„Uns bleibt nur der Körper zum Wider­stand.“ Ein Stim­mungs­bild aus dem Klima­camp von Ende Gelände beim Hamba­cher Forst

Die Akti­vi­stInnen von Ende Gelände kämpften in diesem Jahr in der Nähe des berühmten Hamba­cher Forstes gegen den Kohle­abbau. In einem tempo­rären Camp wurde zu diesem Zweck geübt, geredet, beraten und trai­niert. Gekommen sind sie aus allen Ecken Deutsch­lands und Europas — und auch wenn das Gelände zuweilen wie ein Hippie-Festival erscheinen mag: zum Feiern ist niemand gekommen. 
Nicht nur von oben gleicht das Klimacamp von Ende Gelände manchmal einem Musikfestival. (CC by Ende Gelände)

Freitag, 08:27 Uhr. Es ist alles irgendwie grau, als der Morgen über Düren in Nord­rhein-West­falen herein­bricht. Auf dem provi­so­risch errich­teten Klima­camp herrscht schon früh reges Treiben – obwohl hier niemand wirk­lich lange geschlafen hat. Viele sind erst früh­mor­gens eingetroffen.

Und da waren die Brände: Bei einem Bauernhof in der Nähe des Camps haben spät­abends Stroh­ballen Feuer gefangen. Zur glei­chen Zeit brannte im Ort zwischen einem über­di­men­sio­nierten OBI und einem McDo­nalds ein Last­wagen. Entfer­nung zum Camp: 1 Kilo­meter. Viel­leicht war es ein Zufall, aber einige Akti­vi­stInnen vermuten dahinter Brand­an­schläge. Von wem? Dass der Last­wagen brannte, stellt sich am näch­sten Tag als Feuer­wehr­übung heraus.

Das Klima­camp liegt in der Nähe des berüch­tigten Hamba­cher Forstes, in welchem Umwelt­ak­ti­vi­stInnen die Rodung des alten Waldes zu verhin­dern versu­chen. Dieser soll dem Tagebau Hambach weichen. Der Braun­koh­le­ta­gebau wird von der RWE Power AG betrieben und frisst sich seit Jahren unent­wegt in die Land­schaft Nord­rhein-West­fa­lens hinein. Mehrere Dörfer mussten bereits weichen, die Bewoh­ne­rInnen wurden umgesiedelt.

 

Das Klima­camp wurde für die Gross­ak­tion von Ende Gelände errichtet, die parallel zur Beset­zung des Hamba­cher Forstes durch­ge­führt wird und am Samstag statt­finden soll. Ende Gelände ist eine Bewe­gung, die sich für den kompletten Kohle­aus­stieg einsetzt; die Beset­zung im Hamba­cher Forst hingegen dient in erster Linie dem Schutz des Waldes.

Die erste Gross­ak­tion von Ende Gelände fand 2015 beim Tagebau Garz­weiler im Rhei­ni­schen Braun­koh­le­re­vier statt. Damals blockierten rund 1000 Umwelt­ak­ti­vi­stInnen den Kohle­trans­port von RWE. In den Folge­jahren kam es immer wieder zu ähnli­chen Aktionen.

Braun­kohle ist einer der klima­schäd­lich­sten Rohstoffe über­haupt – und ein finan­ziell ertrag­rei­cher: 2017 erwirt­schaf­tete RWE mit Braun­kohle und Kern­energie rund 670 Millionen Euro. Auch wenn es für die deut­sche Natio­nal­mann­schaft im Moment nicht so läuft: Deutsch­land ist Braun­kohle-Welt­mei­ster.

Diesen Umsatz will der Ener­gie­riese um jeden Preis vertei­digen. Dabei kann er oft auf die Hilfe der Polizei zählen. Beim Poli­zei­ein­satz bei der Aktion 2015 kam es zu über 30 Verletzten. Die enge Zusam­men­ar­beit des firmen­ei­genen Wach­schutzes und der Polizei wurde auch zu einem Thema für den Innen­aus­schuss in Düssel­dorf. Dieses Jahr hat die Polizei bereits wieder mehrere Camps aufge­löst. Dass das Klima­camp über­haupt steht, musste zuerst erkämpft werden. Mehrere alter­na­tive Vorschläge, welche näher am Abbau­ge­biet gelegen hätten, wurden von der Polizei abge­lehnt. Als Gegen­vor­schlag unter­brei­tete diese den Akti­vi­stInnen ein Camp in Jülich – 30 Kilo­meter entfernt von der Baugrube in Hambach. Ein Protest in dieser Entfer­nung hätte die Teil­nahme an der bewil­ligten Demon­stra­tion und eine allfäl­lige Blockade der Baugrube wohl verun­mög­licht. Beide sind Teil der geplanten Gross­ak­tion vom Samstag. „Protest muss dort möglich sein, wo Zerstö­rung statt­findet, auch wenn das der RWE miss­fällt“, sagte Selma Richter, Medi­en­spre­cherin von Ende Gelände, im Vorfeld.

Darum jetzt Düren, gut 14 Kilo­meter entfernt von den Braun­koh­le­bag­gern. Eine Bewil­li­gung für dieses Camp besitzen die Umwelt­ak­ti­vi­stInnen indes immer noch nicht – ein Land­wirt hat sich mit ihnen soli­da­ri­siert. Poli­zei­wagen flan­kieren das Feld auf allen Seiten.

Dieses Jahr fällt die Gross­ak­tion gegen Braun­kohle also mit der hoch­emo­tio­nalen Beset­zung des Hamba­cher Forstes zusammen (das Lamm berich­tete). Im Vorfeld hat die Polizei mit ihrem harten Vorgehen klar­ge­macht, dass sie sich auch dieses Jahr dem zivilen Unge­horsam der Akti­vi­stInnen entge­gen­stellen wird. Die Teil­neh­me­rInnen von Ende Gelände sind sich dessen bewusst – und haben sich entspre­chend vorbereitet.

Juri­sti­sche Beratung

Freitag, 10:45 Uhr. In einem grossen, bunten Zirkus­zelt sind alle Holz­bänke voll besetzt. Im Eingangs­be­reich rangeln Inter­es­sierte um die letzten Steh­plätze. Hier findet gerade eine Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung über die recht­liche Lage der Gross­ak­tion statt. Das haus­ei­gene „Legal­team“ zählt die wich­tig­sten juri­sti­schen Urteile auf, welche den Teil­neh­me­rInnen der Aktion drohen: von Haus­frie­dens­bruch über tätliche Angriffe auf Beamte bis hin zu skur­rilen Straf­taten wie „Passive Bewaff­nung“ – ein Straf­tat­be­stand, welcher durch den Schutz vor poli­zei­li­chen Mass­nahmen erfüllt wird. Strafbar kann es bereits sein, sich eine Taucher­brille zum Schutz vor Pfef­fer­spray anzuziehen.

Die Ausfüh­rungen wirken abge­brüht, spre­chen von jahre­langen Erfah­rungen. Im Publikum herrscht eine etwas andere Stim­mung: Viele der Wort­mel­dungen drehen sich um mögliche Leibes­vi­siten und die drohende Unter­su­chungs­haft. Es wird schnell klar: An der Gross­ak­tion werden längst nicht nur erfah­rene Demon­stran­tInnen teil­nehmen, sondern auch Rent­ne­rInnen, Teen­ager, Eltern.

Bespro­chen werden aber auch Lösungs­an­sätze gegen poli­zei­liche Mass­nahmen. So gebe es immer wieder Akti­vi­stInnen, die mit Sekun­den­kleber auf den Finger­kuppen die Iden­ti­fi­zie­rung durch die Polizei zu erschweren versu­chen oder sich einfach weigern, mit der Polizei zu spre­chen. Das seien bis jetzt sehr effek­tive Methoden gewesen, so der Sprecher.

Das Legal­team ist sehr darauf bedacht, die Lösungs­an­sätze nicht als Empfeh­lungen zu formu­lieren – man möchte sich nicht angreifbar machen. Die Botschaft scheint beim Publikum aber trotzdem anzu­kommen. „Bei weiteren Fragen könnt ihr euch im Zelt des Legal­teams melden“, sagt der Spre­cher und beendet die Frage­runde. Dort findet man auch Broschüren und kann sich eine Iden­ti­fi­ka­ti­ons­nummer geben lassen. Wer in Gewahrsam genommen wird, kann das Legal­team anrufen und sich mit dieser Nummer iden­ti­fi­zieren. So erfährt die Polizei nicht, wen sie in Gewahrsam hat – bis das Legal­team zu Hilfe kommt.

Ein Festival für UmweltaktivistInnen

Freitag, 11:30 Uhr. Auf dem Gelände gibt es Zelt­plätze, Toitoi-WCs und ein Kinder­zelt. Auch wenn das Wetter nicht mitspielt: Die Stim­mung auf dem Camp gleicht oft der eines Sommer­fe­sti­vals, halt nur in grau und ohne Abfall am Boden. Alles ist sauber, ein Schild auf dem Toitoi weist die Benut­ze­rInnen freund­lich, aber bestimmt auf das vorhan­dene Desin­fek­ti­ons­mittel hin. Findet gerade kein offi­zi­eller Termin statt, dann trifft man sich in der „Gute-Laune-Jurte“ und trinkt Club Mate oder sitzt im eigenen Zelt oder VW-Bus und hört den omni­prä­senten Trom­melzir­keln zu. Wäre alles in Sepia getaucht, man könnte sich zwischen all den langen Haaren und Woll­pull­overn in die Zeit der Anti-Atom­kraft­be­we­gung der 70er Jahre zurück­ver­setzt fühlen.

Die meiste Zeit verbringen die rund 6000 Bewoh­ne­rInnen des Klima­camps aber damit, sich einem umfang­rei­chen Ausbil­dungs­pro­gramm zu unter­ziehen. Nach der Info­ver­an­stal­tung im Zirkus­zelt folgen mehrere Übungen. Zum Beispiel lernen die Akti­vi­stInnen, wie man möglichst reibungslos Poli­zei­bar­rieren durch­dringen kann. „Ihr müsst euch auf die Lücken konzen­trieren, nicht auf die Poli­zi­sten“, ruft einer der Grup­pen­führer den Teil­neh­me­rInnen zu. Alle Instruk­tionen werden etwas holprig auf Englisch über­setzt – auf dem Gelände finden sich Menschen aus Belgien, Tsche­chien, Frank­reich. Später wird geübt, wie man sich in einer Menschen­kette verhaken muss, dass die Polizei diese nicht auflösen kann. Dieses Jahr kommen das erste Mal auch Plastik­rohre zum Einsatz, was die Menschen­ketten noch engma­schiger machen soll. „Unsere Körper sind das einzige, was wir zum Wider­stand haben!“, ruft eine junge Frau durch ein Megafon. Die Akti­vi­stInnen, die in dieser Übung in die Rolle der Poli­zi­stInnen schlüpfen, legen bei ihren Kolle­gInnen Hand an und versu­chen, die Menschen­kette aufzu­bre­chen. Ziviler Unge­horsam will geübt sein.

Hier üben die AktivistInnen medienwirksam, sich gegen eine Polizeiintervention zu wehren. CC by Das Lamm.
Hier üben die Akti­vi­stInnen medi­en­wirksam, sich gegen eine Poli­zei­in­ter­ven­tion zu wehren. (Foto: das Lamm)

Eine Passantin, die am öffent­li­chen Trai­ning vorbei­läuft, hält gar nichts vom Akti­vismus von Ende Gelände: „Das bringt doch nichts, diese Scheisse!“ Mehr möchte sie nicht dazu sagen, und geht mit ihrem Golden Retriever an der Menschen­kette vorbei. Auch andere Anwoh­ne­rInnen sind der Gross­ak­tion gegen­über kritisch einge­stellt, doch viele wollen nicht mit uns reden. Die Grund­stim­mung in den umge­benden Dörfern ist aber eher ange­spannt bis genervt. Einmal über­hören wir eine ältere Dame im örtli­chen EDEKA, wie sie sich bei der Kassie­rerin über die Proteste beschwert: „Wegen den Prote­sten hatte ich heute 40 Minuten Verspä­tung auf der Heimreise!“

Chri­stiane, eine Bewoh­nerin von Düren, sieht das anders. Auch wenn sie zugibt, dass RWE einer der grössten Arbeit­geber in der Region ist und somit auch von zentraler Bedeu­tung für die Wirt­schaft, meint sie: „Etwa 40% der Einwoh­ne­rInnen sind aufgrund wirt­schaft­li­cher Inter­essen gegen die Proteste, der Rest inter­es­siert sich nicht“, sagt die 57-Jährige. Sie finde den Akti­vismus wichtig, denn: „Geld regiert die Welt. Wenn man keine Macht hat, dann muss man sich halt vor die Bagger legen.“

Inzwi­schen hat Pres­se­spre­cherin Selma Richter eine kurze Info­ver­an­stal­tung für die wenigen Jour­na­li­stInnen einbe­rufen und teilt den versam­melten Medien die Erwar­tungen der Akti­vi­stInnen an die Bericht­erstat­tung mit. Obwohl die Veran­stal­te­rInnen den Jour­na­li­stInnen gegen­über sehr zuvor­kom­mend sind, schwingt auch immer ein wenig Miss­trauen gegen­über der Presse mit. Zunächst wirkt das etwas anmas­send, aber das Miss­trauen kommt nicht von unge­fähr, wie eine Beob­ach­tung zeigt: Während des öffent­li­chen Trai­nings begrüsst ein Jour­na­list der Deut­schen Pres­se­agentur DPA zwei unifor­mierte Poli­zi­stInnen freund­schaft­lich mit Hand­schlag. Darauf ange­spro­chen, sagt der DPA-Jour­na­list: „Meine Frau arbeitet bei der Polizei, ich habe also gute Bezie­hungen.“ Aber er sei auf jeden Fall unab­hängig, sagt er mit einem verschmitzten Lächeln zum Abschied. Das kann sein, aber der Jour­na­list wird später dem Presse-Brie­fing fern­bleiben – und sich statt­dessen weit abseits mit den beiden Poli­zi­stInnen unter­halten und Nettig­keiten austauschen.

Von Fami­li­en­vä­tern und Akti­vi­stInnen in Uniform

Freitag, 13:45 Uhr. „Wenn wir zusammen demon­strieren, dann sitzt er auf meinen Schul­tern und skan­diert die Parolen“, sagt Chris und schaut lächelnd auf seinen fünf­jäh­rigen Sohn, der seine ersten Schnitz­ver­suche an einem Ast unter­nimmt. Chris ist 31 und kommt aus München. Er ist zum ersten Mal an einer Ende Gelände-Aktion. „Als wir die Bilder aus dem Hamba­cher Forst gesehen haben, wussten wir, dass wir kommen wollen“, fährt Chris fort. „Mein Sohn hat das sofort verstanden, dass Menschen Bäume vor diesen grossen Maschinen schützen wollen.“

Poli­ti­siert wurde Chris, als er als Jugend­li­cher zusammen mit Freunden eine Aktion gegen einen Nazi­auf­marsch orga­ni­sierte. „So sind wir in die etwas diffuse linke Szene geraten“, sagt der zwei­fache Fami­li­en­vater. „Später habe ich dann an verschie­denen Demon­stra­tionen teilgenommen.“

Warum er seinen Sohn mitnimmt? „Ich möchte ihm die Möglich­keit geben, Demon­stra­tionen mitzu­er­leben. So kann er sich später entscheiden, ob er auch als Erwach­sener an solchen dabei sein will.“ Er wird aber nicht an den Aktionen, die sich auf die Baugruben von RWE konzen­triert, teil­nehmen, sondern mit seinem Sohn an die bewil­ligte Demon­stra­tion in Morsche­nich gehen. Wann für ihn die Grenze erreicht ist? „Wenn mein Sohn nicht mehr möchte, gehen wir nach Hause. Oder wenn die Polizei eingreift.“

Einiges bedroh­li­cher sehen Mister Meeseeks und sein Kollege aus. Die beiden tragen Beret, Uniform und Sprin­ger­stiefel und mögen so gar nicht in dieses Camp passen, das sich immer ein biss­chen wie eine Wohl­fühl­oase für Ausstei­ge­rInnen anfühlt. Am ehesten würde man die beiden Unifor­mierten wohl in einer Bürger­wehr oder an einer Waffen­show in den USA erwarten. „Es sind bereits Leute auf uns zuge­kommen und haben uns gefragt, ob man vor uns Angst haben muss“, sagt Mister Meeseeks.

Doch der Schein trügt: Hinter der Verklei­dung befinden sich die zwei Mitglieder des „mili­tanten Arms der Partei ‚Die Partei‘. Die Partei ist eine Klein­partei, welche von den Redak­teu­rInnen des Satire-Maga­zins Titanic gegründet wurde. Partei­vor­sit­zender ist der deut­sche Sati­riker Martin Sonne­born, welcher 2014 auch ins Euro­pa­par­la­ment gewählt wurde. Im Kreis­ver­band Koblenz von Die Partei grün­dete Mister Meeseeks dann den mili­tanten Arm. Konkret bedeutet das: „Wir helfen vor und nach den Veran­stal­tungen und bekommen dafür Freigetränke.“

Bewusst provokant, betont friedlich: Mister Meeseeks (links) und sein Kollege vom militanten Arm der Partei «Die Partei». CC by Das Lamm.
Bewusst provo­kant, betont fried­lich: Mister Meeseeks (links) und sein Kollege vom mili­tanten Arm der Partei „Die Partei“. (Foto: das Lamm)

Sie seien hier, um zu helfen. „Wir laufen im Camp herum und wollen helfen. Aber es hat ja genug Helfer, also laufen wir halt den ganzen Tag auf dem Zelt­platz rum.“ So erklärt sich auch der Deck­name Mister Meeseeks. Dieser ist an die Anima­ti­ons­serie „Rick and Morty“ ange­lehnt. Die Meeseeks sind Helfer für genau eine Aufgabe, bevor sie sich glück­lich selber zerstören und verschwinden. Ein Meeseek, der seine Aufgabe nicht erfüllen kann, verzwei­felt hingegen und wird wahnsinnig.

Natür­lich merken sie, dass sie wegen ihrer Uniform komisch ange­schaut werden. „Bei den Poli­zi­sten ist es lustig, die wissen nie, ob sie uns salu­tieren oder durch­su­chen sollen“, schmun­zelt Mister Meeseeks. Ihre poli­ti­sche Haltung sei derje­nigen der extremen Linken recht nah, aber: „Wir möchten der bürger­li­chen Mitte eine Alter­na­tive zum Bild des stei­ne­wer­fenden ‚Schwarzen Blocks‘ bieten“. Ob das in dem Aufzug gelingt, sei dahin­ge­stellt. Aber die beiden sind – wie die ganze Aktion – betont fried­lich. Sie sagen jedoch auch: „Mit dem zivilen Unge­horsam zeigt man, dass es hier noch Leute gibt, die sich für die Umwelt inter­es­sieren und sorgt viel­leicht dafür, dass es nicht schlimmer wird.“

Ob sie aber an der Aktion am Samstag teil­nehmen werden, lassen sie offen. 

„Solche Aktionen sollte es mehr geben“

Freitag, 15:00 Uhr. Wir begleiten Finn bei einer Liefe­rung von vier Solar­pa­nels zu einer Mahn­wache beim Hamba­cher Forst. Finn sieht mit seiner kräf­tigen Statur, seinem langen Bart und dem knöchel­langen Leder­mantel aus wie ein in die Matrix verirrter Wikinger. Im Infra­struk­tur­zelt zeigt uns der Mitt­vier­ziger die verschie­denen Batte­rien, die durch die Solar­pa­nels aufge­laden werden. Das Klima­camp habe eine Kapa­zität von 4000 kWh. Die rund 6000 Bewoh­ne­rInnen bräuchten im Durch­schnitt rund 540 Kilo­watt – eng wird es nur, wenn alle Jour­na­li­stInnen und Foto­gra­fInnen ihre Geräte im Pres­se­zelt aufladen müssen.

Finn lädt die Solar­pa­nels und die Batte­rien in seinen Wagen. Im Infra­struk­tur­zelt ereignet sich gleich­zeitig eine hitzige Diskus­sion: Einer der älteren Helfer soll einen Poli­zi­sten als „Schwuchtel“ bezeichnet haben. Ein jüngerer Akti­vist findet, homo­phobe und sexi­sti­sche Kommen­tare hätten an einer solchen Aktion keinen Platz. Ein Schlich­tungs­ge­spräch wird kurzer­hand einbe­rufen. „Für die Aktion müssen wir zusam­men­halten, die Leute hier sind auf eine gute Infra­struktur ange­wiesen“, sagt der Mediator.

Dann hupt Finn, und wir fahren ab.

Die Mahn­wache wird in der Nähe vom Hamba­cher Forst gehalten, hinter den Baum­kronen türmen sich die Baugruben auf. Die Land­schaft ist gezeichnet von der zerstö­re­ri­schen Gefräs­sig­keit der Braun­koh­le­bagger. Der Hamba­cher Forst und seine Bewoh­ne­rInnen scheinen sich ihnen als letzte Bastillon entgegenzustellen.

Die Mahn­wache befindet sich direkt bei der Einfahrt, die zum Hamba­cher Forst führt. Auf der Strasse sieht man nur Last­wägen, die Braun­kohle und Kies aus der Grube wegtrans­por­tieren – und jede Menge Polizei. Wer soll hier sonst noch durch­fahren? Die umlie­genden Dörfer sind wegen der Umsied­lungen durch RWE mitt­ler­weile fast voll­ständig ausgestorben.

Ein Braunkohlebagger im Tagebau Hambach. CC by Das Lamm.
Ein Braun­koh­le­bagger im Tagebau Hambach. (Foto: das Lamm)

Finn instal­liert die Solar­pa­nels und die Batte­rien. Sie sollen den Akti­vi­stInnen des Hamba­cher Forstes als Aufla­de­sta­tion für Handys dienen. Die Wald­be­set­ze­rInnen sitzen wort­wört­lich auf der Braun­kohle und nutzen Solar­energie. Finn ist jetzt zwar bei Ende Gelände aktiv; er war aber schon bei der Räumung der Baum­hütten im Hamba­cher Forst im September dabei. Am 05. Oktober wurde ein vorläu­figer Rodungs­stopp vom Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Münster verhängt. „Die meisten der damals Verhaf­teten sind wieder frei“, sagt Finn, „ich weiss nur von 5 Akti­vi­stInnen, die wohl noch länger in Haft sein werden.“ Was diese getan hätten? „Einer hat einen Eimer voll mit Fäka­lien von seinem Baum­haus aus auf die Poli­zi­sten geleert“, antwortet er und fügt gleich an: „So etwas sollte mehr geschehen.“ Dass es sich hierbei um einen tätli­chen Angriff handelt, scheint ihn wenig zu kümmern.

Wir kehren zurück ins Klima­camp, und Finn lässt uns bei unserem Wagen raus. „Kommt mal vorbei auf ein Bier“, ruft er uns zu und läuft mit seinem wehenden Leder­mantel zurück ins Infrastrukturzelt.

Die Gross­ak­tion startet

Samstag, 07:30 Uhr. Auch heute, am Tag der Gross­ak­tion, ist wieder alles grau. Der Start­termin wurde am Abend zuvor von sieben auf acht Uhr verschoben. Warum, weiss niemand. Tausende Menschen haben sich bereits vor Sonnen­un­ter­gang die weissen Anzüge ange­zogen, auf deren Rück­seite der Name der Gross­ak­tion steht: Ende Gelände. Die Akti­vi­stInnen formieren sich in den verab­re­deten „Fingern“ — Gross­gruppen, die sich in klei­nere Bezugs­gruppen glie­dern. Die Finger sind nach verschie­denen Farben benannt: orange, gold, pink. Kurz nach acht Uhr wird bekannt, dass der goldene Finger direkt hinter dem Auto die Demon­stra­tion anführen wird. Offi­ziell soll der Demon­stra­ti­onszug vom Klima­camp aus zu einer bewil­ligten Demon­stra­tion im nahe­ge­le­genen Morsche­nich führen. Doch im Klima­camp packen die Akti­vi­stInnen Schlaf­säcke, Wärme­fo­lien und Stroh­kissen ein. Es ist allen klar: Sie sind gekommen, um zu bleiben. Und zwar nicht in Morsche­nich, sondern in den Braun­koh­le­gruben von RWE und auf den Schienen der Kohle­züge. Nur für einen Tag soll in Deutsch­land keine Braun­kohle verbrannt werden, sagt uns ein Akti­vist. „Das schaffen wir mit einer bewil­ligten Demon­stra­tion nicht.“

Samstag, 08:41 Uhr. Der Demon­stra­ti­onszug formiert sich. Die verschie­denen Finger stehen in klar durch­de­kli­nierter Reihen­folge bereit, ange­führt vom Auto. Dessen Dach ist mit einem DJ-Pult bestückt. Die Stim­mung ist heiter, die Sprech­chöre erfüllen ihren Zweck und rütteln auch die letzte Umwelt­ak­ti­vi­stin wach. Man hat noch einen 14 Kilo­meter langen Marsch vor sich. Langsam setzt sich die Menschen­masse in Bewe­gung, das Trai­ning und die kalten Nächte in den Knochen. Alles ist bereit für den zivilen Ungehorsam.

Kurz vor 9 Uhr beginnt die Grossaktion von Ende Gelände. CC by Das Lamm.
Kurz vor neun Uhr beginnt die Gross­ak­tion von Ende Gelände. (Foto: das Lamm)
Nicht nur von oben gleicht das Klima­camp von Ende Gelände manchmal einem Musik­fe­stival. (Foto: Ende Gelände)

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