„Im Main­stream ist Pelz ein Ausdruck von Mode­be­wusst­sein, nicht von Prestige“

In den Fuss­gän­ger­zonen und Schau­fen­stern der Schweizer Städte ist er wieder da: Der Pelz. Ob als Kragen­be­satz oder Kappen­bommel- kaum ein Klei­dungs­stück scheint mehr ohne ein Tier­fell oder dessen Plastiki­mitat auszu­kommen.  Dabei war der Pelz lange so tot wie das Pelz­tier aus dem er gemacht ist.  Wie es zum erneuten Boom gekommen ist, hat das Lamm mit der Kultur­anthro­po­login Gabriele Mentges besprochen. 
Pelz als modisches Accessoire? (Foto: Markus Spiske / Unsplash)
Gabriele Mentges ist Profes­sorin i.R für Kultur­anthro­po­logie des Textilen an der Tech­ni­schen Univer­sität Dort­mund mit dem Forschungs­schwer­punkt Bekleidungs‑, Körper- und Geschlech­ter­ge­schichte seit der frühen Neuzeit sowie Modediskurse.

Das Lamm: Frau Mentges, Sie forschen schon eine ganze Weile zu Pelz in der Mode. Ist der Pelz wirk­lich zurück?

Gabriele Mentges: Ja, der Pelz ist wieder da. Pelz hat in der Mode der letzten Jahr­zehnten eine wich­tige Rolle gespielt und geniesst wieder mehr Aner­ken­nung. Das zeigt sich auch am Absatz, der sich in den 2010er Jahren massiv gestei­gert hat. Im Jahr 2014 verzeich­nete die Pelz­in­du­strie laut der Zeit­schrift Textil­wirt­schaft welt­weit Rekord­um­sätze. Zwischen 2002 und 2012 hat sich der Umsatz verdop­pelt. Wir können momentan quasi von einer Renais­sance des Pelzes sprechen.

Wie erklären Sie sich diese Rückkehr?

Verschie­dene Gründe lassen sich dafür anführen: Ökono­mi­sche Gründe sind unter anderem die Billig­pro­duk­tion in Fernost, neue Märkte wie Japan, der wach­sende russi­sche Markt und neue Marke­ting­stra­te­gien der Pelz­in­du­strie und des Pelz­han­dels. Aber auch kultu­relle Aspekte wie neue Mode­prak­tiken, etwa die Vinta­ge­mode, oder neuar­tige Pelz­tech­no­lo­gien spielen eine Rolle. Gleich­zeitig hat offenbar die Sensi­bi­lität für die Kritik an der Pelz­pro­duk­tion nach­ge­lassen, aus ökolo­gi­scher wie ethi­scher Sicht: Pelz­farmen sind weit weg, ausser Sicht­weite — und damit geraten solche Fragen in den Hintergrund.

Es ist aber auch wichtig zu betonen, dass Pelz nie ganz verschwunden war. In gewissen gesell­schaft­li­chen Gruppen blieb Pelz stets ein Thema.

Das wohl kontro­ver­seste Kleidungsstück
Zusammen mit der kalten Jahres­zeit findet auch der Pelz seit einigen Jahren wieder Einzug in die Schweizer Klei­der­schränke. Mit einer kleinen Serie versucht das Lamm dem Phänomen der strit­tigen Tier­felle auf den Grund zu gehen. Folgende Artikel haben wir zu dem Thema verfasst:

Sie spre­chen von neuen Tech­no­lo­gien und Vintage. Welche Rolle spielen diese zwei Dinge für die Pelzindustrie?

Die Pelz­in­du­strie hat es zum einen geschafft, den Pelz mittels neuer Tech­no­lo­gien (Laser, Färbe- und Zuschnitt­tech­niken) zu einem viel­sei­tigen, flexi­blen, leich­teren Mode­ma­te­rial zu machen, ähnlich anpas­sungs­fähig an die aktu­elle Konfek­tion wie etwa Baum­wolle, Wolle oder Seide. Der Kürschner [Person, die Pelze zu Klei­dungs­stücken verar­beitet, Anm. der Redak­tion] versteht sich heute vor allem als Mode­kon­fek­tionär, der auf das modi­sche Outfit achtet. Dazu gibt es ein buntes stili­sti­sches Cross­over in der Pelz­mode: Nicht mehr der Ganz­körper-Pelz­mantel ist gefragt, Pelz findet sich plötz­lich an Schuhen oder an Taschen und anderen Acces­soires. Pelz kann mit Pull­overn oder Parkas verstrickt und so beliebig verar­beitet werden. Pelz ist dank den neuen Tech­no­lo­gien zu einem Mate­rial geworden, das sich der Mode anpasst und variabel einsetzbar ist.

Zu der Renais­sance von Pelz hat weiterhin der aktu­elle Vinta­ge­boom beigetragen: Dadurch, dass junge Menschen gerne die Mäntel ihrer Gross­mütter tragen oder auf Floh­märkten zu Pelz­klei­dung greifen, wird Pelz auf der Strasse wieder sichtbar und somit salon­fähig. Die Wieder­auf­be­rei­tung von alten Pelzen ist mitt­ler­weile zu einem gewinn­ver­spre­chenden Zusatz­ge­schäft des Pelz­han­dels und der Kürschner geworden.

Hat sich die symbo­li­sche Wirkung von Pelz verändert?

Hier muss nach dem jewei­ligen Markt diffe­ren­ziert werden. Der Umgang mit und die gesell­schaft­liche Bewer­tung von Pelz sind in China oder Russ­land, Kanada oder Latein­ame­rika anders gela­gert als in West- und Mittel­eu­ropa. In Deutsch­land und der Schweiz ist der Pelz sicher kein beson­deres Status­symbol mehr. Wer heute Pelz trägt, will damit nicht Reichtum, sondern Mode­be­wusst­sein demon­strieren. Noch in den 70er Jahren verhielt es sich ganz anders: Damals war der Pelz in erster Linie Status­symbol und der Pelz­mantel Teil der weib­li­chen Garde­robe. Pelze auf oder als Acces­soires kamen selten vor.

Im Luxus­seg­ment ist Pelz auch heute noch Ausdruck von Reichtum, aber dabei handelt es sich nicht um dieje­nigen Pelze und Pelz­teile, die das Stras­sen­bild prägen.

Der Ganz­körper-Pelz­mantel als Zeichen von Reichtum: Das war einmal. Den meisten Pelz tragen laut Gabriele Mentges Mode­be­wusste von heute als Fashion-must-have. (© verdienter Künstler via Flickr)

Denkt man an Pelz­mäntel, kommen einem schnell ältere Damen in teurem Nerz in den Sinn, Männer haben Pelz ja tradi­tio­nell eher gegen innen, also als Futter, als gegen aussen getragen. Wie sieht das heute aus?

Der Pelz ist nach wie vor weib­lich konno­tiert, er wird weiterhin mit Femin­in­ität in Verbin­dung gebracht. Aber diese Femi­ni­sie­rung des Mate­rials hat etwas nach­ge­lassen. Die früher gerne beschwo­rene eroti­sche Symbolik von nackter Haut und Pelz zieht heute nicht mehr so sehr, im Gegen­teil: Sie wirkt eher frau­en­feind­lich und veraltet, wenn­gleich die Werbung davon weiterhin Gebrauch macht.

Ist es denn bei den jüngeren Konsu­men­tInnen wichtig, ob der Pelz echt ist oder nicht?

Das ist meiner Meinung nach völlig egal, zumal oft die Kenntnis dafür fehlt, dies zu beur­teilen. Es geht nur darum, dass es modisch aktuell aussieht und zum jewei­ligen Styling passt. Zumin­dest für das mitt­lere Mode­seg­ment zeigen neuere Unter­su­chungen, dass eben nicht die Echt­heit, sondern der Look entscheidet — womit wir wieder bei der verän­derten Bedeu­tung von Pelz in der Mode wären.

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Welche Rolle spielen Vorbilder bei der Renais­sance und Bedeu­tungs­än­de­rung von Pelz?

Ich nehme an, dass Mode­blogs und die sozialen Medien stark Einfluss nehmen — aber auf jedes „Vorbild“, das Pelz trägt, kommt jemand, der sich vehe­ment dagegen ausspricht. Dass aber viele Star­de­si­gne­rInnen und berühmte Models, die sich früher gegen Pelz ausge­spro­chen haben, wieder Pelz tragen, hat sicher­lich zum Come­back beigetragen, selbst wenn die genaue Art der Einfluss­nahme schwer einzu­schätzen ist.

Welche Rolle spielt die Pelz­in­du­strie bei der Renaissance?

Ja, die Desi­gne­rInnen und die Indu­strie haben erkannt, dass das ökolo­gi­sche Bewusst­sein und grüner Konsum im Trend sind. Dementspre­chend bewerben sie Pelz­pro­dukte als ökolo­gisch, grün, natür­lich oder gar ressour­cen­scho­nend, etwa bei einhei­mi­schen Jagd­tieren wie Rotfüchsen. Gemäss dieser Argu­men­ta­tion hätten diese ohnehin geschossen werden müssen.

Laut der deut­schen Fach­han­dels­zei­tung Textil­wirt­schaft aus dem Jahre 2015 stieg die Nach­frage nach Wild­tier­pelz erheb­lich. Diese Vermi­schung von ökolo­gi­schem und modi­schem Bewusst­sein spielt gerade bei der jüngeren Gene­ra­tion eine Rolle und trägt sicher­lich dazu bei, Pelz wieder tragbar zu machen. Man sollte dabei aber nicht vergessen, dass Wild­pelz ledig­lich 15 % der Gesamt­pro­duk­tion ausmacht. Der Rest stammt weiterhin aus Pelzfarmen.

Das Berliner Label „Friendly Fur“ setzt auf glück­li­chen Pelz und glück­liche Natur. Geworben wird mit viel nackter Haut. (Screen­shot friendlyfur.de)

Das scheint bei den Konsu­men­tInnen nur bedingt anzukommen. 

Nun, die Indu­strie versteht es, sich als Beschüt­zerin  von natür­li­chen Habi­taten und gar Tier­arten zu insze­nieren — indem man etwa bei den Jäge­rInnen einen Absatz sichert. Ausserdem gibt es spezi­elle Labels wie etwa Friendly Fur, die zum vermeint­lich guten Gewissen bei den Endkon­su­men­tInnen beitragen.

Auf globaler Ebene ist zudem auffällig, dass neben Ökologie auch Natio­na­lismus zieht. In Ländern wie Russ­land oder in Mittel­asien beruft sich die Indu­strie auf die Bewah­rung natio­naler Tradi­tionen (Kara­kul­schafe in Usbe­ki­stan) oder natio­nale histo­ri­sche Symbolik von Pelz­klei­dung und Pelz­pro­duk­tion (Russ­land). Dazu hat es die Pelz­in­du­strie erfolg­reich verstanden, ehemals kriti­sche Diskurse für ihre Inter­essen zu vereinnahmen.

Konsu­men­tInnen werden zusätz­lich dadurch beein­träch­tigt, dass oftmals nur noch Pelz­teile (Kragen, Verbrä­mungen, Acces­soires) verkauft werden. Es fehlt also das voll­stän­dige Bild vom Tier, schliess­lich trägt man nur „ein biss­chen Pelz“.

Ohnehin scheinen Wider­sprüche und eine gewisse Doppel­moral keine Selten­heit bei Pelz­trä­ge­rInnen: Die Studen­tInnen meines Semi­nars hatten vor Jahren eine Umfrage in Düssel­dorf gemacht. Dabei zeigte sich, dass Menschen bei Nach­frage sich entschieden gegen Tier­leid ausspra­chen, jedoch einge­standen, selbst Pelz zu besitzen und zu tragen. Da ist sehr viel Heuchelei im Spiel.

Welche Zukunft progno­sti­zieren Sie dem Pelz?

Ich kann ledig­lich für Europa spre­chen. Hier nimmt der öffent­liche und poli­ti­sche Druck auf die Pelz­pro­du­zenten weiterhin zu, mit Ausnahme einiger Länder wie Däne­mark, Finn­land oder Polen.

Die Zukunft des Pelzes ist dennoch schwer zu progno­sti­zieren. Ende der 90er Jahre war der Pelz fast verschwunden und plötz­lich ist er wieder da. Die Importe von Billig­pelz aus Fernost nach Europa haben zu dieser Renais­sance beigetragen, da der Pelz für breite Käufer­gruppen erschwing­lich wurde. Auf der anderen Seite stellen immer mehr grosse Mode­han­dels­häuser den Verkauf von Pelz­pro­dukten ein.

Zudem gibt es mitt­ler­weile eine hoch­wer­tige Pelz­er­satz­pro­duk­tion, die selbst im teuren Mode­seg­ment Einzug hält. Dabei zeigt sich eine inter­es­sante Umkehr­ent­wick­lung: Manche chine­si­sche Pelze werden als Kunst­pelze verkauft, um die Hoch­wer­tig­keit des Produktes zu behaupten und das Stigma des Billig­im­port­pelzes zu vermeiden.

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