Die Swiss will ihre Gäste künftig nicht mehr mit der Schokolade aus dem Hause ehemaliger MissionsführerInnen und radikaler AbtreibungsgegnerInnen verköstigen und kündigt nach Jahren die Zusammenarbeit mit dem Chocolatier Läderach auf. Dies ist scheinbar eine Tragödie — und zwar nicht für all jene, die gerne gute Schoggi haben, sondern vor allem für die Konservativen, GeschichtsrevisionistInnen und nicht zuletzt die FreundInnen des Gewerbes. Das Geheul ist gross.
JSVPlerInnen posieren mit Läderach-Schokolade und eine Zürcher Kantonsrätin teilt auf Facebook ganz offen und für alle ersichtlich einen Post, der den scheinbaren Boykott der fundamentalistischen Konzernfamilie mit der Judenverfolgung in Europa gleichsetzt. Darunter schreibt Maria Rita Marty vollen Ernstes: „1933: Kauft nicht bei den Juden, 2020: Kauft nicht bei den Christen.“ Man möchte wahlweise lachen, sich schütteln oder weinen.
Die Hashtags #FreeLäderach und #JeSuisLäderach trenden völlig unironisch auf Twitter. Wäre es ein Witz, wäre es eventuell etwas komisch, aber es ist ihnen ernst. Gespannt warten wir nun auf #ReclaimLäderach und #OccupyLäderach und freuen uns auf die scharen von FundamentalistInnen, die sich auf Pappkartons in der luxuriösen Läderach-Filiale an der Bahnhofstrasse Zürich niederlassen und an Händen und Füssen von Cops in Riot-Montur herausgezerrt werden, während sie „Wir sind die 99%“ skandieren. In Slowmotion und Nahaufnahme sehen wir im SRF-Abendjournal die weissgedrückten Schoggi-Aktivistenfinger, die langsam den Griff um eine Packung Pralinen lösen. In der Ferne: Sirenen.
Doch zurück in die langweilige Realität: Was hier gerade passiert, ist keine Hexenjagd (Zitat Trump), keine Christenverfolgung (Zitat Kantonsrätin Marty) und auch nicht eine unheilige, historisch einzigartige Allianz aus beidem gleichzeitig (Zitat N.W). Die Swiss sei eingeknickt vor linken AktivistInnen, heisst es, und der Zusammenhang zwischen linken AktivistInnen (arm, joblos, Easyjet) und dem Schokoladenschluss bei der Swiss (für reiche Menschen, umweltschädlich, business class) ist ein sogenannter Kausalzusammenhang. Nicht.
Dass die Swiss kein moralgesteuerter, netter Konzern ist, sondern in Zeiten von Fridays For Future um ein gutes Image ringt, ist dagegen wohl Tatsache. Da bietet sich ein bisschen Pinkwashing total an und man ist damit auch in bester Gesellschaft (siehe Coca-Cola im Abstimmungskampf zur Diskriminierungsstrafnorm). Der Kapitalismus erfindet sich immer wieder neu, und politisch oder tagesaktuell-moralisch eine bestimmte Position einzunehmen, liegt im Trend, kann als weiteres Alleinstellungsmerkmal verwendet werden und ist ein guter Marketing-Schachzug. Und genau darum geht es bei der Swiss: um Marketing.
Dass sich deswegen gerade die FreundInnen des freien Marktes aus der rechten politischen Ecke so über diese Neuigkeit aufregen, ist entblössend. Man sollte sich über ihre Wut amüsieren dürfen. Und ja, es ist für das Unternehmen Läderach wohl langsam tatsächlich finanziell schädlich, dass alle Welt weiss, welch ethischer Gesinnung die Besitzerfamilie ist — aber das ist gut so. Nicht, weil es automatisch dazu führt, dass sie boykottiert werden, sondern weil jede Kundin und jeder Kunde das Recht hat zu wissen, was und wen er mit seinen Franken unterstützt und dann aufgrund dieser Info das ebenso freie Recht hat zu entscheiden, ob er oder sie das weiterhin tun möchte oder nicht. Das trifft auf Herrn und Frau Müller genauso zu wie auf die Swiss.
Das hat alles mit Religion oder Diskriminierung rein gar nichts zu tun, sondern mit Marketing und Moral — und in einer etwas idealeren Welt vielleicht sogar mit beidem gleichzeitig.
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