Geschenkte CO2-Zerti­fi­kate

Die Idee des Emis­si­ons­han­dels­sy­stems ist simpel: Wer viel CO2 ausstösst, soll Geld bezahlen. Doch der Plan geht nicht auf. Für manche Firmen ist es ein Geschäft. 
Geschenkte CO2-Zertifikate (Illustration: Luca Mondgenast)
Geschenkte CO2-Zertifikate. (Illustration: Luca Mondgenast)

Die hundert grössten Emittent:innen von Klima­gasen in der Schweiz zahlen keine CO2-Abgaben wie die meisten anderen Unter­nehmen – sie beglei­chen ihre CO2-Schulden im Rahmen des Emis­si­ons­han­dels­sy­stems (EHS). Wer nun denkt, dass sie so mehr zum Klima­schutz beitragen, liegt falsch. Das Gegen­teil ist der Fall: Anstatt pro Emis­si­ons­tonne 120 Franken CO2-Abgabe zu bezahlen, müssen diese Firmen ledig­lich CO2-Zerti­fi­kate abgeben. Und diese erhalten sie über­wie­gend vom Staat, und zwar umsonst.

Zu den EHS-Firmen gehören zum Beispiel Hoff­mann-La Roche, Perlen Papier oder die beiden Stahl­kon­zerne Steeltec und Stahl Gerla­fingen. Auf den Start der neuen Handel­s­pe­riode kamen 2021 auch noch weitere bekannte Namen hinzu. Die Milch­ver­ar­bei­terin Emmi oder auch das Holz­un­ter­nehmen Swiss Krono haben 2021 frei­willig ins EHS-System gewechselt.

Das Zerti­fikat-Geschäft

Für die ausge­stos­senen Tonnen Klima­gase müssen die EHS-Firmen Zerti­fi­kate abgeben. Solche, die sie vom Bund umsonst bekommen, oder solche, die sie auf dem CO2-Markt einkaufen. Laut dem natio­nalen Emis­si­ons­han­dels­re­gi­ster erhielten alle EHS-Firmen zusammen in der Handel­s­pe­riode 2013 bis 2020 CO2-Zerti­fi­kate für den Ausstoss von 38 Millionen Tonnen Klima­gase vom Bund geschenkt. Zerti­fi­kate ablie­fern mussten sie dem Bund nur gering­fügig mehr, nämlich für 39 Millionen Tonnen. Hätten die Firmen – anstatt die Verschmut­zungs­rechte für 38 Millionen Tonnen geschenkt zu erhalten – die heute geltende CO2-Abgabe von 120 Franken pro Tonne bezahlen müssen, wären das pro Jahr 570 Millionen Franken [1].

Wie kann es also sein, dass die EHS-Konzerne so glimpf­lich davon­kommen? Die Anzahl der Gratis­zer­ti­fi­kate, die das Bundesamt für Umwelt (BAFU) den einzelnen EHS-Konzernen über­weist, hängt im Wesent­li­chen von zwei Faktoren ab. Erstens: Wie gut der Konzern bezüg­lich Emis­sionen im Vergleich mit dem euro­päi­schen Durch­schnitt abschneidet. Und zwei­tens: Wie hoch die Gefahr ist, dass der Konzern bei zu hoher CO2-Abga­be­last seine Produk­tion und die damit verbun­denen Emis­sionen ins Ausland verlegt. Konzerne, bei denen diese Gefahr besteht, fallen in die Kate­gorie „Carbon-Leakage-gefährdet“.

Für die Einschät­zung dafür, ob ein Unter­nehmen „Carbon-Leakage-gefährdet“ ist oder nicht, bedient sich die Schweiz einer Tabelle aus der EU-Gesetz­ge­bung. In dieser Tabelle sind Sektoren aufge­li­stet, bei denen davon ausge­gangen wird, dass ein Risiko der Verla­ge­rung von CO2-Emis­sionen besteht.

Laut BAFU fielen von 2013 bis 2020 von den 51 EHS-Firmen 35 in die Kate­gorie „Carbon-Leakage-gefährdet“ und erhielten deswegen deut­lich mehr Zerti­fi­kate als die anderen Firmen im EHS. 23 Anlagen erhielten sogar mehr Zerti­fi­kate, als sie in dieser Zeit zur Beglei­chung der CO2-Rech­nung abgeben mussten [2]. Darunter einige bekannte Namen wie Hoff­mann-La Roche, Perlen Papier, die Model AG oder Holcim. Der Beton­riese Holcim sitz deshalb laut einer SRF-Recherche gar auf einem ganzen Haufen unge­nutzter Emissionszertifikate.

Keine Anreize für Reduktionen

Die Eidge­nös­si­sche Finanz­kon­trolle (EFK) prüfte 2017 die Lenkungs­wir­kung des EHS und kommt zu einem ernüch­ternden Fazit: „Gene­rell kann gefol­gert werden, dass das Schweizer EHS in der Verpflich­tungs­pe­riode 2013 – 2020 für die teil­neh­menden Firmen prak­tisch keine direkten Anreize schafft, um den CO2-Ausstoss zu reduzieren.“

Daran wird auch der in letzter Zeit stark ange­stie­gene Preis für CO2-Zerti­fi­kate nicht viel ändern. Denn die meisten Schweizer EHS-Firmen müssen ja, wenn über­haupt, nur einen kleinen Teil der Zerti­fi­kate selber kaufen.

Viel­mehr werden die Schweizer EHS-Firmen para­do­xer­weise sogar noch von der Preis­stei­ge­rung profi­tieren. Denn wenn sie wollen, können sie ihre über­schüs­sigen Zerti­fi­kate weiter­ver­kaufen. Und mit dem stei­genden CO2-Preis erhöht sich der Wert der Zerti­fi­kate, die sie in der Vergan­gen­heit erhalten, nicht gebraucht und nun auf Reserve haben.

Auch das neuste CO2-Gesetz, das gerade in der Vernehm­las­sung ist, wird und kann nicht viel daran ändern, dass das EHS ein zahn­loser Tiger ist. Warum? Das Schweizer EHS ist seit 2020 dem euro­päi­schen EHS ange­schlossen. Die Impulse für die Weiter­ent­wick­lung des Emis­si­ons­han­dels kommen deshalb vorwie­gend aus Brüssel.


...ein neuer Entwurf vor. Er ist derzeit in der Vernehm­las­sung. Bis am 4. April 2022 können Kantone, Gemeinden und Städte, die poli­ti­schen Parteien, aber auch Wirt­schafts­ver­bände oder Umwelt­schutz­or­ga­ni­sa­tionen den neusten Entwurf kommen­tieren und Ände­rungs­vor­schläge anbringen. Nach der Vernehm­las­sung muss das Gesetz noch durch das Parla­ment – es kann sich also noch viel ändern.

Zusam­men­fas­send lässt sich sagen: Es gibt keine Flug­ticket­ab­gabe, der Finanz­platz wird weiterhin nicht regu­liert und die CO2-Abgabe auf 120 Franken pro Tonne Klima­gase fixiert. Für Indu­strie und Gewerbe gibt es zwar kleine Verschär­fungen. Aber genauso wie das im Sommer abge­lehnte Gesetz verlangt auch dieser Entwurf den Firmen mit den grössten CO2-Emis­sionen weniger ab als den KMU und Privathaushalten.

Die privaten Haus­halte werden nicht nur mehr zahlen, sondern auch weniger zurück­er­halten, denn der Bundesrat sieht vor, bei der CO2-Abgabe die Teil­zweck­bin­dung zu erhöhen. Gleich­zeitig kommen die Unter­nehmen gut weg: So soll der Verkehrs­sektor weiterhin von der CO2-Abgabe verschont bleiben. Zudem sollen zukünftig nicht mehr nur Unter­nehmen bestimmter Wirt­schafts­sek­toren, sondern alle Firmen die Möglich­keit haben, Ziel­ver­ein­ba­rungen abzu­schliessen – und sich so von der CO2-Abgabe befreien zu lassen.

Ande­rer­seits sollen die grössten Emittent:innen, also die Firmen, die ihre CO2-Schuld im Emis­si­ons­han­dels­sy­stem beglei­chen, weiterhin bei der Rück­ver­tei­lung der CO2-Abgabe profi­tieren, ohne dass sie selber etwas in den Abga­be­topf einzahlen. Immerhin möchte der neuste Entwurf die Rück­ver­tei­lung der CO2-Abgabe an andere abga­be­be­freite Unter­nehmen abschaffen. 

Eine detail­lierte Analyse des neusten Geset­zes­vor­schlags findet ihr hier.


Nichts zahlen, trotzdem Geld zurück

Eine Rege­lung für die EHS-Firmen wird aber durchaus über das Schweizer CO2-Gesetz gemacht. Und zwar die Rück­ver­tei­lung der CO2-Abgabe. Abge­sehen von den EHS-Firmen zahlen die meisten Unter­nehmen und alle Privat­haus­halte auf fossile Brenn­stoffe wie Heizöl oder Erdgas die erwähnte CO2-Abgabe. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Steuer, sondern um eine Lenkungs­ab­gabe. Der Staat sackt das Geld nicht einfach ein, sondern verteilt es gröss­ten­teils gleich­mässig an Bevöl­ke­rung und Wirt­schaft zurück.

Die Idee dahinter: Wer heute schon klima­freund­lich lebt oder wirt­schaftet, profi­tiert unter dem Strich, da man dann quasi mehr zurück­er­hält, als man für das Verbrennen von Erdgas und Erdöl in Form von CO2-Abgaben bezahlen musste. Wer dagegen viele fossile Brenn­stoffe verbraucht, muss entspre­chend auch mehr CO2-Abgaben bezahlen und macht unter dem Strich Minus.

Die Rech­nung scheint also aufzu­gehen, ausser eben bei den EHS-Firmen: Bei denen kommt in der CO2-Abga­be­bi­lanz immer ein Plus heraus. Denn sie dürfen bei der Rück­ver­tei­lung der CO2-Abgabe die hohle Hand machen, ohne vorher etwas einge­zahlt zu haben.

Um wie viel Geld es bei der Rück­ver­tei­lung der CO2-Abgabe an die EHS-Firmen konkret geht, kann das BAFU auf Anfrage nicht sagen, da die Über­wei­sungen an die EHS-Firmen nicht separat erfasst werden. Die EFK schreibt jedoch, dass die Beträge „teil­weise bedeu­tend“ seien und in einigen Fällen „die Kosten für den Kauf von Emis­si­ons­rechten bis 2020 zu 100 Prozent“ gedeckt hätten. Bereits 2017 kam die EFK deshalb zu folgendem Schluss: „Die EFK empfiehlt dem BAFU eine Geset­zes­än­de­rung vorzu­schlagen, die die Rück­ver­tei­lung an abga­be­be­freite Firmen künftig ausschliesst.“

Wie bereits in der letzten CO2-Vorlage, die im Sommer abge­lehnt wurde, setzt aber auch der neue Vorschlag für ein CO2-Gesetz die Empfeh­lung der EFK nicht um. Die offi­zi­elle Begrün­dung des BAFU: „EHS-Firmen sind zur Teil­nahme verpflichtet und haben keine Wahl. Deswegen will das Parla­ment, dass sie eine Rück­ver­tei­lung erhalten.

Ein Parla­men­ta­rier, der das so sieht, ist FDP-Natio­nalrat Matthias Jauslin. Bei den Diskus­sionen rund um den letzten Entwurf des CO2-Gesetzes habe auch er der Rück­ver­tei­lung an die EHS-Firmen zuge­stimmt: „Denn was man auch sehen muss: Die Firmen, um die es hier geht, stellen viele Arbeits­plätze.“ Zudem könne es in künf­tigen Diskus­sionen von Vorteil sein, eine gewisse Verhand­lungs­masse zu haben.

Auch in der Mitte-Frak­tion findet man dieses Vorgehen richtig, sagt Natio­nalrat Stefan Müller-Alter­matt auf Anfrage: „Das EHS hat mit der CO2-Abgabe nicht viel zu tun. Gewisse Firmen werden aber dazu gezwungen, am EHS teil­zu­nehmen. Das heisst, sie müssen sich Emis­si­ons­rechte erwerben, um eine gewisse Menge CO2 auszu­stossen.“ Entspre­chend stehe ihnen im CO2-Abga­be­sy­stem die Rück­ver­tei­lung genauso zu wie allen anderen Firmen, so Müller-Altermatt.

Bei den Grün­li­be­ralen ist man skep­ti­scher. GLP-Natio­nalrat Martin Bäumle war gegen die Rück­ver­tei­lung an die EHS-Firmen, trug aber den Kompro­miss am Ende mit.

Bei den Grünen sei man dagegen, dass an abga­be­be­freite Unter­nehmen rück­ver­teilt werde, sagt Natio­nalrat Bastien Girod. Ähnlich klingt es bei der SP. Natio­nal­rätin Martina Munz meint: „Es wäre richtig, die Firmen, welche am Emis­si­ons­han­dels­sy­stem teil­nehmen, von der Rück­ver­tei­lung der CO2-Abgabe auszu­nehmen. Leider wurde diese Chance im neuen CO2-Gesetz verpasst.“

Ablass­handel geht vorerst weiter

Trotzdem ist Munz opti­mi­stisch, dass Firmen mit einem hohen Ausstoss bald einen ange­mes­senen Preis für ihre Emis­sionen bezahlen müssen – Neue­rungen im EU-Regel­werk sei Dank: „Die Kosten für die Zerti­fi­kate werden deshalb in näch­ster Zeit ansteigen. Die Zeiten des Ablass­han­dels sind vorbei.“

Diese Einschät­zung wirkt jedoch wie reines Wunsch­denken. Denn obwohl die CO2-Preise in den letzten Monaten tatsäch­lich stark ange­stiegen sind, müssen in der Schweiz die wenig­sten EHS-Firmen viele Zerti­fi­kate zusätz­lich selber kaufen. Viele haben sogar über­schüs­sige Zerti­fi­kate. Absur­der­weise ist die Preis­er­hö­hung für diese Firmen dann sogar mehr Geld­segen als CO2-Kosten­fluch.

Diese Absur­dität wäre wohl erst dann entschärft, wenn die Firmen nicht mehr als „Carbon-Leakage-gefährdet“ einge­stuft würden. Die EU plant tatsäch­lich Neue­rungen in diese Rich­tung. Diese treten jedoch frühe­stens 2026 in Kraft. Zudem sieht das Regel­werk für „Carbon-Leakage-gefähr­dete“ EHS-Firmen eine Über­gangs­frist von zehn Jahren vor. Für den Gross­teil der Schweizer EHS-Firmen würden die neuen EU-Regeln also frühe­stens ab 2036 greifen. So schnell, wie sich das Martina Munz wünscht, werden die Zeiten des Ablass­han­dels wohl doch nicht vorbei sein.

Dieser Beitrag erscheint zeit­gleich bei der WOZ.


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[1] Gratis zuge­teilte Zerti­fi­kate für 38’188’109 Tonnen Klima­gase in acht Jahren sind im Schnitt 4’773’513 geschenkte Tonnen pro Jahr. Müsste man dafür 120 Franken CO2-Abgabe bezahlen, wären das 572’821’635 Franken pro Jahr.

[2] In der Handel­s­pe­riode 2013 bis 2020 nahmen 51 Firmen mit 56 Anlagen am EHS teil.

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