Schweizer Klima­ziele: Nur die halbe Wahrheit

Im Februar müssen die Mitglied­staaten des Pariser Abkom­mens ihre neuen Klima­ziele eingeben. Die Schweiz zeigte sich bisher wenig ambi­tio­niert und rech­nete ihre Zahlen schön. Wird sich das ändern? 
Im Pariser Klimaabkommen legen die Länder eigenständig fest, wie stark sie ihren CO₂-Ausstoss reduzieren wollen. (Bild: Kelly Sikkema / Unsplash)

Der Termin ist von globaler Bedeu­tung, immerhin werden die näch­sten Schritte im Kampf gegen die Klima­ka­ta­strophe fest­gelegt – doch kaum jemand hat ihn auf dem Schirm. Im Februar 2025 müssen alle Länder, die das Pariser Abkommen unter­zeichnet haben, bei der UNO ihre neuen Klima­ziele einrei­chen – auch die Schweiz.

In der Sprache der Klima­po­litik heissen diese Ziele „national fest­ge­legte Reduk­ti­ons­ziele“, oder natio­nally deter­mined contri­bu­tions, kurz NDCs. In der Schweiz ist bei deren Fest­le­gung der Bundesrat feder­füh­rend. Die aktu­ellen NDCs beinhalten das Ziel, die Schweizer Treib­hausgasemissionen bis 2030 um minde­stens 50 Prozent gegen­über 1990 zu senken. Die NDCs müssen alle fünf Jahre aktua­li­siert werden und sind sowas wie das Herz­stück des Pariser Abkom­mens. Und gleich­zeitig dessen grösster Stolperstein.

Denn das Pariser Abkommen legt nicht fest, wie stark welches Land seinen CO₂-Ausstoss redu­zieren muss. Das bestimmen die Länder in ihren NDCs selbst. Das Pariser Klima­ab­kommen funk­tio­niert also wie eine Hutkol­lekte nach einem Konzert: Alle dürfen so viel rein­schmeissen, wie sie für ange­bracht halten. Dass dabei genug zusam­men­kommt, damit die Band davon leben kann, oder eben genug, um die Lebens­grund­lagen der Mensch­heit nicht voll­ends zu zerstören, über­lässt man dem Prinzip Hoff­nung. Das war der einzig mögliche Konsens, dem 2015 in Paris alle Staaten zustimmen wollten.

Komplett frei von Regeln ist das Abkommen dennoch nicht: Es gilt der Grund­satz der „gemein­samen, aber unter­schied­li­chen“ Verant­wor­tung. Demnach sind zwar alle Länder gemeinsam für die Klima­krise verant­wort­lich, aber nicht alle im selben Ausmass. Je mehr Klima­gase ein Land ausge­stossen hat und je besser es finan­ziell gestellt ist, desto mehr soll es beisteuern. Die äusserst reiche Schweiz müsste also entspre­chend ambi­tio­nierte Klima­ziele defi­nieren. Tut sie bisher aber nicht.

Die Schweiz igno­riert ihre impor­tierten Emissionen

Mit 4,8 Tonnen Treib­haus­gasen pro Kopf und Jahr liege die Schweiz unter dem Welt­durch­schnitt, liest man in den aktuell noch gültigen NDCs der Schweiz. Laut der Website des Bundesamt für Umwelt (Bafu) belaufen sich die jähr­li­chen Pro-Kopf-Emis­sionen hier­zu­lande jedoch auf 13 Tonnen. Zwei Werte, die dermassen weit ausein­an­der­liegen: Wie kann das sein?

Um den CO₂-Ausstoss eines Landes zu berechnen, gibt es mehrere Möglich­keiten. So kann man sich beispiels­weise an den insge­samt auf seinem Terri­to­rium ausge­stos­senen Treib­haus­gasen orien­tieren oder etwa daran, wie viel CO₂ seine Bevöl­ke­rung mit ihrem Konsum verursacht.

Die Schweiz igno­riert mehr als die Hälfte der Treib­haus­gase, die die Bevöl­ke­rung mit ihrem Konsum verur­sacht. 

In vielen Ländern liegen diese zwei Werte relativ nahe beiein­ander. Nicht so in der Schweiz: All die impor­tierten Handys, T‑Shirts und getrock­neten Papayas, die wir hier­zu­lande konsu­mieren, verur­sa­chen irgendwo ausser­halb der Schweiz Emis­sionen. Kaum ein anderes Land verur­sacht mit seinem Konsum pro Person mehr Emis­sionen im Ausland.

Die Berech­nungs­me­thode, die das Pariser Abkommen anwendet, basiert jedoch auf den Territorialemissionen.

Und daran hält sich die Schweiz gerne. Mit einschnei­denden Folgen: Nicht nur die Schweizer Klima­ziele, sondern auch die hiesigen Klima­ge­setze beziehen sich grund­sätz­lich nur auf die Emis­sionen, die auf Schweizer Boden entstehen. Damit igno­riert die Schweiz mehr als die Hälfte der Treib­haus­gase, die die Bevöl­ke­rung mit ihrem Konsum verur­sacht. Diese nicht adres­sierten Importemis­sionen sind das viel­leicht grösste Loch in der Schweizer Klimaschutzgesetzgebung.

Die reiche Schweiz erkauft sich die Möglich­keit, ihre inlän­di­schen Emis­sionen weit weniger stark zu redu­zieren, als nötig wäre.

Das ist nur schwer­lich mit dem Grund­satz der gemein­samen aber unter­schied­li­chen Verant­wor­tung zu verein­baren. Dieser Meinung ist auch Cyril Brunner: „Die terri­to­rialen Emis­sionen als ersten Ausgangs­punkt zu nehmen, macht durchaus Sinn, weil es eine relativ einfach zugäng­liche Grösse ist“, sagt der ETH-Klima­for­scher. Gleich­zeitig müsse den Ländern aber bewusst sein, dass die Terri­to­rial­emis­sionen nur eine erste Annä­he­rung sein können. „Damit es global reali­sti­scher­weise aufgeht, muss man sich in einem zweiten Schritt fragen, wie man von den natio­nalen Emis­sionen zu einer fairen globalen Vertei­lung der Verant­wor­tung kommt.“ Hier spielen laut Brunner verschie­dene Faktoren eine Rolle: Wie viel hat ein Land in der Vergan­gen­heit ausge­stossen? Wie wohl­ha­bend ist es? Aber eben auch: Wie viele Emis­sionen verur­sacht durch seinen Import im Ausland?

Span­nend wird also sein, ob die Schweiz auch in den neusten NDCs ihre hohen Importemis­sionen igno­riert und sich auf dem inter­na­tio­nalen Parket weiterhin mit halb­wahren Zahlen brüstet.

Schweizer Sonderweg mit Auslandsreduktionen

Immer wieder ist in den Medien von Schweizer Klima­schutz­pro­grammen im Ausland die Rede: In Geor­gien wird altes Frit­tieröl zu Biodiesel gemacht, in Thai­land auf E‑Busse umge­stellt und in Ghana effi­zi­en­tere Koch­öfen verteilt. Über­nimmt die Schweiz durch die Finan­zie­rung solcher Projekte nicht Verant­wor­tung für die vielen von uns im Ausland verur­sachten Emissionen?

Nein, im Gegen­teil. Dass die Schweiz ärmere Länder bei der Dekar­bo­ni­sie­rung unter­stützt, ist zwar grund­sätz­lich zu begrüssen. Nicht aber, dass sie die im Ausland redu­zierten Treib­haus­gastonnen einfach mit den erwähnten 4,8 Inland­tonnen pro Kopf verrechnet. Die reiche Schweiz erkauft sich damit die Möglich­keit, ihre inlän­di­schen Emis­sionen weit weniger stark zu redu­zieren als nötig wäre. Und sie schlägt hier im euro­päi­schen Vergleich einmal mehr einen Sonderweg ein: In der EU müssen die Länder all ihre Reduk­tionen auf dem eigenen Terri­to­rium umsetzen.

Der Climate Action Tracker, ein unab­hän­giges wissen­schaft­li­ches Projekt, das welt­weit die Klima­mass­nahmen der Länder beur­teilt, hat eigens für diese Runde neue NDCs eine Website erstellt, auf der ersicht­lich ist, welche Staaten ihre neuen Klima­ziele bereits an die UNO geschickt haben und wie viele Emis­sionen mit den gege­benen Verspre­chen abge­deckt werden können. Stand heute haben erst vier Länder einge­reicht: Brasi­lien, die USA, Uruguay und die verei­nigten Arabi­schen Emirate. Hier geht’s zum Update Tracker.

Bereits mit den hohen Importemis­sionen schiebt die Schweiz viel Reduk­ti­ons­ar­beit auf andere ab. Mit den auslän­di­schen Kompen­sa­ti­ons­pro­jekten entle­digt sie sich noch mehr Reduk­ti­ons­bürde. Der Climate Action Tracker schreibt auf seiner Website: Die Schweiz solle in erster Linie auf tief­grei­fende Reduk­tionen im eigenen Land hinar­beiten und Entwick­lungs­länder durch Klima­fi­nan­zie­rung unter­stützen, anstatt Emis­si­ons­gut­schriften zu kaufen, um sie auf ihre eigenen Ziele anzu­rechnen. Die Schweiz macht aber das Gegen­teil: Laut den Entwürfen für eine neue CO₂-Verord­nung wird der Ausland­an­teil von 25 auf 33 Prozent erhöht.

Man darf gespannt sein, was sich der Bundesrat bei den neuen NDCs für die gefor­derten Ambi­ti­ons­stei­ge­rungen einfallen lässt. 

Der Emis­si­ons­handel zwischen den einzelnen Ländern ist im Pariser Abkommen in Artikel 6 gere­gelt. Dieser ist nach gut zehn Jahren an der COP29 in Baku im letzten November endlich zu Ende verhan­delt worden. Die NGO Carbon Market Watch schreibt dazu: „Die erzielte Eini­gung über die Kohlen­stoff­märkte nach Artikel 6 birgt die Gefahr, Cowboy­märkte zu einem Zeit­punkt zu erleich­tern, an dem die Welt einen Sheriff braucht“.

Das Bafu hingegen lässt in einer Medi­en­mit­tei­lung zur Klima­kon­fe­renz verlauten: „An der COP29 konnten weiter grif­fige Umset­zungs­re­geln für den welt­weiten Markt­me­cha­nismus verab­schiedet werden.“ Die Einschät­zungen könnten kaum unter­schied­li­cher sein.

Höhere Ambi­tionen gefordert

Um die im Februar erwar­teten Schweizer NDCs einzu­ordnen, ist auch noch etwas anderes entschei­dend: Das Pariser Abkommen schreibt vor, dass die neuen Klima­ziele im Vergleich zu den vorhe­rigen immer ambi­tio­nierter sein müssen.

Das kann mitunter kuriose Formen annehmen. Eine ältere Version der Schweizer NDCs preist beispiels­weise folgende Ambi­ti­ons­stei­ge­rung an: Neu werde man bis 2030 nicht mehr nur eine Treib­haus­gas­re­duk­tion von 50 Prozent anstreben, sondern von minde­stens 50 Prozent.

Man darf gespannt sein, was sich der Bundesrat bei den neuen NDCs für die gefor­derten Ambi­ti­ons­stei­ge­rungen einfallen lässt. Die zuletzt beschlos­sene Strei­chung bei der Nacht­zug­för­de­rung, die geplante Erhö­hung des Ausland­an­teils oder auch die sehr schlep­pende Umset­zung des neuen Klima­schutz­ge­setzes tragen gerade nicht zu Emis­si­ons­re­duk­tionen bei. Ausserdem betrifft das umfas­sende Spar­pro­gramm, das der Bundesrat voraus­sicht­lich Ende Januar in die Vernehm­las­sung schicken wird, auch den Klimaschutz.

Es dürfte für den Bundesrat also nicht leicht werden, ambi­tio­nier­tere und verantwortungs­volle NDCs zu formulieren.

Dieser Beitrag ist zeit­gleich in der WOZ erschienen.


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 39 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 2288 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Soli­da­ri­sches Abo

Nur durch Abos erhalten wir finan­zi­elle Sicher­heit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unter­stützt du uns nach­haltig und machst Jour­na­lismus demo­kra­tisch zugäng­lich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.

Ihr unter­stützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorg­fältig recher­chierte Infor­ma­tionen, kritisch aufbe­reitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unab­hängig von ihren finan­zi­ellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Jour­na­lismus abseits von schnellen News und Click­bait erhalten.

In der kriselnden Medi­en­welt ist es ohnehin fast unmög­lich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkom­mer­ziell ausge­richtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugäng­lich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure soli­da­ri­schen Abos ange­wiesen. Unser Lohn ist unmit­telbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kriti­schen Jour­na­lismus für alle.

Ähnliche Artikel