Wenn man Alex Jones zum ersten Mal hört, dann könnte man meinen, seine Persona und sein Medienunternehmen Infowars seien ein Kind der Trump-Ära. Dabei verbreitet das Unternehmen seine abstrusen Verschwörungstheorien schon seit 1999.
Mit seiner Radiosendung beschallt Alex Jones jeden Tag zehntausende Menschen, auf YouTube erreicht er 2.4 Millionen AbonnentInnen – und seine Homepage infowars.com verzeichnet monatlich bis zu 10 Millionen BesucherInnen. Auf allen Kanälen mimt Jones den Kämpfer, etwa gegen die vereinten GlobalistInnen: hysterisch, laut und vom mentalen Zusammenbruch scheinbar immer nur eine Armlänge entfernt. „Scheinbar”, denn seine Aufregung ist vermutlich nur gespielt. Die Endzeitstimmung, die Jones beschwört, bewirbt seine überteuerten Ernährungsergänzungsprodukte und skurrilen „Survival-Kits”. Über zwei Drittel seiner Einnahmen generiert er über den Verkauf dieser Produkte.
Am Montag erlebte der 44-Jährige jetzt eine Art persönliche Götterdämmerung. Spotify und der Onlineradio-Anbieter Sticher verbannten ihn von ihren jeweiligen Plattformen. In der Folge wurden die Podcastangebote von Infowars auch von Apple sistiert. Facebook und YouTube zogen nach. Als Grund für den Ausschluss geben die Social-Media-Anbieter die wiederholte Missachtung ihrer Richtlinien bezüglich Hassrede und Volksverhetzung an.
Die Grenze der freien Meinungsäusserung? Werbeeinnahmen und die Börse.
Die Entscheidung der grossen Firmen im Silicon Valley ist eine Zäsur. Denn über Jahre hinweg wurden Verschwörungstheoretiker nicht nur geduldet, sondern teilweise, etwa im Fall von YouTube, sogar gefördert.
Als ein Facebookvertreter im Juli 2018 bei der Präsentation eines neuen Imagefilms von JournalistInnen gefragt wurde, warum man Infowars weiterhin eine Plattform biete, antwortete dieser: „Verschiedene Herausgeber haben sehr verschiedene Ansichten.” Ironischerweise handelte der Imagefilm von neuen Massnahmen gegen koordinierte Fehlinformation – fake news.
Seither stieg der Druck auf die Firmen im Silicon Valley an. In einem Interview mit dem Onlinemagazin Recode am 18. Juli reagierte Mark Zuckerberg: „Wir werden nicht Accounts löschen, nur weil etwas Falsches gesagt wird. Wenn aber jemand Verschwörungstheorien verbreitet, dann werden wir seine Reichweite massiv einschränken.” Einer kompletten Löschung von Infowars-Accounts erteilte Zuckerberg aber eine Absage. Nur wenn etwas in Gewalt gegen Menschen münde, würde Facebook eingreifen. Hassrede und Volksverhetzung gehen also nicht, koordinierte Fehlinformation und Verschwörungstheorien aber schon. In seiner Begründung verwies Zuckerberg auf den Grundsatz der freien Meinungsäusserung.
Die durch die Verfassung garantierte freie Meinungsäusserung hat hier aber gar keine Wirkungskraft. Wie Kevin Roose von der New York Times in einem Podcast festhielt, gilt der erste Verfassungsgrundsatz der USA nicht für firmeneigene Regulierungen. Das first amendment besage nur, dass der Staat keine Gesetze erlassen dürfe, welche die Meinungsäusserungsfreiheit einschränken. „Facebook verhält sich so, als ob sie durch irgendwelche Grundsätze dazu verpflichtet wären, zum Beispiel HolocaustleugnerInnen zu tolerieren. Das sind sie aber nicht.” Das hindert Alex Jones freilich nicht daran, sich als Opfer staatlicher Zensur zu inszenieren. Unterstützt wird er dabei von Kongressabgeordneten wie Ted Cruz.
Löblich ist an dieser scheinbar grosszügigen Meinungsäusserungsfreiheit auf Facebook nicht viel. Die politische Neutralität des Konzerns fusst nicht auf moralischen Überzeugungen. Sie dient nur einem Zweck, nämlich möglichst viele verschiedene Gruppierungen auf die Plattform zu locken – und dadurch mehr Werbeeinnahmen zu generieren. Das ist moralischer Opportunismus.
Jetzt, wo dieses Modell langsam transparent wird, haben viele Menschen unter dem Hashtag #DeleteFacebook die Plattform verlassen. Der niederländisch-britische Konzern Unilever drohte Anfang Jahr damit, seine Werbung komplett aus den sozialen Medien zurückzuziehen. Unilever investiert jährlich rund 2.4 Milliarden US-Dollar in digitale Werbung. Bei anderen Unternehmen blieb es nicht bei Drohungen.
Facebook stand also unter massivem Druck. Was das Fass dann zum Überlaufen brachte: Nur acht Tage nach dem Interview mit Recode erlebte Facebook den grössten Börsenverlust, der je an der US-Börse an einem einzigen Tag verzeichnet wurde: 119 Milliarden Dollar. Unter anderem, weil viele AktionärInnen den Glauben an das Geschäftsmodell von Facebook verloren haben.
There is a war on your mind!
„There is a war on your mind” ist der Werbespruch von Infowars. Die GegnerInnen in diesem Krieg, das seien GlobalistInnen, Echsenmenschen und IslamistInnen, welche über den linksliberalen Mainstream die Weltherrschaft an sich reissen wollten.
Ein Krieg um den Verstand herrscht nicht, dafür aber einer um Daten und Werbegelder. Ausgetragen wird er von den Plattformen, die sich jetzt gegen die Hetze von Alex Jones auflehnen. Je mehr ihre Algorithmen über uns wissen, desto genauer kann die Werbung auf uns angepasst werden. Die Anhäufung von persönlichen Profilen und Informationen ist nicht ein Fehler im System der sozialen Medien, sondern deren kommerzieller Kern. Scheinbare politische Neutralität und moralischer Opportunismus stehen in seinem Dienst. Der Cambridge-Analytica-Skandal, die amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2016 und der Gewaltausbruch in Myanmar zeigen, was die Konsequenzen davon sind.
https://www.youtube.com/watch?v=8ROdly-iIYQ&t=4s
Das Businessmodell von Facebook und Co. nach dem US-Comedian John Oliver.
Unter massivem ökonomischen Druck hat Facebook jetzt in einem Einzelfall aus falschen Gründen das Richtige getan. Aber Alex Jones ist nur einer von vielen, das Problem bleibt bestehen. Und wenn Facebook und Co. für ihren moralischen und politischen Opportunismus nicht nachhaltiger unter Druck gesetzt werden, als es bisher der Fall war, wird sich daran nur punktuell etwas ändern. Die Verlockung durch Werbegelder, die mit jeder polarisierenden Verschwörungstheorie nach oben schnellen, ist zu gross. Denn Alex Jones und das Silicon Valley mögen verschiedene Auffassungen vom Recht auf freie Meinungsäusserung haben, aber: Beide liegen falsch.
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