Hayek in Honduras: Eine Schweizer Stif­tung verspricht Reichen das Paradies

In Honduras erbauen inter­na­tio­nale Investor:innen Privat­städte zur Steu­er­flucht. Spuren des markt­ra­di­kalen Projekts führen nach St. Gallen, Zürich und Genf. 
Geschmackvoll wohnen vor idyllischer Kulisse: die Próspera-Kolonie auf der honduranischen Insel Roatán. (Foto: www.propera.hn)

Lock­down, Infla­tion, wirt­schaft­li­cher Zerfall, Massen­über­wa­chung und „Cancel Culture“ führen zu gesell­schaft­li­chen Turbu­lenzen und Unruhen. So malen sich die Veranstalter:innen der Konfe­renz Liberty in Our Life­time die Zukunft aus. Orga­ni­siert wurde diese Mitte Oktober von einer Stif­tung mit Sitz in Zürich, die gegen das drohende Unheil auch gleich eine Lösung zur Hand hat: Dem „Tota­li­ta­rismus“ entrinnt man durch einen unver­mit­telten Sprung in die Frei­heit auto­nomer Privatstädte.

Diese Vision präsen­tierten Vertreter:innen der Stif­tung Free Private Cities Foun­da­tion an der Konfe­renz im Thurgau oder genauer: im Regie­rungs­sitz des Staates „Avalon“, einem Privat­reich des Indu­stri­ellen Daniel Model in der Gemeinde Müll­heim. Im klas­si­zi­stisch anmu­tenden drei­stöckigen Natur­steinbau mit Kuppel­dach trat auch Stif­tungsrat Titus Gebel, der Erfinder des Konzepts freier privater Städte, auf. Der Unter­nehmer und Inve­stor mit Wohn­sitz in Monaco warb für seine Mission: „Neue Produkte in den ‚Markt des Zusam­men­le­bens‘ einzu­führen“, um „Enteig­nungen“ durch Steuern und Sozi­al­ab­gaben zu mindern.

Gebels Konzept ist schlicht. Private bieten auf einem begrenzten Gebiet die „Dienst­lei­stungen“ des Staates. Auf selbst­ge­schaf­fener recht­li­cher Grund­lage werden von einer Firma Sicher­heits- und Rettungs­kräfte sowie Gerichte betrieben. Die Bewohner:innen der privaten Städte entrichten dafür eine Gebühr. Bei Strei­tig­keiten zwischen „Staat“ und „Bürgern“ soll ein inter­na­tio­nales Schieds­ge­richt entscheiden. Die Voll­streckung der Urteile will Gebel dem Markt über­lassen: „Igno­riert der Betreiber die Schieds­sprüche oder miss­braucht er seine Macht auf andere Weise, wandern seine Kunden ab, und er geht in die Insol­venz.“ Die Privat­po­lizei soll sich auflösen, wenn sie nicht mehr bezahlt werden kann.

Auf dem Konfe­renz­areal in „Avalon“ gilt derweil die Schweizer Rechts­ord­nung. Zuständig ist die Thur­gauer Polizei. Man könnte die Privat­staaten als obskure Fantasie abtun, gäbe es nicht bitter­arme Welt­re­gionen, die auf Inve­sti­tionen und finan­zi­elle Einnahmen drin­gend ange­wiesen sind und sich von den privaten Boll­werken der Steu­er­flucht ein natio­nales Geschäfts­mo­dell versprechen.

Geset­zes­re­vi­sion erlaubt markt­ra­di­kale Utopie

Das ist der Fall in Honduras. Im zentral­ame­ri­ka­ni­schen Land, in dem mehr als zwei Drittel der Bevöl­ke­rung unter der Armuts­grenze leben, wurde 2013 die Verfas­sung einschnei­dend geän­dert. Der Staat kann seither „Zonen für Beschäf­ti­gung und Wirt­schaft­liche Entwick­lung“ (ZEDE) mit eigenen Gesetzen und Gerichten zulassen, die von privaten Firmen verwaltet werden. Die Regie­rung will mit dieser radi­ka­li­sierten Vari­ante der Sonder­wirt­schafts­zonen, wie sie mit Chinas gigan­ti­schem Indu­strie­gürtel bei Hong­kong berüch­tigt geworden sind, Investor:innen und Unter­nehmen anlocken.

Das sorgte für Freude an der Konfe­renz im thur­gaui­schen „Avalon“. Dort stellte US-Tech-Unter­nehmer Joel Bomgar per Video­kon­fe­renz eines der fünf Projekte in Honduras vor: Prós­pera. Bomgar wurde kürz­lich zum Präsi­denten der privaten Stadt ernannt, die auf der Kari­bik­insel Roatán vor der Küste Honduras entsteht. Von der Insel, die etwa die Grösse von Hong­kong Island hat, wurden bislang rund 230’000 Quadrat­meter in Besitz genommen. Das entspricht etwa der Fläche von 32 Fussballfeldern.

Noch kann man in Prós­pera bloss einen digi­talen Wohn­sitz erstehen. Kosten­punkt: 130 US-Dollar pro Jahr inklu­sive Adresse und der Möglich­keit, über die Privat­stadt Handel zu treiben und Firmen zu gründen. Im Oktober 2022 soll aber das erste 14-stöckige Hoch­haus mit 85 Wohnungen, Büro­fläche und Handels­platz fertig­stellt sein. Die günstig­sten Wohn­ein­heiten sollen dann ab 150’000 Dollar zu kaufen sein, der physi­sche Wohn­sitz für Ausländer kostet zudem 1’400 Dollar Gebühren im Jahr. Titus Gebel rechnet in einem „offenen Brief an alle Milli­ar­däre“ auf der Website seiner Stif­tung mit 300 Millionen Dollar, um die Stadt zu etablieren. Wer dereinst dort wohnt, soll nicht nur Steuern sparen, sondern auch mitbe­stimmen können: Die Stimm­an­teile werden im liber­tären Kari­bik­pa­ra­dies nach Umfang des Eigen­tums verteilt. Wer mehr besitzt, soll auch mehr zu sagen haben.

Die Regie­rungen der hoch­ent­wickelten Länder werden eine solche private Oase der Steu­er­flucht in diesen unsteten Zeiten kaum zulassen. Aktu­elle Debatten zumin­dest weisen in eine andere Rich­tung. Das Geschäfts­mo­dell von Prós­pera umfasst aber einen weiteren Aspekt: Derzeit arbeiten dort laut Bomgar neben den lokalen Bauarbeiter:innen und Gärtner:innen rund 30 Menschen in Verkauf, Finanz­ana­lyse, Human Resources und Soft­ware­ent­wick­lung für inter­na­tio­nale Unter­nehmen. Insge­samt sollen auf Roatán 10’000 Offshore-Arbeits­plätze geschaffen werden. Die Privat­stadt wirbt mit beson­ders schlechtem Arbeits­schutz, also freier Hand in Sachen flexi­bler und prekärer Arbeitsverhältnisse.

Die theo­re­ti­sche Basis: Superliberalismus

Auf der Webseite des Projekts heisst es voll­mundig: „Prós­pera inte­griert die Menschen der benach­barten Gemeinde, indem es die Einhei­mi­schen in der Beschaf­fung, dem Bau und der Verwal­tung der Häuser schult und zu Bildung, sani­tären Einrich­tungen und flies­sendem Wasser beiträgt.“ Die Realität sieht anders aus. Laut einer Jour­na­li­stin der NZZ am Sonntag, die vor Ort war, bekamen jene Einhei­mi­schen eine Rech­nung für die Wasser­ver­sor­gung präsen­tiert. Sollten sie nicht bezahlen, würde diese gekappt, drohte demnach der Geschäfts­führer der Privat­stadt. Viele der rund 30’000 Menschen auf Roatán gehören der indi­genen Gemein­schaft der Gari­funa an und leben von Fisch­fang oder Gele­gen­heits­ar­beiten. Sie fürchten sich vor der Vertrei­bung und haben sich zum Wider­stand formiert. Das Gesetz der Privat­stadt, die sich weiter ausbreiten will, erlaubt eigen­mäch­tige Enteignungen.

Eigent­lich verspricht Honduras‘ Regie­rung Trans­pa­renz in den Sonder­wirt­schafts­zonen: Ein Gremium namens CAMP soll die Vorgänge über­wa­chen. Ein beson­deres Gewicht im Gremium hat Juan Orlando Hernández, der Präsi­dent von Honduras, der mehrere Vertrau­ens­leute zu CAMP geholt hat. Sein Bruder wurde in den USA wegen Drogen­han­dels in grossem Stil verur­teilt, laut Staats­an­walt­schaft war auch der Präsi­dent darin invol­viert. Die hondu­ra­ni­sche Juri­stin Andrea Nuila mutmasste in einem Inter­view mit dem Latein­ame­rika-Magazin Ila, dass hinter den ZEDEs Absichten der Geld­wä­sche und Inter­essen der Drogen­mafia stecken. Mitt­ler­weile haben sich mehrere namhafte Partner:innen wegen Intrans­pa­renz zurück­ge­zogen. Geblieben sind finanz­starke Investor:innen und der Consul­ting­kon­zern Ernest & Young.

Den Vorsitz von CAMP hatte Barbara Kolm inne, eine ehema­lige FPÖ-Poli­ti­kerin und Mitglied der Mont Pelerin Society (MPS), der histo­risch wich­tig­sten Orga­ni­sa­tion der Neoli­be­ralen. Im 21-köpfigen Gremium sitzen sieben Mitglieder der MPS. Das zeigt die ideo­lo­gi­sche Basis des Projekts: Initiator der Mont Pelerin Society war Fried­rich August von Hayek, der eben­falls in Latein­ame­rika enga­giert war. Der Ökonom besuchte 1977, vier Jahre nach dem blutigen Mili­tär­putsch in Chile, den dortigen Diktator Augusto Pino­chet, um ihn zu unter­stützen. Die Begrün­dung: Die Frei­heit des Eigen­tums stehe über der poli­ti­schen Frei­heit. Es ging den Neoli­be­ralen nie um die Abschaf­fung des Staates als Ordnungs­macht, sondern darum, dass er Bedin­gungen schafft, in denen Eigentum und Markt beson­ders gut gedeihen. Eine Privat­re­gie­rung mit bewaff­neten Verbänden treibt diese Idee auf die Spitze.

Eine Zürcher Stif­tung und ein Genfer Verein

Bekannt wurde die Zusam­men­set­zung von CAMP durch Recher­chen des Baker Street Herald. Auf der Liste findet sich auch Lars Seier Chri­stensen, seit 2010 Einwohner des Kantons St. Gallen. Der Gründer der Saxo Bank fügt sich perfekt ins Bild: Er ist eben­falls Mitglied der Mont Pelerin Society sowie des Ayn Rand Insti­tuts, benannt nach einer berühmten markt­ra­di­kalen Märchenerzählerin.

Weitere Spuren führen von Honduras in die Schweiz. Orga­ni­siert wurde die eingangs erwähnte Thur­gauer Werbe­kon­fe­renz für private Städte von der Free Private Cities Foun­da­tion mit Adresse im Zürcher Kreis 1. Stif­tungsrat Titus Gebel hat mass­geb­lich am Aufbau von Prós­pera mitge­wirkt. Er entwickelte als Chef­ju­rist den recht­li­chen und admi­ni­stra­tiven Rahmen mit. Mitt­ler­weile sei er nur noch Inve­stor, heisst es in einem News­letter der Stif­tung. Auf schrift­liche Fragen von das Lamm reagierte die Free Private Cities Foun­da­tion nicht, ein tele­fo­ni­scher Kontakt war nicht zu ermitteln.

Die Stif­tung wirbt: „Für stra­te­gi­sche Inve­storen ab sechs­stel­ligen Beträgen teilen wir kostenlos unser Insider-Wissen über die Indu­strie, stellen Kontakte her und geben aktu­elle Markt­ein­schät­zungen.“ Diese Invest­ment­be­ra­tung gilt der Free Private Cities Foun­da­tion als „ehren­amt­li­ches akade­mi­sches Enga­ge­ment zugun­sten der Entwick­lung“ des Marktes freier Städte. „Extrem lang­fri­stige Inve­sti­tionen“ seien schliess­lich eine Form von Phil­an­thropie, heisst es auf der Website der Stif­tung weiter.

Das Anla­ge­mo­dell der freien Privat­städte weiss Titus Gebel aber auch gängig kommer­ziell zu bewirt­schaften: Als CEO der in Panama ansäs­sigen Kapi­tal­ge­sell­schaft Tipolis unter­stützt er Inter­es­sierte in Sachen Sonder­wirt­schafts­zonen. Ausserdem ist er Vorsit­zender der FEMOZA Manage­ment Company auf der Steu­er­oase Isle of Man, die sich demselben Thema widmet. Eng verbunden ist diese mit dem gleich­na­migen Verband für Frei­han­dels- und Sonder­wirt­schafts­zonen, der als Verein nach Schweizer Zivil­recht in Genf ange­sie­delt ist. Mit der Public Rela­tion nimmt man es dort offenbar nicht so genau, so wird etwa Post­Fi­nance als Partner ange­führt. Diese erklärt aber gegen­über das Lamm, dass das Logo wider­recht­lich auf der Website plat­ziert worden sei. Man habe sich an FEMOZA gewandt.

Die Liste aktu­eller Part­ner­schaften von FEMOZA deutet auf wenig Berüh­rungs­ängste mit auto­kra­ti­schen Regimen hin. Sie umfasst offi­zi­elle Insti­tu­tionen aus Weiss­russ­land, Iran, Kasach­stan, dem Mittel­meer­raum und Serbien, wo man nach eigenem Bekunden auf die Förde­rung von Sonder­wirt­schafts­zonen hofft. Die Free Private Cities Foun­da­tion weist ihrer­seits auf weitere Inve­sti­ti­ons­mög­lich­keiten hin: Minde­stens zwei Projekte in Afrika hätten bereits mit Regie­rungen Absichts­er­klä­rungen für auto­nome Zonen geschlossen. Ange­sichts der Gegen­wehr in Honduras hat die Stif­tung für künf­tige Grün­dungen einen sprach­po­li­ti­schen Ratschlag auf ihrer Website parat: „Zur Vermei­dung unnö­tigen Wider­stands kann es ange­zeigt sein, das Projekt als ‚Sonder­wirt­schafts­zone Plus‘, ‚Inno­va­ti­ons­zone‘, ‚Prospe­rity Zone‘ oder ähnlich zu bezeichnen“.


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