Für Markus Hausammann ist es keine neue Erkenntnis: „Die Klimaerwärmung schreitet voran und wir Menschen sind dafür mitverantwortlich.” Als Landwirt leidet er besonders unter der Rekordhitze der letzten Monate. Viehhalter hatten in diesem Sommer grosse Probleme. Sie konnten ihre Tiere kaum durchfüttern: Die Weiden sind braun, die Felder staubtrocken, die Pflanzen gehen bei so wenig Niederschlag ein. Laut Reto Knutti, Klimaforscher an der ETH Zürich, ist dem Klimawandel mit zwei Strategien zu begegnen: Einerseits müssen wir uns auf extremere Wetterlagen vorbereiten und uns ihnen anpassen. Andererseits müssen wir alles daransetzen, ein weiteres Ansteigen der Temperaturen aufzuhalten.
Schnelle Massnahmen reichen nicht
Neben seiner Tätigkeit als Landwirt sitzt Hausammann im Vorstand des Schweizer Bauernverbands (SBV). Der SBV setzt hauptsächlich auf erstere Methode: Anpassung an das neue Klima. Vor einigen Wochen veröffentlichte der Verband ein Sofortmassnahmenpapier, damit die landwirtschaftlichen Betriebe mit der Hitze umgehen können. Unter anderem fordert es, dass sich Landwirt_innen gegenseitig aushelfen, indem sie zum Beispiel vorrätiges Futter in Futterbörsen platzieren. Und es hält alle Mitglieder der Wertschöpfungsketten dazu an, nicht von der Notlage der Landwirt_innen zu profitieren.
Das sind brancheninterne Richtlinien, die die Lage schnell und unkompliziert entschärfen sollen. Das Papier forderte aber auch die Politik zum Handeln auf: Importzölle auf Futter sollen aufgehoben werden, damit billiges Futter aus dem Ausland bezogen werden kann. Dieser Forderung ist der Bundesrat bereits nachgekommen. Viele Landwirt_innen begrüssen das Papier, da es zur Solidarität unter den Betroffenen aufruft. Aber das eigentliche Problem kann man nicht mit so kurzsichtigen Massnahmen lösen.
Denn Klimaforscher_innen sind sich einig, dass solch hohe Temperaturen in Zukunft keine Seltenheit sein werden. Landwirt_innen sind zum einen Verursacher der Klimaerwärmung, schliesslich produzieren sie grosse Mengen an Treibhausgasen. Sie sind aber auch besonders stark von ihr bedroht. Es würde also auf der Hand liegen, dass gerade Bauern und Bäuerinnen strenge und konsequente Klimagesetze fordern, um ein weiteres Ansteigen der Temperatur aufzuhalten. Doch konkrete Forderungen an die Politik, um der Klimaerwärmung entgegenzuwirken, möchte der SBV jetzt nicht stellen. Wie ein Vertreter auf Anfrage erklärt, fordert der Verband zwar, dass das Pariser Klimaabkommen umgesetzt und das CO2-Gesetz revidiert wird. Öffentliche Stellungnahmen finden sich dazu aber nicht.
Möchte sich der SBV nicht zu weit aus dem Fenster lehnen? Die Vorsicht leuchtet ein: Viele Vorstandsmitglieder sind in der SVP aktiv. Und gerade die SVP stellt sich bei klimapolitischen Vorstössen oft quer. Der klimabewusste Bauer Hausammann sitzt für die SVP sogar im Nationalrat. Er möchte statt Gesetzen eine gesellschaftliche Veränderung: „Ich appelliere an den gesunden Menschenverstand. Es ist absurd, alles über Gesetze steuern zu wollen. Viel eher müssen wir die Leute über den Klimawandel aufklären und darüber, was sie selber tun können, um ihn einzudämmen.“
Diese Strategie findet Reto Knutti zweifelhaft: „In der Vergangenheit haben wir solche grossen Umweltprobleme immer über verbindliche Regeln gelöst. So haben wir zum Beispiel eingeführt, dass alle Haushalte einen Anschluss an eine Kläranlage haben müssen. Seither haben alle Seen und Flüsse sauberes Wasser.“ Bei solch weitreichenden Problemen könne man sich nicht auf die Vernunft der einzelnen Personen verlassen. Denn damit öffne man Tor und Tür für Leute, die sich um den Klimawandel foutieren und machen, was sie wollen. „Die SVP ist in klimapolitischen Bestrebungen immer die grösste Blockade“, sagt Knutti.
Das SVP-Positionspapier „Für eine Klimapolitik mit Augenmass“ ist zwar schon zehn Jahre alt, aber immer noch das aktuellste Papier der Partei zur Klimapolitik. In ihm streitet die SVP die Klimaerwärmung nahezu komplett ab: „Seit dem Jahr 1998 hat es weltweit keine Erwärmung mehr gegeben, seit 2005 kühlte es gar ab.“ Den Umweltschützer_innen wirft sie Hysterie und Emotionalität vor. Die SVP vertritt eine konsequent staatsfeindliche Politik und fordert so wenig Regulierung wie möglich. Und auch wenn innerhalb der SVP durchaus eine kontroverse Debatte geführt wird – die SVP-Fraktion im Nationalrat stimmt meistens geschlossen gegen eine Verschärfung der Klimagesetze.
Ökonomie vs. Nachhaltigkeit
Und trotz dieser Einigkeit in der Klimapolitik ist die Haltung der SVP zur Landwirtschaft widersprüchlich. Das zeigte sich Ende 2017. Damals veröffentlichte der Bundesrat eine Gesamtschau zur Agrarpolitik ab 2022. Darin hielt er seine Vision für die Schweizer Landwirtschaft der Zukunft fest und zog Bilanz über die letzten Jahre. Wichtiger Bestandteil dieser Vision: Grenzöffnung und stärkere Anbindung an den globalen Agrarmarkt. Ausserdem möchte der Bundesrat einen Strukturwandel vorantreiben: Von einer Vielzahl an kleinen Betrieben hin zu wenigen grossen Betrieben.
Die Absichten des Bundesrats werden von Economiesuisse und FDP unterstützt. Die SVP hingegen reagierte empört. Nur steckt sie jetzt in einem Widerspruch: In klimapolitischen Debatten argumentiert sie oft im Interesse von Unternehmen und spricht sich für eine wettbewerbsfähige Schweizer Wirtschaft aus. Zum Beispiel in der aktuellen Debatte um die CO2-Totalrevision. Mit ihr möchte der Bundesrat die Zugeständnisse des Pariser Klimaabkommens umsetzen und die Treibhausgasemissionen um 25 Prozent im Vergleich zu 1990 senken. Die SVP nennt die Vorlage „in höchstem Masse wirtschafts‑, wohlstands- und freiheitsfeindlich“ und fordert sogar, dass das CO2-Gesetz gleich ganz abgeschafft wird. In einer aufgebrachten Stellungnahme zur Klimapolitik schrieb Toni Brunner 2009: „Verbote und Zwangsabgaben erreichen hingegen nur eines: Die Schwächung des Wirtschaftsstandortes Schweiz im globalen Wettbewerb und eine zusätzliche Belastung der Steuerzahler, was sich wiederum negativ auf den Konsum auswirkt.“ In der Diskussion um die Agrarpolitik 2022 allerdings zeigt sich die SVP von einer ganz anderen Seite. Da sieht sie die Schweizer Landwirte gefährdet, wenn sie auf einem globalen Markt bestehen müssen.
Landwirt_innen stehen also von zwei Seiten unter Druck: Einerseits müssen sie nachhaltig arbeiten. Nicht nur, um ihre Ernten langfristig zu retten, sondern auch, um die bereits aktiven Auflagen des Bundesamts für Umwelt (BAFU) zu erfüllen. Und andererseits stehen sie unter wirtschaftlichem Druck und müssen wettbewerbsfähige und gewinnorientierte Betriebe führen, um dem Strukturwandel zu trotzen. Das passt nicht ganz zusammen, findet Patricia Mariani von der Kleinbauern-Vereinigung: „Je mehr man auf den Preis schauen muss, desto mehr leidet jemand anderes: die Tiere, die Umwelt oder die Menschen. Die Schweizer Landwirtschaft kann sich aber nicht mit der internationalen Massenproduktion messen, sondern muss konsequent auf die Qualitätsstrategie setzen.“
Die Kleinbauern-Vereinigung hat das Heu oft nicht auf derselben Bühne wie der SBV. Bei der Agrarpolitik 2022 sind sie sich ausnahmsweise einmal einig. Beide lehnen die geplanten Massnahmen zum Strukturwandel und den Grenzöffnungen des Bundesrats ab: „Wir setzen uns ein für eine vielfältige Landwirtschaft. Es braucht Vielfalt an Betrieben und eine Vielfalt auf den Betrieben. Damit sind wir anpassungsfähiger, wenn sich das Klima ändert“, sagt Mariani.
Hoffnung im September
Aber auch die Kleinbauern-Vereinigung möchte keine staatlich organisierte Landwirtschaft, wie es sie in der Schweiz vor 1995 gab: „Die starke staatliche Preisstützung führte zu Überproduktion. Es braucht den Markt, um Angebot und Nachfrage zu steuern.” Das Problem sei aber, dass in den vor- und nachgelagerten Branchen ebenfalls ein Wandel passierte: Statt Vielfalt gebe es beispielsweise nur noch wenige Detailhändler und Verarbeitungsbetriebe. „Die Landwirte sitzen gegen diese Riesen am kürzeren Hebel”, sagt Mariani.
Einen Ausweg, der weder über eine neue staatliche Kontrolle noch über den absoluten freien Markt führt, sieht die Kleinbauern-Vereinigung in der Fairfood-Initiative. Diese möchte den Bund dazu verpflichten, fair produzierte, regionale und qualitativ hochwertige Nahrungsmittel — sowohl die importierten als auch die einheimischen — zu bevorzugen. Sie wird am 23. September zur Abstimmung kommen. Am selben Tag wird auch über die Ernährungssouveränitätsinitiative abgestimmt. Sie wurde von der Bauerngewerkschaft Uniterre lanciert und fordert viel: Mehr und besser bezahlte Arbeitsplätze in der Landwirtschaft, Stärkung des Direkthandels zwischen Landwirt_innen und Konsument_innen, Versorgung mit überwiegend in der Schweiz produzierten Lebensmitteln, sowie die ressourcenschonende und klimafreundliche Produktion. Der Bund soll ausserdem kleine Betriebe fördern, um eine Vielfalt in der Landwirtschaft zu sichern.
Der Bundesrat lehnt beide Initiativen ab. Sie seien wirtschaftsschädlich, würden zu höheren Lebensmittelpreisen führen und zu einer kleineren Auswahl an Produkten. Die SVP hat offiziell ebenfalls die Nein-Parole für beide Initiativen beschlossen. Sie ist konsequent in ihrer Ablehnung jeglicher staatlicher Massnahmen. Während der öffentlichen Debatte um die Abstimmung verhielt sich die SVP aber seltsam ruhig. Zu heikel wäre eine klare Positionierung, denn vielleicht treffen die Initiativen genau in die Mitte ihres Konflikts — zwischen Banker_innen und Bauern und Bäuerinnen, zwischen neoliberaler Marktöffnung und nationalistischem Protektionismus.
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