Zürich, Leutschenbach an einem Dienstagmorgen. Auf der einen Seite Bürogebäude, gläsern und dunkel. Auf der anderen Seite der vierspurigen Thurgauerstrasse: Schrebergärten, schmucke Einfamilienhäuser, ihrerseits mit Gärten.
Und genau hier – zwischen der lauten Thurgauerstrasse und der idyllischen Grubenackerstrasse – soll eine neue Siedlung entstehen. So sieht es der Gestaltungsplan der Stadt vor: fünf Hochhäuser, ein Schulhaus, ein Park und Mehrfamilienhäuser. Alle Wohnungen sollen gemeinnützig sein, ein Drittel davon würde subventioniert.*
Am 29. November stimmt die Stadt darüber ab. Und die parlamentarische Linke ist gespalten: Während die SP für das Jahrhundertprojekt weibelt, wehren sich die Grünen und die Alternative Liste gegen die Vorlage.
Die Idee, hier etwas zu bauen, findet auch Matthias Probst gut. Aber nicht so, wie es die Stadt eingeplant hat. Der grüne Gemeinderat, selbst wohnhaft im Hunzikerareal, ist im Referendumskomitee, das sich gegen das Vorhaben formiert hat.
Er nimmt sich Zeit für einen morgendlichen Quartierrundgang; die Vorlage treibt ihn um. „Die Stadt fördert durch diesen Plan nicht eine lebenswerte Stadt, sondern ‚bolzt‘ Gebäude hin“, findet Probst. Dies würde kein Quartierleben fördern, sondern stattdessen eine Anonymität, die es an anderen Orten des Leutschenbachquartiers schon zur Genüge gäbe. Nur die angedachte Verdichtung und der Umstand, dass ein Drittel der Bauten gemeinnützig genutzt werden sollen, bewertet Probst als positiv.
Aber nicht als positiv genug. Bei einem solchen Bauprojekt, findet Probst, gehe es doch um die Menschen. „Eine Siedlung zu bauen bedeutet auch, diejenigen Menschen einzubeziehen, die bereits neben oder bei der Siedlung wohnen.“ In diesem Fall die Bewohner*innen des Grubenackerquartiers.
Der Stadtrat meint, er habe die Bewohner*innen ausreichend in die Planung einbezogen. Ein Grossteil von ihnen, so das Referendumskomitee, fühlt sich aber ungehört.
Als Antwort darauf gründeten sie die Interessengemeinschaft Grubenacker und eine eigene Genossenschaft, die Wohnbaugenossenschaft Grubenacker. Sie setzt sich für eine partizipative und integrative Gestaltung ihres Quartiers ein. So möchte die Genossenschaft Spekulation auf den Boden im Grubenacker verhindern und stattdessen die Siedlung konstruktiv erweitern. Statt dafür zu plädieren, dass die Häuser stehen bleiben sollen, will die Genossenschaft sich dafür einsetzen, dass eine zeitgemässe Siedlung entstehen kann. Und nicht zwei: die Grubenackersiedlung und daneben die Thurgauerstrassenüberbauung, so wie es der Gestaltungsplan gerade vorsieht.
Verdichtung durch Hochhäuser: ökologisch fragwürdig
Eines der Hauptziele dieses Gestaltungsplans ist die Verdichtung. Und hierfür zentral sind die geplanten Hochhäuser. Eigentlich sind sie so entworfen, dass sich eine Abstufung der Gebäudehöhe in Richtung der Grubenackerstrasse ergeben sollte. Aber das funktioniert vor allem in der Theorie. Die geplanten Gebäude orientieren sich deutlich an der anderen Seite der Thurgauerstrasse: dem Leutschenbachquartier mit seinen Hochhäusern.
Dabei sei doch schon länger bekannt, dass Hochhäuser sowohl aus psychologischer, wie auch aus ökologischer Sicht nicht sinnvoll seien. Der Bau von Hochhäusern verursache extrem viel CO2 und auch deren Kühlung und Heizung sei energieintensiv, so eines der Hauptargumente der Gegner*innen. Klar ist: Hochhäuser verschlingen zwar pro Person weniger Boden aber sie benötigt dafür auch mehr technische Einrichtungen, etwa Fahrstühle oder aufwendige Brandschutzanlagen.
Zudem, so erwähnt Probst, habe er schon mehrfach gehört, dass es ab dem siebten Stockwerk schwieriger für die Bewohner*innen sei, den Bezug zur Aussenwelt zu halten, was nicht den Vorstellungen des Referendumskomitees vom Familienquartier entspricht. Auch das Referendumskomitee nimmt Bezug zu diesem Problem und betont, wie familienunfreundlich solche Gebäude seien. Dabei wäre eigentlich eines der Ziele dieser Überbauung, Familien anzuziehen.
Probsts grösster Kritikpunkt am Gestaltungsplan ist aber, dass von der Stadt das Potenzial einer Kooperation mit der ansässigen Bevölkerung nicht erkannt werde. Eigentlich könnte das Quartier Grubenacker ein „lässiges“, modernes, ja auch verdichtetes Quartier werden, das sich auszeichnet durch den partizipativen Prozess seiner Gestaltung.
Wie genau, das macht eben diese Quartierbevölkerung vor. Nach zunächst destruktiver Opposition gegen das Projekt haben Bewohner*innen eigeninitiativ einen machbaren Plan dafür vorgelegt, wie sie ihr gesamtes Quartier und nicht nur die vorhandene Baulandreserve umgestalten wollen. Sie haben eine Genossenschaft gegründet, die auch darauf abzielt, dass die Häuser irgendwann in die neue Siedlung eingegliedert werden könnten: durch Abriss und Neubau, durch Integration.
Doch stattdessen hält die Stadt an ihrem Plan fest, der sich vor fast zehn Jahren auszubilden begann. Es ist bedenklich, dass, statt partizipativ und sozial auf die Bewohner*innen einzugehen, ein Flickwerk mit Anpassungen entstanden ist. Dies führte gemäss Probst auch zu grosser Verunsicherung bei den Bewohner*innen: Einige hätten ihr Haus sogar bereits der ZKB verkauft. Auch das ist dem Quartiercharakter nicht unbedingt dienlich. Probst nennt sie „Crèmeschnitten“: Häuser ohne Charakter, die teure Wohnungen beherbergen, die keinen Bezug zeigen zu den anderen Gebäuden des Quartiers.
Wir laufen über die Thurgauerstrasse, eine der meistbefahrenen Achsen der Stadt, weiter in Richtung Fernsehstudio. Hier hat Implenia mehrere Hochhäuser gebaut: Es ist nicht schwer zu erkennen, dass hier kaum Familien wohnen, ja dass es sich auch um Zweitwohnungen handeln könnte. Denn die Balkone und die Eingangsbereiche sind leer — keine Blumen, keine Tische, keine Kinderbuggys. Gleich nebenan liegt der teuerste Park der Stadt: ein Schottergarten. Kühl, karg, unfreundlich. Der Unterschied zum Grubenackerquartier fällt wieder auf: Wo wir uns dort in einer dorfähnlichen Atmosphäre befunden hatten, befinden wir uns hier im urbanen Raum. Es wird wieder klarer, was sich die Bewohner*innen des Grubenackerquartiers nicht wünschen und wovor sie sich fürchten.
Nein, der Gestaltungsplan schlägt nicht solch charakterlose Bauten vor, er will auch keine Zweitwohnungen ermöglichen. Aber inspiriert ist auch er von den Implenia-Gebäuden. Der Charme, den das Grubenackerquartier momentan hat, der Oasencharakter, der leicht zu erhalten wäre – all das ginge verloren.
Wir laufen weiter und gelangen am Schluss unseres Spaziergangs ins Hunzikerareal, dem dichtesten Quartier des Kantons Zürich: Nirgends also leben mehr Menschen pro Quadratmeter Grundstücksfläche. Dabei hat es hier gar keine Hochhäuser und es ist spürbar, dass es von Menschen für Menschen gestaltet wurde: ganz schön friedlich, irgendwie gemütlich. So könnte es auch gehen, oder, Zürich?
* In einer ersten Version schrieben wir fälschlicherweise, ein Drittel der neuen Wohnungen soll gemeinnützig werden. Tatsächlich sollen alle Wohnungen gemeinnützig werden. Wir bitten für den Fehler um Entschuldigung.
Stellungnahme der Stadt
Im Anschluss an die Publikation unseres Artikels wandte sich das Hochbaudepartement der Stadt Zürich an uns.
Die Stadt betont demnach insbesondere, dass sie keine Gebäude «hinbolze». Abgestimmt werde über einen Gestaltungsplan, der die baurechtlichen Festsetzungen für die nächsten Schritte macht. Die vorgesehenen Gebäude würde bei einer Annahme im Rahmen der Vorgaben des Gestaltungsplans von Genossenschaften und Stiftungen geplant und gebaut. Schule und Park, die durch die Stadt selber erstellt werden, sind Teil eines anderen, bereits genehmigten Gestaltungsplans.
Die bereits konkreten, im Gemeinderat unbestrittenen Projekte Schule und Park liessen sich mit dem Gegenvorschlag aus dem Quartier nicht realisieren. Auch darüber hinaus handele es sich bei der Alternative nicht um einen „machbaren“ Plan.
Weiter habe das Hochbaudepartement das Quartier seit Anbeginn in die Planung mit einbezogen, unter anderem auch im Rahmen eines Workshops, der gemeinsam mit Grundeigentümer*innen betreffend die Entwicklung ihrer eigenen Parzellen durchgeführt worden sei. Dass einzelne Eigentümer*innen ihre Grundstücke und Häuser bereits verkauft hätten, habe nichts mit dem Gestaltungsplan zu tun.
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