Der Patrio­ti­sche Fussabdruck

Ein Schu­lungs­do­ku­ment einer rechts­extremen Grup­pie­rung gelangt verse­hent­lich in die Hände einer jungen linken Partei aus Bern. Es enthüllt die hier­ar­chi­schen und kultur­kämp­fe­ri­schen Stra­te­gien der Neuen Rechten zur Ausbil­dung künf­tiger Führungspersonen. 
Vom "Patriotenanwärter" zum "patriotischen Heldenstatus": Die Tabelle mit Punktesystem verweist auf die hierarchische Stellung der Rechtsextremen und soll spielerisch zu politischen Höchstleistungen motivieren. (Illustration: Luca Mondgenast)

„Liebe Patrioten in der Schweiz“, beginnt die E‑Mail, die eine linke Klein­partei in Bern im Früh­jahr 2024 erhält. „Ich sende euch eine Tabelle zur Anpas­sung und Erwei­te­rung des ‚Patrio­ti­schen Fuss­ab­drucks‘ für eure Nach­wuchs-Schu­lungen und wünsche viel Erfolg!“ Die E‑Mail liegt das Lamm vor. Der Absender unter­schreibt mit „Juventus“. Neben der linken Partei erhalten die rechts­extreme Junge Tat und die Iden­ti­täre Bewe­gung Schweiz die E‑Mail. Ange­hängt ist ein Doku­ment, das Einblicke in die Mobi­li­sie­rungs­tech­niken der Neuen Rechten gibt.

Die Akti­ons­gruppe Junge Tat (JT) prägt aktuell die rechts­extreme Szene in der Schweiz und erregte in den vergan­genen Jahren immer wieder Aufsehen. Etwa mit Angriffen auf die Zürcher Pride oder die Kinder­vor­le­se­stunden von Dragkünstler*innen. Früher waren die JT und ihre Vorgän­ger­or­ga­ni­sa­tion „Natio­na­li­sti­sche Jugend Schweiz“ in der „Natio­nalen Akti­ons­front“ (NAF) einge­bettet. Diese pflegte Verbin­dungen zum Netz­werk „Blood & Honour“, das in Deutsch­land verbo­tenen ist. Bis heute ist die JT als Teil der Neuen Rechten gut mit rechts­extremen Grup­pie­rungen in ganz Europa vernetzt und versteht sich als Teil der Iden­ti­tären Bewegung.

Die Iden­ti­täre Bewe­gung (IB) ist ein völkisch-rassi­sti­sches Netz­werk, das in Öster­reich entstand und Ableger in ganz Europa hat. Ihre Expo­nenten bezeichnen sich als „Ethno­plu­ra­li­sten“: Sie vertreten die Auffas­sung, dass es verschie­dene „Völker“ gäbe, die sich nicht vermi­schen dürfen. Die „euro­päi­sche Iden­tität“ sehen die Anhänger*innen der IB insbe­son­dere durch eine angeb­liche „Isla­mi­sie­rung“ bedroht. 

Teil ihres Verschwö­rungs­glau­bens ist, dass Medien und eine „Elite“ die weisse, christ­liche Bevöl­ke­rung gezielt durch Geflüch­tete austau­schen würden. Diese „Elite“ bezeichnen sie oft mit dem anti­se­mi­ti­schen Begriff „Globa­li­sten“, um sie so von der christ­lich-weissen Mehr­heits­ge­sell­schaft abzu­grenzen. Anders als ältere rechts­extreme Bewe­gungen distan­ziert sich die IB öffent­lich vom histo­ri­schen Natio­nal­so­zia­lismus, um über das rechts­extreme Milieu hinaus Anschluss zu finden.

Wie die Junge Tat lässt sich auch „Juventus”, der Absender der verirrten E‑Mail, dem Universum der Iden­ti­tären Bewe­gung zuordnen. Hinter seinem Namen steht „DO5”. So nennt sich eine Gruppe aus Wien, die aus der Iden­ti­tären Bewe­gung Öster­reich (IBÖ) entstand. Die IBÖ und ihre Gali­ons­figur Martin Sellner sind in der euro­päi­schen Neuen Rechten tonan­ge­bend. In der Schweiz fiel Sellner zuletzt auf, als ihm im Oktober 2024 die Einreise verwehrt wurde. Und, als 2019 publik wurde, dass er Geld­zah­lungen vom rechts­extremen Atten­täter von Christ­church erhalten hatte.

Nach den Terror­an­schlägen von Christ­church 2019 und den bekannt gewor­denen Verbin­dungen des Täters zu Martin Sellner geriet die Iden­ti­täre Bewe­gung Öster­reich zuneh­mend unter Druck. Um den poli­ti­schen Bedeu­tungs­ver­lust auszu­glei­chen, grün­dete Sellner die Gruppe “Die Öster­rei­cher”, die im Januar 2020 erst­mals öffent­lich auftrat. Ihr Ziel war es, auch ältere Bevöl­ke­rungs­schichten anzu­spre­chen. Die Abkür­zung DO5 verweist auf die Wider­stands­gruppe O5, deren Zeichen – ein Code für „Oe“, also Öster­reich, wobei die Ziffer 5 den fünften Buch­staben des Alpha­bets reprä­sen­tiert – die öster­rei­chi­sche Wider­stands­be­we­gung gegen den Natio­nal­so­zia­lismus während des Zweiten Welt­kriegs verwendete. 

Die Über­nahme dieses Kürzels durch eine rechts­extreme Grup­pie­rung verdeut­licht das Bestreben der orga­ni­sierten Rechten, Begriffe in ihrer Bedeu­tung umzu­drehen und neu zu besetzen. Ursprüng­lich in bürger­lich-konser­va­tiven Kreisen verwur­zelt, knüpften “Die Öster­rei­cher” später Verbin­dungen zu Sozi­al­de­mo­kraten und Kommu­ni­sten. Die Themen der Gruppe entspre­chen weit­ge­hend denen der IBÖ, weshalb sie viel­fach als Rebran­ding wahr­ge­nommen wird.

Anders als in Öster­reich und Deutsch­land gelang es der Iden­ti­tären Bewe­gung (IB) in der Schweiz nie, Fuss zu fassen. Die Website der IB Schweiz ist seit längerem offline. Umso über­ra­schender sei es, dass die E‑Mail an die IB Schweiz adres­siert wurde, findet Hans Stutz, Jour­na­list und Beob­achter der rechts­extremen Szene in der Schweiz. „Da hatte der Absender wohl wenig Ahnung über die rechten und rechts­extremen Struk­turen in der Schweiz”. 

Noch erstaun­li­cher ist jedoch: Warum war die linke Orga­ni­sa­tion aus Bern, die sich für eine offene Gesell­schaft und gegen Rassismus einsetzt, auf der Empfän­ger­liste des Doku­ments der Rechtsextremen?

Der Irrtum

Die Orga­ni­sa­tion, die verse­hent­lich zur Empfän­gerin der E‑Mail wurde, trägt einen bekannten Namen: Junge Alter­na­tive (JA!). Die linke Berner Jung­partei ist eine „Platt­form für junge Menschen in der Stadt Bern”. „Juventus“ hat sie wohl mit einer Schweizer Version der wesent­lich promi­nen­teren Jung­partei der Alter­na­tive für Deutsch­land (AfD) verwech­selt, die den glei­chen Namen trägt. Die Jung­partei der AfD gilt laut dem deut­schen Verfas­sungs­schutz als gesi­chert rechts­extrem und noch radi­kaler als die Mutter­partei. Die Rechts­extre­mis­mus­expertin und Poli­tik­wis­sen­schaft­lerin Anna-Sophie Heinze von der Amadeu-Antonio-Stif­tung spricht von einem zentralen „Extre­mis­mus­treiber“ und „Radi­ka­li­sie­rungs­motor“ der Mutter­partei. Ende 2024 gab die AfD bekannt, sich von ihrer Jung­partei zu trennen und eine neue gründen zu wollen.

“Offen­sicht­lich sind die Patrioten in der Verbrei­tung ihrer Unter­lagen stüm­per­haft vorgegangen”.

Raed Hart­mann, Mitglied JA!

Auf den Sozialen Medien würde die linke Jung­partei aus Bern JA! häufig mit Verwechs­lungen konfron­tiert, erklärt Raed Hart­mann, der seit 2021 Mitglied ist. „Wir sind schon seit mehr als 30 Jahren unter diesem Namen aktiv”, so Hart­mann. Die junge AfD hingegen grün­dete sich erst 2013. „Wir haben zwar über ein Rebran­ding nach­ge­dacht, uns dann aber dagegen entschieden”. Den Begriff der „Alter­na­tive” wolle man keines­falls den Rechten über­lassen. Die verirrte E‑Mail der Wiener Iden­ti­tären sei sowohl „ein witziger Zufall” als auch beäng­sti­gend, da das Doku­ment die Anreize offen­bare, mit denen Rechte ihre Mitglieder immer stärker in die Szene invol­vieren würden. „Offen­sicht­lich sind die Patrioten in der Verbrei­tung ihrer Unter­lagen aber stüm­per­haft vorgegangen”.

Das Doku­ment

Das interne Doku­ment der öster­rei­chi­schen Rechts­extremen listet in einer Tabelle ein Punk­te­sy­stem für rechts­extreme Agita­tion auf: Für jede Hand­lung gibt es Punkte, die addiert die Stel­lung in der patrio­ti­schen Hier­ar­chie bestimmen. 

Zu Beginn des Doku­ments ist ange­merkt, dass „die Tabelle zur Berech­nung des persön­li­chen jähr­li­chen patrio­ti­schen Fuss­ab­drucks” nicht alle Arbeiten der „patrio­ti­schen Führungs­eliten” enthalte, sondern ledig­lich dem „allge­meinen Patrioten” zur Orien­tie­rung diene. Tätig­keiten wie das Schreiben eines patrio­ti­schen Buches, das Orga­ni­sieren einer patrio­ti­schen Demo und derglei­chen fänden hier deshalb keine Erwähnung.

Für die Teil­nahme an einer „patrio­ti­schen Demo” gibt es mit 100 Punkten die volle Punkt­zahl. Wer an einer „Werte-Demo” bezie­hungs­weise „system­kri­ti­schen Demo” teil­nimmt, erhält ledig­lich 80 Punkte. „Werte-Demos haben kultur­kämp­fe­ri­sche Absichten”, erklärt Hans Stutz. Damit könnten beispiels­weise Veran­stal­tungen aus dem Milieu der Massnahmen-Gegner*innen oder der Mass­voll-Bewe­gung gemeint sein, ebenso Anlässe von Abtreibungsgegner*innen. Beide haben gemeinsam, dass sie nicht explizit aus dem rechts­extremen Milieu entspringen, aber eine ideo­lo­gi­sche Nähe kulti­vieren. „Mit Kultur­kampf versucht das rechte Milieu, alte gesell­schaft­liche Werte wieder durchzusetzen.“

Auch das Kleben eines patrio­ti­schen Stickers an einen „zuläs­sigen Ort” wird mit einem Punkt belohnt.

Eben­falls 100 Punkte erhält laut der Liste, wer eine öffent­liche Rede hält oder in einem „patrio­ti­schen Video” sein „Gesicht zeigt”. Die Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der Rechts­extreme offen ihre Inhalte in den Sozialen Medien teilen, soll zur Norma­li­sie­rung ihrer illi­be­ralen Ideo­lo­gien beitragen, erläu­tert Stutz.

Die volle Punkt­zahl erhält auch, wer bei „patrio­ti­schen Aktionen und der Arbeit im Bereich Alter­na­tiv­me­dien” wie zum Beispiel der „Twit­ter­re­con­quista” mitwirkt, also der Rück­erobe­rung digi­taler Räume. Die Verein­nah­mung von Twitter ist gemäss der Einschät­zung des Beob­ach­ters Stutz seit der Über­nahme durch den rechts­li­ber­tären Multi­mil­li­ardär Elon Musk bereits voll­zogen. Auch auf TikTok trenden rechts­extreme Inhalte wie beispiels­weise dieje­nigen der AfD, die durch ihre Präsenz auf der Platt­form ihren Erfolg gerade bei jungen Wähler*innen deut­lich stei­gern konnte.

Weitere 100 Punkte gibt es laut der Tabelle für die soge­nannte Keilung einer Person. Die patrio­ti­schen Kämpfer sollen neue Mitstreiter*innen für ihre Anliegen gewinnen. 50 Punkte gibt’s für jedes Jahr oben drauf, in der die ange­wor­bene Person aktiv bleibt. 100 Punkte erhält auch, wer eine Gross­spende oder regel­mäs­sige Spende an eine patrio­ti­sche Orga­ni­sa­tion vergibt, wobei weniger Geld weniger Punkte bedeuten. Eben­falls 100 Punkte erhält laut der Tabelle, wer einen „Gross­spender keilt“.

Ledig­lich 40 Punkte zahlt die Teil­nahme an einer „halb­öf­fent­li­chen Kund­ge­bung” aufs Patrio­ten­konto ein – etwa an einem „Bürger­treff­punkt” zwecks „Vernet­zung”. Die Teil­nahme an dieser Art Veran­stal­tungen verfolge denselben Zweck wie jene an den „Werte-Demos”: Rechts­extreme mischen sich stra­te­gisch unter rechts­bür­ger­liche Anlässe, um ihre Begriffe in die insti­tu­tio­na­li­sierte Politik einzu­führen, erläu­tert Stutz. Dies sei ihnen mit dem Begriff „Remi­gra­tion“ auch gelungen. Auto­nome Rechts­extreme wie die Junge Tat oder die Iden­ti­täre Bewe­gung etablieren Narra­tive und Begriff­lich­keiten, die wiederum von Parteien wie der SVP und AfD salon­fähig gemacht werden, indem sie ihn offi­ziell in ihr Wahl­pro­gramm aufnehmen und auf Wahl­pla­kate schreiben. 

“Patrio­tisch ist ein seit Jahr­zehnten gebrauchter Ausdruck von Rechts­extremen, um das Wort rechts­extrem nicht zu benutzen.”

Hans Stutz, Rechtsextremismusbeobachter

Für das Verfassen eines Arti­kels für eine patrio­ti­sche Zeitung gibt es nur 20 Punkte. Wer eine „patrio­ti­schen Idee” verbreitet, was nicht genauer defi­niert wird, darf sich zehn Punkte anrechnen. Das gleiche gilt für das „einma­lige Über­reden einer Person zu einer patrio­ti­schen Spende”. Es sei auffällig, so Stutz, wie häufig es laut der Tabelle um die Beschaf­fung von Spenden ginge.

Jeweils einen Punkt gibt es für das Verfassen eines Kommen­tars oder Leser­briefs sowie die Teil­nahme an einer Umfrage „zwecks Beein­flus­sung der öffent­li­chen Meinung”. Auch das Kleben eines Stickers an einen „zuläs­sigen Ort” wird mit einem Punkt belohnt. „All diese Stra­te­gien zielen darauf ab, den Kultur­kampf zu Gunsten rechts­extremer Vorstel­lungen zu prägen”, sagt Stutz.

Und auch für’s Beten gibt es patrio­ti­sche Punkte: Zehn, wenn das Gebet durch eine „zusätz­liche Opfer­spende” – beispiels­weise eine Kerze – begleitet wird, fünf Punkte pro „Gebet für die Heimat” in der Kirche und einen Punkt, wenn ausser­halb der Kirche gebetet wird. Laut Stutz sehnen sich Orga­ni­sa­tionen wie die Junge Tat nach alten Zeiten. „Der Kultur­be­griff der Rechten verweist immer nach hinten, in die Vergan­gen­heit”. Ausserdem seien viele Personen in der rechten bis rechts­extremen Szene funda­men­ta­li­sti­sche Christ*innen. „Im Umfeld der SVP gibt es einige davon; und unter den Abtreibungsgegner*innen sowieso.”

Auf die Punk­te­ta­belle folgt ein Ranking, mit dessen Hilfe die Patrioten ihren eigenen „Patrio­ti­schen Fuss­ab­druck“ bewerten können. „Patrio­tisch ist ein seit Jahr­zehnten gebrauchter Ausdruck von Rechts­extremen, um das Wort rechts­extrem nicht zu benutzen”, ordnet Stutz die Selbst­be­zeich­nung ein. Jeder der zehn Stufen ist mit einem Zitat versehen: „Ich bewege nichts, solange ich mich nicht bewege”, steht in der unter­sten Stufe mit einem bis 50 Punkte. Danach geht es steil aufwärts: Vom „Patrio­ten­an­wärter” über den „aktiven Patrioten” bis hin zur fünften Stufe, in der man sich „nicht mehr aufhalten” lasse. Bereits auf Stufe sechs mit 450 bis 500 Punkten darf man laut Ranking von sich behaupten, mit „Stolz und Recht ein Patriot zu sein”. In der näch­sten Stufe sei man dazu bereit, „ganz nach oben” zu gehen und in der siebten Stufe habe man die „unterste Stufe des patrio­ti­schen Helden­status” erreicht. Wer über tausend Punkte erzielt, gehöre zu den „Führungs­per­sonen” und sei bereit „unser Land zurück zu holen”.

Rechts­extreme haben ihr Schu­lungs­do­ku­ment zur „Berech­nung des Patrio­ti­schen Fuss­ab­drucks” aus Versehen an die linke Berner Partei Junge Alter­na­tive (JA!) geschickt. (Bild: zVg)

Laut Stutz zeige das interne Doku­ment die Viel­falt an Möglich­keiten, wie rechte Aktivist*innen versu­chen, Politik zu machen, neue Leute zu gewinnen und bei der Stange zu halten. „Übli­cher­weise gewinnen rechte Struk­turen über persön­liche Kontakte Zuwachs.” In der Szene hiesse dies vor allem: von Mann zu Mann. Demon­stra­tionen und Veran­stal­tungen seien beliebte Orte, um inter­es­sierte Personen näher in die Struk­turen einzubinden.

Das Spiel der Rechtsextremen

Laut der Mail von „Juventus” dient das Doku­ment als Mittel zur Schu­lung des „patrio­ti­schen Nach­wuchses”. Für Hans Stutz ist es eine Spie­lerei: „Es erin­nert mich an Persön­lich­keits­tests in Klatsch­zeit­schriften”. Die Neue Rechte bedient sich beim „Patrio­ti­schen Fuss­ab­druck” Spiel­ele­menten wie der Rang­liste und des Punk­te­sy­stems, trans­fe­riert diese in spiel­fremde Kontexte und betreibt damit soge­nannte Gamification.

Laut dem Verein ufuq, der sich der poli­ti­schen Bildung widmet, sei das Ziel solcher Spiel­bau­steine „die Moti­va­tion der Nutzer*innen zu stei­gern, um sie dazu zu bringen, bestimmte, zuvor defi­nierte gewünschte Aktionen häufiger auszu­führen”. Ange­trieben durch den Wett­be­werb würden sich Nutzer*innen länger oder häufiger enga­gieren. Der stra­te­gi­sche Einsatz von Spiel­ele­menten durch extre­mi­sti­sche Akteur*innen ist ein Beispiel für top down Gamification.

Statt von oben herab kann die Gami­fi­ca­tion aber auch orga­nisch von unten (bottom up) aus den Commu­ni­ties selbst entstehen oder Radi­ka­li­sie­rungs­pro­zesse in Klein­gruppen beein­flussen. So werden beispiels­weise die „Erfolge” der Täter von Oslo oder Christ­church auf einer virtu­ellen Rang­liste fest­ge­halten, die in rechts­extremen Foren kursieren. Dort wird darüber disku­tiert, wie man selbst einen neuen „High­score“ an Opfern errei­chen könne. Diese Spiel­stra­te­gien kommen oft in digi­talen Radi­ka­li­sie­rungs­pro­zessen zum Einsatz, zum Beispiel in Online-Commu­ni­ties wie dem Discord-Channel Recon­quista Germa­nica. Dort koor­di­nieren Rechts­extreme Aktionen, bei denen sie Kommen­tar­spalten mit Hass­kom­men­taren fluten.

Das Schu­lungs­do­ku­ment „Patrio­ti­scher Fuss­ab­druck” ist ein Beispiel für analoge Gami­fi­ca­tion: Initial funk­tio­niert sie top down, da sie von etablierten Rechts­ra­di­kalen an ihren Nach­wuchs gerichtet ist. Sie kann sich aber auch bottom up, inner­halb der neuen Gene­ra­tion entfalten und zu Höchst­lei­stungen anregen.

Ob beim Punk­te­sam­meln durch das Schreiben von Hass­kom­men­taren, beim Beten für die Heimat oder dem Über­reden zu Gross­spenden – stets gilt: Posi­tive Verstär­kung, Konkur­renz­kampf, Unter­hal­tung und soziale Verbin­dungen sollen dabei helfen, menschen­ver­ach­tende Inhalte mit posi­tiven Gefühlen und Spass zu verknüpfen, um rechts­extreme Aktivist*innen zu Höchst­lei­stungen zu motivieren.


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