Good News vs. Bad News 2:1: Haben Klima­wan­delskep­tiker doch Recht? Und sind der Schweiz Opfer von Menschen­handel egal?

Der März brachte neue Erkennt­nisse zum Klima­wandel — und bedrückende Zahlen zu einem verdrängten Problem im Schweizer Asylwesen. 
Stau auf dem Flughafen - auch eines der Probleme, das mit der Flugticketabgabe möglicherweise behoben werden kann (Foto: Simon_sees)

Wie schlimm steht es wirk­lich um die Welt? Das weiss niemand ganz genau. Eine Nach­richt jagt die nächste – wie einen Über­blick gewinnen, das Chaos ordnen? Wir helfen, indem wir ausge­wählte News häpp­chen­weise servieren und einordnen. So liefern wir Ihnen einmal pro Monat Anhalts­punkte zur Lage der Welt aus Lamm-Sicht.

Heute: Die Sonne beein­flusst das Klima doch. // Mehr Asyl­su­chende werden Opfer von Menschen­handel. // Die Schweiz soll eine Abgabe auf Flug­tickets prüfen.

Good News 1: Erhalten wir durch die „kalte Sonne“ wich­tige Zeit im Kampf gegen den Klimawandel?

Was ist passiert? Eine vom Schweizer Natio­nal­fonds finan­zierte Studie hat zum ersten Mal bezif­fert, wie stark sich die zykli­schen Akti­vi­täten der Sonne auf die Klima­er­wär­mung auswirken. Dass die Sonnen­ak­ti­vität vari­iert, ist schon länger bekannt. Die wärmeren Phasen, auch „heisse Sonnen” genannt, wech­seln sich mit den kälteren Phasen, den „kalten Sonnen”, in einem Rhythmus von rund 400 Jahren ab.

Die Studie bezif­fert den mögli­chen Einfluss solcher Zyklen auf die Tempe­ratur der Erde mit einem Maxi­mal­wert von einem halben Grad Celsius. Da die Studi­en­au­torInnen progno­sti­zieren, dass wir in 50 bis 100 Jahren den Tief­punkt einer kälteren Phase errei­chen werden, würde die Sonnen­ak­ti­vität also das Erdklima um ein halbes Grad abkühlen.

Warum ist das wichtig? Grund­sätz­lich wider­spricht die Studie den letzten Berichten des Welt­kli­ma­rats, kurz IPCC (Inter­na­tional Panel of Climate Change). Die Haupt­auf­gabe des IPCC ist es, poli­ti­sche Entschei­dungs­träger in Fragen rund um den Klima­wandel zu beraten. Hierzu fasst der IPCC die neusten Erkennt­nisse in der Klima­for­schung zusammen. Das Gremium inter­na­tio­naler Forsche­rInnen hielt bislang in seinen Berichten fest, dass die Sonnen­ak­ti­vität keinen Einfluss auf die länger­fri­stige Entwick­lung des Klimas habe.

Die Daten, welche die Natio­nal­fonds­studie liefern, korri­gieren diese Aussage nun. Eine fundierte Ausein­an­der­set­zung könnte bei vorhan­denem poli­ti­schem Willen eine Chance sein. Wie Werner Schmutz vom Physi­ka­lisch-Meteo­ro­lo­gi­schen Obser­va­to­rium Davos (PMOD) sagt, gewinnen wir durch die bevor­ste­hende „kalte Sonne“ even­tuell einen Hauch mehr Zeit in der Bewäl­ti­gung der Klima­er­wär­mung. Die menschen­ver­ur­sachte Klima­er­wär­mung wird momentan auf etwa 2 Grad Celsius geschätzt. Eine Abküh­lung verschafft allen Ländern mehr Zeit, sich auf die Folgen des Klima­wan­dels einzu­stellen. Das ist gerade für die Länder wichtig, die es bis anhin verschlafen haben, eine umfas­sende und nach­hal­tige Klima­po­litik auszu­ar­beiten. Ein Beispiel dafür wären die USA, deren Klima­po­litik durch die bizarren Argu­mente der Klima­wan­delskep­ti­ke­rInnen torpe­diert wird.

Eines der Argu­mente der Klima­skep­ti­ke­rInnen: Der repu­bli­ka­ni­sche Kongress­ab­ge­ord­nete Randy Hult­gren sagte zum Beispiel in einem Inter­view, dass die Sonne den grössten Einfluss auf die Tempe­ra­turen hat. Der bevor­ste­hende Wechsel in eine kältere Phase der Sonne habe einen viel grös­seren Einfluss auf das Klima als die mensch­li­chen CO2-Emis­sionen, so Hultgren.

Die Studie zeigt: Die Sonnen­zy­klen haben durchaus Einfluss auf das Klima, aller­dings steht der in keinem Vergleich zu den mensch­ge­machten Erwär­mungen. Obwohl die Liste von empi­risch (und logisch) frag­wür­digen Argu­menten von Skep­ti­ke­rInnen der Klima­er­wär­mung endlos scheint: Das Argu­ment zykli­scher Sonnen­ak­ti­vität müssen sie wohl endgültig aufgeben.

Aber? Allen wissen­schaft­li­chen Studien zum Trotz stimmen die jüng­sten Entwick­lungen in den Verei­nigten Staaten nicht gerade opti­mi­stisch. Der präsi­diale Budget­vor­schlag schlägt vor, 31 Prozent des Budgets der Umwelt­schutz­be­hörde zu strei­chen. Zwar liegt die Budget­ho­heit beim Parla­ment, doch der Entwurf des Präsi­denten steckt das Feld ab. Ob die empi­ri­schen Daten wie etwa dieje­nigen des Natio­nal­fonds auf den ameri­ka­ni­schen Präsi­denten Einfluss haben werden, ist frag­würdig. Die Chance, dass Trump von der Studie erfährt, ist aber dennoch intakt: Der Schweizer Natio­nal­fonds hat einen Twitter-Account.

Bad News: Das Problem mit dem Menschen­handel im Schweizer Asylsystem

Was ist passiert? Menschen­händ­le­rInnen nutzen verstärkt das lang­wie­rige Schweizer Asyl­ver­fahren aus, um Migran­tInnen auszu­beuten. Das berichtet die Schweiz am Wochen­ende. Verwandte, Bekannte oder Männer, die vorgeben verliebt zu sein, locken vornehm­lich junge Frauen unter falschen Verspre­chen in die Schweiz — um sie dann hier anschaffen zu schicken.

Die Fach­stelle Frau­en­handel und Frau­en­mi­gra­tion (FIZ), sieht das Haupt­pro­blem in der Iden­ti­fi­ka­tion von Opfern. Die Behörden können diese gar nicht erkennen, teils weil die Mecha­nismen fehlen, teils weil sich die Opfer aus Angst vor Konse­quenzen nicht selbst zu erkennen geben. Aber selbst wenn sie iden­ti­fi­ziert werden, fehlen im Schweizer Asyl­sy­stem die Abläufe, um die Opfer zu unter­stützen und zu betreuen. Beson­ders schlimm ist die Situa­tion für soge­nannte Dublin-Fälle. Diese Migran­tInnen, die in der Schweiz ein Asyl­an­trag stellen, obwohl ein anderes Land zuständig wäre, werden in der Regel vor Abklä­rung der genauen Umstände ausge­schafft. Dieser Mecha­nismus spiele den Menschen­händ­le­rInnen in die Karten, so die FIZ.

Warum ist das wichtig? Das scheint selbst­er­klä­rend zu sein: Die Schweiz lässt mit den Schwä­chen in ihrem Asyl­sy­stem zu, dass die Situa­tion von Asyl­su­chenden ausge­nutzt wird. Viele der Opfer von Menschen­händ­le­rInnen werden in die Sexar­beit gezwungen. Der über­wie­gende Teil der Opfer sind Kinder und Frauen. Dies sind unhalt­bare Zustände für ein Land, das sich etwas auf seine huma­ni­täre Tradi­tion einbildet.

Aber: Der Bund hat erkannt, dass das heutige Asyl­ver­fahren die Menschen in die Hände von Schlep­pern treibt. Der Bundesrat hat das inter­na­tio­nale Abkommen gegen Zwangs­ar­beit rati­fi­ziert. Momentan befindet sich das Geschäft im Parla­ment. Der Stän­derat hat am 6. März 2017 der Inkraft­set­zung zugestimmt.

Das Proto­koll verlangt von der Schweiz, dass sie sich stärker für präven­tive Mass­nahmen und Opfer­hilfe im Zusam­men­hang mit Zwangs­ar­beit und Menschen­handel einsetzt. Das Abkommen zwingt die Schweiz aller­dings nicht zu Geset­zes­än­de­rungen. Damit die Situa­tion sich bessert, muss der Bund NGOs und Hilfs­or­ga­ni­sa­tionen stärker einbe­ziehen. An der Tagung zu Menschen­handel im Asyl­sy­stem vom 20. März 2017 haben Vertre­te­rInnen von NGOs, der UNO und des Euro­pa­rates die Probleme iden­ti­fi­ziert und klare poli­ti­sche Forde­rungen aufge­stellt.

Der Bund hatte bereits 2012 Besse­rung geschworen: Ziel 19 im Natio­nalen Akti­ons­plan gegen Menschen­handel verlangte eine „Sicher­stel­lung der Iden­ti­fi­ka­tion von Menschen­han­dels­op­fern in Asyl­ver­fahren und Klärung der Abläufe, die für die Gewähr­lei­stung des Opfer­schutzes notwendig sind“. Das Ziel hätte 2013 erreicht werden sollen. Immerhin: Inzwi­schen sind die Probleme iden­ti­fi­ziert und die Lösungs­vor­schläge ausfor­mu­liert. Hoffen wir, dass sich der neuer­liche poli­ti­sche Wille zur Bekämp­fung von Menschen­handel im Asyl­wesen nicht mit der Rati­fi­zie­rung eines inter­na­tio­nalen Abkommen erschöpft hat.

Good News 2: Erhebt die Schweiz bald eine Flugverkehrsabgabe?

Was ist passiert? Die Zürcher Natio­nal­rätin Priska Seiler Graf hat am 15. März 2017 ein Postulat zuhanden des Depar­te­ments für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommu­ni­ka­tion (UVEK) einge­reicht: Der Bundesrat soll die Einfüh­rung einer soge­nannten Flug­ticket­ab­gabe prüfen. Die Einnahmen  sollen für Umwelt- und Schutz­mass­nahmen im Zusam­men­hang mit dem Luft­ver­kehr verwendet werden.

Abgaben auf den Flug­ver­kehr sind keine revo­lu­tio­näre Forde­rung. Neben Deutsch­land und Öster­reich erheben zahl­reiche weitere euro­päi­sche Staaten strecken­ab­hän­gige Abgaben auf den Abflug von einem inlän­di­schen Standort. Diese Flug­ticket­ab­gaben funk­tio­nieren nach einer ähnli­chen Logik wie die Lenkungs­ab­gaben auf fossile Heiz­stoffe in der Schweiz. Durch die Verteue­rung des Produktes soll unter anderem das Verhalten der Konsu­men­tInnen in eine ökolo­gi­sche Rich­tung gelenkt werden.

Warum ist das wichtig? Der Luft­ver­kehr ist in der Schweiz für etwa 16 Prozent des emit­tierten CO2 verant­wort­lich. Gerade inner­eu­ro­päi­sche Flüge sind dank Easyjet ab Basel günstig: Viele Wochen­end­trips sind bereits für unter 100 Franken erhält­lich. Hingegen werden ökolo­gi­schere Fern­reisen mit der Bahn in der näheren Zukunft nicht billiger werden.

Wie Graf in ihrem Postulat fest­hält, geht es in erster Linie darum, dass die Kosten der CO2-Emis­sion aus dem Flug­sektor verur­sa­cher­ge­recht gedeckt werden. Von den 6.4 Milli­arden Franken, die der Luft­ver­kehr in der Schweiz kostet, über­nimmt die Allge­mein­heit 14 Prozent: Als Gesund­heits- oder Umwelt­ko­sten, wie das BFS fest­hält (konkret: Kosten wegen der Bein­träch­ti­gung durch Flug­lärm oder Kosten die wegen dem auch durch den Flug­ver­kehr befeu­erten Klima­wandel entstehen).

Doch es geht nicht nur um diese Kosten: Damit die Schweiz das Pariser Klima­ab­kommen erfüllen kann, muss sie unter anderem beim Luft­ver­kehr ansetzten. Dafür braucht es auch soge­nannte „erzie­he­ri­sche Mass­nahmen“ wie Flug­ticket­ab­gaben. Durch eine Umlei­tung von Passa­gie­rInnen aus der Luft auf die Schiene könnte man nicht nur einen gewich­tigen Teil der CO2-Emis­sionen einsparen, sondern auch endlich die Inte­gra­tion des inner­eu­ro­päi­schen Schie­nen­ver­kehrs vorantreiben.

Aber: Der Vorschlag wird sowohl vom Flug­sektor als auch von bürger­li­chen Poli­ti­ke­rInnen kriti­siert. Solche Abgaben scha­deten der Wirt­schaft und dem Tourismus und seien nicht ziel­füh­rend. Und obwohl die Diskus­sion über eine bessere Kosten­deckung des Luft­ver­kehrs positiv einzu­stufen ist, scheint die Kritik der Gegne­rInnen etwas für sich zu haben: Das nieder­län­di­sche Mini­ste­rium für Infra­struktur und Umwelt kommt in einer Evalua­tion der eigenen Flug­ticket­ab­gabe zum Schluss, dass nur gerade 7 Prozent der Befragten wegen der Abgabe ihre Reise entweder gestri­chen oder auf ein anderes Verkehrs­mittel verlegt haben. Hingegen nahm das Passa­gier­vo­lumen bei grenz­nahen auslän­di­schen Flug­häfen, wo die Abgabe nicht anfiel, zu.

Doch dieser Effekt der Passa­gier­flucht entsteht nur dann, wenn man mit der Steuer alleine dasteht. Da aber fast alle Nach­bar­staaten der Schweiz bereits eine Flug­ticket­ab­gabe kennen, ist die Gefahr einer Passa­gier­flucht wohl eher gering. Aus den nega­tiven Konse­quenzen, die in anderen Ländern durch die Einfüh­rung von Flug­ticket­ab­gaben entstanden sind, kann die Schweiz lernen und so einen wich­tigen Schritt in Rich­tung eines nach­hal­ti­geren Reise­ver­kehrs machen.

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