza, Holcim und Co. an Klimakosten aufbrummen, werden diese, wenn immer möglich, an ihre Abnehmer*innen weiterreichen – egal, ob das nun eine CO2-Steuer oder die Investitionskosten in klimaverträglichere Produktionsabläufe sind. Und diese Abnehmer*innen werden es wiederum an ihre Kund*innen weiterreichen. Und die nächsten wieder. Solange bis der Aufschlag bei der Biotomate, dem Zugticket oder der Corona-Impfung ankommt und somit bei den privaten Konsument*innen landet.
Am Schluss ist also alles privat. Deshalb ja: Der individuelle Konsum ist im Kampf gegen die Klimakrise wichtig. Zumindest solange wie wir akzeptieren, dass wir in einem Wirtschaftssystem leben, in welchem Konzernführungen nach Belieben Profit abschöpfen und Klimakosten weiterreichen können.
In einem System, in welchem das Profitstreben der Wirtschaft unantastbar ist, ja sogar wichtiger zu sein scheint, als den Planeten bewohnbar zu halten, in einem solchen System bleibt dem Einzelnen nichts anderes übrig, als mit dem individuellen Konsumverhalten so gut wie möglich emissionsarme Unternehmen zu unterstützen, um den eigenen Fussabdruck klein zu halten.
Oder anders: Im Kapitalismus werden es immer die Privaten, die Haushalte und die Einzelnen sein, die bezahlen. Egal, ob die CO2-Kosten und die Klimaschutzmassnahmen in erster Linie bei den Individuen oder den Unternehmen ansetzen. Erst wenn die Klimakosten vom Profit der Konzerne abgehen, werden tatsächlich die Richtigen zur Kasse gebeten. Obwohl es auch dann Individuen sein werden, die bezahlen. Nämlich CEOs, Aktionär*innen und Konzernleitungen.
Nein!
Konsum ist keine Lösung
Timo Krstin
Kann ein verändertes Konsumverhalten für mehr Klimaschutz sorgen? Kurzfristig mag das möglich sein. Etwa durch den vermehrten Kauf von Elektroautos. Langfristig aber bleibt der Konsum, was er ist: ein wichtiges Schmiermittel im globalen Kapitalismus und damit Teil des Problems und nicht der Lösung.
Geht man nämlich davon aus, dass der Klimawandel nicht nur auf das „was“ der Produktion, sondern auch auf ihr „wie“ zurückzuführen ist (immer mehr produzieren zu immer höheren Profitraten), ist durch Konsum – egal welchen – eine Systemänderung und damit ein Wandel hin zu echtem Klimaschutz kaum denkbar.
Im Gegenteil: Durch die Verlagerung der Verantwortung auf die Seite der Konsument*innen – einfach, indem man ihnen diese Verantwortung zuspricht – werden neue Bedürfnisse und damit neue Absatzmärkte geschaffen.
Um beim Beispiel Elektroauto zu bleiben: Wenn Menschen nur als Konsument*innen angesprochen werden, besteht ihre einzige Handlungsmöglichkeit im Kaufen neuer Autos – dann halt mit Elektromotor. Im Ergebnis steigt die Nachfrage, worauf die Produzierenden mit verstärkter Produktion reagieren.
Immer mehr Elektroautos überschwemmen den Markt und der für das Klima wichtige Effekt, dass Elektroautos weniger Treibhausgase ausstossen, wird allein schon durch die grossen Produktionsmengen an anderer Stelle wieder eingeholt. Etwa durch Raubbau an seltenen Erden, bei der Batterieproduktion oder durch hohen Energieverbrauch beim Recyceln der Bestandteile.
Eine Studie der Universität der Bundeswehr in München belegt, dass Elektroautos im Betrieb zwar weniger CO2 produzieren, bei der Herstellung aber CO2-intensiver sind als Benziner und Diesel. Das heisst: Einen positiven Effekt auf das Klima haben sie nur, wenn sie lange und nachhaltig genutzt werden. Beides ist im kapitalistischen Konsum nicht vorgesehen.
Der Klimaschutz braucht also mit Sicherheit das Elektroauto, aber er braucht auch insgesamt weniger Produktion.
Ein anderes Problem ist, dass sich Konsument*innen nicht wirklich politisieren lassen – sie sind keine Klasse, keine organisierbare Gruppe und stützen durch ihr einziges gemeinsames Interesse, den Konsum, lediglich die kapitalistische Profitlogik.
Der Versuch, Konsument*innen auf ein Ziel hin zu organisieren, das mehr sein könnte als veränderter Konsum im Sinne der Produzierenden – zum Beispiel hin zum Elektroauto –, läuft darum meistens auf individuelle Psychologisierung hinaus: Die Einzelne wird verantwortlich gemacht, verurteilt und soll sich jetzt ändern, also ihren Konsum verringern – Stichwort: Flugscham.
Auf diese Weise wird jedoch die Verantwortung privatisiert und konsequenten gesellschaftspolitischen Lösungen entgegengearbeitet. Gerade die Flugscham macht das sehr deutlich: In einer anderen Studie lässt sich nachlesen, dass 80 Prozent der Weltbevölkerung noch nie ein Flugzeug bestiegen haben, während die Hälfte der durch den Flugverkehr emittierten CO2-Menge von einem Prozent der Menschheit stammt.
An dieses eine verantwortungslose Prozent sollte sich der Rest der Bevölkerung mit klaren politischen Ansagen richten, statt ihm die Entscheidung über die gemeinsame Zukunft einfach zu überlassen. Aber genau das tun wir, wenn wir auf das „edle“ Gefühl der Flugscham hoffen.
Also nein: Die Gruppe der Konsument*innen wird die Welt nicht retten. Wer effektiv gegen den Klimawandel mobilisieren will, sollte die Menschen darum gerade nicht als Konsument*innen ansprechen, sondern helfen, sie zu organisieren und zu politisieren.
Drei Elemente sind wichtig:
1) Die Bewegung: Es bedarf einer politischen Masse mit gemeinsamen Zielen, aber auch einer klaren Gegner*innenschaft. Gesehen zuletzt zum Beispiel im Hambacher Forst. Hier ist eine Bewegung entstanden, die Gegner*innen klar benannte und mit einem positiven Ziel Menschen mobilisierte. Vereint im Kampf um den Hambacher Forst, wurde aus den vereinzelten Konsument*innen eine politische Einheit, die letztlich auch zahlreiche Vertreter*innen der Klimabewegung in die Parlamente brachte.
2) Zusammenarbeit mit Gewerkschaften. All die notwendigen Veränderungen in Industrie und Produktion werden am Ende von den Arbeiter*innen getragen. Ihr Leben und Arbeiten verändert sich, sie sind von struktureller Arbeitslosigkeit bedroht. Eine linke Klimapolitik setzt in den Betrieben an und sucht Verbündete unter den Betriebsrät*innen. Das ist bislang noch kaum geschehen.
3) Globaler Klassenkampf. Weltweit werden die unterprivilegierten Schichten dem Klimawandel zuerst zum Opfer fallen. Arme Menschen leben oft in gefährdeten Küstengebieten oder Überschwemmungszonen. Es wäre wichtig, eine echte Allianz mit den Betroffenen einzugehen; und das nicht nur in grossen Foren wie den Vereinten Nationen, zu denen gerne auch Klimaaktivist*innen eingeladen werden, sondern ganz besonders im Kleinen: politische Arbeit vor Ort, Vernetzung regionaler Initiativen.
Bei all diesen Punkten geht es darum, die Konsument*in als politisches Subjekt durch andere Gruppen zu ersetzen, weil die Konsument*in als Akteur*in per Definition die kapitalistische Profitlogik befeuert.
Trotzdem sind wir natürlich am Ende alle auch Konsument*innen, die sich dringend Gedanken über ihr Konsumverhalten machen sollten. Oder anders gesagt: Wer an den genannten Kämpfen teilhaben will, ist nur glaubwürdig, wenn er*sie auch im persönlichen Leben als Beispiel vorangeht. Das sollte jedoch lediglich eine Selbstverständlichkeit sein und gerade von den Menschen in reichen Industrieländern nicht schon als politischer Akt ausgelegt werden.
Nur dann ist auch die Gerechtigkeitslücke zu schliessen, die darin besteht, dass wir im Globalen Norden jahrzehntelang überkonsumiert haben, jetzt aber bitte die ganze Welt ihren Konsum zum Wohle der Menschheit drosseln soll.
Natürlich haben Länder des Globalen Südens ein Recht, in Umfang und Qualität an den Konsum der Industrieländer anzuschliessen. Umso mehr bleibt es unsere Pflicht, hier in der Schweiz für bessere Konsumgüter (zum Beispiel Elektroautos) einzutreten, gleichzeitig aber auch unseren Konsum massiv zu beschränken.
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