Kenia in Zürich, Zürich in Kenia

Der Zoo Zürich schmückt sich damit, die „Lewa Wild­life Conser­vancy“ in Kenia zu unter­stützen. Bei genauerem Hinsehen tun sich bei dieser Bezie­hung kolo­nia­li­sti­sche Abgründe auf, wie Kolum­nist Nico Müller fest­stellen musste. 
Wie sinnvoll das Savannen-Projekt des Zürcher Zoos wirklich ist, scheint kaum jemanden zu interessieren. (Bild: Peter Steiner / Unsplash)

Das Gehege „Lewa Savanne“ mit Nashör­nern und Giraffen ist seit zwei­ein­halb Jahren ein Vorzei­ge­pro­jekt des Zoos Zürich. Mit Teilen des Erlöses aus dem Projekt unter­stützt der Zoo das Arten­schutz­ge­biet „Lewa Wild­life Conser­vancy“ (LWC) in Kenia. An die vier Millionen Franken sind bis heute schon geflossen.

Schweizer Medien berichten über die „Lewa Savanne“ des Zoos und die LWC mit einem Wohl­wollen, das fast schon an Schleich­wer­bung grenzt. Der Beitrag von SRF Einstein kam ohne kriti­sche Nach­fragen aus. Giaccobo/Müller machten sogar einen Werbe-Sketch.

Was diese LWC eigent­lich genau ist und ob sie aus sozialer und arten­schutz­tech­ni­scher Sicht unter­stüt­zens­wert ist, scheint in der Schweiz kaum jemanden zu inter­es­sieren. Es wird Geld für einen guten Zweck gesam­melt, Ende der Diskussion.

Schaut einmal zum Fenster raus, wahr­schein­lich seht ihr bald ein Tier. Sie sind die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung. Doch in der Schweizer Medi­en­land­schaft werden sie meist igno­riert. Animal Poli­tique gibt Gegen­steuer. Nico Müller schreibt über Macht­sy­steme, Medien, Forschung und Lobby­ismus. Und denkt nicht, es gehe immer „nur“ um Tiere. Ihre Unter­drückung hängt oft mit der Unter­drückung von Menschen zusammen. Animal Poli­tique macht das sichtbar.

Nico Müller hat den Doktor in Tier­ethik gemacht und arbeitet an der Uni Basel. Daneben setzt er sich poli­tisch für Tier­schutz und ‑rechte ein, beson­ders mit dem Verein Animal Rights Switzerland.

Dabei reicht eine kurze Google-Suche aus, um zu sehen, dass die LWC nicht einfach ein Arten­schutz­pro­jekt ist, sondern auch ein Luxus-Safari-Resort im Besitz eines briti­schen Kolo­ni­al­erben. Und dass sie finan­ziell äusserst solide aufge­stellt ist – auch ohne die Gelder des Zürcher Zoos. Hinzu kommt: „Conser­van­cies“ wie die LWC werden in Kenia stark von Forschenden und Aktivist*innen kriti­siert, weil sie hoch­mi­li­ta­ri­siert sind und die Abhän­gig­keit von ehema­ligen Kolo­ni­al­mächten erhöhen.

Aber alles der Reihe nach.

Nashörner raus, Rinder rein

Was ist diese „Lewa Wild­life Conser­vancy“ denn eigent­lich? Nun, sie ist ein privates Arten­schutz­ge­biet. Inhaber ist der begei­sterte briti­sche Gross­wild­jäger Ian Craig.

Das Land hat Ian Craig wiederum geerbt. Das briti­sche Regime hatte der Craig-Familie das Land für die Vieh­zucht zuge­spro­chen, um die dama­lige Kolonie mit Fleisch zu versorgen. Viel später, in den 1980ern, kolla­bierte der kenia­ni­sche Vieh­markt. Der Familie Craig drohte der Bank­rott und der Zwangs­ver­kauf des Landes.

Wäre das Geld eines Schweizer Zoos woan­ders nicht effek­tiver einge­setzt? Warum unter­stützt er ausge­rechnet ein Projekt, das sowieso auf die Hilfe der Reich­sten und Mäch­tig­sten zählen kann? Ein Schelm, wer „Green­wa­shing“ dabei denkt.

Die Craigs ergriffen die Flucht nach vorne. Lewa wurde zum Luxus-Safari-Resort. Die spek­ta­ku­lär­sten Tiere hatte man zwar längst erschossen, um Platz für Rinder zu machen. Doch man holte sich einfach neue Tiere aus der Nähe, wie ein kenia­ni­scher Verwal­tungs­be­amter dem Ethno­grafen Marlous van den Akker mitteilte (S. 145). Die LWC habe gesunde Tiere betäubt und abtrans­por­tiert, unter dem Vorwand, sie seien krank oder verletzt. Danach seien sie auf dem LWC-Gelände verblieben. Die kenia­ni­schen Behörden hätten die Craigs dabei komplett ignoriert.

Mit den neu ange­sie­delten Tieren kam auch etwas Tourismus-Umsatz. Immerhin war die Klientel reich und die Löhne tief. Noch heute verdient eine Hotel­lerie-Ange­stellte oder Wild­tier-Rangerin in Kenia keine 5000 Dollar im Jahr.

Dafür können Tourist*innen ab 7‘500 Dollar pro Nacht in der „Arijiju Safari Lodge“ über­nachten, gemäss Webseite „a beau­tiful, private home in the game-rich, malaria-free, Kenyan High­lands with rare, truly wild luxu­ries“. Auch der Zoo Zürich ist Reise­ver­an­stalter. Die ange­bo­tenen Lewa-Pauschal­reisen sind mit 11‘250 Franken für zwei Wochen etwas günstiger.

Aus der Hotel­lerie schöpft die LWC gemäss eigener Aussage aber nur 30 Prozent ihrer Einnahmen, der Rest komme vor allem durch Einzel­spenden zustande. Nur 15 Prozent der Spenden kämen von Zoos, Firmen und Stif­tungen. Darunter waren bereits die Welt­bank und der WWF (S. 146), sowie Disney und der San Diego Zoo, der grösste Tier­park der USA. Besser kann Fund­rai­sing kaum laufen.

Auch der briti­sche Staat unter­stützt die LWC. Prinz William machte Kate Midd­leton den Heirats­an­trag im Resort. Diese Gratis­wer­bung ist unbe­zahlbar. Auch Ex-Premier­mi­ni­ster Boris Johnson kam schon medi­en­wirksam vorbei. Und die Queen verlieh Ian Craig gar den briti­schen Ritter­orden.

Um mit diesem Wissen im Hinter­kopf zum Anfang zurück zu kommen: Wäre das Geld eines Schweizer Zoos woan­ders nicht effek­tiver einge­setzt? Warum unter­stützt er ausge­rechnet ein Projekt, das sowieso auf die Hilfe der Reich­sten und Mäch­tig­sten zählen kann? Ein Schelm, wer „Green­wa­shing“ dabei denkt.

Der weisse Retter Conservancy

Doch in Kenia geht die Kritik an „Conser­van­cies“ wie der LWC noch einiges weiter. Gut ein Zehntel des Landes ist heute geschütztes Gebiet in privater, meist weisser Hand. Dass Land ständig derselben Partei gehören muss, wider­spricht der noma­di­schen Lebens­weise, die etwa die Maasai praktizieren.

Unter dem Deck­mantel der Anti-Wilderei wurden kenia­ni­sche Wild­life Rangers seit den 1980ern para­mi­li­tä­risch aufgerüstet. 

„Conser­van­cies“ lösen diesen Konflikt meist durch Land­nut­zungs­ver­träge mit den Locals. Sie schmücken sich sogar damit, Stich­wort „Commu­nity Conser­va­tion“. Doch die Verträge werden bisweilen ohne Rechts­bei­stand abge­schlossen und sind oft unfair, verspro­chene Gegen­lei­stungen werden immer wieder nicht gelie­fert, Anwohner*innen gar vertrieben.

Private Insti­tu­tionen wie die LWC über­nehmen zudem nicht nur Land, sondern auch Staats­auf­gaben. So bestimmen wieder Weisse über Polizei, Bildung und Gesund­heits­ver­sor­gung auf „ihren“ Land­stri­chen. „Conser­van­cies“ bewegen sich somit irgendwo zwischen weissem Rettertum und kolo­nia­li­sti­schem „Land Grab“, wie der kenia­ni­sche Ökologe Dr. Mordecai Ogada hervor­hebt (am besten im Original lesen).

Und was, wenn doch jemand aufs geschützte Land kommt? Zeit­weise war die offi­zi­elle Devise „shoot to kill“. Unter dem Deck­mantel der Anti-Wilderei wurden kenia­ni­sche Wild­life Rangers seit den 1980ern para­mi­li­tä­risch aufge­rü­stet. Auch Ian Craigs Sohn führt seine eigene mili­tä­ri­sche Sicher­heits­firma, die Savanne gleicht einer Festung.

Der Zoo Zürich scheint davon zu wissen – und betei­ligt sich mit sicht­li­cher Begei­ste­rung an der Aufrü­stung der Lewa-Rangers: „Mit unserem Beitrag konnte der Heli­ko­pter so umge­rü­stet werden, dass dieser heute auch bei Dunkel­heit fliegt. […] Mit dem Heli­ko­pter können nun schnell bewaff­nete Sicher­heits­teams zur Verstär­kung vor Ort abge­setzt werden.“

Ich fragte Dr. Ogada, wie die Gewinne des Zürcher Zoos in Kenia tatsäch­lich sinn­voll einge­setzt werden könnten. Seine Antwort:

„Der Zoo sollte Zeit inve­stieren, um die Probleme in Kenia zu verstehen. Lösen müssen die Probleme aber Kenianer*innen.“ Und: „Wenn der Zoo unbe­dingt Geld inve­stieren will, soll er es öffent­li­chen kenia­ni­schen Univer­si­täten über­lassen, damit sie selbst die Themen erfor­schen und Lösungen finden können. Niemals privaten Insti­tu­tionen wie der LWC. Wenn das nicht geht, soll er sein Geld lieber behalten.“


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