Im April forderte die Coalition for a Just Recovery die UBS und die Credit Suisse in einer Petition dazu auf, wegen Corona dieses Jahr keine Dividenden an ihre Aktionär*innen auszuzahlen. Innert weniger Tage hat die Petition „Care not Dividends“ rund zwölftausend Unterstützer*innen gefunden, unter anderem auch verschiedene Wirtschaftsprofessor*innen renommierter Schweizer Universitäten. Die Initiant*innen fordern „Solidarität statt Dividenden“.
Hinter der Petition stehen mehrere Bewegungen, so beispielsweise der Klimastreik, der Frauenstreik und die Gewerkschaft Uniterre. Guillaume Durin vom Kollektiv BreakFree, das zuletzt mit diversen Aktionen gegen die Verwendung fossiler Energieträger auf sich aufmerksam gemacht hat, ist einer der Initiant*innen. Er sagt: „Die Pandemie stellt unsere Prioritäten in Frage. Viele von uns sind sich der Zerbrechlichkeit des gegenwärtigen Wirtschaftssystems bewusst. Aber die Grossbanken entscheiden sich dazu, dieses System zu akzentuieren, indem sie Aktionären wie BlackRock und Vanguard astronomische Dividenden auszahlen.“ Dies, während Pfleger*innen oder Kassierer*innen ihre Gesundheit riskieren müssen, um das System aufrechtzuerhalten.
Nichtsdestotrotz schneite es bei beiden Grossbanken Anfang Mai Dividenden. Für die Aktivist*innen ist klar: Irgendetwas geht hier nicht auf. Die Ausschüttungen der Dividenden sorgten auch in der Bevölkerung für Empörung.
„Man versuchte, die Uhr zurückzudrehen“
Weil der Protest gegen das Vorgehen der Grossbanken lauter als erwartet ausgefallen sei, habe die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats versucht, die Uhr zurückzudrehen, sagt Durin. Ende April reichte Mattea Meyer (SP) eine Motion ein, die das Ausschütten von Dividenden bei Unternehmen, die Kurzarbeit angemeldet haben, im laufenden und kommenden Jahr verbieten will. Im Nationalrat stiess Meyers Vorstoss auf Zustimmung. Doch dann wurde er vom Ständerat bachab geschickt.
Und der Bundesrat? Der liess ebenfalls im April eine ablehnende Stellungnahme verlautbaren: Mit einem Dividenden-Verbot würden Schweizer Unternehmen an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, so das Argument. Die Folge davon wäre der Verlust vieler Arbeitsplätze.
Dass unter der „Wettbewerbsfähigkeit“, um die der Bundesrat sich sorgt, vor allem Attraktivität für Grossaktionär*innen zu verstehen ist, zeigte eine Recherche des Onlinemagazins tsüri.ch am Beispiel von Sunrise. Der Mobilfunkanbieter hat Mitte April trotz Kurzarbeit eine Dividende von 198 Millionen Franken ausgeschüttet.
Mit Mattea Meyers Motion stellt sich die Frage, warum das Unternehmen keine kleinere Dividende ausbezahlen und dafür auf Kurzarbeitsgelder des Bundes hätte verzichten können. In den Augen von Guillaume Durin ist das Beispiel Sunrise bezeichnend für die vorherrschende ökonomische Ideologie: „Privatisierung der Gewinne bei Verstaatlichung der Verluste.“
„Die am stärksten betroffenen Sektoren und Personen benötigen massive öffentliche Hilfe – diese Hilfe darf aber nicht in einen krisengeschüttelten Finanzsektor umgeleitet werden“, heisst es am Anfang der Petition. Damit sind auch die Grossbanken gemeint, die Dividenden auszahlen, während die genauen Risiken und Folgen der Pandemie nicht abschätzbar sind. „Akteure wie die UBS und die Credit Suisse wetten darauf, dass sie nicht untergehen können, ohne enormen wirtschaftlichen Schaden anzurichten“, so Durin. So verpflichte sich die Regierung dazu, die Banken zu retten, falls es bei wegen Corona gesprochenen Krediten zu Ausfällen kommt.
Nachdem auch die Finanzmarktaufsicht (FINMA) Druck machte, wurde an der UBS-Generalversammlung eine Dividende von 0.73 Dollar pro Aktie für das Geschäftsjahr 2019 angekündigt. Sie soll wegen möglichen Risiken in zwei Tranchen à 0.365 Dollar ausgeschüttet werden. Die erste Tranche wurde bereits ausbezahlt. Über die zweite Tranche stimmen die Aktionär*innen an einer ausserordentlichen Generalversammlung im November ab – sobald das dritte Quartalsergebnis bekannt ist. Auch der Verwaltungsrat der Credit Suisse sieht vor, im Herbst eine zweite Barausschüttung zu beantragen. Die Dividende für das Geschäftsjahr 2019 wurde auf 0.1388 Franken pro Aktie festgesetzt.
„Der Bund und die FINMA schieben die Verantwortung gerne ab“, sagt Durin. FINMA-Chef Mark Branson etwa forderte die Banken Ende März in einem Kommentar in der NZZ zur Vorsicht bei den Dividendenzahlungen auf, da dieses Geld laut Branson später noch benötigt werden könnte. Doch solange sie die Eigenmittelvorgaben der FINMA einhalten, können die Banken jedes weitere Risiko eingehen. In diesem konkreten Fall sind sie also rechtlich nur dazu verpflichtet, weiteres Kapital für drohende Kreditausfallrisiken – aufgrund der Pandemie – zu hinterlegen. Die Entscheidung, Dividenden auszuzahlen, bleibt aber bei den Banken.
Auch die Ratingagentur S&P Global Ratings (DE) hat sich mit dem Dividendensplit der beiden Grossbanken befasst. In einem Bericht bezeichnet sie die Ermahnung der FINMA, die zum Split führte, als nachvollziehbar. Die Agentur hält gleichwohl fest, dass vor allem die UBS mit 61 Prozent des zurechenbaren Gewinns aus dem Jahr 2019 immer noch eine eher hohe Dividende auszahlt. Dabei rechnet die Ratingagentur mit beiden Tranchen, also auch mit dem aufgeschobenen Teil der Dividende.
Rückstellungen in Milliardenhöhe
Beide Grossbanken haben nach Vorgaben der FINMA also zusätzliche Sicherheiten in Form von Wertberichtigungen und Rückstellungen für faule Kredite gebildet. Die UBS kann auf Rückstellungen im Wert von 268 Millionen Dollar zurückgreifen. Die Credit Suisse tritt der Pandemie mit insgesamt einer Milliarde Franken entgegen. Die Reserven der CS sind höher, weil die Bank dem Preisverfall an den Rohölmärkten und damit den gesteigerten Risiken in ihrem Portfolio Rechnung tragen musste. Doch im europäischen Vergleich sind diese Rückstellungen eher tief.
Beide Banken haben im ersten Quartal die letztjährigen Gewinne überholt – worauf sich die UBS wie auch die CS gerne berufen, wenn es um die grosszügige Verteilung des Gewinns in Form von Dividenden geht. Im Fall der UBS hat die Bank auch von Kundentransaktionen an der volatilen Börse aufgrund des Coronavirus profitiert.
Beim Quartalsergebnis der Credit Suisse lohnt es sich, etwas genauer hinzuschauen. Die Gewinne der Bank wären um 23 Prozent eingebrochen, wenn nicht der Verkauf der Fondsplattform Investlab – wie bereits im vierten Quartal 2019 – die Zahlen beschönigt hätte. Weil die Aktienmärkte im Zuge der Coronakrise eingebrochen sind, hat die Aktie der Credit Suisse dieses Jahr bisher rund 41 Prozent – rund ein Drittel ihres Werts – verloren. Auch im Asset-Management- und Investment-Bereich der Bank lauern gemäss dem Finanzmagazin finews.ch weitere Gefahren.
Werden die grossen Verluste erst kommen?
Tobias Mock ist Leiter des Bereichs Unternehmensrating bei S&P Global Ratings. Er sagt: „Alleine im April dieses Jahres gab es so viele Kreditausfälle wie im ganzen ersten Quartal 2020.“ Von 5’000 Unternehmen bewertet S&P Global Ratings insgesamt 49 Grossunternehmen in der Schweiz. „Für das erste Quartal 2021 erwarten wir, dass die Kreditausfallrate auf acht Prozent steigen wird. Wenn die Krise länger dauert, auf sogar elf Prozent“, sagt Mock. Letztes Jahr lag die Rate in Europa bei knapp 2,5 Prozent.
Mit Blick auf diese Kreditausfallrisiken könne das Corona-Paket des Bundesrats auch als indirekte Absicherung für diese verstanden werden, sagt Guillaume Durin. Um die ökonomischen Auswirkungen der Pandemie zu bekämpfen, werden Schweizer Firmen vom Bundesrat mit insgesamt 40 Milliarden Franken Notkrediten unterstützt. Diese Kredite werden von den Banken vergeben.
Das funktioniert so: Durch die Corona-Kredite können die Banken den KMU schnell und ohne weitere Sicherheiten bis zu einer halben Million Liquidität zur Verfügung stellen. So werden vorerst auch Kreditausfälle und somit Abschreibungen aufseiten der Banken verhindert. Dividendenauszahlungen aufseiten der Unternehmen sind während des Bestehens des Überbrückungskredites aber verboten. Im Juni publizierte die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) eine erste Analyse von rund 94’000 dieser gesprochenen Corona-Kredite über ein Volumen von 11 Milliarden Schweizer Franken. Darin wurden etwa 400 Verstösse festgestellt. Darunter auch Dividendenauszahlungen trotz Verbot.
„Solche Kredite sind für die Banken natürlich Gold wert“, sagt Mock. Doch weil auch die Finanzwelt nach Corona eine andere sein wird, werde die sehr hohe Unsicherheit bleiben und dazu führen, dass Unternehmen auch in den nächsten Jahren weniger Ertrag erwirtschaften. Deshalb müsse man sich die Frage stellen, „ob diese Schuldenlast für KMU nachhaltig tragbar ist“.
Wann ist „nach Corona“?
Niemand weiss, wie lange die Pandemie noch andauern wird und welche Konsequenzen der weltweite Stillstand der Wirtschaft haben wird. Tobias Mock von S&P Global Ratings ist kritisch: „Bei den Anpassungen der Risikoeinschätzung stützen wir uns auf Erfahrungswerte.“ Er meint damit unter anderem Untersuchungen zu den ökonomischen Auswirkungen der Spanischen Grippe 1918.
Das Problem bei der COVID-19-Pandemie sei aber, dass es unter den Bedingungen der heutigen Finanzmärkte noch nie etwas Ähnliches gegeben hat. Und solange es keine Impfung gibt, wird die Unsicherheit gross bleiben, weil der Lockdown jederzeit wieder eintreten kann. Die Unternehmen müssten deshalb ihren Verschuldungsgrad senken, sagt Mock. „Sonst werden die Ausfälle kommen – zwar nicht dieses Jahr, aber sie werden kommen.“
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