Vor ein paar Wochen war ich mal wieder mit Freund*innen in Zürich im Ausgang und es war wie immer eine verwirrende Nacht. Angefangen hat es mit dem julie Konzert im Bogen F bei der Hardbrücke, wo man für ein Vodka-Mate ganze 16 Franken 50 zahlt und offenbar noch nie jemand etwas von „Tanzen“ gehört hat.
Nach dieser mittelmässigen Konzertexperience konnten wir natürlich nicht schon nach Hause – also ging’s ab ins Niederdörfli. Wie erwartet waren sowohl die Metalbar Ebrietas als auch das ROBIN’s um diese Zeit komplett voll, deshalb blieb uns nur noch die letzte Option: die Gräblibar um die Ecke, das Klischee einer „Kneipe“ schlechthin. Ihr Klientel ist ein wilder Mix von Männern über fünfzig und anderen einsamen Menschen. Jede*r, die*der den Raum betritt, wird Teil dieser Welt; und die gemeinsame Einsamkeit ist irgendwie gemütlich. Als Gruppe passten wir zwar nicht ganz ins Schema, weshalb wir uns an einen unauffälligen Tisch in einer Ecke verkrochen.
In unserem Versteck waren wir aber nicht lange sicher: Nach wenigen Minuten steuert ein ungefähr 70-jähriger angetrunkener Mann mit Kleingeld in der Hand direkt auf uns zu. Da wurde uns klar, dass wir direkt neben der Jukebox sassen. Er sorge dafür, dass hier nur gute Musik liefe, erklärte uns der Mann, als er sein Geld einwarf und Songs von AC/DC und The Rolling Stones in die Warteschlaufe wählte.
Der Mann liess nicht von uns ab, kam alle paar Minuten wieder zu uns rüber und erklärte uns, wie die Jukebox funktioniert und wollte wissen, was wir von seiner Musik hielten. Dann holte er seinen Rucksack vom Bartresen und packte fünf A4-Drucke aus, die jeweils ein AI generiertes Bild einer Bar zeigten. «Das ist meine Vorstellung einer Spunte, in der nur gute Musik läuft», erklärte er uns stolz. Offenbar war er so genervt von der Musikrotation im Gräbli, dass er lieber zusammen mit ChatGPT von seiner eigenen Bar träumte.
In dem Moment wird mir klar, dass die Vermarktung von AI als «Lösung für alles und alle», wie sie derzeit betrieben wird, bei einigen Leuten tatsächlich fruchtet.
Endlich alle Probleme gelöst
Generative AI, also Large Language Models (LLM), sind künstliche Intelligenzen wie ChatGPT und Co., die darauf trainiert wurden, Text zu verstehen und zu erzeugen. Auch bei Image oder Song Generation Models handelt es sich um Generative AI wie beispielsweise DALL·E, die mittels Beschreibungen Bilder und Musik generieren können. Generative AI ist eines der hottesten Topics der Gegenwart.
Für die AI-Firmen gilt: Den Hype vergrössern und die unwahrscheinliche Idee einer „tatsächlichen“ Künstlichen Intelligenz zu verkaufen.
Auch mich beschäftigt sie auf viele Weisen: Ist AI fester Bestandteil der zukünftigen Arbeitswelt oder nimmt sie nur Künstler*innen und Schreibenden die Arbeit weg? Wieso genau wird Comedian Karpi dauernd von SRF und Co. dafür bezahlt, mit MidJourney unlustige Bilder und Songs zu generieren? Wie scheisse für die Umwelt ist generative AI tatsächlich? Und gibt es je gute Gründe, sie zu verwenden? (Die zweite Frage ist zugegebenermassen etwas, das mich ganz persönlich nervt, da das SRF offenbar kein Geld mehr für fundierte Inhalte hat und viele Formate streicht.)
Obwohl LLMs derzeit als allwissende und allkönnende Roboter angepriesen werden, sind sie nichts Weiteres als ultra grosse Statistikmodelle, die möglichst präzise versuchen vorauszusagen, welches Wort am wahrscheinlichsten nach dem anderen kommt. Wirklich wissen kann kein AI-Modell auch nur irgendetwas. Am besten sind diese Tools deshalb im Analysieren von strukturierten Daten. In der IT zum Beispiel können LLM basierte Tools die Analyse von riesigen Mengen Daten vereinfachen, was Analyst*innen ermöglicht, sich mehr auf andere Aspekte ihrer Arbeit zu fokussieren, ohne dass sie selbst überflüssig werden.
Als Schreibende können LLMs mega praktisch sein, wenn man eine Redewendung oder ein Wort vergessen hat. Es gibt Unmengen solcher kleinen Tasks, bei denen Generative AIs tatsächlich bei der Arbeit helfen können. Hingegen gibt es praktisch keinen Usecase, der allein von einer LLM erledigt werden kann, anstatt von separaten (und viel effizienteren) spezialisierten AI-Modells.
Aber anstatt weiter an spezialisierten Lösungen zu arbeiten, hat die Industrie grösstenteils beschlossen, dass LLMs und andere Generative Models die Lösung für einfach alles sind – da sie sich effizienter an Kund*innen und Investor*innen verkaufen lassen.
Limit und Ende der AI
Das Problem damit? Es kostet verdammt viel, ein solches Modell zu trainieren, sowohl Geld als auch Energie. Das Trainieren des Modells ist aber der einzige Moment, wo AI tatsächlich viel Energie verschwendet. Die meisten anderen Zahlen zum AI-Energieaufwand sind entweder komplett erfunden oder zumindest weit übertrieben.
Wenn die Firmen und der mediale Hype ehrlich damit wäre, dass LLMs und Image Generation Modelle nur sehr wenige Aufgaben zufriedenstellend erledigen können, würden Firmen wie Open AI nie die Investments in Milliardenhöhe erhalten, wie sie es gerade tun. Für die AI-Firmen gilt also weiterhin: den Hype vergrössern und die unwahrscheinliche Idee einer „tatsächlichen“ Künstlichen Intelligenz an die Investoren zu verkaufen.
In unserem aktuellen Wirtschaftssystem sind Menschen in Kreativjobs sowieso schon nahe an der Prekarität. Eine Maschine die ihre Arbeit automatisiert, macht verständlicherweise Angst.
Leider machen es AI-Tools wie MidJourney (Image Generation), Suno (Music Generation), ChatGPT und Co. auch super attraktiv, ganz einfach Illustrationen, Texte oder Musik gratis zu generieren, anstatt Künstler*innen oder Schreibende dafür bezahlen zu müssen. Etwas wirklich Gutes kommt dabei zwar nie heraus – aber immerhin ging es schnell und man konnte sich die Ausgaben sparen. Diese Verwendung von AI ist offensichtlich ein arbeitspolitisches Problem: In unserem aktuellen Wirtschaftssystem sind Menschen in Kreativjobs meist sowieso schon nahe an der Prekarität. Eine Maschine, die ihre Arbeit automatisiert, macht verständlicherweise Angst.
Als Reaktion auf dieses Problem erklingen von überallher Rufe nach mehr Copyright-Gesetzen, die verhindern sollen, dass AI einfach so mit der Arbeit von Kreativschaffenden trainiert werden kann. Was das bringen soll, ist mir aber unklar, denn die AI-Firmen brechen schon jetzt Copyright-Gesetze, wo auch immer sie können. Sie verwenden sogar Piracy Webseiten, um an Buchtexte zu gelangen. Bereits jetzt sind Künstler*innen ohnmächtig, wenn sich Disney oder andere Megacorps entscheiden, ihre Arbeit zu kopieren – ganz ohne AI. Das einzige, was derzeitig vorgeschlagene Regulationen zum Effekt hätten, sind weitere Einschränkungen für Künstler*innen.
Viele Schreibende heutzutage beginnen ihre Karriere mit Fanfiction, Künstler*innen mit Fanart und Musikerinnen mit Bootleg-Remixes und Covers ihrer Lieblingslieder. Grosse Teile der Welt können viele Filme, Bücher und Games nur dank Piracy geniessen. All dies befindet sich in denselben rechtlichen Grau- und Schwarzzonen, in denen sich auch die AI-Firmen befinden. Mögliche Verschärfungen der Copyrightgesetze würden aber vor allem kleine Künstler*innen treffen, die im Gegensatz zu Giganten wie Open AI, Disney und Co. keine Anwält*innen bezahlen können, die ihnen den Rücken freihalten.
Das Ende der AI-Bubble wird wahrscheinlich sowieso die sich rasant nähernde US-Finanzkrise sein und nicht eine Copyrightdebatte, eine Diskussion über Energieverbrauch, bei welcher beide Seiten unterschiedliche, meist inkorrekte Daten verwenden oder ein magischer Wendepunkt, bei dem sich plötzlich die ganze Welt einig ist, was den Umgang mit AI angeht.
Die AI-Bilder des alten Mannes liessen wir am Ende der Nacht zum Glück hinter uns und schafften es auf zwei Runden Met ins Ebrietas. Was genau Boomer Rock mit AI zutun hat, habe ich da aber längst vergessen. Weshalb Karpi weiterhin für seine unlustige „AI Comedy“ bezahlt wird, verstehe ich auch nach mehreren Drinks nicht, aber ich frage mich, ob die älteren Gäste im Ebri wohl auch heimlich von einer besseren Bar träumen, in der nur Boomer-Metal läuft?
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