Freitag, 08:27 Uhr. Es ist alles irgendwie grau, als der Morgen über Düren in Nordrhein-Westfalen hereinbricht. Auf dem provisorisch errichteten Klimacamp herrscht schon früh reges Treiben – obwohl hier niemand wirklich lange geschlafen hat. Viele sind erst frühmorgens eingetroffen.
Und da waren die Brände: Bei einem Bauernhof in der Nähe des Camps haben spätabends Strohballen Feuer gefangen. Zur gleichen Zeit brannte im Ort zwischen einem überdimensionierten OBI und einem McDonalds ein Lastwagen. Entfernung zum Camp: 1 Kilometer. Vielleicht war es ein Zufall, aber einige AktivistInnen vermuten dahinter Brandanschläge. Von wem? Dass der Lastwagen brannte, stellt sich am nächsten Tag als Feuerwehrübung heraus.
Das Klimacamp liegt in der Nähe des berüchtigten Hambacher Forstes, in welchem UmweltaktivistInnen die Rodung des alten Waldes zu verhindern versuchen. Dieser soll dem Tagebau Hambach weichen. Der Braunkohletagebau wird von der RWE Power AG betrieben und frisst sich seit Jahren unentwegt in die Landschaft Nordrhein-Westfalens hinein. Mehrere Dörfer mussten bereits weichen, die BewohnerInnen wurden umgesiedelt.
Das Klimacamp wurde für die Grossaktion von Ende Gelände errichtet, die parallel zur Besetzung des Hambacher Forstes durchgeführt wird und am Samstag stattfinden soll. Ende Gelände ist eine Bewegung, die sich für den kompletten Kohleausstieg einsetzt; die Besetzung im Hambacher Forst hingegen dient in erster Linie dem Schutz des Waldes.
Die erste Grossaktion von Ende Gelände fand 2015 beim Tagebau Garzweiler im Rheinischen Braunkohlerevier statt. Damals blockierten rund 1000 UmweltaktivistInnen den Kohletransport von RWE. In den Folgejahren kam es immer wieder zu ähnlichen Aktionen.
Braunkohle ist einer der klimaschädlichsten Rohstoffe überhaupt – und ein finanziell ertragreicher: 2017 erwirtschaftete RWE mit Braunkohle und Kernenergie rund 670 Millionen Euro. Auch wenn es für die deutsche Nationalmannschaft im Moment nicht so läuft: Deutschland ist Braunkohle-Weltmeister.
Diesen Umsatz will der Energieriese um jeden Preis verteidigen. Dabei kann er oft auf die Hilfe der Polizei zählen. Beim Polizeieinsatz bei der Aktion 2015 kam es zu über 30 Verletzten. Die enge Zusammenarbeit des firmeneigenen Wachschutzes und der Polizei wurde auch zu einem Thema für den Innenausschuss in Düsseldorf. Dieses Jahr hat die Polizei bereits wieder mehrere Camps aufgelöst. Dass das Klimacamp überhaupt steht, musste zuerst erkämpft werden. Mehrere alternative Vorschläge, welche näher am Abbaugebiet gelegen hätten, wurden von der Polizei abgelehnt. Als Gegenvorschlag unterbreitete diese den AktivistInnen ein Camp in Jülich – 30 Kilometer entfernt von der Baugrube in Hambach. Ein Protest in dieser Entfernung hätte die Teilnahme an der bewilligten Demonstration und eine allfällige Blockade der Baugrube wohl verunmöglicht. Beide sind Teil der geplanten Grossaktion vom Samstag. „Protest muss dort möglich sein, wo Zerstörung stattfindet, auch wenn das der RWE missfällt“, sagte Selma Richter, Mediensprecherin von Ende Gelände, im Vorfeld.
Darum jetzt Düren, gut 14 Kilometer entfernt von den Braunkohlebaggern. Eine Bewilligung für dieses Camp besitzen die UmweltaktivistInnen indes immer noch nicht – ein Landwirt hat sich mit ihnen solidarisiert. Polizeiwagen flankieren das Feld auf allen Seiten.
Dieses Jahr fällt die Grossaktion gegen Braunkohle also mit der hochemotionalen Besetzung des Hambacher Forstes zusammen (das Lamm berichtete). Im Vorfeld hat die Polizei mit ihrem harten Vorgehen klargemacht, dass sie sich auch dieses Jahr dem zivilen Ungehorsam der AktivistInnen entgegenstellen wird. Die TeilnehmerInnen von Ende Gelände sind sich dessen bewusst – und haben sich entsprechend vorbereitet.
Juristische Beratung
Freitag, 10:45 Uhr. In einem grossen, bunten Zirkuszelt sind alle Holzbänke voll besetzt. Im Eingangsbereich rangeln Interessierte um die letzten Stehplätze. Hier findet gerade eine Informationsveranstaltung über die rechtliche Lage der Grossaktion statt. Das hauseigene „Legalteam“ zählt die wichtigsten juristischen Urteile auf, welche den TeilnehmerInnen der Aktion drohen: von Hausfriedensbruch über tätliche Angriffe auf Beamte bis hin zu skurrilen Straftaten wie „Passive Bewaffnung“ – ein Straftatbestand, welcher durch den Schutz vor polizeilichen Massnahmen erfüllt wird. Strafbar kann es bereits sein, sich eine Taucherbrille zum Schutz vor Pfefferspray anzuziehen.
Die Ausführungen wirken abgebrüht, sprechen von jahrelangen Erfahrungen. Im Publikum herrscht eine etwas andere Stimmung: Viele der Wortmeldungen drehen sich um mögliche Leibesvisiten und die drohende Untersuchungshaft. Es wird schnell klar: An der Grossaktion werden längst nicht nur erfahrene DemonstrantInnen teilnehmen, sondern auch RentnerInnen, Teenager, Eltern.
Besprochen werden aber auch Lösungsansätze gegen polizeiliche Massnahmen. So gebe es immer wieder AktivistInnen, die mit Sekundenkleber auf den Fingerkuppen die Identifizierung durch die Polizei zu erschweren versuchen oder sich einfach weigern, mit der Polizei zu sprechen. Das seien bis jetzt sehr effektive Methoden gewesen, so der Sprecher.
Das Legalteam ist sehr darauf bedacht, die Lösungsansätze nicht als Empfehlungen zu formulieren – man möchte sich nicht angreifbar machen. Die Botschaft scheint beim Publikum aber trotzdem anzukommen. „Bei weiteren Fragen könnt ihr euch im Zelt des Legalteams melden“, sagt der Sprecher und beendet die Fragerunde. Dort findet man auch Broschüren und kann sich eine Identifikationsnummer geben lassen. Wer in Gewahrsam genommen wird, kann das Legalteam anrufen und sich mit dieser Nummer identifizieren. So erfährt die Polizei nicht, wen sie in Gewahrsam hat – bis das Legalteam zu Hilfe kommt.
Ein Festival für UmweltaktivistInnen
Freitag, 11:30 Uhr. Auf dem Gelände gibt es Zeltplätze, Toitoi-WCs und ein Kinderzelt. Auch wenn das Wetter nicht mitspielt: Die Stimmung auf dem Camp gleicht oft der eines Sommerfestivals, halt nur in grau und ohne Abfall am Boden. Alles ist sauber, ein Schild auf dem Toitoi weist die BenutzerInnen freundlich, aber bestimmt auf das vorhandene Desinfektionsmittel hin. Findet gerade kein offizieller Termin statt, dann trifft man sich in der „Gute-Laune-Jurte“ und trinkt Club Mate oder sitzt im eigenen Zelt oder VW-Bus und hört den omnipräsenten Trommelzirkeln zu. Wäre alles in Sepia getaucht, man könnte sich zwischen all den langen Haaren und Wollpullovern in die Zeit der Anti-Atomkraftbewegung der 70er Jahre zurückversetzt fühlen.
Die meiste Zeit verbringen die rund 6000 BewohnerInnen des Klimacamps aber damit, sich einem umfangreichen Ausbildungsprogramm zu unterziehen. Nach der Infoveranstaltung im Zirkuszelt folgen mehrere Übungen. Zum Beispiel lernen die AktivistInnen, wie man möglichst reibungslos Polizeibarrieren durchdringen kann. „Ihr müsst euch auf die Lücken konzentrieren, nicht auf die Polizisten“, ruft einer der Gruppenführer den TeilnehmerInnen zu. Alle Instruktionen werden etwas holprig auf Englisch übersetzt – auf dem Gelände finden sich Menschen aus Belgien, Tschechien, Frankreich. Später wird geübt, wie man sich in einer Menschenkette verhaken muss, dass die Polizei diese nicht auflösen kann. Dieses Jahr kommen das erste Mal auch Plastikrohre zum Einsatz, was die Menschenketten noch engmaschiger machen soll. „Unsere Körper sind das einzige, was wir zum Widerstand haben!“, ruft eine junge Frau durch ein Megafon. Die AktivistInnen, die in dieser Übung in die Rolle der PolizistInnen schlüpfen, legen bei ihren KollegInnen Hand an und versuchen, die Menschenkette aufzubrechen. Ziviler Ungehorsam will geübt sein.
Eine Passantin, die am öffentlichen Training vorbeiläuft, hält gar nichts vom Aktivismus von Ende Gelände: „Das bringt doch nichts, diese Scheisse!“ Mehr möchte sie nicht dazu sagen, und geht mit ihrem Golden Retriever an der Menschenkette vorbei. Auch andere AnwohnerInnen sind der Grossaktion gegenüber kritisch eingestellt, doch viele wollen nicht mit uns reden. Die Grundstimmung in den umgebenden Dörfern ist aber eher angespannt bis genervt. Einmal überhören wir eine ältere Dame im örtlichen EDEKA, wie sie sich bei der Kassiererin über die Proteste beschwert: „Wegen den Protesten hatte ich heute 40 Minuten Verspätung auf der Heimreise!“
Christiane, eine Bewohnerin von Düren, sieht das anders. Auch wenn sie zugibt, dass RWE einer der grössten Arbeitgeber in der Region ist und somit auch von zentraler Bedeutung für die Wirtschaft, meint sie: „Etwa 40% der EinwohnerInnen sind aufgrund wirtschaftlicher Interessen gegen die Proteste, der Rest interessiert sich nicht“, sagt die 57-Jährige. Sie finde den Aktivismus wichtig, denn: „Geld regiert die Welt. Wenn man keine Macht hat, dann muss man sich halt vor die Bagger legen.“
Inzwischen hat Pressesprecherin Selma Richter eine kurze Infoveranstaltung für die wenigen JournalistInnen einberufen und teilt den versammelten Medien die Erwartungen der AktivistInnen an die Berichterstattung mit. Obwohl die VeranstalterInnen den JournalistInnen gegenüber sehr zuvorkommend sind, schwingt auch immer ein wenig Misstrauen gegenüber der Presse mit. Zunächst wirkt das etwas anmassend, aber das Misstrauen kommt nicht von ungefähr, wie eine Beobachtung zeigt: Während des öffentlichen Trainings begrüsst ein Journalist der Deutschen Presseagentur DPA zwei uniformierte PolizistInnen freundschaftlich mit Handschlag. Darauf angesprochen, sagt der DPA-Journalist: „Meine Frau arbeitet bei der Polizei, ich habe also gute Beziehungen.“ Aber er sei auf jeden Fall unabhängig, sagt er mit einem verschmitzten Lächeln zum Abschied. Das kann sein, aber der Journalist wird später dem Presse-Briefing fernbleiben – und sich stattdessen weit abseits mit den beiden PolizistInnen unterhalten und Nettigkeiten austauschen.
Von Familienvätern und AktivistInnen in Uniform
Freitag, 13:45 Uhr. „Wenn wir zusammen demonstrieren, dann sitzt er auf meinen Schultern und skandiert die Parolen“, sagt Chris und schaut lächelnd auf seinen fünfjährigen Sohn, der seine ersten Schnitzversuche an einem Ast unternimmt. Chris ist 31 und kommt aus München. Er ist zum ersten Mal an einer Ende Gelände-Aktion. „Als wir die Bilder aus dem Hambacher Forst gesehen haben, wussten wir, dass wir kommen wollen“, fährt Chris fort. „Mein Sohn hat das sofort verstanden, dass Menschen Bäume vor diesen grossen Maschinen schützen wollen.“
Politisiert wurde Chris, als er als Jugendlicher zusammen mit Freunden eine Aktion gegen einen Naziaufmarsch organisierte. „So sind wir in die etwas diffuse linke Szene geraten“, sagt der zweifache Familienvater. „Später habe ich dann an verschiedenen Demonstrationen teilgenommen.“
Warum er seinen Sohn mitnimmt? „Ich möchte ihm die Möglichkeit geben, Demonstrationen mitzuerleben. So kann er sich später entscheiden, ob er auch als Erwachsener an solchen dabei sein will.“ Er wird aber nicht an den Aktionen, die sich auf die Baugruben von RWE konzentriert, teilnehmen, sondern mit seinem Sohn an die bewilligte Demonstration in Morschenich gehen. Wann für ihn die Grenze erreicht ist? „Wenn mein Sohn nicht mehr möchte, gehen wir nach Hause. Oder wenn die Polizei eingreift.“
Einiges bedrohlicher sehen Mister Meeseeks und sein Kollege aus. Die beiden tragen Beret, Uniform und Springerstiefel und mögen so gar nicht in dieses Camp passen, das sich immer ein bisschen wie eine Wohlfühloase für AussteigerInnen anfühlt. Am ehesten würde man die beiden Uniformierten wohl in einer Bürgerwehr oder an einer Waffenshow in den USA erwarten. „Es sind bereits Leute auf uns zugekommen und haben uns gefragt, ob man vor uns Angst haben muss“, sagt Mister Meeseeks.
Doch der Schein trügt: Hinter der Verkleidung befinden sich die zwei Mitglieder des „militanten Arms der Partei ‚Die Partei‘. Die Partei ist eine Kleinpartei, welche von den RedakteurInnen des Satire-Magazins Titanic gegründet wurde. Parteivorsitzender ist der deutsche Satiriker Martin Sonneborn, welcher 2014 auch ins Europaparlament gewählt wurde. Im Kreisverband Koblenz von Die Partei gründete Mister Meeseeks dann den militanten Arm. Konkret bedeutet das: „Wir helfen vor und nach den Veranstaltungen und bekommen dafür Freigetränke.“
Sie seien hier, um zu helfen. „Wir laufen im Camp herum und wollen helfen. Aber es hat ja genug Helfer, also laufen wir halt den ganzen Tag auf dem Zeltplatz rum.“ So erklärt sich auch der Deckname Mister Meeseeks. Dieser ist an die Animationsserie „Rick and Morty“ angelehnt. Die Meeseeks sind Helfer für genau eine Aufgabe, bevor sie sich glücklich selber zerstören und verschwinden. Ein Meeseek, der seine Aufgabe nicht erfüllen kann, verzweifelt hingegen und wird wahnsinnig.
Natürlich merken sie, dass sie wegen ihrer Uniform komisch angeschaut werden. „Bei den Polizisten ist es lustig, die wissen nie, ob sie uns salutieren oder durchsuchen sollen“, schmunzelt Mister Meeseeks. Ihre politische Haltung sei derjenigen der extremen Linken recht nah, aber: „Wir möchten der bürgerlichen Mitte eine Alternative zum Bild des steinewerfenden ‚Schwarzen Blocks‘ bieten“. Ob das in dem Aufzug gelingt, sei dahingestellt. Aber die beiden sind – wie die ganze Aktion – betont friedlich. Sie sagen jedoch auch: „Mit dem zivilen Ungehorsam zeigt man, dass es hier noch Leute gibt, die sich für die Umwelt interessieren und sorgt vielleicht dafür, dass es nicht schlimmer wird.“
Ob sie aber an der Aktion am Samstag teilnehmen werden, lassen sie offen.
„Solche Aktionen sollte es mehr geben“
Freitag, 15:00 Uhr. Wir begleiten Finn bei einer Lieferung von vier Solarpanels zu einer Mahnwache beim Hambacher Forst. Finn sieht mit seiner kräftigen Statur, seinem langen Bart und dem knöchellangen Ledermantel aus wie ein in die Matrix verirrter Wikinger. Im Infrastrukturzelt zeigt uns der Mittvierziger die verschiedenen Batterien, die durch die Solarpanels aufgeladen werden. Das Klimacamp habe eine Kapazität von 4000 kWh. Die rund 6000 BewohnerInnen bräuchten im Durchschnitt rund 540 Kilowatt – eng wird es nur, wenn alle JournalistInnen und FotografInnen ihre Geräte im Pressezelt aufladen müssen.
Finn lädt die Solarpanels und die Batterien in seinen Wagen. Im Infrastrukturzelt ereignet sich gleichzeitig eine hitzige Diskussion: Einer der älteren Helfer soll einen Polizisten als „Schwuchtel“ bezeichnet haben. Ein jüngerer Aktivist findet, homophobe und sexistische Kommentare hätten an einer solchen Aktion keinen Platz. Ein Schlichtungsgespräch wird kurzerhand einberufen. „Für die Aktion müssen wir zusammenhalten, die Leute hier sind auf eine gute Infrastruktur angewiesen“, sagt der Mediator.
Dann hupt Finn, und wir fahren ab.
Die Mahnwache wird in der Nähe vom Hambacher Forst gehalten, hinter den Baumkronen türmen sich die Baugruben auf. Die Landschaft ist gezeichnet von der zerstörerischen Gefrässigkeit der Braunkohlebagger. Der Hambacher Forst und seine BewohnerInnen scheinen sich ihnen als letzte Bastillon entgegenzustellen.
Die Mahnwache befindet sich direkt bei der Einfahrt, die zum Hambacher Forst führt. Auf der Strasse sieht man nur Lastwägen, die Braunkohle und Kies aus der Grube wegtransportieren – und jede Menge Polizei. Wer soll hier sonst noch durchfahren? Die umliegenden Dörfer sind wegen der Umsiedlungen durch RWE mittlerweile fast vollständig ausgestorben.
Finn installiert die Solarpanels und die Batterien. Sie sollen den AktivistInnen des Hambacher Forstes als Aufladestation für Handys dienen. Die WaldbesetzerInnen sitzen wortwörtlich auf der Braunkohle und nutzen Solarenergie. Finn ist jetzt zwar bei Ende Gelände aktiv; er war aber schon bei der Räumung der Baumhütten im Hambacher Forst im September dabei. Am 05. Oktober wurde ein vorläufiger Rodungsstopp vom Oberverwaltungsgericht Münster verhängt. „Die meisten der damals Verhafteten sind wieder frei“, sagt Finn, „ich weiss nur von 5 AktivistInnen, die wohl noch länger in Haft sein werden.“ Was diese getan hätten? „Einer hat einen Eimer voll mit Fäkalien von seinem Baumhaus aus auf die Polizisten geleert“, antwortet er und fügt gleich an: „So etwas sollte mehr geschehen.“ Dass es sich hierbei um einen tätlichen Angriff handelt, scheint ihn wenig zu kümmern.
Wir kehren zurück ins Klimacamp, und Finn lässt uns bei unserem Wagen raus. „Kommt mal vorbei auf ein Bier“, ruft er uns zu und läuft mit seinem wehenden Ledermantel zurück ins Infrastrukturzelt.
Die Grossaktion startet
Samstag, 07:30 Uhr. Auch heute, am Tag der Grossaktion, ist wieder alles grau. Der Starttermin wurde am Abend zuvor von sieben auf acht Uhr verschoben. Warum, weiss niemand. Tausende Menschen haben sich bereits vor Sonnenuntergang die weissen Anzüge angezogen, auf deren Rückseite der Name der Grossaktion steht: Ende Gelände. Die AktivistInnen formieren sich in den verabredeten „Fingern“ — Grossgruppen, die sich in kleinere Bezugsgruppen gliedern. Die Finger sind nach verschiedenen Farben benannt: orange, gold, pink. Kurz nach acht Uhr wird bekannt, dass der goldene Finger direkt hinter dem Auto die Demonstration anführen wird. Offiziell soll der Demonstrationszug vom Klimacamp aus zu einer bewilligten Demonstration im nahegelegenen Morschenich führen. Doch im Klimacamp packen die AktivistInnen Schlafsäcke, Wärmefolien und Strohkissen ein. Es ist allen klar: Sie sind gekommen, um zu bleiben. Und zwar nicht in Morschenich, sondern in den Braunkohlegruben von RWE und auf den Schienen der Kohlezüge. Nur für einen Tag soll in Deutschland keine Braunkohle verbrannt werden, sagt uns ein Aktivist. „Das schaffen wir mit einer bewilligten Demonstration nicht.“
Samstag, 08:41 Uhr. Der Demonstrationszug formiert sich. Die verschiedenen Finger stehen in klar durchdeklinierter Reihenfolge bereit, angeführt vom Auto. Dessen Dach ist mit einem DJ-Pult bestückt. Die Stimmung ist heiter, die Sprechchöre erfüllen ihren Zweck und rütteln auch die letzte Umweltaktivistin wach. Man hat noch einen 14 Kilometer langen Marsch vor sich. Langsam setzt sich die Menschenmasse in Bewegung, das Training und die kalten Nächte in den Knochen. Alles ist bereit für den zivilen Ungehorsam.
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