Die Coronapandemie ist nicht nur eine Gesundheitskrise. Sie hat in vielen Teilen der Gesellschaft auch zu einer wirtschaftlichen Krise geführt. Doch nicht alle sind davon betroffen. Während Restaurants schliessen, Kindergärten in Finanznot geraten und das Krankenhauspersonal im Dauerstress ist, verdienen wenige sehr vermögende Menschen weiter. Die Familie Blocher etwa wurde laut einem WOZ-Bericht im vergangenen Jahr um drei Milliarden Franken reicher.
In verschiedenen Ländern kommt jetzt die Forderung auf, diejenigen zur Kasse zu bitten, die während der Krise weiter Gewinne gemacht haben. Während in Europa mit ZeroCovid ein solidarischer Lockdown verlangt wird, beschloss Argentinien bereits im November die Massnahmen für die Bekämpfung des Coronavirus durch eine Sondersteuer auf besonders hohe Vermögen zu finanzieren.
Der Wirtschaftswissenschaftler Reto Föllmi von der Universität St. Gallen rät von einer solchen Massnahme in der Schweiz ab. „Die Pandemie hat die Märkte extrem unsicher gemacht und eine schnell beschlossene Krisenabgabe würde dies weiter steigern”, so Föllmi. Für ihn ist klar: „Die Schweiz steht finanziell gut da und der Staat kann und muss in solchen Krisenmomenten in die Tasche greifen, um die KMUs und Arbeitnehmer:innen zu unterstützen.” In wirtschaftlich guten Jahren könne man diese Ausgaben dann wieder reinholen. Eine schnell beschlossene Krisenabgabe hingegen würde die Unsicherheit erhöhen.
Diese Rücklagen unterscheiden die Schweiz von Argentinien: In einem Artikel für das chilenische Magazin Ciper schreibt der argentinische Wirtschaftswissenschaftler Dario Rossignolio, dass dem dortigen Staat schlichtweg das Geld ausgeht.
Die derzeitigen Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie und zur Hilfe der in Not geratenen Bevölkerung umfassen schon jetzt Geldsummen in der Höhe von 3.9 % des Bruttoinlandprodukts von Argentinien. Doch im Gegensatz zur Schweiz hat das Land aufgrund seiner drohenden Insolvenz kaum Zugang zu internationalen Finanzmärkten, um Kredite aufzunehmen. Die Sondersteuer für Reiche ist also eine Notlösung, um die dringend benötigten Ausgaben zu finanzieren.
Was tun bei Finanznot?
Auch in der Schweiz wird von drohenden Finanzlöchern gewarnt. Bei der Verkündigung des zweiten Lockdowns zeigte sich Bundesrat Ueli Maurer sichtlich bedrückt über die kommenden Ausgaben für die begleitenden Massnahmen. Ein schmerzloses Rückzahlen der Schulden sei in unerreichbare Ferne gerückt. Einsparungen sind laut Maurer nötig.
Historisch gibt es allerdings auch Gegenbeispiele. Krisen bedeuteten nicht immer mehr Sparmassnahmen. „Krisenzeiten sind die Geburtsstätten für neue und höhere Steuern, die auf die Erfassung von Vermögen, hohen Einkommen oder hohen Gewinnen abzielen”, erzählt Gisela Hürlimann. Die Historikerin forschte bis 2020 an der ETH und arbeitet jetzt am KIT in Karlsruhe.
Auch die aktuelle Bundessteuer hat ihre historischen Ursprünge in Jahren der Krise. Der Bund erfasste erstmals direkte Steuern über die 1915 eingeführte eidgenössische Kriegssteuer, die grosse Vermögen betraf. In den 30er-Jahren gab es dann die Krisenabgaben, um die Wirtschaftskrise zu finanzieren. Die Krisenabgabe wurde im Zweiten Weltkrieg zu einer Wehrsteuer und erfasste vor allem die oberen Gehälter.
Diese eingenommenen Gelder konnten zur „Krisenintervention und damit auch zur Einkommenssicherung genutzt werden”, so Hürlimann. Dies „scheint nachhaltiger als die Leute aus Jobs, in den Konkurs und in die Sozialhilfe fallen zu lassen”.
Krieg und Wirtschaftskrisen sind also bekannte Beschleuniger für neue Steuern. Aber Pandemien? Der Wirtschaftswissenschaftler Reto Föllmi sagt: „Im Gegensatz zur Krise von 2009 ist die derzeitige nicht durch Fehlinvestitionen ausgelöst, schliesslich ist heute die Wirtschaftsaktivität aufgrund des Coronavirus eingeschränkt.” Deswegen unterscheide sich die aktuelle Krise erheblich von anderen Finanz- und Wirtschaftskrisen.
Die Coronakrise sei zudem geprägt von Unklarheiten: „Wir wissen schlichtweg zu wenig, um vorherzusehen, was im zweiten Halbjahr 2021 passiert”, sagt Föllmi. „Es könnte sein, dass nach der Impfung und Öffnung der Wirtschaft viele Investitionen getätigt werden und wir so ohne grosse staatliche Massnahmen aus der Krise kommen.”
Neue Infrastruktur für die Gesundheit?
Die Historikerin Hürlimann spricht im Gespräch mit das Lamm noch zwei weitere Punkte an. Zum Ersten wurden in vielen Ländern die Kriegssteuern aus dem Ersten Weltkrieg zur Bewältigung der Spanischen Grippe in den Jahren 1919 und 1920 verwendet. Zum Zweiten mussten die Städte im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter der Pandemien, erhebliche Ausgaben tätigen, um zukünftige Krankheitsausbrüche zu verhindern.
„Die Choleraepidemie in Zürich von 1867 und die Typhusepidemie von 1884 führten etwa zur Einsicht, dass städtische Infrastrukturen wie die Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung saniert oder neu gebaut werden mussten.” Das Leitungswassersystem oder das Schlachthaus am Letzigrund sind bis heute bauliche Zeugen dieses Kraftakts.
„Damit verbunden waren städtische Investitionen, die durch Steuergelder und Gebühren aufgebracht werden mussten.” Dies beschleunigte laut Hürlimann die Verallgemeinerung kantonaler Vermögens- und Erwerbssteuern und die Einführung einer Erbschaftssteuer – als eine Art Reichensteuer – in Zürich im Jahr 1870.
Auch die heutige Krise zeigt: Zur Bekämpfung zukünftiger Pandemien müssen Investitionen getätigt werden. Elvira Wiegers, Zentralsekretärin für Gesundheit und den Care-Bereich beim VPOD, ist überzeugt: „Die Krise hat die seit langem bestehenden strukturellen Probleme im Gesundheitsbereich nochmals verdeutlicht.”
So unternimmt die Schweiz etwa immer noch zu wenig, um genügend Gesundheitspersonal auszubilden und vergrault dieses bei der Arbeit. „Knapp die Hälfte der Arbeiter:innen springt nach Arbeitsantritt wieder von ihrem Beruf ab.” Dies zeugt von fehlender Wertschätzung, schlechten Arbeitsbedingungen und zu tiefen Löhnen. Die Gewerkschaftssekretärin warnt: „Wenn wir jetzt nichts unternehmen, werden wir in Zukunft einen noch grösseren Personalmangel als heute haben.”
Doch auch ausserhalb des Gesundheitsbereichs sind Investitionen nötig, um kommende Pandemien zu verhindern. So warnen Forscher:innen davor, weiter in Wildtierbereiche einzudringen. Denn meist entstanden die letzten Pan- und Epidemien genau dort. In vielen Wildtieren lauern unentdeckte Krankheiten, die erst durch das Eingreifen des Menschen zu Pandemien werden können. Das heisst: Der Raubbau natürlicher Ressourcen muss beendet werden. Der Weltbiodiversitätsrat mahnt daher zu vorbeugenden Massnahmen. Dies erfordert mehr Geld für Klima- und Umweltschutz.
Und wie soll das finanziert werden? Der Ökonom Föllmi schliesst nicht aus, dass hierfür Steuerhebungen auf grosse Vermögen und Einkommen getätigt werden könnten. Doch er mahnt zur Vorsicht. „Es ist wichtig, diese Massnahmen gut planbar und langfristig anzulegen. Das gibt Sicherheit und Vertrauen in den Gesetzgeber.”
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