Klima­schutz­ge­setz: Die SVP hatte nicht nur Unrecht

Strom­fres­ser­ge­setz hat die SVP das Klima­schutz­ge­setz genannt, das am Sonntag vom Stimm­volk klar ange­nommen wurde. Mit einem hatte sie damit Recht: Die Dekar­bon­sie­rung unseres Alltags wird viel Strom brau­chen. Und ohne Verzicht wird das nicht gehen. 
Was genau die Steckdose aus der SVP-Gegenkampagne dermassen erschöpft, wurde im Abstimmungskampf zu wenig thematisiert. (Illustration: Jacek Piotrowski / @jaski_art)

Der Abstim­mungs­kampf zum Klima­schutz­ge­setz ist vorbei – zum Glück. Denn die vermeint­li­chen Strom­mangel-Szena­rien, die von der SVP und ihren Sinnesgenoss*innen über alle Kanäle verbreitet wurden, waren für jede halb­wegs infor­mierte Person schwer auszu­halten. Stimmst du ja, dann ist Schluss mit Online­shop­ping! Stimmst du ja, dann wirst du nicht mehr chatten können! Stimmst du ja, gehen Zivi­li­sa­tion und Fort­schritt wort­wört­lich vor die Hunde.

Den abso­luten Tief­punkt erreichte die Kampagne mit einem geschmack­losen und misogyn ange­hauchten Video, in dem Schau­spie­lende Simo­netta Somma­ruga und Doris Leuthard zu zweit, nackt und zitternd unter der kalten Dusche mimen. Wenn du ja stimmst, dann wirst du das Schicksal der letzten zwei Umwelt­bun­des­rä­tinnen teilen. Der vermeint­liche Grund: Der Kampf gegen die Klima­krise frisst uns den Strom für den tägli­chen Gebrauch weg.

Doch was die SVP im vergan­genen Abstim­mungs­kampf bei jeder Gele­gen­heit schrill und aggressiv betonte, ist nicht nur falsch. In einer dekar­bo­ni­sierten Welt gibt es eine limi­tie­rende Grösse: Die Menge an Ökostrom, die wir produ­zieren können. Sie wird nicht genügen, um den mate­ri­ellen Über­fluss zu pflegen, an den wir uns gewöhnt haben.

Möglich wäre 1978

Schlechter Geschmack hin oder her: Der Abstim­mungs­kampf zeigt, dass die Angst vor Verzicht die Debatte zur Klima­krise domi­niert. Das führt dazu, dass die poli­ti­sche Kommu­ni­ka­tion zum Thema nie ganz ehrlich ist – und ein Voran­kommen blockiert wird. Und zwar in beiden poli­ti­schen Lagern.

Auf einer Webseite des Bundes zum Klima- und Inno­va­ti­ons­ge­setz, wie es offi­ziell heisst, steht etwa: „Es gibt darin […] keine neuen Vorschriften oder Verbote.“ Auf das Gesetz bezogen, stimmt dieser Satz. Gleich­zeitig verschweigt die Seite, dass wir die Klima­krise ohne Verbote, Einschrän­kungen oder Verzicht nicht meistern können.

Ulrike Hermann, Wirt­schafts­jour­na­li­stin bei der TAZ und Autorin des Best­sel­lers „Das Ende des Kapi­ta­lismus“, hat am Beispiel von Deutsch­land berechnet, welches Wirt­schafts­vo­lumen wir mit dem Ökostrom aufrecht­erhalten können, der uns in den näch­sten paar Jahr­zehnten zur Verfü­gung stehen wird. Die Antwort ist eine Jahres­zahl: 1978.

Die Menge an Ökostrom, die wir mit den uns heute zur Verfü­gung stehenden Mitteln herstellen können, würde also ausrei­chen, um pro Kopf ein BIP-Level zu erwirt­schaften, wie es Deutsch­land im Jahr 1978 hatte. Wer damals schon dabei war, weiss: Das war nicht so schlecht. Und mit den von SVP und Co. aufge­spannten Schreckens­sze­na­rien hat 1978 wenig gemein. Was die Jahres­zahl aber auch zeigt: Ein Weiter-wie-bisher liegt nicht drin.

Pipe­lines mit flüs­sigem CO2 nach Island

Dass die Dekar­bo­ni­sie­rung kein Spazier­gang ist, weiss eigent­lich auch der Bundesrat. Schon heute rechnet er damit, dass wir bis 2050 nicht alle Emis­sionen auf null redu­zieren werden.

Die Schweiz stösst auf ihrem Terri­to­rium pro Jahr aktuell rund 45 Millionen Tonne Treib­haus­gase aus. Im Ausland kommen noch­mals rund doppelt so viele Schweizer Emis­sionen dazu – darum müssen wir uns aber sowohl laut Pariser Klima­ab­kommen wie auch laut dem neuen Klima­schutz­ge­setz ganz legal und offi­ziell nicht kümmern.

Aber auch mit den inlän­di­schen 45 Millionen Tonnen sind wir offen­sicht­lich bereits über­for­dert. Der Bund geht davon aus, dass wir auch 2050 noch jähr­lich 10 Millionen Tonnen Treib­haus­gase auf Schweizer Boden ausstossen werden. Etwa in den Kehricht­ver­bren­nungs­an­lagen, in der Land­wirt­schaft und bei der Beton­pro­duk­tion. Diese 10 Millionen Tonnen können laut einem Bericht des Bundes­rats schlichtweg nicht verhin­dert werden.

Die vermeint­liche Lösung stellt der Bundesrat im selben Bericht vor: Ein Pipe­line­netz­werk nach Nord­eu­ropa, mit dem wir das CO2, das wir aus der Luft ausge­schieden und verflüs­sigt haben nach Island oder Norwegen verfrachten, von wo aus es dann dorthin zurück­ge­pumpt wird, wo es ursprüng­lich in Form von Erdöl herkam – in den Untergrund.

Wohl­ge­merkt: Das sind keine verrückten Zukunfts­ideen einer dysto­pisch gestimmten NGO – das sind offi­zi­elle Pläne unserer Regie­rung, die in den näch­sten Jahr­zehnten umge­setzt werden sollen. Das Problem daran: Auch dieses ganze Proze­dere wird Unmengen an Ökostrom brauchen.

Keine Alter­na­tiven zu Ökostrom

Einige Politiker*innen wollen statt­dessen auf Atom­strom setzen, was auch nicht gerade auf Weit­sich­tig­keit schliessen lässt. Denn selbst wenn man alle nega­tiven Begleit­erschei­nungen ausser Acht lässt, die Uran und Co. mit sich bringen – Atom­strom kann das Ener­gie­loch nicht füllen, das die notwen­dige Dekar­bo­ni­sie­rung in den fossilen Kapi­ta­lismus reisst. Auch hierzu hat Hermann eine Zahl berechnet. Würde man unser aktu­elles Wirt­schafts­sy­stem mit Atom­strom aufrecht­erhalten wollen, würde das Uran gerade einmal 13 Jahre lang reichen.

Und auch wenn es mitt­ler­weile eigent­lich allen klar sein sollte: Es ist keine Option, weiterhin Tonnen über Tonnen gefähr­liche Treib­haus­gase zu emit­tieren und damit der Klima­krise freien Lauf zu lassen. Der Welt­un­ter­gang ist kein diskus­si­ons­wür­diges Alter­na­tiv­sze­nario. Es bleibt uns deshalb vorerst nichts anderes übrig als uns mit dem limi­tierten Angebot an Ökostrom zufrieden zu geben.

Anstatt also auf der einen Seite zu schreien „Ihr wollt uns alles verbieten!“ und auf der anderen Seite zu behaupten, dass alles munter weiter­gehen könne wie bisher, wäre es an der Zeit, dass beide Seiten der Realität ins Auge sehen. Soll der Ökostrom reichen, müssen wir anfangen, darüber zu reden, wo wir ihn einsetzen und wo nicht. Wie viele Quadrat­meter beheizte Wohn­fläche liegen drin pro Person? Wie verteilen wir diese? Wie viel Ökostrom können wir für Mobi­lität verwenden? Welche Geschäfts­mo­delle sind mit einer dekar­bo­ni­sierten Welt vereinbar?

Der Kampf gegen den Klima­kol­laps wird von uns allen Verzicht einfor­dern. Das, was die SVP im Abstim­mungs­kampf als Schreck­ge­spenst an die Wand gemalt hat, ist Blöd­sinn. Ganz unrecht hatte sie aber nicht. Das sollte niemanden ängstigen. Statt­dessen sollte es den Weg ebnen für einen mutigen Diskurs darüber, wie ein gutes Leben nach der Dekar­bo­ni­sie­rung tatsäch­lich aussehen kann – und zwar für alle. 

Denn wenn wir, wie sich das die SVP zu wünschen scheint, nichts tun, dann werden wir noch auf viel mehr verzichten müssen. Und davor sollten wir uns tatsäch­lich fürchten.


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 21 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1352 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Soli­da­ri­sches Abo

Nur durch Abos erhalten wir finan­zi­elle Sicher­heit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unter­stützt du uns nach­haltig und machst Jour­na­lismus demo­kra­tisch zugäng­lich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.

Ihr unter­stützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorg­fältig recher­chierte Infor­ma­tionen, kritisch aufbe­reitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unab­hängig von ihren finan­zi­ellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Jour­na­lismus abseits von schnellen News und Click­bait erhalten.

In der kriselnden Medi­en­welt ist es ohnehin fast unmög­lich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkom­mer­ziell ausge­richtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugäng­lich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure soli­da­ri­schen Abos ange­wiesen. Unser Lohn ist unmit­telbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kriti­schen Jour­na­lismus für alle.

Ähnliche Artikel

Sie wollen Domi­nanz und Tradition

Trumps knappen Wahlsieg auf ökonomische Faktoren zurückzuführen, greift zu kurz. Die Linke muss der Realität ins Auge sehen, dass ein grosser Teil der Bevölkerung Trump nicht trotz, sondern wegen seines ethnonationalistischen Autoritarismus gewählt hat. Eine Antwort auf Balhorns Wahlkommentar.

Fick den Genderstern!

Die SVP betreibt mit der Genderstern-Initiative rechten Kulturkampf und will dem sogenannten ‚Woke-Wahnsinn‘ den Garaus machen. Sie können das Sonderzeichen gerne haben – vorausgesetzt, genderqueere Personen können ein sicheres Leben führen.