Vor über einem Jahr startete Kiki, ein junger Mann aus Burundi, den Instagram-Account The Humans of Moria – eine Plattform für Geflüchtete und Asylbewerber:innen, die wie er im griechischen Flüchtlingslager Moria lebten. Im September 2020 ist das Camp fast vollständig abgebrannt, die rund 12’000 Geflüchteten wurden im zweieinhalb Kilometer entfernten Kara-Tepe-Flüchtlingscamp provisorisch untergebracht.
Kikis Instagram-Account berichtet über den Alltag in den Camps und teilt persönliche Geschichten von Geflüchteten und ihrem mühseligen Weg nach Europa. Das Ziel von Humans of Moria ist es, die Stimmen der Geflüchteten hörbar zu machen und eine humanere Migrations- und Integrationspolitik der EU zu fordern.
Ziel: Europa
Mein Name ist Ange und ich komme aus Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Die Reise von Kinshasa nach Moria war unglaublich hart. Dies erklärt sich alleine schon durch die grosse Distanz. Die Entscheidung, wegzugehen, ist nie leicht.
Im Kongo habe ich die Fussballakademie besucht, weil es mein Traum ist, Fussballprofi zu werden. Ich war Fussballer in meinem Land – und als ich gehen musste, liess ich alles zurück, was ich besass, ausser meinen Beinen, meinen Träumen und meinem Engagement, sie zu erreichen.
2019 verliess ich mein Zuhause in Richtung Türkei. Ich versuchte, das Leben dort zu meistern, indem ich einige Jobs annahm, die miserabel waren, sogenannte „chabou chabou“-Jobs. Es war so schwer, dort zu arbeiten: Schikane, keine Arbeitspapiere, keine Gesetze, die unsere Rechte geschützt hätten. Wir wurden total ausgenutzt. Also musste ich weiterziehen, dorthin, wo ich ein besseres Leben erwartete. Hier, in Griechenland.
Zuerst zog ich aber an einen Ort namens Basman in der Provinz Izmir. Dort musste ich Schmuggler finden, um über die türkisch-griechische Grenze zu gelangen. In dieser Zeit wohnte ich in einem Hotel mit viel zu hohen Lebenshaltungskosten. Ständig mussten wir vor der Polizei fliehen. Vielleicht hatte ich einfach kein Glück, denn ich landete mehrmals im Gefängnis in Labandji.
Auch vor den Nachbarn nicht sicher
Ich habe 16 Mal versucht, die Grenze zu überqueren. Beim 17. Mal hat es geklappt.
Ich habe viele Erinnerungen an diesen letzten Versuch: Eines Nachts brachten uns die Schmuggler in ein kleines Haus ausserhalb der Stadt, um dort einige Tage zu warten, bevor wir die Überfahrt versuchen sollten. Wir waren 35 Personen, Männer, Frauen und Babies.
Dort mussten wir aufpassen, dass wir keinen Lärm machten und konnten uns nur flüsternd verständigen. Wir wussten: Wenn die Nachbarn merken, dass wir in diesem Haus hocken, würden sie die Polizei rufen. Innerhalb von fünf Minuten wäre sie da und würde uns ins Gefängnis bringen. Dort würde Monat um Monat verstreichen, bis wir freigelassen würden.
Wir waren vier Tage in dem Haus. Ohne richtiges Essen, ohne Dusche, ohne Schlaf. Nur Wasser und Kekse gab es. Wir durften das Haus nicht verlassen, konnten nur auf dem Sofa sitzen und warten.
Wir wissen nicht, was genau passiert ist, wie die Nachbarn unsere leisen Stimmen aus dem Haus gehört haben könnten. Es war nur ein kleines Flüstern. Doch schon fingen sie an zu vermuten, dass da Leute im Haus ihres Nachbarn sein könnten, informierten sich gegenseitig und versammelten sich vor dem Haus, in dem wir zusammengepfercht sassen.
Sie fingen an zu schreien: „Oh, da sind Leute in diesem Haus!“ Sie kamen und klopften an die Tür. Der Schmuggler öffnete und beteuerte, dass niemand in dem Haus sei. Dann rief er einen Lastwagen, der uns wegbringen sollte, um das Verbindungshaus zu wechseln. Es war drei Uhr Nachmittags. Nach 45 Minuten kam der grosse Lastwagen und wir stiegen nacheinander ein. Während wir in den Lastwagen stiegen, hörte der Fahrer, wie die Nachbarn die Polizei riefen.
Etwa eine Viertelstunde verstrich, bis wir merkten, dass der Fahrer bereits geflohen sein musste, da der LKW nicht abfuhr. „Lasst uns abhauen, der Fahrer ist längst weg!“, rief eine Person. Doch kaum waren wir ausgestiegen, fuhr die Polizei um die Ecke. „He! Migranten!“, riefen uns die Nachbarn zu.
Wir entkamen auf alle möglichen Arten und Weisen. Einige nahmen ein Taxi und schafften es, direkt zu entkommen. Einige wurden verhaftet, einschließlich mir. Die Polizei brachte uns ins Gefängnis. Einen Monat mussten wir bleiben, bis sie uns freiliessen. Das Leben war sehr schlecht dort.
Einige Tage später arrangierte unser Schmuggler den nächsten Versuch. Diesmal gingen wir nicht mehr ins Verbindungshaus. Wir verliessen unsere Hotels und liefen in Richtung des Ufers. Es war Nacht. Es war die Nacht, in der wir es schafften, die Grenze zu überqueren. Es war mein 17. Versuch. Wir waren alle so aufgeregt, als wir das Polizeiboot mit der griechischen Flagge sahen. Wir sagten: „Glory to God.“ Sie retteten alle 42 von uns.
Nachricht an die Behörden
Die Ankunft im Lager Moria war eine absolute Enttäuschung. Wir sahen all das Leid.
„Seit wann seid ihr hier?“, fragte ich meine Freunde, die mich vor langer Zeit in der Türkei verlassen hatten und die ich im Lager wieder antraf.
„Seit sechs Monaten“, antworteten sie.
„Und was macht ihr hier?“
„Warten. Du wirst es sehen“, lachten sie.
Bevor wir in Moria ankamen, dachten wir, dass wir schnell wieder von hier verschwinden würden. Maximal drei Tage, stellte ich mir vor.
Jetzt bin ich seit einem Jahr und zwei Monaten hier.
Überall liegt Plastik herum, leere Petflaschen, kaputte Zelte. Unsere wenigen Sachen sind bei dem Feuer im September im alten Moria verbrannt. Seit fünf Monaten bin ich hier im neuen Lager und habe keine Kleidung, nicht einmal ein Telefon, um mit meiner Familie und meinen Verwandten zu kommunizieren.
Ich habe nichts hier. Ich bekomme kein Geld, weil ich zwei Ablehnungen auf Asyl erhalten habe. Ich brauche dringend Hilfe. Mein Traum ist es, professioneller Fußballspieler zu werden. Leider gibt es hier nicht einmal eine Fussballmannschaft. Hier schlafen wir nur, schlafen und schlafen.
Ich habe eine Nachricht an die Behörden:
Bitte helft den Geflüchteten. Wenn ihr uns im Stich lasst, werden wir nicht in der Lage sein, von hier wegzugehen. Wir brauchen eure Hilfe.
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