Das Lamm: Frau Mentges, Sie forschen schon eine ganze Weile zu Pelz in der Mode. Ist der Pelz wirklich zurück?
Gabriele Mentges: Ja, der Pelz ist wieder da. Pelz hat in der Mode der letzten Jahrzehnten eine wichtige Rolle gespielt und geniesst wieder mehr Anerkennung. Das zeigt sich auch am Absatz, der sich in den 2010er Jahren massiv gesteigert hat. Im Jahr 2014 verzeichnete die Pelzindustrie laut der Zeitschrift Textilwirtschaft weltweit Rekordumsätze. Zwischen 2002 und 2012 hat sich der Umsatz verdoppelt. Wir können momentan quasi von einer Renaissance des Pelzes sprechen.
Wie erklären Sie sich diese Rückkehr?
Verschiedene Gründe lassen sich dafür anführen: Ökonomische Gründe sind unter anderem die Billigproduktion in Fernost, neue Märkte wie Japan, der wachsende russische Markt und neue Marketingstrategien der Pelzindustrie und des Pelzhandels. Aber auch kulturelle Aspekte wie neue Modepraktiken, etwa die Vintagemode, oder neuartige Pelztechnologien spielen eine Rolle. Gleichzeitig hat offenbar die Sensibilität für die Kritik an der Pelzproduktion nachgelassen, aus ökologischer wie ethischer Sicht: Pelzfarmen sind weit weg, ausser Sichtweite — und damit geraten solche Fragen in den Hintergrund.
Es ist aber auch wichtig zu betonen, dass Pelz nie ganz verschwunden war. In gewissen gesellschaftlichen Gruppen blieb Pelz stets ein Thema.
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Sie sprechen von neuen Technologien und Vintage. Welche Rolle spielen diese zwei Dinge für die Pelzindustrie?
Die Pelzindustrie hat es zum einen geschafft, den Pelz mittels neuer Technologien (Laser, Färbe- und Zuschnitttechniken) zu einem vielseitigen, flexiblen, leichteren Modematerial zu machen, ähnlich anpassungsfähig an die aktuelle Konfektion wie etwa Baumwolle, Wolle oder Seide. Der Kürschner [Person, die Pelze zu Kleidungsstücken verarbeitet, Anm. der Redaktion] versteht sich heute vor allem als Modekonfektionär, der auf das modische Outfit achtet. Dazu gibt es ein buntes stilistisches Crossover in der Pelzmode: Nicht mehr der Ganzkörper-Pelzmantel ist gefragt, Pelz findet sich plötzlich an Schuhen oder an Taschen und anderen Accessoires. Pelz kann mit Pullovern oder Parkas verstrickt und so beliebig verarbeitet werden. Pelz ist dank den neuen Technologien zu einem Material geworden, das sich der Mode anpasst und variabel einsetzbar ist.
Zu der Renaissance von Pelz hat weiterhin der aktuelle Vintageboom beigetragen: Dadurch, dass junge Menschen gerne die Mäntel ihrer Grossmütter tragen oder auf Flohmärkten zu Pelzkleidung greifen, wird Pelz auf der Strasse wieder sichtbar und somit salonfähig. Die Wiederaufbereitung von alten Pelzen ist mittlerweile zu einem gewinnversprechenden Zusatzgeschäft des Pelzhandels und der Kürschner geworden.
Hat sich die symbolische Wirkung von Pelz verändert?
Hier muss nach dem jeweiligen Markt differenziert werden. Der Umgang mit und die gesellschaftliche Bewertung von Pelz sind in China oder Russland, Kanada oder Lateinamerika anders gelagert als in West- und Mitteleuropa. In Deutschland und der Schweiz ist der Pelz sicher kein besonderes Statussymbol mehr. Wer heute Pelz trägt, will damit nicht Reichtum, sondern Modebewusstsein demonstrieren. Noch in den 70er Jahren verhielt es sich ganz anders: Damals war der Pelz in erster Linie Statussymbol und der Pelzmantel Teil der weiblichen Garderobe. Pelze auf oder als Accessoires kamen selten vor.
Im Luxussegment ist Pelz auch heute noch Ausdruck von Reichtum, aber dabei handelt es sich nicht um diejenigen Pelze und Pelzteile, die das Strassenbild prägen.

Denkt man an Pelzmäntel, kommen einem schnell ältere Damen in teurem Nerz in den Sinn, Männer haben Pelz ja traditionell eher gegen innen, also als Futter, als gegen aussen getragen. Wie sieht das heute aus?
Der Pelz ist nach wie vor weiblich konnotiert, er wird weiterhin mit Femininität in Verbindung gebracht. Aber diese Feminisierung des Materials hat etwas nachgelassen. Die früher gerne beschworene erotische Symbolik von nackter Haut und Pelz zieht heute nicht mehr so sehr, im Gegenteil: Sie wirkt eher frauenfeindlich und veraltet, wenngleich die Werbung davon weiterhin Gebrauch macht.
Ist es denn bei den jüngeren KonsumentInnen wichtig, ob der Pelz echt ist oder nicht?
Das ist meiner Meinung nach völlig egal, zumal oft die Kenntnis dafür fehlt, dies zu beurteilen. Es geht nur darum, dass es modisch aktuell aussieht und zum jeweiligen Styling passt. Zumindest für das mittlere Modesegment zeigen neuere Untersuchungen, dass eben nicht die Echtheit, sondern der Look entscheidet — womit wir wieder bei der veränderten Bedeutung von Pelz in der Mode wären.
[info-box post_id=„7925“]Welche Rolle spielen Vorbilder bei der Renaissance und Bedeutungsänderung von Pelz?
Ich nehme an, dass Modeblogs und die sozialen Medien stark Einfluss nehmen — aber auf jedes „Vorbild“, das Pelz trägt, kommt jemand, der sich vehement dagegen ausspricht. Dass aber viele StardesignerInnen und berühmte Models, die sich früher gegen Pelz ausgesprochen haben, wieder Pelz tragen, hat sicherlich zum Comeback beigetragen, selbst wenn die genaue Art der Einflussnahme schwer einzuschätzen ist.
Welche Rolle spielt die Pelzindustrie bei der Renaissance?
Ja, die DesignerInnen und die Industrie haben erkannt, dass das ökologische Bewusstsein und grüner Konsum im Trend sind. Dementsprechend bewerben sie Pelzprodukte als ökologisch, grün, natürlich oder gar ressourcenschonend, etwa bei einheimischen Jagdtieren wie Rotfüchsen. Gemäss dieser Argumentation hätten diese ohnehin geschossen werden müssen.
Laut der deutschen Fachhandelszeitung Textilwirtschaft aus dem Jahre 2015 stieg die Nachfrage nach Wildtierpelz erheblich. Diese Vermischung von ökologischem und modischem Bewusstsein spielt gerade bei der jüngeren Generation eine Rolle und trägt sicherlich dazu bei, Pelz wieder tragbar zu machen. Man sollte dabei aber nicht vergessen, dass Wildpelz lediglich 15 % der Gesamtproduktion ausmacht. Der Rest stammt weiterhin aus Pelzfarmen.

Das scheint bei den KonsumentInnen nur bedingt anzukommen.
Nun, die Industrie versteht es, sich als Beschützerin von natürlichen Habitaten und gar Tierarten zu inszenieren — indem man etwa bei den JägerInnen einen Absatz sichert. Ausserdem gibt es spezielle Labels wie etwa Friendly Fur, die zum vermeintlich guten Gewissen bei den EndkonsumentInnen beitragen.
Auf globaler Ebene ist zudem auffällig, dass neben Ökologie auch Nationalismus zieht. In Ländern wie Russland oder in Mittelasien beruft sich die Industrie auf die Bewahrung nationaler Traditionen (Karakulschafe in Usbekistan) oder nationale historische Symbolik von Pelzkleidung und Pelzproduktion (Russland). Dazu hat es die Pelzindustrie erfolgreich verstanden, ehemals kritische Diskurse für ihre Interessen zu vereinnahmen.
KonsumentInnen werden zusätzlich dadurch beeinträchtigt, dass oftmals nur noch Pelzteile (Kragen, Verbrämungen, Accessoires) verkauft werden. Es fehlt also das vollständige Bild vom Tier, schliesslich trägt man nur „ein bisschen Pelz“.
Ohnehin scheinen Widersprüche und eine gewisse Doppelmoral keine Seltenheit bei PelzträgerInnen: Die StudentInnen meines Seminars hatten vor Jahren eine Umfrage in Düsseldorf gemacht. Dabei zeigte sich, dass Menschen bei Nachfrage sich entschieden gegen Tierleid aussprachen, jedoch eingestanden, selbst Pelz zu besitzen und zu tragen. Da ist sehr viel Heuchelei im Spiel.
Welche Zukunft prognostizieren Sie dem Pelz?
Ich kann lediglich für Europa sprechen. Hier nimmt der öffentliche und politische Druck auf die Pelzproduzenten weiterhin zu, mit Ausnahme einiger Länder wie Dänemark, Finnland oder Polen.
Die Zukunft des Pelzes ist dennoch schwer zu prognostizieren. Ende der 90er Jahre war der Pelz fast verschwunden und plötzlich ist er wieder da. Die Importe von Billigpelz aus Fernost nach Europa haben zu dieser Renaissance beigetragen, da der Pelz für breite Käufergruppen erschwinglich wurde. Auf der anderen Seite stellen immer mehr grosse Modehandelshäuser den Verkauf von Pelzprodukten ein.
Zudem gibt es mittlerweile eine hochwertige Pelzersatzproduktion, die selbst im teuren Modesegment Einzug hält. Dabei zeigt sich eine interessante Umkehrentwicklung: Manche chinesische Pelze werden als Kunstpelze verkauft, um die Hochwertigkeit des Produktes zu behaupten und das Stigma des Billigimportpelzes zu vermeiden.