Die Moral ist egal

Billie Eilishs Auffor­de­rung an Milliardär*innen, ihr Vermögen zu teilen, ist zwar sympa­thisch – poli­tisch aber irre­füh­rend. Selbst wenn Über­reiche die gross­zü­gig­sten Menschen der Welt wären, würden Spenden die Struk­turen nicht anta­sten, die ihren Reichtum und ihre Macht über­haupt erst hervorbringen. 
Echte Grosszügigkeit würde bedeuten, Besitz, Macht und Kontrolle demokratisch zu teilen – nicht Geld zu «spenden». (Bild: Screenshot nTV)

«Wenn du ein Milli­ardär bist – warum bist du ein Milli­ardär?», fragte die Popikone Billie Eilish letzte Woche an einer Veran­stal­tung des Wall Street Jour­nals. Im Publikum sassen so promi­nent wie reiche Gäste, beispiels­weise Face­book-Gründer und Multi­mil­li­ardär Mark Zucker­berg. «Kein Hate, aber gebt euer Geld ab, Shor­ties», appel­lierte die 23-Jährige, deren Vermögen auf 50 Millionen geschätzt wird, an noch reichere Personen. Sie selbst will 11.5 Millionen Dollar (rund neun Millionen Franken) der Einnahmen ihrer letzten ausver­kauften Tour an Orga­ni­sa­tionen für Ernäh­rungs­ge­rech­tig­keit und Umwelt­schutz spenden.

Dieser Appell an die Gross­zü­gig­keit über­rei­cher Personen ist zwar diskursiv erfri­schend, poli­tisch aber wirkungslos. Die globalen Besitz­ver­hält­nisse werden immer unglei­cher und konzen­trierter Reichtum steht der Ausbeu­tung der Vielen gegen­über. Das Ziel einer Linken kann nicht darin bestehen, auf die Spen­den­freude der Über­rei­chen zu hoffen. Erstens, weil sie mit grosser Wahr­schein­lich­keit ausbleibt. Zwei­tens, weil sie nichts an der grund­le­genden Vertei­lung von Besitz und Macht ändern würde.

Gross­zü­gige Kapitalist*innen

Mitt­ler­weile besitzen die reich­sten zehn Prozent der Welt über 85 Prozent des globalen Vermö­gens. Das bedeutet nicht nur, dass sie sich Yachten, Villen und Privat­jets leisten können und damit unser aller CO2-Budget in kürze­ster Zeit sprengen. Vor allem bedeutet es, dass sehr wenige über das verfügen, was alle zum Leben brau­chen und wofür Milli­arden Menschen täglich arbeiten: über Unter­nehmen, die Lebens­mittel herstellen, den Boden, auf dem alle wohnen, oder Medi­en­kon­zerne, von deren Infor­ma­tionen wir abhängen.

Für den Kapi­ta­lismus ist die Moral der Kapitalist*innen irrele­vant. Milliardär*innen können die freund­lich­sten Menschen sein, ihre Ange­stellten lieben und sich als phil­an­tro­pisch verstehen – das ändert nichts daran, dass sie Teil der herr­schenden Klasse eines Systems sind, das starke Ungleich­heit produ­ziert. Ihre Absichten sind zweit­rangig; weil auch sie sich den ökono­mi­schen Zwängen und Einschrän­kungen des Marktes unter­werfen müssen. Als Eigentümer*innen der Unter­nehmen müssen sie ihren Investor*innen Profite sichern und weiter wachsen – unge­achtet ihrer persön­li­chen Über­zeu­gungen oder Gefühle.

Zwar belohnt der Konkur­renz­kampf unso­ziales Verhalten, aber es ist durchaus möglich, dass sich die herr­schende Klasse als mora­lisch im Sinne von queer­freund­lich, anti­ras­si­stisch oder ökolo­gisch versteht. Es ist theo­re­tisch kein Wider­spruch, sich eine queere, Schwarze Konzern­be­sit­zerin vorzu­stellen, die an den Klima­wandel glaubt und ihr best­mög­li­ches dagegen unter­nimmt. Wirk­lich ökolo­gisch, queer­freund­lich und anti­ras­si­stisch könnte sie aufgrund der selben ökono­mi­schen Zwänge, die sie zur Milli­ar­därin gemacht haben, zwar nie sein – doch sie kann sich so geben und selbst begreifen und auch von anderen so verstanden werden.

Die Absichten der Milliardär*innen sind zweit­rangig; weil auch sie sich den ökono­mi­schen Zwängen und Einschrän­kungen des Marktes unter­werfen müssen.

Selbst wenn ein Milli­ardär so gross­zügig wäre, dass er all sein Vermögen verschenken würde und nur noch den globalen Durch­schnitts­be­sitz von rund 10’000 Dollar hätte, würde sich an der Struktur des Systems nichts ändern. An die Stelle des gross­zü­gigen Milli­ar­därs träte sofort ein anderer. Das Problem ist nicht der Charakter Einzelner, sondern unser globales Gesell­schafts- und Wirt­schafts­sy­stem, das uns in zwei Klassen teilt: Die Besit­zenden und die, die für sie arbeiten müssen, um zu überleben.

Nehmen, um zu geben

Es ist ausserdem ein sinn­be­freiter Vorgang, wenn die Milliardär*innen ihren Reichtum erst durch den Profit, den sie ihren Ange­stellten vorent­halten, erwirt­schaften, um ihn später wieder «zurück zu spenden». Der logi­sche Schritt wäre, eine Wirt­schaft aufzu­bauen, in der diese Ausbeu­tung und Konzen­tra­tion von Reichtum und Macht gar nicht erst statt­findet. Eine klas­sen­lose Gesell­schaft also, in der niemand auf den guten Willen einzelner Spender*innen ange­wiesen ist.

Die soge­nannte Phil­an­thropie der Milliardär*innen ist selten unei­gen­nützig – klar, sonst würde sich ihre ökono­mi­sche und soziale Stel­lung verschlech­tern. Es gibt etliche Berichte darüber, wie Reiche durch Spenden ökono­mi­sche Macht ausüben, in soziale Sphären eingreifen, demo­kra­ti­sche Prozesse umgehen und öffent­liche Insti­tu­tionen beein­flussen.

Würde Zucker­berg sein Vermögen tatsäch­lich «teilen», müsste er die Kontrolle über Face­book, Insta­gram und WhatsApp voll­ständig aufgeben und an seine Ange­stellten übertragen.

Ausserdem – das weiss man im Land der Stif­tungen und Steu­er­tricks sehr gut – werden phil­an­thro­pi­sche Spenden steu­er­lich geför­dert und bleiben oft intrans­pa­rent in privaten Stif­tungen verborgen. Was Milli­ar­däre «spenden» nennen, ist oft nur ein neues Gefäss für ihr Kapital: Mark Zucker­berg etwa kündigte 2015 an, 99 Prozent seiner Face­book-Aktien zu «spenden». Wie gross­zügig – nur gehen diese Spenden an eine von ihm kontrol­lierte Gesell­schaft, die Lobbying und Risi­ko­in­ve­sti­tionen betreiben kann, aber niemandem öffent­liche Rechen­schaft schuldet.

Auch die Initia­tive «The Giving Pledge», 2010 von Bill Gates und Warren Buffett ins Leben gerufen, zeigt den Wider­spruch zwischen Gross­zü­gig­keit und Über­reichtum: Über­reiche verspre­chen darin, den Gross­teil ihres Vermö­gens zu spenden – eine mora­li­sche Geste ohne recht­liche Verpflich­tung. In den veröf­fent­lichten Begleit­briefen begründen sie ihre Gross­zü­gig­keit selten mit Refle­xion über struk­tu­relle Ungleich­heit, sondern mit fami­liärer Erzie­hung, Dank­bar­keit oder dem Wunsch, «etwas zurückzugeben».

Sich selbst und das System abschaffen

Laut Forbes verfügt Mark Zucker­berg über ein Vermögen von rund 228 Milli­arden Dollar – das 22.8 Millio­nen­fache des globalen Durch­schnitts­ver­mö­gens von 10’000 Dollar. Kein Mensch kann 22.8 Millionen Mal fleis­siger, verant­wor­tungs­be­wusster, klüger oder inno­va­tiver arbeiten als der Rest der Welt­be­völ­ke­rung. Kapitalist*innen erar­beiten den grössten Teil ihres Besitzes nicht selbst. Sie heimsen das ein, was alle anderen erwirt­schaftet haben, vermehren es durch Inve­sti­tionen und haben nicht selten einen Gross­teil von vorn­herein geerbt.

Das Vermögen von Über­rei­chen besteht zudem nicht mehr­heit­lich aus Geld, sondern aus Eigentum – aus Aktien, Immo­bi­lien, Unter­neh­mens­an­teilen. Echte Gross­zü­gig­keit würde also bedeuten, Besitz, Macht und Kontrolle demo­kra­tisch zu teilen – nicht Geld zu «spenden». Würde Zucker­berg sein Vermögen tatsäch­lich «teilen», müsste er die Kontrolle über Face­book, Insta­gram und WhatsApp voll­ständig aufgeben und an seine Ange­stellten über­tragen. Nur so würden die Unter­nehmen und Produk­ti­ons­mittel nicht länger von einer oder wenigen Personen kontrol­liert, sondern kollektiv verwaltet, nicht-hier­ar­chisch orga­ni­siert und ohne primäre Profit­ori­en­tie­rung betrieben. Es wären Ansätze für eine sozia­li­sti­sche Wirt­schaft, auch wenn diese die kapi­ta­li­sti­sche Gesamt­struktur noch nicht auflösen würden.

Zucker­berg müsste sich also selbst enteignen. Frei­willig macht das keine*r – schon gar nicht in einer Welt, die zuneh­mend unsi­cherer wird. Die Frage ist also nicht, ob Milliardär*innen gross­zügig genug sind, sondern warum wir ein Wirt­schafts- und Gesell­schafts­sy­stem akzep­tieren, das sie über­haupt erst hervorbringt.


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