„Mein Leben ist in Gefahr!“

Die Schweiz verwei­gert einem Jour­na­li­sten aus Honduras das Asyl­recht. In Honduras fürchtet er um sein Leben, doch seine Zukunft in der Schweiz ist ungewiss. 
José Padilla, Jounalist aus Honduras, bei einem Spaziergang mit das Lamm durch das verschneite Zürich (Foto: Kira Kynd)

„Unglaub­würdig“: So lautet das Haupt­ar­gu­ment des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts dafür, José Padillas nega­tiven Asyl­ent­scheid zu bestä­tigen. Padilla ist Jour­na­list. 2017 floh er aus Honduras, weil er dort zuneh­mend Bedro­hungen und anderen Gewalt­an­wen­dungen ausge­setzt war, sodass er um sein Leben fürchtete.

Honduras ist für Journalist:innen eines der gefähr­lich­sten Länder Latein­ame­rikas. Seit 2001 sind mehr als 79 Medi­en­schaf­fende umge­bracht worden. Der Putsch von 2009 hat die poli­ti­sche Lage noch verschlim­mert. Staat­liche Repres­sion und Gewalt von Drogen­kar­tellen haben seitdem stark zuge­nommen. Davon betroffen sind vor allem oppo­si­tio­nelle und kriti­sche Journalist*innen und deren grösster Radio- und TV-Sender Globo.

Padilla arbei­tete seit 2002 in der Küsten­stadt La Ceiba für Radio Globo. Ausserdem ist er Mitglied der Partei Libertad y Refund­a­ción (LIBRE), einer linken Partei, die sich in Oppo­si­tion zu dem Staats­streich von 2009 gegründet und eine gewisse Nähe zu dem damals gestürzten Präsi­denten José Zelaya hat.

Aus La Ceiba berich­tete Padilla über Unfälle, Morde und Drogen­ge­schäfte. Etwa in soge­nannten notas poli­ciales: „Sobald ich von einem Vorfall erfahren habe, rief ich bei einer internen Nummer des Senders an. Die Musik im Radio wurde gestoppt, und ich erzählte kurz, was passiert war.“ Er konnte dafür auf ein grosses Netz­werk von Kontakten zurück­greifen. Immer wieder riefen Bewohner:innen an, etwa um von Drogen­lie­fe­rungen zu berichten.

La Ceiba ist kein normaler Ort, sondern liegt auf der Drogen­route in die USA. Ganz in der Nähe der Küsten­stadt lag das Haupt­quar­tier der Cachiros, eines Kartells, dem unter anderem der Sohn des ehema­ligen Präsi­denten Porf­irio Lobo Sosa ange­hörte, der das Land von 2010 bis 2014 regierte.

Oft beliess es Padilla aber nicht dabei, notas poli­ciales zu veröf­fent­li­chen. Immer wieder begab er sich auch zum Ort des Gesche­hens, nachdem ein Hinweis bei ihm einge­gangen war – gemeinsam mit Kollegen im selben Auto. Die Grup­pen­ar­beit gab ihnen Sicher­heit: „Wer sollte uns alle auf einmal umbringen?“, sagt José Padilla.

Verfol­gung in Honduras

Es traf sie einen nach dem anderen. Zuerst wurde 2013 sein Arbeits­kol­lege von Globo TV, Anibal Barrow, entführt und umge­bracht. Im glei­chen Jahr traf es auch Padilla: Im Anschluss an eine Veran­stal­tung wurde er mit einer Waffe bedroht und in einen Pick-up gezwungen. Die Täter hatten ihn verprü­gelt, bevor sie ihn aus dem fahrenden Auto warfen. Padilla trägt Narben von diesem Abend. Im Insel­spital in Bern wird er heute noch wegen der Spät­folgen ärzt­lich behandelt.

Padilla trägt Narben, die durch die Folter entstanden sind

Gewalt trifft in Honduras vor allem unbe­kannte Journalist:innen. Ein Vorgehen, das Angst schürt, ohne grosse Aufmerk­sam­keit zu erregen. Padilla gehört zu genau dieser Art von Journalist:innen. Er hat kein abge­schlos­senes Jour­na­lis­mus­stu­dium und macht keine grossen Repor­tagen. Statt­dessen agiert er in seinem Bezirk, er pflegt Kontakte, ist gut infor­miert über das alltäg­liche Geschehen – und er berichtet darüber.

„Korrup­tion, Vettern­wirt­schaft und Kontakte in den Drogen­handel sind in Honduras so offen­sicht­lich, dass du, um darüber zu berichten, keine grossen Recher­chen brauchst“, sagt Daniel Lang­meier vom Honduras Forum Schweiz: „Doch nicht alle berichten darüber. Umso gefähr­li­cher wird es, wenn du es wagst.“

Dass Personen wie Padillo trotzdem davon berichten, ist unheim­lich wichtig. Das zeigt zum Beispiel der Fall des ehema­ligen Poli­zei­prä­si­denten von La Ceiba, Ludwig Criss Zelaya Romero. Dieser lebte weit über den Verhält­nissen eines normalen Poli­zei­be­amten. Padilla fragte ihn deshalb 2012, wie dieser Reichtum zustande komme. Der Poli­zist habe sicht­lich gereizt reagiert, erzählt der Jour­na­list. „Er antwor­tete nur, dass wir Journalist:innen nie dazu lernen würden.“ Für Padilla war der Satz eine eindeu­tige Drohung gegen sein Leben. 2016 wurde Ludwig Zelaya wegen Drogen­handel an die USA ausgeliefert.

Geschichten dieser Art haben das Leben von Padilla immer gefähr­li­cher gemacht. Die Anzahl Todes­dro­hungen nahm von Jahr zu Jahr zu. 2017 beschloss er deshalb, nach Tegu­ci­galpa zu ziehen, in die Haupt­stadt von Honduras. Aber auch dort wurde er bedroht. Nachdem er bei einer Wahl­ver­an­stal­tung des oppo­si­tio­nellen Präsi­dent­schafts­kan­di­daten Salvador Nasralla teil­ge­nommen hatte, wurde Padilla von der Polizei fest­ge­nommen. Offi­ziell, weil er öffent­li­ches Ärgernis erzeugt habe. Er verbrachte eine Nacht mit Ratten, Urin­ge­ruch und Gang­mit­glie­dern im Gefängnis. Auch von einer Drogen­bande, den Maras, wurde der Jour­na­list wenig später fest­ge­halten und bedroht.

„Honduras ist ein Narcoestado: ein Staat, der von Drogenhändler*innen beherrscht wird“, sagt José Padilla bei einem Gespräch in Zürich. Das ist keine beson­ders gewagte These. Erst 2019 wurde der Bruder des Präsi­denten Juan Orlando Hernández in den USA des Drogen­han­dels schuldig gespro­chen. Im Januar 2021 hat die Staats­an­walt­schaft von New York einen Bericht veröf­fent­licht, wonach Präsi­dent Hernández selbst Schmier­gelder ange­nommen habe, um einzelne Drogen­bosse vor der Justiz zu schützen.

Zufluchtsort Schweiz?

Im November 2017 wurde Padilla schliess­lich von einem bekannten General eindring­lich gewarnt: Sein Name stehe auf einer schwarzen Liste. „Mich packte die Angst und ich beschloss zu fliehen. Möglichst weit weg. An einen Ort, auf den die Drogen­kar­telle keinen Zugang haben“, sagt er. Die Schweiz schien ihm dafür geeignet. Als Geburts­stätte der Menschen­rechts­charta geniesst sie als Zufluchtsort immer noch einen guten Ruf.

Zu Unrecht, wie Padilla nach seiner Ankunft erfahren musste. Im August 2019 wurde sein Asyl­ge­such vom Staats­se­kre­ta­riat für Migra­tion (SEM) abge­wiesen. Er könne nicht ausrei­chend beweisen, dass er wirk­lich Jour­na­list sei, befand das SEM in seiner Begrün­dung. In seinen Schil­de­rungen würden sich zu viele Wider­sprüche finden. Ein Beispiel: Im ersten Inter­view mit dem SEM gab er an, einmal von einer Gruppe mit einem Base­ball­schläger gefol­tert worden zu sein. Im zweiten Inter­view sprach er dann aber von Holz­stangen. Ein Wider­spruch, der Padilla in den Augen des SEM unglaub­würdig macht. Des Weiteren hätte Padilla, so das SEM, auch Schutz inner­halb des glei­chen Landes suchen können.

Daniel Lang­meier vom Honduras Forum Schweiz zeigt sich wütend über den Entscheid und die Argu­men­ta­tion der Migra­ti­ons­be­hörde. Das Forum hat Padilla seit seiner Ankunft in der Schweiz begleitet. Der Jour­na­list sei psychisch komplett am Ende, was seine in Details wider­sprüch­li­chen Aussagen erklären würde. Den Behörden sei zudem nicht klar geworden, dass es sich bei Padilla nicht um einen Star­jour­na­li­sten handle, und alle einge­reichten Pres­se­aus­weise seien nicht beachtet worden.

Deshalb unter­stützte das Honduras Forum gemeinsam mit dem Soli­da­ri­täts­netz Bern Padilla dabei, Beschwerde gegen den nega­tiven Asyl­ent­scheid des SEM zu erheben. Über die Beschwerde musste deshalb das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt entscheiden. Genauer: Richter Lorenz Noli von der SVP. Und Noli wies die Beschwerde zurück und bestä­tigte damit den Entscheid des SEM.

Zwar sei nicht auszu­schliessen, dass Padilla tatsäch­lich ein Jour­na­list sei. Aber bewiesen werden könne das auch nicht. Ebenso wie auch die Tatsache, dass er gezielt verfolgt worden sei.

Diese Argu­men­ta­tion legt laut Lang­meier nahe, dass sich weder das Gericht noch das SEM ausrei­chend mit der Situa­tion vor Ort beschäf­tigt hätten: „Honduras liegt auf der Liste des Welt­pres­se­frei­heits­index auf Platz 146 von 180. Alle kriti­schen Journalist:innen stehen dort unter Lebensgefahr.“

Und das Problem der Glaub­wür­dig­keit besteht grund­sätz­lich fast immer. Eigent­lich würde das SEM laut der schwei­ze­ri­schen Beob­ach­tungs­stelle für Asyl- und Auslän­der­recht im Prinzip aner­kennen, dass trau­ma­ti­sierte Personen gerade in Bezug auf Details und Zeit­spannen in ihrer Geschichte wider­sprüch­liche Darstel­lungen machen können.  Trotzdem werden bei Padilla gerade solche gering­fü­gigen Wider­sprüche als Haupt­grund für den nega­tiven Asyl­ent­scheid ange­führt. „Ich bin vor einem rechten Regime geflohen“, sagt Padilla zum Entscheid. „Und jetzt werde ich von einem rechten Richter zurückgewiesen.“


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