Der Brat Summer ist vorbei

Schön­heits­ideale sind kein Zufall. Sie verän­dern sich mit poli­ti­schen Macht­ver­hält­nissen – und gerade erleben wir, wie sich ein altes Weib­lich­keits­ideal neu verfe­stigt: weiss, dünn, gehorsam. Unsere Autorin plädiert für einen Sommer, der niemandem gehört. 
Statt Pommes, Spass und Freiheit diszipliniert der globale Rechtsrutsch den weiblichen Körper für seine politischen Zwecke. (Bild: Unsplash)

Es war einmal ein Brat-Summer (zu Deutsch: Gören-Sommer). Was man dafür brauchte? «Eine Packung Ziga­retten, ein BIC-Feuer­zeug und ein Top ohne BH», so zumin­dest defi­nierte die briti­sche Pop-Ikone und Brat-Erfin­derin Charli xcx den Trend selbst. Jedes spon­tane Kioskbier-Besäufnis hätte im Sommer 2024 mit «I smoke like a chimney, I’m not skinny, and I pull a Britney every other week» aus Lola Youngs damals just veröf­fent­lichtem Song Messy über­schrieben werden können. 

Fuck-you-Patri­ar­chat, Good-Bye-Diet-Culture, Ciao-Kakao-Skin-Care-Routine – es war nie einfa­cher trendy zu sein.

Doch dieser Sommer ist vorbei. Nicht etwa, weil der Herbst kam, sondern weil sich etwas Tieferes verschoben hat. Die Röcke sind länger, die Kragen biederer, die Haare geflochten, hier und da darf es auch ein Schleif­chen sein. Die Farben sind neutral, die Körper diszi­pli­niert, dünn und «very demure» – will­kommen im anti­fe­mi­ni­sti­schen Revival konser­va­tiver Weiblichkeit.

Trad­wifes, Jesus­glow und der Gehorsam

Wer den globalen Back­lash sucht, findet ihn nicht mehr nur in Parla­menten oder Gerichten, sondern in den Trends bei Tiktok und Insta­gram. In den Videos von «jesusglow»-Apostelinnen zeigen sich insbe­son­dere junge Frauen, die mit Vorher-Nachher-Videos darstellen, wie sie vermeint­lich durch ihren Glauben an Jesus, die inten­sive Beschäf­ti­gung mit der Bibel und eine auf Gott ausge­rich­tete Lebens­weise äusser­lich aufge­blüht wären. 

Nur ein paar Hash­tags weiter finden sich die «trad­wives». Frauen, die über­kom­mene Geschlech­ter­rollen hoch­ju­beln, ihr Leben als Haus­frau zele­brieren und die Unter­ord­nung unter den Ehemann als gött­lich legi­ti­mierte Rollen­ver­tei­lung und Quelle persön­li­cher Erfül­lung verkaufen.

Trends wie diese sind längst über ihre Nische hinaus­ge­kommen. Und der Mode­main­stream steigt mit ein. Ihr wollt diesen Sommer so richtig fashionable sein? Kauft euch ein Milk­maid-Dress und tragt dazu den «Hut des Sommers», ein Lorna Murray Bonnet. Mäuse, wir tragen jetzt Dienst­magd-Hauben und laufen herum, als wären wir auf dem Weg zur sonn­täg­li­chen Stall­an­dacht. Ja, kein Spass. Gilead-Core ist in. Gilead heisst der tota­li­täre Gottes­staat aus Margaret Atwoods The Handmaid’s Tale.

Skin­nyTok, Ozempic und die Kontrolle

Seit der Wieder­wahl von Donald Trump als US-Präsi­denten spre­chen viele Expert*innen von einem «vibe shift», einer spür­baren Verän­de­rung in der allge­meinen Atmo­sphäre. Die Dämo­ni­sie­rung von Woke­ness und Diver­sity hat Platz geschaffen für einen weiteren Trend: Unter dem Hashtag #Skin­nyTok erlebt die Körper­nor­mie­rung der 1990er-Jahre – der «Heroin Chic» – ein digi­tales Come­back. Nur eben ohne Drogen. Es geht schlicht um extreme Dünn­heit, ganz nach dem Lebens­motto von 90er-Jahre-Super­model Kate Moss, die den «Heroin-Chic» geprägt hat: «Nichts schmeckt so gut, wie sich dünn sein anfühlt».

Zwar wurde der Hashtag auf Druck der EU-Kommis­sion von TikTok gesperrt, doch die Inhalte finden sich weiterhin überall – man muss nicht mal beson­ders suchen. Der Trend läuft unge­bremst weiter, nicht zuletzt befeuert durch das zweck­ent­frem­dete Diabe­tes­me­di­ka­ment Ozempic, das inzwi­schen als Diät­spritze Karriere macht. 

Curvy-Mode erschien als Sieg der Body-Posi­ti­vity-Bewe­gung, war aber letzt­lich wohl doch nur ein kurzes PR-Intermezzo.

Wie passend, dass Kate Moss bei Zara eine eigene Sommer­kol­lek­tion präsen­tiert. Grosse Marken fahren ihr «inclu­sive sizing» zurück. Bei H&M wurde die Plus-Size-Abtei­lung schon 2020 aus den Filialen gestri­chen – grosse Grössen sind seitdem nur noch online erhält­lich. Die Mode­marke Monki nahm grosse Grössen 2024 komplett aus dem Sorti­ment. Curvy-Mode erschien als Sieg der Body-Posi­ti­vity-Bewe­gung, war aber letzt­lich wohl doch nur ein kurzes PR-Intermezzo.

Schön­heits­ideale sind kein Zufall. Sie verän­dern sich mit poli­ti­schen Machtverhältnissen. 

Gerade erleben wir, wie ein altes Ideal neu entsteht: weiss, dünn, gehorsam. Mode funk­tio­niert hier als stilles Macht­in­stru­ment. Sie diszi­pli­niert Körper, noch bevor jemand «Gesetz» sagen muss. 

Der weib­liche Körper wird erneut zur poli­ti­schen Projek­ti­ons­fläche – er soll gefallen, sich fügen, nicht auffallen. Wer laut ist, fett ist, queer ist, nicht weiss oder nicht able-bodied ist, wird unsichtbar gemacht und abgewertet.

Wann wird’s mal wieder richtig Sommer? Einer, der nicht vorschreibt, wie Körper auszu­sehen haben. Keine Ästhetik als Disziplinierung. 

Viel­leicht brau­chen wir nicht einmal einen Brat-Summer 2.0, sondern einfach einen Sommer, der niemandem gehört. Einen, der Raum lässt. Für Chaos, Körper, Kratzeis. Einen Sommer ohne Ära. Aber mit einer anstän­digen Portion Freibadpommes.

Dieser Text erschien zuvor bei ak – analyse & kritik.

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