Arten­schutz-Volks­be­gehren aus Bayern: Land­wirt­schaft gegen Umweltschutz

In Bayern tobt eine heftige Diskus­sion um ein Volks­be­gehren, das die Land­wirt­schaft zugun­sten des Umwelt­schutzes beein­flussen soll. Die Debatte wird emotional geführt: Es geht um Wert­schät­zung, Angst vor Bevor­mun­dung, einen wich­tigen Markt – und die Rettung der Bienen. 
Die Initiant*innen beim Startschuss zur Sammelaktion für das Volksbegehren. (Foto: Toni Mader)

Es wurde zum erfolg­reich­sten Volks­be­gehren der baye­ri­schen Geschichte: Bis Mitte Februar konnten Wahl­be­rech­tigte in Bayern ihre Zustim­mung zu einem neuen Geset­zes­ent­wurf zum Natur­schutz erklären. Die Bericht­erstat­tung in den Medien lief heiss, vor den Rathäu­sern bildeten sich lange Schlangen. Das Volks­be­gehren trug den Titel „Rettet die Bienen“. Insge­samt 1’754’383 Menschen unter­schrieben. Das sind 18,4 Prozent der baye­ri­schen Wahlberechtigten.

Den Initiator*innen des Volks­be­geh­rens ging es nicht – wie der Titel vermuten lässt – allein um die Rettung der Bienen, sondern um das Arten­sterben von Flora und Fauna gene­rell. Dabei wurde auch die Förde­rung der Bio-Land­wirt­schaft zum Thema und zum grossen Streit­punkt. Das Volks­be­gehren fordert, bis zum Jahr 2030 die land­wirt­schaft­li­chen Flächen, die ökolo­gisch bewirt­schaftet werden, von 10 auf 30 Prozent zu erhöhen.

Die Initia­tive für das Volks­be­gehren kam von der Kleinst­partei ÖDP, die Grünen und die SPD unter­stützten das Vorhaben nach kurzer Zeit. Die Gegne­rinnen der Idee: die Regie­rungs­par­teien CSU und Freie Wähler. Beson­ders stark gegen das Volks­be­gehren enga­gierte sich der Baye­ri­sche Bauernverband.

Ein Volks­be­gehren ist ein direkt­de­mo­kra­ti­sches Instru­ment, das mit der Schweizer Volks­in­itia­tive vergleichbar ist. Wenn inner­halb einer vorge­ge­benen Frist eine bestimmte Anzahl Wahl­be­rech­tigter mit einer Unter­schrift ihre Zustim­mung erklärt, muss der Geset­zes­ent­wurf im Parla­ment disku­tiert werden. Lehnt das Parla­ment das Begehren ab, können die Bürger*innen sodann verlangen, dass eine Volks­ab­stim­mung durch­ge­führt wird.

Während der Sammel­phase hangelten sich die Vertreter*innen beider Seiten an einer Konflikt­linie entlang, die in Diskus­sionen um Umwelt- und Klima­schutz eine der bedeu­tend­sten ist, auch in der Schweiz: dieje­nige zwischen den Landwirt*innen und den Umweltschützer*innen, zwischen frei­wil­ligem Enga­ge­ment und gesetz­li­chen Vorgaben für die Landwirtschaft.

Vier Punkte, bei denen die beiden Inter­es­sen­gruppen scheinbar anein­ander vorbei­reden. Und in welche Dilem­mata die Politik eingreifen könnte.

1. Die Gret­chen­frage: Wer ist schuld am Artensterben?

Eines der belieb­te­sten Argu­mente des Baye­ri­schen Bauern­ver­bandes zur Diskus­sion um das Volks­be­gehren war viel­mehr eine Gegen­frage. So formu­lierte der Präsi­dent des Verbandes, Walter Heidl, in einem offenen Brief an die Initiator*innen des Volks­be­geh­rens: „Wo bleiben im Zusam­men­hang mit dem Volks­be­gehren Faktoren wie Flächen­ver­sie­ge­lung, Einsatz von Mähro­bo­tern und Steinen in Haus­gärten, die zuneh­mende Licht­ver­schmut­zung, stei­gende Frei­zeit­nut­zung in sensi­blen Berei­chen etc. und deren Auswir­kungen auf die Tier- und Pflanzenwelt?“

Kurz gesagt: Nicht die Land­wirt­schaft ist schuld am Arten­sterben, sondern wir alle. Das Argu­ment ist richtig, die genannten Punkte stellen eine Bedro­hung für Pflanzen- und Insek­ten­arten dar. Kern dieses Argu­mentes – und im Übrigen der ganzen Diskus­sion um das baye­ri­sche Volks­be­gehren – ist aber ein anderer: Während der Garten als sehr privater Bereich ange­sehen wird, gibt es im Bereich der Land­wirt­schaft einen Umschwung, der zum Streit­punkt wird. Die Gesell­schaft sieht sich immer mehr in der Verant­wor­tung für den allge­meinen Umwelt­schutz – und dementspre­chend auch für den Umgang mit grossen, land­wirt­schaft­li­chen Nutz­flä­chen. Die Nutzung von Pesti­ziden, der Gewäs­ser­schutz, der Zyklus der Bewirt­schaf­tung: All das sind Faktoren, die hier entschei­dend sind und ins öffent­liche Inter­esse rücken. Für Landwirt*innen ist der Acker wie der eigene Garten, sie sind seit Gene­ra­tionen Expert*innen auf diesem Gebiet. Das Volks­be­gehren sendet das Signal, dass die Gesell­schaft mehr Mitbe­stim­mung einfor­dert und damit weiter in den Privat­be­reich der einzelnen Landwirt*innen eindringt.

An dieser Stelle muss die Politik vermit­teln. Denn: Im Endef­fekt geht es nicht um die Frage, wer schuld ist – sondern darum, wer etwas unter­nehmen kann.

Die Initiant*innen beim Start­schuss zur Sammel­ak­tion für das Volks­be­gehren. Dass das Anliegen derart hohe Wellen schlagen wird, haben wohl auch sie nicht erwartet. (Foto: Toni Mader)

2. Angebot vs. Nach­frage Bio-Landwirtschaft

Das Volks­be­gehren möchte den Anteil von Bio-Land­wirt­schaft in Bayern von 10 auf 30 Prozent bis zum Jahr 2030 erhöhen. Der Baye­ri­sche Bauern­ver­band argu­men­tiert, die Nach­frage für Bio-Ware sei nicht hoch genug, um das umsetzen zu können.

Es gibt aller­dings gegen­tei­lige Beob­ach­tungen: Laut dem aktu­ellen Jahres­be­richt der Bio-Branche steigt der Umsatz der ökolo­gi­schen Produkte, allein 2016 gaben die Europäer*innen rund 11 Prozent mehr Geld für Bio-Ware aus. Die Schweiz liegt in der Auswer­tung weit vorne: Mit einem Bio-Markt­an­teil von 8,4 Prozent lag sie direkt hinter den Spit­zen­rei­tern Däne­mark (9,7 Prozent) und Luxem­burg (8,6 Prozent). Euro­pa­weit geben die Schweizer*innen im Übrigen pro Jahr am meisten Geld für Bio-Produkte aus, Deutsch­land steht auf Platz sieben.

Die Nach­frage der Verbraucher*innen ist entschei­dend für den Umsatz der Bio-Produkte und damit auch für die Produk­tion der Land­wirt­schaft. Wird die Förde­rung von Bio-Produkten stärker auf die poli­ti­sche Agenda gesetzt, könnte das Thema deut­li­cher in den öffent­li­chen Fokus gerückt werden – und davon letzt­end­lich auch die Land­wirt­schaft profitieren.

3. Frei­wil­lig­keit

In einer Stel­lung­nahme des Baye­ri­schen Bauern­ver­bandes verweist Präsi­dent Heidl auf frei­wil­lige Mass­nahmen zum Umwelt- und Natur­schutz. Jede*r zweite Landwirt*in in Bayern hätte sich bereits schrift­lich dazu verpflichtet, aktiv zum Umwelt­schutz beizu­tragen. Mit der Neuge­stal­tung des Natur­schutz­ge­setzes wird eine feste Quote für die Bio-Land­wirt­schaft ange­strebt. Die Landwirtschaftsvertreter*innen fragen: Wieso braucht es diese strikten Vorgaben?

Auf der anderen Seite heisst es: Wieso eigent­lich nicht? Wenn Land­wirt­schaft und Gemein­schaft dasselbe Ziel haben, kann eine gesetz­liche Quote hilf­reich sein, so die befür­wor­tende Seite. Auch in Zukunft wird niemand dazu gezwungen werden, auf Bio umzu­stellen. Aber: Die Anreize könnten steigen, die Subven­tionen nach den Erwar­tungen der Gemein­schaft verteilt werden. Hier braucht es offene Diskus­sionen und Kompromissbereitschaft.

4. Emotio­na­li­sie­rung der Debatte

Die Diskus­sionen um das Volks­be­gehren in Bayern haben auch gezeigt, dass diese Debatte viel emotio­naler ist, als viel­leicht vermutet. Vertreter*innen der Land­wirt­schaft spre­chen davon, dass manche unter ihnen „persön­lich verletzt“ seien über den Ausgang der Abstim­mung. Der Vertreter des ober­baye­ri­schen Bauern­ver­bandes, Anton Kreit­mair, warf den Unterstützer*innen „Popu­lismus“ vor. Regio­nale Bauern­ver­bände wollen jetzt zeigen, wie sie sich bereits für den Umwelt­schutz einsetzen. Sie vermissen die Wert­schät­zung für ihren Beruf. Auch der Schweizer Bauern­ver­band wirbt aktuell mit einer entspre­chenden Kampagne: Die Plakate der neuen Werbe­linie stellen Bäue­rinnen und Bauern ins Zentrum und erklären, was diese für die Schweizer Gesell­schaft leisten.

Auf der anderen Seite rückt für die breite Bevöl­ke­rung der Umwelt­schutz immer mehr in das öffent­liche Bewusst­sein. Zusätz­lich sieht diese die hohen Subven­tionen, die in die Land­wirt­schaft fliessen, in Deutsch­land zählen hierzu auch die zusätz­li­chen EU-Agrar­för­de­rungen. Macht das ein höheres Mitbe­stim­mungs­recht nicht legitim?

Die Land­wirt­schaft stellt einen wich­tigen Markt dar, sowohl in Bayern als auch in der Schweiz. Dafür gebührt ihm eine hohe Wert­schät­zung und gewich­tiges Mitspra­che­recht. Trotzdem muss es der Politik und der Mehr­heit der Gesell­schaft über­lassen werden können, die Rahmen­be­din­gungen der Wirt­schaft zu setzen – insbe­son­dere, wenn es um allge­meine Güter, Ressourcen und den Schutz unserer Umwelt geht.

 


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