Fein­ster Schweizer Astroturf

Indu­stri­elle haben einen Verein gegründet, der das Recht auf Fleisch vertei­digt. Das Resultat ist unfrei­willig komisch – aber wie lange noch? 
Animal Politique macht die Unterdrückung von Tieren und deren Auswirkungen sichtbar (Illustration: Arbnore Toska, @arbnoretoska).

„Carna Libertas“, schon mal gehört? Nein, das ist kein katho­li­scher Geheim­bund aus dem Mittel­alter. Den Verein mit diesem Namen gibt es erst seit 2019. Seine Mission: Er vertei­digt die Frei­heit, Fleisch zu essen.

Dass diese Frei­heit bedroht war, dürfte den Meisten so neu sein wie der Verein selbst. Doch im Internet tritt „Carna Libertas“ mit einer hoch­pro­fes­sio­nellen Webseite in drei Spra­chen auf. Hier eine Lese­probe:

„Hände weg von unseren Tellern

Weit über 90 Prozent der Bevöl­ke­rung in der Schweiz schätzen Fleisch als unent­behr­li­ches und gesundes Lebens­mittel. Wir setzen uns ein für den verant­wor­tungs­vollen Fleisch­ge­nuss und sagen, wie das geht. Damit geben wir der grossen Mehr­heit der Fleisch­ge­nies­se­rinnen und ‑geniesser eine Stimme und vertei­digen deren Inter­essen auf allen Ebenen. Wir halten stand gegen zuneh­mende Druck­ver­suche verschie­den­ster Seiten, die uns vorschreiben wollen, wie und womit wir uns ernähren sollen.“

Das ist natür­lich Quatsch. Zwar verzichten viel zu wenige Leute konse­quent auf Fleisch. Aber auch Fleischesser*innen sehen Fleisch nicht mehr als „unent­behr­lich“. Im Gegen­teil, die meisten sehen es als „ersetzbar“. Laut Coop verzichten 60 Prozent mehr­mals pro Monat bewusst auf Fleisch. Ein Viertel isst regel­mässig pflanz­liche Ersatz­pro­dukte. Tendenz steigend.

Schaut einmal zum Fenster raus, wahr­schein­lich seht ihr bald ein Tier. Sie sind die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung. Doch in der Schweizer Medi­en­land­schaft werden sie meist igno­riert. Animal Poli­tique gibt Gegen­steuer. Nico Müller schreibt über Macht­sy­steme, Medien, Forschung und Lobby­ismus. Und denkt nicht, es gehe immer „nur“ um Tiere. Ihre Unter­drückung hängt oft mit der Unter­drückung von Menschen zusammen. Animal Poli­tique macht das sichtbar.

Nico Müller hat den Doktor in Tier­ethik gemacht und arbeitet an der Uni Basel. Daneben setzt er sich poli­tisch für Tier­schutz und Tier­rechte ein, beson­ders mit dem Verein Animal Rights Switzerland.

Und selbst­ver­ständ­lich haben Fleischesser*innen seit jeher die lauteste Stimme in der Diskus­sion. Deshalb sind wir ja über­haupt in der jetzigen Dauer­ka­ta­strophe gelandet, wo wir 80 Millionen Schweizer Tiere pro Jahr für Fleisch töten und den Planeten aufheizen, bis er gut durch ist.

Damit das klar ist: Wir zahlen jähr­lich zwischen fünf und sechs Millionen Steu­er­franken an die Kampa­gnen von Provi­ande, der Lobby-Orga­ni­sa­tion der Schweizer Fleisch­in­du­strie. Damit polstern wir die Werbe­kasse einer Branche, die gerade Rekord­um­sätze von über fünf Milli­arden Franken im Jahr macht. Der Bedarf für ein weiteres Sprach­rohr ist also wirk­lich denkbar gering.

Wer macht sich trotzdem die Mühe, einen Verein fürs Recht auf Fleisch zu gründen? Im neun­köp­figen Vorstand sitzen viele ältere Herren, die ihr Geld mit Fleisch verdienen. Zum Beispiel ein Verwal­tungs­rats­mit­glied einer Fleisch­firma, ein Vieh­händler, ein Vieh­züchter und ein Metzger. Der Präsi­dent ist eine Ausnahme. Er schreibt für die Weltwoche.

Geht es hier um ökono­mi­sche Inter­essen oder um reak­tio­näre Ideo­logie? Warum nicht beides? Klar ist jeden­falls, dass „Carna Libertas“ nicht aus einer breiten Basis entstand, sondern von Einzelnen in Macht­po­si­tionen konstru­iert wurde. Das ist Fake-Grass­roots-Akti­vismus, auch bekannt als „Astro­turf“ (ein engli­sches Wort für Kunstrasen).

Die Akti­vi­täten des Vereins waren bisher sehr über­schaubar. Laut Jahres­be­richt hat Corona vieles verhin­dert. Was geplant gewesen wäre, wird nicht verraten. Jeden­falls habe man sich mit National- und Ständerät*innen getroffen, drei seien dem Verein direkt beigetreten. Bisher hat aller­dings niemand im National- oder Stän­derat eine Inter­es­sen­bin­dung zum Verein offen­ge­legt. Anson­sten wolle man die Präsenz auf Face­book und Twitter ausbauen. Bei derzeit 71 Fans bezie­hungs­weise 0 Follo­wers gibt es da noch Luft nach oben. Wie gesagt: keine Basis.

Umsatz habe man aber, so der Bericht weiter, knapp über 30’000 Franken gemacht. Ein Drittel davon aus Mitglie­der­bei­trägen und zwei Drittel aus einer „Start­hilfe“ anonymer Herkunft. Bei einem Mitglie­der­bei­trag von nur 20 Franken wären 10’000 Franken ganz beacht­lich für einen so jungen Verein. Doch wie viel davon von Einzel­mit­glie­dern stammt und wie viel von Firmen­mit­glie­dern (1000 Franken pro Jahr), wird nicht aufgeschlüsselt.

„Carna Libertas“ wirkt bei allem Hoch­glanz noch recht unbe­holfen. Die Webseite enthält kaum Content, nur ein paar Medien-Reposts und kurze, etwas wirre Blog­bei­träge. Doch mit genug Unter­stüt­zung kann sich die Qualität schnell ändern. Die Indu­strie hat ja Geld.

Wie gefähr­lich finanz­starker Astro­turf sein kann, zeigt ein Blick in die USA. Auf sozialen Medien kursiert immer wieder die Seite „petakillsanimals.com“. Kommt PETA etwa in irgend­einem Reddit-Thread zur Sprache, taucht auch der Link fast immer auf. Die Webseite gibt vor, miss­bräuch­liche Prak­tiken in PETA-Tier­heimen aufzu­decken. Letzt­lich wird sie als Totschlag­ar­gu­ment gegen jedes Anliegen der Orga­ni­sa­tion benutzt. So hängt ein schwerer Klotz am Bein der welt­grössten Tierrechtsorganisation.

Hinter der Webseite steckt Astro­turf, nämlich das „Center for Consumer Freedom“, finan­ziert unter anderem von Wendy’s, Outback Steak­house und den beiden Fleisch­riesen Cargill und Tyson. Doch das Riesen­budget hat die Anti-PETA-Kampagne nicht mehr nötig. Gutes Astro­tur­fing ist simpel, aufre­gend und shareable. Es verbreitet sich wie von selbst.

Bisher backt „Carna Libertas“ kleine Bröt­chen. Das liegt aber womög­lich nur daran, dass die Tier­rechts­be­we­gung der Schweizer Fleisch­in­du­strie noch nicht genü­gend unbe­quem geworden ist. Für den Moment hat es etwas unfrei­willig Komi­sches, wie sich Menschen in Macht­po­si­tionen über Vegi-Schnitzel aufregen können. Aber passen wir Tierfreund*innen besser auf, dass uns das Lachen nicht im Hals stecken bleibt, wenn sie – wegen uns – erst richtig loslegen.



Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 20 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1300 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Soli­da­ri­sches Abo

Nur durch Abos erhalten wir finan­zi­elle Sicher­heit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unter­stützt du uns nach­haltig und machst Jour­na­lismus demo­kra­tisch zugäng­lich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.

Ihr unter­stützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorg­fältig recher­chierte Infor­ma­tionen, kritisch aufbe­reitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unab­hängig von ihren finan­zi­ellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Jour­na­lismus abseits von schnellen News und Click­bait erhalten.

In der kriselnden Medi­en­welt ist es ohnehin fast unmög­lich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkom­mer­ziell ausge­richtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugäng­lich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure soli­da­ri­schen Abos ange­wiesen. Unser Lohn ist unmit­telbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kriti­schen Jour­na­lismus für alle.

Ähnliche Artikel