Tier­quä­lerei mit Globuli

In Schweizer Ställen kommt immer öfter Homöo­pa­thie zum Einsatz. Unter­stützt wird die Pseu­do­wis­sen­schaft von der Milch­lobby und dem Bund. Kolum­nist Nico Müller hat in Abgründe geschaut, wo Ausbeu­tung auf Aber­glauben trifft. 
Wer die Krankheiten von Kühen mit Globuli statt mit Antibiotika behandelt, muss sich nicht an Absetzfristen halten, um die Milch wieder verkaufen zu können. (Bild: Polina Tankilevitch / Pexels)

„Bei Tren­nungs­schmerz kann Ignatia hilf­reich sein“, titelte die Bauern­zei­tung im Januar.

Der Tren­nungs­schmerz, um den es hier geht, ist der einer Mutterkuh und ihrem Kalb, das man ihr gestohlen hat. Das macht man in der Milch­in­du­strie einmal im Jahr, denn Kühe als Säuge­tiere müssen Junge kriegen, damit die Milch einschiesst. Das Kalb wird ihnen früh­zeitig wegge­nommen. Dass die Milch­kühe psychisch unter dieser Tren­nung leiden, ist wissen­schaft­lich belegt und wird auch von der Bauern­zei­tung nicht bezweifelt.

Und dagegen soll also Ignatia helfen, ein homöo­pa­thi­sches Mittel­chen. Es wird herge­stellt, indem die Igna­tius-Brech­nuss mit Wasser verdünnt und geschüt­telt wird, dann wird dieses Wasser wieder verdünnt und geschüt­telt, und so weiter. Nach einer bestimmten Zahl Verdün­nungs­schritte wird das Wasser auf Zucker­kü­gel­chen gesprüht, abge­packt und verkauft.

Einen Wirk­stoff enthält Ignatia nicht. In der von der Bauern­zei­tung empfoh­lenen „C30-Potenz“ wurde das Wasser so oft verdünnt, dass man sechs Milli­arden Tieren vier Milli­arden Jahre lang zwei Milli­arden Dosen pro Sekunde verab­rei­chen müsste, damit auch nur ein einziges Tier ein Molekül der ursprüng­li­chen Igna­tius-Brech­nuss bekommt.

Homöo­pa­thie soll ja auch nicht durch Wirk­stoffe heilen, sondern durch unbe­kannte „Ener­gien“ oder „Schwin­gungen“ im „Gedächtnis des Wassers“. Das ist klas­si­sche Pseu­do­wis­sen­schaft.

Woher hat die Bauern­zei­tung so was über­haupt? Ich habe den Fehler gemacht, nachzufragen.

Eiternde Wunden nach Enthor­nung? Ringelblume!

Auf meine Frage nach ihrer Quelle empfiehlt mir die überaus freund­liche Jour­na­li­stin der Bauern­zei­tung ein Buch: „Die homöo­pa­thi­sche Stall­apo­theke: 68 wich­tige Mittel für unsere Nutz­tiere mit Reper­to­rium“. Der Preis von 75 Franken tut zwar weh, aber für euch gehe ich zum Äusser­sten, liebe Leser*innenschaft. (Ein Fünf­liber ans Lamm tut da übri­gens viel weniger weh.)

Das Stall­apo­theken-Buch ist für Landwirt*innen gedacht, die ihre Tiere in Eigen­regie behan­deln möchten. Unter­schiede nach Spezies werden nicht gemacht: Kühe, Ziegen, Hunde und Katzen kann man mit den glei­chen Globuli versorgen.

Schaut einmal zum Fenster raus, wahr­schein­lich seht ihr bald ein Tier. Sie sind die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung. Doch in der Schweizer Medi­en­land­schaft werden sie meist igno­riert. Animal Poli­tique gibt Gegen­steuer. Nico Müller schreibt über Macht­sy­steme, Medien, Forschung und Lobby­ismus. Und denkt nicht, es gehe immer „nur“ um Tiere. Ihre Unter­drückung hängt oft mit der Unter­drückung von Menschen zusammen. Animal Poli­tique macht das sichtbar.

Nico Müller hat den Doktor in Tier­ethik gemacht und arbeitet an der Uni Basel. Daneben setzt er sich poli­tisch für Tier­schutz und ‑rechte ein, beson­ders mit dem Verein Animal Rights Switzerland.

Was für Zustände soll man nun homöo­pa­thisch behan­deln? Laut Einlei­tung: „Behan­deln Sie nur akute Krank­heiten, die nicht lebens­be­droh­lich sind, selber.“ Ein paar Beispiele, was das heissen kann, wört­lich aus dem Buch zitiert:

  • Fieber
  • Durch­fall
  • Abszesse
  • Mastitis mit gestautem, hartem, schmerz­haftem Euter
  • Lungen­ent­zün­dung
  • Augen­ent­zün­dung
  • Schürf­wunden (tief)
  • Verlet­zungen von Nerven­endi­gungen (Klauen)
  • Vergif­tete Wunden, Gangrän (fres­sendes Geschwür mit abster­bendem Gewebe), Ulzera (Geschwüre) blauschwarz
  • Eiternde Wunden nach Enthornung

Gegen diese und weitere Symptome empfiehlt das Buch verschie­dene Globuli, deren geschüt­teltes Wasser sich angeb­lich noch an Zutaten wie Toll­kir­sche, Ringel­blume, Hunde­milch, verwe­stes Rind­fleisch, Schiess­pulver oder „gerö­steter Bade­schwamm“ erin­nert. Oder eben an Ignatius-Brechnuss.

Sollte man bei den oben geli­steten Symptomen nicht eher die Tier­ärztin rufen? Laut Instruk­tion im Buch kommt das erst nach der eigenen Behand­lung, nicht vorher: „Spricht das Tier nicht auf die eigene Behand­lung an, ist recht­zeitig der Tier­ho­möo­path oder Tier­arzt zuzuziehen.“

Recht­zeitig, schon klar. Wann das ist, muss die Land­wirtin selbst wissen. Und statt einer Tier­ärztin kann sie auch nur eine Homöo­pathin rufen. Das Buch ist in seiner dritten Auflage und wurde laut Autorin bisher gut 2’000 Mal verkauft. Auch sie war übri­gens sehr freund­lich und merkte sogar an, ihr gefalle meine Kolumne. Ich fürchte, heute verliere ich eine Leserin.

Was kommt dabei raus, wenn man tausenden Landwirt*innen empfiehlt, Tiere mal auf eigene Faust mit esote­ri­schen Wunder­mit­tel­chen zu versorgen?

Tier­quä­lerei durch Homöopathie

Das fragt man am besten die Stif­tung für das Tier im Recht, eine gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tion unab­hän­giger Expert*innen fürs Tier­schutz­recht. In ihrer Daten­bank von Tier­schutz-Straf­fällen findet man alle ein bis zwei Jahre Fälle von Tier­quä­lerei, die mit Nutz­tier-Homöo­pa­thie in Verbin­dung stehen.

Hier nur drei Beispiele aus den letzten Jahren:

Kanton Aargau, 2021: „Der Beschul­digte behan­delt eine stark lahmende und abge­ma­gerte Kuh mit homöo­pa­thi­schen Mitteln, anstatt einen Tier­arzt beizu­ziehen. Die Kuh musste zwei Tage nach der Kontrolle aufgrund ihrer aussichts­losen Prognose erlöst werden.“

Kanton Zürich, 2018: „Die Kuh weist eine grosse, offene und nässende Masse über dem Auge auf. Der Abszess hat sich über knapp acht Monate entwickelt und ist nur einmal tier­ärzt­lich unter­sucht und mit Anti­bio­tika versorgt worden. In der Folge behan­delt der Beschul­digte die Wunde mit homöo­pa­thi­schen Mitteln und einer Salbe. Dies führt nicht zu einer Besse­rung. Der Beschul­digte unter­lässt es, die Kuh noch­mals tier­ärzt­lich versorgen zu lassen. Aufgrund der starken Schmerzen muss die Kuh geschlachtet werden.“

Kanton Obwalden, 2017: „Der Beschul­digte stellt bei einem Rind an der rechten Kopf­seite eine Entzün­dung fest und behan­delt diese angeb­lich mit homöo­pa­thi­schen Mitteln und einer Zugsalbe. Trotz Verschlim­me­rung und Vergrös­se­rung der Phleg­mone ändert der Tier­halter seine unwirk­same Behand­lung nicht und zieht keinen Tier­arzt hinzu. Die Entzün­dung wird im Verlauf von zirka vier Wochen massiv grösser, nekro­tisch und die Haut löst sich ab. Daraufhin entschliesst sich der Beschul­digte, das Tier zur Notschlach­tung anzumelden.“

In diesen Fällen ist das Recht einge­schritten. Denn wie mir die Rechts­aus­kunft der Stif­tung erklärt, macht man sich als Tierhalter*in strafbar, wenn man keine ausrei­chende medi­zi­ni­sche Versor­gung sicher­stellt. Man darf ein Tier also nicht ausschliess­lich homöo­pa­thisch behan­deln, wenn es echte medi­zi­ni­sche Hilfe braucht. 

Das heisst aber im Umkehr­schluss auch: Solange sich ein Tier ohne Medi­ka­tion durch seine Verlet­zungen, seine Krank­heiten, sein psychi­sches Leiden durch­beissen kann, darf man auch wirkungslos homöo­pa­thisch behan­deln – oder gar nichts tun. Es geht dem Tier zwar mise­rabel, aber es stirbt nicht daran.

Keine Anti­bio­tika, keine Absetzfristen

Auf den letzten zehn Seiten der „Stall­apo­theke“ findet man ein Sammel­su­rium von Inse­raten für Esoterik-Produkte. Nicht nur Homöo­pa­thie, auch etwa Bach-Blüten­the­rapie und Effek­tive Mikro­or­ga­nismen. Anything goes.

Eben­falls vertreten ist ein Inserat des Vereins Kome­tian, der das Buch wiederum weiter­ver­kauft. Wer sich ein Bild des Vereins verschaffen will, kann sich gerne den eigen­wil­ligen Image-Film ansehen.

Homöo­pa­thie ist deshalb auch die ideale Lösung, um die Produkte von kranken, verletzten oder sonst wie leidenden Tieren verkaufen zu können.

Kome­tian bietet haupt­säch­lich eine Homöo­pa­thie-Hotline für Nutz­tier­hal­tende an. Unter­stützt wird er dabei von den Schweizer Milch­pro­du­zenten als Haupt­sponsor mit minde­stens 50’000 Franken über drei Jahre. Auch die Firma Emmi war in der Vergan­gen­heit Haupt­spon­sorin. Und das Bundesamt für Land­wirt­schaft sprach schon mal über zwei Millionen.

Wieso? Nun, den Spon­soren geht es vor allem um eines: die Reduk­tion des gemein­ge­fähr­lich hohen Einsatzes von Anti­bio­tika in der Land­wirt­schaft. Das ist an sich ein verständ­li­ches Anliegen. Denn werden in der Massen­tier­hal­tung weiterhin so viele Anti­bio­tika einge­setzt, ist das ein Nähr­boden für resi­stente Keime, aus denen sich auch Pande­mien entwickeln können.

Die konse­quente Lösung wäre, die tieri­sche Land­wirt­schaft stra­te­gisch abzu­bauen und den Konsum pflanz­li­cher Lebens­mittel zu fördern, wie es die soeben lancierte Vegi-Initia­tive fordert und wie es das Netz­werk für Nach­hal­tig­keits­lö­sungen SDSN empfiehlt. Die bequeme Lösung ist jedoch, den Landwirt*innen esote­ri­schen Bull­shit zu verkaufen und die Tiere ihre Krank­heiten unbe­han­delt durch­stehen zu lassen.

Das Kome­tian-Inserat macht keinen Hehl daraus, dass es dabei auch ums Geld geht:

„Ihr Nutzen

  • Bera­tung tele­fo­nisch, vor Ort und in Bestan­des­be­glei­tung durch Fach­per­sonen gegen Verrechnung
  • Senkung des Medikamenteneinsatzes
  • tiefere Arznei­mit­tel­ko­sten
  • keine Absetz­fri­sten nach Behandlungen
  • Das Risiko von Rück­ständen (z.B. Anti­bio­tika in der Milch) wird entschärft.“

Die Absetz­frist ist die Zeit­spanne, die man nach Verab­rei­chung eines Medi­ka­ments abwarten muss, bevor man mit einem Tier Lebens­mittel herstellen darf. Wer einer Milchkuh Anti­bio­tika gibt, darf ihre Milch eine Weile lang nicht verkaufen. Verab­reicht man nur homöo­pa­thi­sche Zucker­kü­gel­chen ohne Wirk­stoff, entfällt das natürlich.

Homöo­pa­thie ist deshalb auch die ideale Lösung, um die Produkte von kranken, verletzten oder sonst wie leidenden Tieren verkaufen zu können.

Ausbeu­tungs­logik trifft Aberglauben

Auf einer Webseite verweist auch der Bauern­ver­band auf Kome­tian. Die Seite dient zur Image­pflege und war unter anderem Teil des Abstim­mungs­kampfes gegen die Pestizid- und Trinkwasserinitiativen.

Die Tier­ge­sund­heit liege dem Bauern­ver­band am Herzen, beteuert die Webseite. „Denn nur gesunde Nutz­tiere sind leistungs­fähig und produ­zieren einwand­freie Lebens­mittel wie Milch, Fleisch oder Eier.“ Dass Tiere eigene Bedürf­nisse haben, die sich nicht mit den Nutzungs­in­ter­essen ihrer Besitzer*innen decken, wird hier voll­kommen verleugnet.

Leistung ist nicht gleich Gesund­heit. Leistung ist oft nur das Resultat effek­tiver Ausbeu­tung. Das ist bei Menschen und Tieren genau gleich.

Selbst­ver­ständ­lich ist es Quatsch, was der Bauern­ver­band da sagt. Auch mensch­liche Arbeiter*innen können sehr viel leisten, ohne dass es ihnen dabei gut geht. Leistung ist nicht gleich Gesund­heit. Leistung ist oft nur das Resultat effek­tiver Ausbeu­tung. Das ist bei Menschen und Tieren genau gleich.

Einen Schwei­ne­körper kann man zu Fleisch machen, auch wenn er chro­ni­sche Schmerzen leidet. Ein Huhn legt Eier, auch wenn es ein gebro­chenes Brust­bein hat. Eine Kuh kann man melken, auch wenn sie eine unbe­han­delte Augen­ent­zün­dung hat.

Oder wenn sie apathisch ist, nicht essen will und nach dem Kalb ruft, das man ihr wegge­nommen hat. Dann gibt man ihr ein paar Ignatia-Zucker­kü­gel­chen, tätschelt ihren Rücken und redet ihr gut zu. Ein allein­ge­las­se­neres Wesen kann man sich auf der Welt kaum vorstellen.


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