Käse­pro­duk­tion im Kongo I: Zwischen Konflikten und Korruption

Dass in den Hügeln der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kongo Käse herge­stellt wird, mag über­ra­schen. Dass auch dieser Geschäfts­zweig nicht frei von Konflikten und Korrup­tion ist, weniger. Eine drei­tei­lige Repor­tage über Macht­ver­hält­nisse, die in die Kolo­ni­al­zeit zurück­rei­chen und die ungleiche Vertei­lung von Land und Reichtum bis heute prägen. 
Verkehrssignal in Masisi (Foto: Guerchom Ndebo)

Ein lauer Wind zieht über die grüne Weide. Männer lehnen an einem Holz­zaun vor einer Herde von Alpen­braun­vieh und Fries­länder Kühen. Ein paar Kinder im Gras kosten die ersten Tropfen der noch warmen, schau­migen Milch, die nach und nach in gelbe Plastik­ka­ni­ster gefüllt wird. Die Szene erin­nert an die Schweiz.

Wir befinden uns auf der Farm Malaika in der Masisi-Region im Osten der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kongo. In der haus­ei­genen Käserei erhalten die Besucher*innen Einblick in die rege Käse­pro­duk­tion der Region. Mit einer wunder­schönen Lodge, die Ausblick über die grünen Hügel bis zum Kivusee bietet, ist die Farm Malaika eine der wenigen touri­sti­schen Attrak­tionen in Masisi, aber ein land­wirt­schaft­li­cher Betrieb unter vielen in der Umgebung.

Doch hinter der idyl­li­schen Szenerie verbirgt sich Grau­sames. Kurz bevor ich für diese Repor­tage in die DR Kongo reiste, wurden in einem Dorf in der Region Masisi drei­zehn Frauen, fünf Männer und sechs Kinder getötet. Es handelte sich um einen Zusam­men­stoss zwischen drei der aktuell neun bewaff­neten Gruppen, die im Gebiet Masisi operieren. Die Angreifer hätten syste­ma­tisch Vieh und andere wert­volle Güter geplündert.

Am 10. Februar verkün­dete der Besitzer einer anderen Farm, dass 54 seiner Kühe durch Unbe­kannte grausam abge­schlachtet und 35 weitere verletzt wurden. Letztes Jahr wurden laut einem Bericht des Büros der Vereinten Nationen für die Koor­di­nie­rung huma­ni­tärer Ange­le­gen­heiten (OCHA) in Masisi inner­halb von sechs Monaten mehr als 1’600 Menschen Opfer von Gewalt, 577 Personen wurden getötet.

Ich wollte wissen, weshalb selbst Kühe von den Jahr­zehnte andau­ernden Konflikten in Masisi nicht verschont bleiben, und ob es – wie bei den Mine­ra­lien – viel­leicht sogar etwas wie Konflikt­käse gibt.

Schatten der Unsicherheit

Von der Farm Malaika, unserem Start­punkt, blickt man auf die Farm Espoir auf dem gegen­über­lie­genden Hügel. Die Fläche dieser Farm umfasst laut einem Mitar­beiter des Grund­buch­amts der Region um 3’000 Hektaren, etwa die Grösse des Kantons Basel-Stadt. Sie gehört dem Ex-Präsi­denten der DR Kongo, Joseph Kabila. „Die Farm Espoir erkennt man an den Strom­lei­tungen, die über die Weiden führen”, meint mein Über­setzer Janvier Bulenda*. Sein Ton wird bitter, als er sagt: „Die Kühe haben Strom, die Leute in den umlie­genden Dörfern nicht.”

Käse­pro­duk­tion im Kongo: Eine drei­tei­lige Repor­tage
In drei Beiträgen erkunden wir die Verknüp­fung der Käse­pro­duk­tion mit den histo­ri­schen und andau­ernden Konflikten in der Region Masisi:
Teil I blickt auf die Anfänge der Käse­pro­duk­tion in Masisi und das kolo­niale Erbe der Land­ver­tei­lung.
Teil II folgt der Rolle der Rebel­lionen für die aktu­ellen Land­kon­flikte und beleuchtet, was die Vieh­wirt­schaft heute für den Zugang zu Land und die Sicher­heit der Bevöl­ke­rung bedeutet.
Die abschlies­sende Foto­re­por­tage in Teil III gibt Einblick in das Hand­werk der Käse­pro­duk­tion und der Vieh­hal­tung in Masisi.

Wegen der kriti­schen Stras­sen­ver­hält­nisse haben wir Schaufel, Gummi­stiefel und eine Pumpe in unseren Land­cruiser gepackt. In Masisi empfiehlt es sich nicht, unnötig irgendwo im Nirgendwo anzu­halten. Entfüh­rungen und Löse­geld­for­de­rungen sind ein florie­render Geschäfts­zweig in der Gegend. Unser Fahrer Martin Bakenya* kauft vor der Abfahrt einen weissen Rosen­kranz, der während der Fahrt am Rück­spiegel tüchtig hin und her schwingt. „Mais fais vite!” ist dann auch die Devise, wenn wir unter­wegs aus dem Auto heraus ein paar fried­lich auf der Wiese grasende Kühe fotografieren.

Ankunft im Dorf Mushaki. Mushaki liegt unweit der Farm Malaika und besteht – abge­sehen von einer Hand­voll zwei­stöckiger Holz­ge­bäude im Zentrum – vorwie­gend aus Lehm­hütten. „Monuc, Monuc”, rufen uns die Kinder im Chor zu. Wegen unserer Haut­farbe halten sie meine befreun­dete Foto­grafin und mich für Ange­hö­rige von Monusco, der UN-Blau­helm­mis­sion im Osten Kongos. Mit unserer lokalen Kontakt­person teilen wir in einer Bar gebra­tene Kartof­feln und gegrilltes Fleisch. Es ist Mittag und das Lokal voll mit bier­trin­kenden Männern. Janvier schaut sich immer wieder nervös um und hört aufmerksam zu, sobald jemand am Telefon spricht. Später wird er sagen, dass ihm in der Bar ziem­lich unwohl war. An dessen von einer Schuss­wunde verun­stal­teten Gesicht hatte er einen Ex-Rebellen des CNDP, des Congrès National pour la Défense du Peuple, erkannt.

Allmor­gend­li­ches Melken auf der Farm Malaika. Im Hinter­grund die Farm Espoir des Ex-Präsi­denten Joseph Kabila. (Foto: Guys­laine Thalmann)

2008 war Mushaki das stra­te­gi­sche Zentrum der Rebel­lion unter Laurent Nkunda und Bosco Ntag­anda. Bevor Letz­terer im Juli 2019 vom Inter­na­tio­nalen Straf­ge­richtshof wegen Kriegs­ver­bre­chen und Verbre­chen gegen die Mensch­lich­keit verur­teilt wurde und die kongo­le­si­sche Justiz einen Haft­be­fehl gegen Laurent Nkunda erliess, führten sie den CNDP. Sie kämpften gegen die Regie­rung Kabilas, Hutu-Rebellen sowie die Streit­kräfte der Vereinten Nationen. Um die Inter­essen der kongo­le­si­schen Tutsi-Minder­heit in dieser Region zu vertei­digen, sagten sie.

Neben diesem ethni­schen Motiv schützte der CNDP auch die wirt­schaft­li­chen Inter­essen seiner Mitglieder und Unterstützer*innen. Zwischen 2007 und 2008 kontrol­lierte die Miliz die Weiden der reichen Vieh­züchter und die Berg­bau­ge­biete in der Region. Laurent Nkunda und Bosco Ntag­anda selbst besassen – wie viele andere Mitglieder des CNDP – Herden von mehreren Hundert Kühen.

Die Männer, neben denen wir an diesem Mittag in Mushaki Bier trinken, haben bei den Versöh­nungs­pro­zessen ihre Waffen abge­geben, nur um dann im Zuge der Inte­gra­tion in die natio­nale Armee mit neuen ausge­stattet zu werden. Unter den jahre­langen Unsi­cher­heiten und Konflikten hat nicht nur die Bevöl­ke­rung gelitten. Auch die Käse­pro­duk­tion in Masisi trug schweren Schaden davon.

Milch­ver­bände und Pfarreikäse

Ein paar Dörfer weiter, im Handels­zen­trum Bihamwe, blüht der Direkt­ver­kauf des Käses auf der Strasse. Frauen umschwirren die Fahr­zeuge auf der Durch­fahrt mit in ihren Händen aufge­türmten Käse­laiben. Andere versu­chen, einen Kani­ster Milch in eines der offenen Fenster zu hieven. Geschäfts­leute, huma­ni­täre Arbeiter*innen oder Ange­stellte der lokalen Admi­ni­stra­tion sind es sich gewohnt, ihre Einkäufe auf dem Weg zu tätigen.

„Wir stellen keinen Käse her, aber wir kaufen ihn in großen Mengen von den kleinen Käse­reien und verkaufen ihn hier an der Strasse anschlie­ßend weiter“, meint eine der Frauen. Die Frauen haben die Asso­cia­tion des Vende­uses des Produits Laitière (AVPL) gegründet. Mit Hilfe der Food and Agri­cul­ture Orga­nization of the United Nations (FAO) grün­deten sie einen Fonds, in welchen alle regel­mässig einen kleinen Geld­be­trag bezahlen. „Wenn jemand einen Kredit braucht und wir etwas Geld in unserem Fonds haben, geben wir dieser Person ein Darlehen. Nachdem sie ihre Artikel verkauft hat, zahlt sie die Schulden zurück“, erklärt eine der Frauen. Die Frauen sind auf das Geld aus diesem Fonds ange­wiesen. Mit dem Käse­ver­kaufen würden sie nur sehr wenig verdienen.

Frauen der Asso­cia­tion des Vende­uses des Produits Laitière (AVPL) im Zentrum Bihamwe. (Foto: Guer­chom Ndebo)

Wir fahren weiter zu Lushe­bere, einem land­wirt­schaft­li­chen Betrieb der katho­li­schen Diözese in der Nähe des Haupt­ortes Masisi, mitten in einer Weide­land­schaft auf knapp 1’600 Metern über Meer. Martin Kumbuka, einer der vier Tier­ärzte dieser Farm, sitzt in weissem Kittel an seinem Büro­tisch vor aufge­schla­genen Heften. Er arbeitet schon seit 1981 in Lushe­bere. Er spricht mit brüchiger Stimme, wenn er sich an die Zeit erin­nert, als der Betrieb geschlossen werden musste: „Wegen des Krieges ist alles schief gelaufen. Alle Einrich­tungen wurden zerstört. Die Farm musste 1993 alle Akti­vi­täten einstellen.“

Lushe­bere wurde in den 50er-Jahren gegründet, nachdem ein belgi­scher Kolo­ni­al­herr seine Lände­reien der Diözese über­tragen hatte. Ein belgi­scher Missionar namens Roger Carbonez, der gleich­zeitig Vete­ri­när­me­di­ziner war, begann in den 70er-Jahren mit der Vieh­wirt­schaft. Er grün­dete eine Land­wirt­schafts­schule und fing an, Käse zu produ­zieren. „Zu dieser Zeit begannen auch andere Züchter, grosse Mengen Milch zu produ­zieren. Der Bauernhof hier kaufte diese Milch und verwan­delte sie in verschie­dene Käse­sorten und Butter“, erzählt Martin über die wirt­schaft­liche Blüte­zeit von Lushebere.

In Masisi gibt es weit grös­sere Farmen. Aber Lushe­bere sei in der Welt bekannt, weil sie den besten Käse in der Region produ­zierten, sagt Juvinal Bazam­banza, einer der Käser. Er führt uns durch die Holz­ge­stelle, in denen runde Käse­laibe in verschie­denen Reife­sta­dien ruhen. Wie die katho­li­schen Prie­ster flohen in den 90er-Jahren grosse Teile der Bevöl­ke­rung vor den gewalt­tä­tigen Ausein­an­der­set­zungen zwischen den lokal orga­ni­sierten Vertei­di­gungs­kräften der Mayi-Mayi-Rebellen und ruan­di­schen Milizen.

Der Vete­ri­när­me­di­ziner Martin Kumbuka zeigt in seinem Büro unter­schied­liche Medi­ka­mente für die Kühe auf der Farm Lushe­bere. (Foto: Guer­chom Ndebo)

Lushe­bere mit seinen rund 2’000 Kühen wurde geplün­dert. Erst als knapp zehn Jahre später die meisten Geflüch­teten zurück­kehrten, wurde auf dem Hof wieder Käse produ­ziert. Im Gegen­satz zu den 90er-Jahren wird heute jedoch nur eine Käse­sorte herge­stellt – ein Gouda. Gekäst wird aber nicht bloss, um ein Produkt zu verkaufen. „Es ist auch eine Möglich­keit, die Milch zu konser­vieren. Uns fehlt die Infra­struktur zur Konser­vie­rung oder Kühlung der Milch“, erklärt einer der Priester.

Die Maschinen, mit denen die Milch haltbar gemacht wird, sind in Lushe­bere zwar vorhanden. Sie können aber nicht genutzt werden, weil der Solar­strom dafür nicht reicht. Der Strom­mangel führt zu einem starken Über­schuss an Milch, die weder gekühlt noch erhitzt werden kann. Das Problem der über­flüs­sigen Milch hat aber nicht schon immer bestanden, obwohl in Masisi schon seit der Kolo­ni­al­zeit Käse herge­stellt wird.

Das verzwickte Erbe der kolo­nialen Plantagen

„Im Allge­meinen waren die Farmen hier Plan­tagen“, erzählt Inno­cent Muganzo, ein junger unab­hän­giger Forscher, der seinen rich­tigen Namen in dieser Repor­tage nicht lesen will. Mitt­ler­weile befinden wir uns in der Provinz­haupt­stadt Goma. Wir sitzen mit Mangosaft in einem Restau­rant am Rand des Swim­ming­pools eines Hotels. „Während der Kolo­ni­al­zeit grün­dete Belgisch-Kongo das Natio­nal­ko­mitee von Kivu. Dieses war für die Iden­ti­fi­zie­rung von Acker­land und die Ausbeu­tung von Berg­bau­res­sourcen verant­wort­lich“, erklärt Innocent.

Tausende von Belgier*innen verliessen Europa im frühen 20. Jahr­hun­dert, um im Kivu-Gebiet Kaffee- und Teeplan­tagen zu gründen. Natür­lich handelte es sich nicht um „leer­ste­hendes“ Land, wie von der kolo­nialen Admi­ni­stra­tion prokla­miert. Tradi­tio­nelle Ober­häupter klei­nerer und grös­serer ethno­geo­gra­phi­scher Gemein­schaften verwal­teten es für die gemein­schaft­liche Nutzung.

Im Gebiet von Masisi fanden die Kolo­ni­sa­toren zu wenige Arbeiter*innen für die neu errich­teten Plan­tagen. Um dieses Problem zu beheben, hat die kolo­niale Mission d’Immigration des Bany­ar­wanda ab 1937 zwanzig Jahre lang gegen 175’000 Arbeiter*innen aus dem benach­barten Ruanda eingeführt.

Während in vielen Regionen der DR Kongo ein Gross­teil von Acker­land und Wald bis heute durch Gewohn­heits­recht verwaltet wird, wurde das meiste Land in Masisi schon während der Kolo­ni­al­zeit als Plan­tagen und Farmen unter natio­nalem Land­recht regi­striert. Die teil­weise geogra­phi­sche Über­lap­pung führte zu Situa­tionen von Rechts­plu­ra­lismus. (Foto: Guer­chom Ndebo)

Zunächst kamen vor allem ruan­di­sche Hutus als Arbeiter*innen nach Kongo. Ab 1959 folgten Hundert­tau­sende der Tutsi-Elite ange­hö­rige Ruander*innen. Sie flohen vor den ersten Konflikten zwischen diesen zwei Bevöl­ke­rungs­gruppen. Mitur­säch­lich für diesen Bürger­krieg war die Kolo­ni­al­ad­mi­ni­stra­tion in Ruanda, welche die Bevöl­ke­rung nach ethni­scher Zuge­hö­rig­keit teilte, indem sie diese erst in ihre Perso­nal­aus­weise schrieb.

Auch der Fall Masisi veran­schau­licht, wie fluid ethni­sche Status­zu­schrei­bungen sind, wie sie zur Durch­set­zung von Macht­in­ter­essen instru­men­ta­li­siert werden, und welche reellen Bedro­hungen sie erzeugen. Die während der Kolo­ni­al­zeit durch will­kür­liche Grenz­zie­hung und darauf­fol­gende Migra­ti­ons­be­we­gungen staat­lich gefe­stigten natio­nalen und ethni­schen Diffe­ren­zie­rungs­me­cha­nismen wurden unter Präsi­dent Mobutu zum Zweck poli­ti­scher Loya­lität weiter instrumentalisiert.

Während viele der Kolonisator*innen ihre kolo­nialen Plan­tagen in Masisi mit der Unab­hän­gig­keit Kongos 1960 verliessen, gab ein weiterer Teil erst während der Natio­na­li­sie­rung, der soge­nannten Zairia­ni­sie­rung unter Präsi­dent Mobutu, ihr Land ab. Es war das Ziel des Präsi­denten, allen Besitz in die Hände der kongo­le­si­schen Bevöl­ke­rung zurück­zu­geben. Inno­cent erzählt mir von Bart­h­elemy Bisen­gi­mana, einem ruan­di­schen Einwan­derer, der Direktor des Kabi­netts von Präsi­dent Mobutu war. Bisen­gi­mana habe Mobutu dazu ermu­tigt, den Bany­ar­wanda, der ursprüng­lich ruan­di­schen Bevöl­ke­rung, 1971 kollektiv die kongo­le­si­sche Staats­bür­ger­schaft zu gewähren.

So gelangten in dieser Zeit viele ursprüng­lich ruan­di­sche Politiker*innen und Geschäfts­leute von Mobutus innerem Zirkel zu grossem Land­be­sitz. 1990 war die Hälfte des Landes von Masisi im Besitz von wenigen Hundert Fami­lien, die zwar nun kongo­le­si­sche Natio­na­lität besassen, aber von denen viele nicht Teil der soge­nannt „einhei­mi­schen“ Bevöl­ke­rung Masisis waren. Bisen­gi­manas Geschichte steht beispiel­haft für diese Entwick­lung. Der Vertraute des Präsi­denten erwarb eine grosse Konzes­sion im Dorf Osso, welche heute Milch an die Frauen des Milch­ver­bandes im Handels­zen­trum Bihamwe liefert.

„Wir können kein Land mehr für den Ackerbau finden“

Obwohl schon vor der Fest­le­gung der Landes­grenzen 1910 einige Hutu- und Tutsi-Gemein­schaften in der DR Kongo gelebt hatten, fühlten sich die soge­nannt „auto­chthonen“ Bahunde durch die Migra­ti­ons­be­we­gungen bedroht. Durch zuneh­mende Knapp­heit von Land kam es 1993 zu den gewalt­tä­tigen Kämpfen, von denen auch der katho­li­sche Betrieb Lushe­bere betroffen war.

Wiederum hat der Genozid im Nach­bar­land 1994 die Dimen­sionen des Konfliktes verän­dert. 1.2 Millionen Ruander*innen sind in den Osten der DR Kongo geflohen, darunter Ange­hö­rige der am Völker­mord betei­ligten Forces armées rwan­daises (FAR) und der Inter­ahamwe. Aus ihnen bildete sich die (FDLR) Forces démo­cra­ti­ques de libé­ra­tion du Rwanda, eine maßgeb­lich aus Hutu bestehende Grup­pie­rung. Diese Entwick­lung, zusammen mit der Umfunk­tio­nie­rung von Plan­tagen in Weiden, führte zuneh­mend zu Span­nungen zwischen kongo­le­si­schen Hutus und Tutsis in Masisi.

Der Land­kon­flikt­for­scher Inno­cent erzählt weiter über den Fall Bisen­gi­mana: „Er hat alle Kaffee- und Teebäume gefällt, verjagte die Arbeiter*innen und begann, Weiden anzu­legen. Die Tutsi hatten kein Inter­esse an der Plan­tagen-Land­wirt­schaft, für sie ist die Vieh­zucht von Bedeu­tung.“ Im Vergleich zu den Plan­tagen benö­tigt Vieh­wirt­schaft viel weniger Arbeits­kräfte. So hat auch die während der Kolo­ni­al­zeit als Arbeits­kräfte immi­grierte Hutu-Bevöl­ke­rung den Zugang zu Land und Einkommen verloren.

In der Stadt Sake, einem Handels­kno­ten­punkt eingangs Masisi unweit von der Provinz­haupt­stadt Goma, erfahre ich von einem ähnli­chen Fall. In einem Restau­rant sitze ich Baseme Katabu­misa gegen­über. Er hat aus dem Dorf Luhonga mehr als eine Stunde zu Fuss zurück­ge­legt, um mit mir über Luhonga zu spre­chen. Es sei keine gute Gegend für mich, immer wieder gebe es bewaff­nete Überfälle.

Baseme erzählt, dass er im Dorf Luhonga aufge­wachsen und schon seine Eltern auf der Kaffee­plan­tage der gleich­na­migen Konzes­sion gear­beitet hatten. „Heute sind wir sehr über­rascht, zu sehen, dass mäch­tige Konzes­sio­näre uns das Land wegnehmen und Kühe darauf setzen, und wir können kein Land mehr für den Ackerbau finden“, erklärt er. Denn auf der Kaffee­plan­tage hätten sie nicht nur gear­beitet, sondern konnten in frei­ste­henden Zwischen­flä­chen Bohnen, Maniok und Gemüse anbauen.

Die heutigen Gross­grund­be­sitzer Masisis sind nicht nur durch die Zairia­ni­sie­rung an viel Land gekommen. Auch die Rebel­lionen im Osten des Landes spielten eine wich­tige Rolle. Wie die Land­an­eig­nung vor sich ging, wie die Gross­grund­be­sitzer das Land bis heute vertei­digen, und was dies für Personen wie Baseme Katabu­misa bedeutet, lesen Sie im zweiten Teil dieser Reportage.

* Namen geändert

Die drei­tei­lige Repor­tage Käse­pro­duk­tion im Kongo wurde finan­ziell durch den Medi­en­fonds „real21 — die Welt verstehen“ unter­stützt. Wir danken!


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 30 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1820 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Soli­da­ri­sches Abo

Nur durch Abos erhalten wir finan­zi­elle Sicher­heit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unter­stützt du uns nach­haltig und machst Jour­na­lismus demo­kra­tisch zugäng­lich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.

Ihr unter­stützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorg­fältig recher­chierte Infor­ma­tionen, kritisch aufbe­reitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unab­hängig von ihren finan­zi­ellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Jour­na­lismus abseits von schnellen News und Click­bait erhalten.

In der kriselnden Medi­en­welt ist es ohnehin fast unmög­lich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkom­mer­ziell ausge­richtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugäng­lich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure soli­da­ri­schen Abos ange­wiesen. Unser Lohn ist unmit­telbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kriti­schen Jour­na­lismus für alle.

Ähnliche Artikel