Rechte Hetze im Schein­wer­fer­licht der Pride

Die Pride hat sich auf ihrem Weg in die Mitte der Gesell­schaft zuneh­mend entpo­li­ti­siert. Nun sorgen ausge­rechnet Rechts­extreme mit ihren Angriffen für eine Repo­li­ti­sie­rung. Ihr Ziel: Queere Menschen einschüch­tern und die Soli­da­rität mit der bürger­li­chen Mitte brechen. 
Nicht nur Konzerne und Parteien, sondern auch Rechtsradikale nutzen die Pride-Demos zur Eigenwerbung und repolitisieren sie mit rechtsextremen Inhalten. (Bild: Luca Mondgenast)

Die CSD-Saison geht dem Ende zu. In den meisten deut­schen Städten, in denen die Pride-Demos statt­ge­funden haben, geschah dies in einer über­wie­gend wohl­wol­lenden, unter­stüt­zenden Atmosphäre. 

Die direkte öffent­liche Abwer­tung von queeren Menschen ist in Deutsch­land – bis auf aggres­sive Transfeind*innen – eine Ausnahme geworden; die Zustim­mungs­werte der Bevöl­ke­rung zur „Ehe für alle“ und queeren Lebens­ent­würfen befinden sich auf einem histo­ri­schen Hoch.

Für Jüngere ist das fast schon selbst­ver­ständ­lich – ältere Queers erin­nern sich daran, dass das Klima noch in den Nuller­jahren keines­wegs so liberal und verständ­nis­voll war; homo­phobe und queer­feind­liche Witze gehörten zum Stan­dard­re­per­toire von TV-Comedy-Produk­tionen, und das Händ­chen­halten in der Öffent­lich­keit war für queere Personen ein grös­seres Risiko als heute.

Diese hohe Zustim­mung zu queerem Leben macht es queer­feind­li­chen Orga­ni­sa­tionen und Einzel­per­sonen schwer, ihre hetze­ri­schen Botschaften direkt zu arti­ku­lieren: Viele wählen heute Formen der „Umwegs­kom­mu­ni­ka­tion“, indem sie zum Beispiel darüber spre­chen, die „tradi­tio­nelle Familie“ aufwerten oder Kinder vor „Früh­sexua­li­sie­rung“ oder „Gender-Indok­tri­na­tion“ schützen wollen.

Die ursprüng­lich radikal eman­zi­pa­to­ri­schen Botschaften sind den Pride-Demos oft abhandengekommen.

Die Rhetorik trans­feind­li­cher Orga­ni­sa­tionen wird ständig schriller – befeuert von trans­feind­li­chen Promi­nenten wie der Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling oder Tesla-Chef Elon Musk. In der Anony­mität von Social Media wird der Hass offen arti­ku­liert – regres­sive Männ­lich­keits­vor­stel­lungen defi­nieren sich nach wie vor über anti­queere Abwer­tung, sei es auf X, YouTube oder TikTok.

Entpo­li­ti­sie­rung der Pride

Demge­gen­über stehen die Pride-Demos als öffent­liche Selbst­feier einer sich liberal und aufge­klärt wähnenden Mitte. Die ursprüng­lich radikal eman­zi­pa­to­ri­schen Botschaften sind den Demos oft abhan­den­ge­kommen. Zu Prides gehen weisse Hete­ro­fa­mi­lien wie zu einem Stadt­teil­fest oder Karne­vals­umzug. Die Fami­li­en­freund­lich­keit der Veran­stal­tungen geht so weit, dass die Anwe­sen­heit von Fetisch-Commu­ni­ties wie den maskierten „Puppies“, früher selbst­ver­ständ­li­cher Teil der Demos, inzwi­schen immer öfter infrage gestellt wird – wie soll man das denn den Kindern erklären?!

Statt den queeren Selbst­aus­druck zu unter­stützen, geben die soge­nannten Allies immer häufiger den Takt vor; hete­ro­nor­ma­tive Muster drücken den Veran­stal­tungen ihren Stempel auf. Unver­bind­liche, weich­ge­spülte Mottos nach der Bauart „Liebe für alle“ machen die Aufmär­sche zum begehrten Vehikel kommer­zi­eller Werbe­inter­essen wie auch partei­po­li­ti­scher Selbst­dar­stel­lung. Inter­na­tio­nale Airlines und Invest­ment­banken, die eben noch der Trump-Kampagne gespendet haben, insze­nieren sich hier als Freund*innen der queeren Community.

Mit den CSDs attackieren die Rechten bewusst ein Demo-Format der poli­ti­schen Mitte, das bis in konser­va­tive Kreise hinein Sympa­thien hat.

Ähnli­ches bei den Parteien: In Deutsch­land, wo die SPD über Jahr­zehnte hinweg die „Ehe für alle“ auf die lange Bank geschoben hatte, gehört ein Party­wagen der Sozialdemokrat*innen zur Stan­dard­aus­stat­tung. Ebenso die CDU, die sich hier feiern lässt, um am Tag nach der Pride in den Parla­menten gegen „Gender-Gaga“ und das Selbst­be­stim­mungs­ge­setz zu wettern (das trans Menschen seit kurzem eine einfache Ände­rung des Perso­nen­stands erlaubt). Die Veranstalter*innen stellen das meist nicht infrage, sind sie doch oft selbst mit der örtli­chen Partei­en­land­schaft verwoben oder durch Spon­so­ring-Verträge verpflichtet.

Dass diese durchweg „mittigen“, nahezu entpo­li­ti­sierten Veran­stal­tungen seit neue­stem selbst wieder stärker ins Faden­kreuz der Rechten geraten, also von ihren Feind*innen repo­li­ti­siert werden, ist dabei bittere Ironie.

Rechte Angriffe und bürger­liche Verharmlosung

In der säch­si­schen Stadt Bautzen konnte in diesem Sommer beispiels­weise eine „Gegen­demo“ aus Nazis und Rechts­extremen unge­stört hinter der CSD-Parade herlaufen – selbst als das „Sylt-Lied“ gesungen wurde, also die bekannte rassi­sti­sche Neudich­tung von Gigi d’Agostinos „L’Amour toujours“, schritt die Polizei nicht ein. Besucher*innen berichten von bedroh­li­chen Situa­tionen; die Abschluss­ver­an­stal­tung musste abge­sagt werden – die Sicher­heit sei nicht mehr zu gewährleisten.

Neben Konzernen und Parteien nutzen jetzt auch Rechts­ra­di­kale die Prides zur Eigenwerbung.

Vor dem CSD Leipzig versam­melten sich die Rechts­extremen im Haupt­bahnhof und zeigten offen verfas­sungs­feind­liche Symbole – hier erschreckt vor allem, wie viele Jugend­liche unter den Rechts­extremen waren. In beiden Fällen hatten rechts­extreme Gruppen zuvor zur Teil­nahme mobi­li­siert – ähnlich wie in Köln, Berlin, Gifhorn und Essen.

Die Pride-Märsche scheinen in diesem Jahr ein beson­derer Anzie­hungs­punkt für Rechte zu sein – in diesem Ausmass sind orga­ni­sierte „Gegen­ver­an­stal­tungen“ zu CSDs ein neues Phänomen in der Szene. Vergleichbar sind nur die „Demos für alle“, die beson­ders in den 2010er-Jahren aktiv waren, sich gegen sexu­elle Diver­sität in den Lehr­plänen rich­teten und ultra­re­li­giöse Abtreibungsgegner*innen mit Rechts­ra­di­kalen verbanden.

Ohne Zweifel wurde der Trend in der digi­talen Sphäre begründet. Schon länger lässt sich beob­achten, dass rechte Influencer*innen und Video-Blogger gezielt Pride-Veran­stal­tungen aufsu­chen, um in „Inter­views“ Queers bloss­zu­stellen, als „krank“ und „unnormal“ zu markieren. Beson­ders im Fokus stehen dabei trans und nicht-binäre Personen. Den Trend, der zuerst in der ameri­ka­ni­schen Alt-Right-Bewe­gung aufkam, vertritt in Deutsch­land zum Beispiel der rechte Influencer „Ketzer der Neuzeit“.

Mit den CSDs attackieren die Rechten bewusst ein Demo-Format der poli­ti­schen Mitte, das bis in konser­va­tive Kreise hinein Sympa­thien hat. Neu ist die offene Pola­ri­sie­rung gegen geschlecht­liche Viel­falt und queeres Leben, die sich gar nicht explizit gegen links richtet, sondern auch unpo­li­ti­sche Botschaften von Diver­sität und Offen­heit attackiert. Attraktiv ist für Rechte auch, dass ihr „Gegen­pro­test“ im Umfeld von CSDs meist eine grosse Medi­en­öf­fent­lich­keit hat. Die bunten Demos mit ihren betont versöhn­li­chen Botschaften sind ein krasser Kontrast zu den martia­lisch auftre­tenden Rechten, die Diver­sität und Viel­falt als Bedro­hung deut­scher Fami­lien zeichnen.

Es soll nicht mehr selbst­ver­ständ­lich sein, als Hete­ro­paar mit Kindern zu queeren Veran­stal­tungen zu gehen. 

Boshaft liesse sich sagen: Neben Konzernen und Parteien nutzen jetzt auch Rechts­ra­di­kale die Prides zur Eigen­wer­bung. Die Bedro­hung für queere Menschen ist jedoch real und darf nicht verharm­lost werden.

Zumal Politik und Öffent­lich­keit auf diese Bedro­hung keine Antwort haben. Bedau­er­lich ist die Verharm­lo­sung in bürger­li­chen Kreisen: Der säch­si­sche Mini­ster­prä­si­dent Kret­schmer (CDU) verlor zu Bautzen zunächst kein Wort. Erst nach Rück­fragen verur­teilte er die Bedro­hungs­lage – nicht jedoch ohne die Pride-Demo als eine „Party … dieser Leute“ abzu­werten. Hier spielt der CDU-Poli­tiker das Spiel der Rechten mit: Er spricht von „diesen Leuten“, als seien es nicht seine eigenen Bürger*innen, und wertet die Demo als eine Party ab.

CSDs sind poli­ti­sche Demon­stra­tionen, bei denen für grund­sätz­liche Menschen­rechte gekämpft wird – dass sie inzwi­schen sogar trotz Poli­zei­be­wa­chung bedroht werden können, müsste eigent­lich alle Demokrat*innen alar­mieren. Ob Konser­va­tive mit ihren Pole­miken gegen das Gendern und das Selbst­be­stimm­mungs­ge­setz nicht zur Problem­lage beitragen, ist eine ganz andere Frage.

Kultur­kampf und Repolitisierung

Viel spricht dafür, dass die Angriffe auf CSDs stra­te­gi­scher Natur sind, zu einer rechts­extremen Kampagne gehören. Queeres Leben soll aus der Mitte der Gesell­schaft verschwinden, queere Symbolik keine Selbst­ver­ständ­lich­keit mehr sein; queere Menschen sollen wieder mit Angst auf solche Demos gehen. Gleich­zeitig soll ein Keil zwischen die bürger­liche Mitte und die queere Commu­nity getrieben werden: Es soll eben nicht mehr selbst­ver­ständ­lich sein, als Hete­ro­paar mit Kindern zu solchen Veran­stal­tungen zu gehen.

Die Poli­ti­sie­rung der CSDs wird mit der Gefahr zunehmen, damit aber zugleich ihre Akzep­tanz bei Akteur*innen der Mitte sinken. Schon mehren sich die Stimmen derer, die grund­sätz­lich davor warnen, solche Veran­stal­tungen in ostdeut­schen Provinz­städten mit hohem AfD-Wähler*innenanteil wie Bautzen abzu­halten – provo­ziert man damit nicht noch zusätz­lich? Auch diese Logik arbeitet den Rechten zu: Queer­sein soll wieder „Privat­sache“ werden, keine Öffent­lich­keit erhalten. Gleich­zeitig wird die Bevöl­ke­rung einer Stadt wie Bautzen auto­ma­tisch schon abge­schrieben, die Soli­da­rität mit den dort lebenden Queers still­schwei­gend aufgekündigt.

Während­dessen gibt es von queerer Seite Versuche zur Repo­li­ti­sie­rung der queeren Proteste. Initia­tiven wie “Pride Soli Ride” versu­chen, CSD-Demos in kleinen ostdeut­schen Städten zu orga­ni­sieren, um die örtli­chen Commu­ni­ties zu stärken und die kultu­relle Hege­monie der AfD zu brechen. Mit dem Durch­bruch der AfD bei den Land­tags­wahlen im Osten scheinen Initia­tiven wie diese gleich­zeitig wich­tiger und gefähr­li­cher zu werden.


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