Die Lösung für alles

Unsere Kolum­ni­stin maia arson crimew sinniert im Zürcher Ausgang über den AI-Hype: Warum AI gar nicht so viel Energie verbraucht, weshalb die Copy­right-Debatte ins Leere läuft – und wieso das Ende der AI-Bubble naht. 
AI sind keine allwissende Roboter, sondern gigantische Statistikmodelle. Wirklich wissen kann ein AI-Modell also nichts, schlussfolgert unsere Kolumnistin. (Bild: Nick Fewings / Unsplash)

Vor ein paar Wochen war ich mal wieder mit Freund*innen in Zürich im Ausgang und es war wie immer eine verwir­rende Nacht. Ange­fangen hat es mit dem julie Konzert im Bogen F bei der Hard­brücke, wo man für ein Vodka-Mate ganze 16 Franken 50 zahlt und offenbar noch nie jemand etwas von „Tanzen“ gehört hat.

Nach dieser mittel­mäs­sigen Konzert­ex­pe­ri­ence konnten wir natür­lich nicht schon nach Hause – also ging’s ab ins Nieder­dörfli. Wie erwartet waren sowohl die Metalbar Ebrietas als auch das ROBIN’s um diese Zeit komplett voll, deshalb blieb uns nur noch die letzte Option: die Gräb­libar um die Ecke, das Klischee einer „Kneipe“ schlechthin. Ihr Klientel ist ein wilder Mix von Männern über fünfzig und anderen einsamen Menschen. Jede*r, die*der den Raum betritt, wird Teil dieser Welt; und die gemein­same Einsam­keit ist irgendwie gemüt­lich. Als Gruppe passten wir zwar nicht ganz ins Schema, weshalb wir uns an einen unauf­fäl­ligen Tisch in einer Ecke verkrochen.

In unserem Versteck waren wir aber nicht lange sicher: Nach wenigen Minuten steuert ein unge­fähr 70-jähriger ange­trun­kener Mann mit Klein­geld in der Hand direkt auf uns zu. Da wurde uns klar, dass wir direkt neben der Jukebox sassen. Er sorge dafür, dass hier nur gute Musik liefe, erklärte uns der Mann, als er sein Geld einwarf und Songs von AC/DC und The Rolling Stones in die Warte­schlaufe wählte.

Der Mann liess nicht von uns ab, kam alle paar Minuten wieder zu uns rüber und erklärte uns, wie die Jukebox funk­tio­niert und wollte wissen, was wir von seiner Musik hielten. Dann holte er seinen Ruck­sack vom Bartresen und packte fünf A4-Drucke aus, die jeweils ein AI gene­riertes Bild einer Bar zeigten. «Das ist meine Vorstel­lung einer Spunte, in der nur gute Musik läuft», erklärte er uns stolz. Offenbar war er so genervt von der Musik­ro­ta­tion im Gräbli, dass er lieber zusammen mit ChatGPT von seiner eigenen Bar träumte.

In dem Moment wird mir klar, dass die Vermark­tung von AI als «Lösung für alles und alle», wie sie derzeit betrieben wird, bei einigen Leuten tatsäch­lich fruchtet.

Endlich alle Probleme gelöst

Gene­ra­tive AI, also Large Language Models (LLM), sind künst­liche Intel­li­genzen wie ChatGPT und Co., die darauf trai­niert wurden, Text zu verstehen und zu erzeugen. Auch bei Image oder Song Gene­ra­tion Models handelt es sich um Gene­ra­tive AI wie beispiels­weise DALL·E, die mittels Beschrei­bungen Bilder und Musik gene­rieren können. Gene­ra­tive AI ist eines der hotte­sten Topics der Gegenwart.

Für die AI-Firmen gilt: Den Hype vergrös­sern und die unwahr­schein­liche Idee einer „tatsäch­li­chen“ Künst­li­chen Intel­li­genz zu verkaufen.

Auch mich beschäf­tigt sie auf viele Weisen: Ist AI fester Bestand­teil der zukünf­tigen Arbeits­welt oder nimmt sie nur Künstler*innen und Schrei­benden die Arbeit weg? Wieso genau wird Come­dian Karpi dauernd von SRF und Co. dafür bezahlt, mit MidJourney unlu­stige Bilder und Songs zu gene­rieren? Wie scheisse für die Umwelt ist gene­ra­tive AI tatsäch­lich? Und gibt es je gute Gründe, sie zu verwenden? (Die zweite Frage ist zuge­ge­be­ner­massen etwas, das mich ganz persön­lich nervt, da das SRF offenbar kein Geld mehr für fundierte Inhalte hat und viele Formate streicht.)

Obwohl LLMs derzeit als allwis­sende und allkön­nende Roboter ange­priesen werden, sind sie nichts Weiteres als ultra grosse Stati­stik­mo­delle, die möglichst präzise versu­chen voraus­zu­sagen, welches Wort am wahr­schein­lich­sten nach dem anderen kommt. Wirk­lich wissen kann kein AI-Modell auch nur irgend­etwas. Am besten sind diese Tools deshalb im Analy­sieren von struk­tu­rierten Daten. In der IT zum Beispiel können LLM basierte Tools die Analyse von riesigen Mengen Daten verein­fa­chen, was Analyst*innen ermög­licht, sich mehr auf andere Aspekte ihrer Arbeit zu fokus­sieren, ohne dass sie selbst über­flüssig werden.

Als Schrei­bende können LLMs mega prak­tisch sein, wenn man eine Rede­wen­dung oder ein Wort vergessen hat. Es gibt Unmengen solcher kleinen Tasks, bei denen Gene­ra­tive AIs tatsäch­lich bei der Arbeit helfen können. Hingegen gibt es prak­tisch keinen Usecase, der allein von einer LLM erle­digt werden kann, anstatt von sepa­raten (und viel effi­zi­en­teren) spezia­li­sierten AI-Modells.

Aber anstatt weiter an spezia­li­sierten Lösungen zu arbeiten, hat die Indu­strie gröss­ten­teils beschlossen, dass LLMs und andere Gene­ra­tive Models die Lösung für einfach alles sind – da sie sich effi­zi­enter an Kund*innen und Investor*innen verkaufen lassen.

Limit und Ende der AI

Das Problem damit? Es kostet verdammt viel, ein solches Modell zu trai­nieren, sowohl Geld als auch Energie. Das Trai­nieren des Modells ist aber der einzige Moment, wo AI tatsäch­lich viel Energie verschwendet. Die meisten anderen Zahlen zum AI-Ener­gie­auf­wand sind entweder komplett erfunden oder zumin­dest weit über­trieben.

Wenn die Firmen und der mediale Hype ehrlich damit wäre, dass LLMs und Image Gene­ra­tion Modelle nur sehr wenige Aufgaben zufrie­den­stel­lend erle­digen können, würden Firmen wie Open AI nie die Invest­ments in Milli­ar­den­höhe erhalten, wie sie es gerade tun. Für die AI-Firmen gilt also weiterhin: den Hype vergrös­sern und die unwahr­schein­liche Idee einer „tatsäch­li­chen“ Künst­li­chen Intel­li­genz an die Inve­storen zu verkaufen.

In unserem aktu­ellen Wirt­schafts­sy­stem sind Menschen in Krea­ti­v­jobs sowieso schon nahe an der Preka­rität. Eine Maschine die ihre Arbeit auto­ma­ti­siert, macht verständ­li­cher­weise Angst.

Leider machen es AI-Tools wie MidJourney (Image Gene­ra­tion), Suno (Music Gene­ra­tion), ChatGPT und Co. auch super attraktiv, ganz einfach Illu­stra­tionen, Texte oder Musik gratis zu gene­rieren, anstatt Künstler*innen oder Schrei­bende dafür bezahlen zu müssen. Etwas wirk­lich Gutes kommt dabei zwar nie heraus – aber immerhin ging es schnell und man konnte sich die Ausgaben sparen. Diese Verwen­dung von AI ist offen­sicht­lich ein arbeits­po­li­ti­sches Problem: In unserem aktu­ellen Wirt­schafts­sy­stem sind Menschen in Krea­ti­v­jobs meist sowieso schon nahe an der Preka­rität. Eine Maschine, die ihre Arbeit auto­ma­ti­siert, macht verständ­li­cher­weise Angst.

Als Reak­tion auf dieses Problem erklingen von über­allher Rufe nach mehr Copy­right-Gesetzen, die verhin­dern sollen, dass AI einfach so mit der Arbeit von Krea­tiv­schaf­fenden trai­niert werden kann. Was das bringen soll, ist mir aber unklar, denn die AI-Firmen brechen schon jetzt Copy­right-Gesetze, wo auch immer sie können. Sie verwenden sogar Piracy Webseiten, um an Buch­texte zu gelangen. Bereits jetzt sind Künstler*innen ohnmächtig, wenn sich Disney oder andere Mega­corps entscheiden, ihre Arbeit zu kopieren – ganz ohne AI. Das einzige, was derzeitig vorge­schla­gene Regu­la­tionen zum Effekt hätten, sind weitere Einschrän­kungen für Künstler*innen.

Viele Schrei­bende heut­zu­tage beginnen ihre Karriere mit Fanfic­tion, Künstler*innen mit Fanart und Musi­ke­rinnen mit Bootleg-Remixes und Covers ihrer Lieb­lings­lieder. Grosse Teile der Welt können viele Filme, Bücher und Games nur dank Piracy geniessen. All dies befindet sich in denselben recht­li­chen Grau- und Schwarz­zonen, in denen sich auch die AI-Firmen befinden. Mögliche Verschär­fungen der Copy­right­ge­setze würden aber vor allem kleine Künstler*innen treffen, die im Gegen­satz zu Giganten wie Open AI, Disney und Co. keine Anwält*innen bezahlen können, die ihnen den Rücken freihalten.

Das Ende der AI-Bubble wird wahr­schein­lich sowieso die sich rasant nähernde US-Finanz­krise sein und nicht eine Copy­right­de­batte, eine Diskus­sion über Ener­gie­ver­brauch, bei welcher beide Seiten unter­schied­liche, meist inkor­rekte Daten verwenden oder ein magi­scher Wende­punkt, bei dem sich plötz­lich die ganze Welt einig ist, was den Umgang mit AI angeht.

Die AI-Bilder des alten Mannes liessen wir am Ende der Nacht zum Glück hinter uns und schafften es auf zwei Runden Met ins Ebrietas. Was genau Boomer Rock mit AI zutun hat, habe ich da aber längst vergessen. Weshalb Karpi weiterhin für seine unlu­stige „AI Comedy“ bezahlt wird, verstehe ich auch nach mehreren Drinks nicht, aber ich frage mich, ob die älteren Gäste im Ebri wohl auch heim­lich von einer besseren Bar träumen, in der nur Boomer-Metal läuft?


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