Hundertzwanzig Meter unter dem Meer. Eine weisse Metallplattform an der Oberfläche, in einiger Entfernung eine weitere kleinere. Auf der silbrigen Wasseroberfläche zwischen ihnen spiegelt sich pastellrosa das Morgenrot. Sie drücken auf die Knöpfe: Sam auf der grossen, Gorio auf der kleinen Plattform. Ein helles Surren setzt ein. Fünfzehn Minuten ab jetzt.
Wir haben die Welt so stark verändert, dass wir es nicht mehr rückgängig machen können. Also haben wir ein Wort dafür erfunden: Anthropozän. Es ist eine Kombination aus den altgriechischen Wörtern für „Mensch“ und „neu“ und bezeichnet das neue Zeitalter des Menschen. Man kann unterschiedlich auslegen, was das genau bedeutet.
Die Climate Foundation versteht darunter ein „vom Menschen verursachtes Massenaussterben“, wie sie auf ihrer Webseite schreibt. Aber: „Wir haben festgestellt, dass wir Lösungen haben. Wir haben herausgefunden, dass wir mit der richtigen Hilfe das Massenaussterben stoppen können, wir können den Kohlenstoffgehalt senken, wir können den Klimawandel umkehren“. Und ja, das schrieb die Foundation auch: „Wir können die Erde retten.“ Nach Veröffentlichung dieses Artikels änderte sie die Formulierung zu „Gemeinsam können wir alle dazu beitragen, die Erde zu retten“.
Vierzig Meter unter dem Meer: Sicherheitsstopp. Auf den Plattformen an der Wasseroberfläche lassen Gorio und Sam ihre Knöpfe los, das Surren verstummt. Sie verständigen sich per Walkie-Talkie. „Alles okay?“ – „alles okay“, knarzt es zurück. Eine Krabbe läuft seitwärts über die grosse Plattform, das sei ihr Haustier, sagt Sam. Dann drücken sie wieder auf die Knöpfe.
Wie rettet man die Erde? Auf diese Frage gibt es viele Antworten (Google-Sucherergebnisse: über fünf Millionen) und höchstwahrscheinlich sind mehrere davon richtig, vielleicht auch gar keine. Brian von Herzens Antwort jedenfalls ist: mit Algen. Er ist Gründer und Direktor der Climate Foundation und ein Mann der Visionen. Auf hoch technisierten Plattformen will er gewissermassen die Ozeane aufforsten, mit Algenwäldern. Und mit ihnen will er alles auf einmal lösen: die Menschen ernähren, die Ökosysteme rehabilitieren und die Klimakrise beenden. Marine Permakultur nennt er sein System.
Letztes Jahr gewann seine Climate Foundation mit der Idee neben 14 anderen Teams den mit einer Million Dollar dotierten Milestone Award des XPRIZE, der von Elon Musk und dessen Musk Foundation gesponsert wird. Nun wetteifern die Teams in einem Rennen um den Hauptpreis darum, wer am effektivsten CO2 aus der Atmosphäre ziehen kann. Es geht um insgesamt 100 Millionen Dollar – laut Eigenbeschreibung ist es der „grösste Förderpreis der Geschichte“.
Null Meter. Sam und Gorio lassen ihre Knöpfe los. Es wird still. Zunächst passiert nichts, doch dann taucht er träge an der Wasseroberfläche auf wie der Rücken eines Wales: ein tausend Quadratmeter umfassender Ring, von dem aus sternförmig unzählige Leinen in die Mitte gespannt sind. Das Grün der Algen, die daran wachsen, leuchtet nun im Licht der aufgehenden Sonne an der Wasseroberfläche. Am Horizont springen vier Delfine aus dem Wasser, als seien sie für diesen Moment dorthin bestellt worden. Das hier ist Brian von Herzens Idee zur Rettung der Erde.
Der Elefant im (Meeres-)Raum
Die Reise führte mit dem Flugzeug nach Cebu City auf der philippinischen Insel Cebu im Westpazifik, von dort aus rund eine Stunde mit dem Auto entlang der Küste in Richtung Norden und dann morgens um fünf Uhr mit einem Motorboot etwa zehn Minuten hinaus aufs Meer, um diese Idee zu sehen. Aber wer nicht hier ist, ist Brian von Herzen. Der gebürtige Amerikaner lebt in Queensland an der Ostküste Australiens. In Vorgesprächen hatte er sich ausweichend dazu geäussert, wie oft er die Philippinen besucht. Vor Ort wird klar, dass er seit Beginn der Pandemie im 2020 nicht mehr hier war.
„Stellen Sie sich eine Pizza mit einem Durchmesser von vierzig Metern vor“, hatte er im Voraus den Ring beschrieben. Und dann hatte er geraten, Schnorchelausrüstung mitzunehmen, denn sein Team würde uns mit raus nehmen aufs Wasser, um den Ring von Nahem zu erkunden. „Für mich ist es, als wäre man im Weltraum und arbeitet auf einer Raumstation. Man schaut nach unten, und unter einem sind tausend Fuss blaues Wasser.“
Tatsächlich ist es ein eigenartig haltloses Gefühl über mehr als zweihundert Meter tiefem Wasser zu schnorcheln. Der Hightech-Ring an der Oberfläche hat den grünlichen Belag eines alten Schiffswracks, denn wie jeden Gegenstand, der ihm zu lange überlassen wird, hat ihn sich das Meer zu eigen gemacht. Der Ring ist nicht nur übersäht von Algen, auf seinen Rändern wachsen unzählige Entenmuscheln, die aus ihren Öffnungen sogenannte Cirren fächerartig pulsierend herausstrecken.
Dieses Konstrukt hing vor wenigen Minuten noch in hundertzwanzig Metern Tiefe, in der das Wasser 24 Grad kühl ist und nicht rund dreissig Grad, wie an der Oberfläche. Und es ist eine Tiefe, in der das Wasser voller Nährstoffe ist, im Gegensatz zur Oberfläche. Beides brauchen die Algen zum Wachsen: die Kühle und die Nährstoffe. Deswegen senken die Mitarbeitenden der Climate Foundation den Ring jeden Abend mit der Energie aus den Solarpaneelen über der Plattform hinab und holen ihn jeden Morgen vor Sonnenaufgang nach oben.
Denn eines gibt es in der Tiefe nicht: Licht. Und Licht brauchen die Algen, wie jede Pflanze, um Photosynthese zu betreiben. Dabei bilden sie aus CO2 und Wasser mithilfe von Lichtenergie Zucker und Sauerstoff. Das CO2 ist danach nicht mehr in der Luft, sondern in der Alge. Und genau das ist der Grund, warum sie hier diesen ganzen Aufwand betreiben: um den Algen beim CO2-Speichern zu helfen, um „den Klimawandel umzukehren“. So schien es zumindest.
Laut dem sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarats werden wir nicht umhinkommen, CO2 auf irgendeine Weise der Atmosphäre zu entziehen und zu speichern, wenn wir die globale Erwärmung stoppen wollen. Das können wir auf sehr viele unterschiedliche Weisen versuchen: Wir können Bäume pflanzen, die das Gas speichern; zerkleinerte Steine auf dem Boden ausstreuen, die es absorbieren; es aus dem Rauch von Industrieanlagen abspalten und unter die Erde pressen; die Ozeane mit Eisen düngen, damit sie mehr davon aufnehmen – oder eben massenhaft Algen pflanzen. Jede dieser Methoden ist allerdings umstritten, weil sie Risiken bergen oder das Klimagas womöglich nicht lange genug speichern. Die Algen sind da keine Ausnahme.
Ihr Potenzial wäre aber enorm, wie der 64-jährige Brian von Herzen bei einem Videocall erklärt – als seinen Hintergrund hat er eine Unterwasseraufnahme gewählt, auf der Fische durch einen Algenwald schwimmen. „Jeder grosse Ozeanstaat hat eine ausschliessliche Wirtschaftszone, die sich 300 Kilometer von der Küstenlinie entfernt erstreckt“, sagt er. „Sie ist meist leeres Meer und oft viel tiefer als hundert Meter. Und alle Gewässer, die tiefer als hundert Meter sind, sind für die marine Permakultur zugänglich.“
Algen sind so etwas wie die ausser Acht gelassene Wunderwaffe der Meere. Eine Gruppe Forscher*innen nennt sie „the elephant in the Blue Carbon room“. Ihr Vorteil: Sie wachsen schnell, Riesentang etwa kann bis zu sechzig Zentimeter an nur einem Tag wachsen. Und die Algen der Climate Foundation wachsen je nach Art sogar doppelt bis dreimal so schnell wie Algen, die ständig an der Oberfläche bleiben, sagt von Herzen.
Er denkt gross: „Wir könnten die Beziehung der Menschheit zum Meer verändern, von der Extraktion zur Regenerierung.“ Was er damit meint: Unsere bisherige Beziehung zum Meer ist eine des Nehmens – Meerestiere, Pflanzen, Salz, Bodenschätze. Mit den Algenfarmen will Brian von Herzen nun etwas zurückgeben.
Dabei gibt es zwei Probleme: Algen halten genau wie Korallen keine hohen Wassertemperaturen aus, und das ganze muss sich irgendwie rechnen.
Auf Hitze folgt Ice
Die Philippinen gehören mit mehr als 7’600 Inseln zu den grössten Inselstaaten der Welt. Seit langer Zeit legen die Menschen an ihren Küsten mit einfachsten Mitteln Algenfarmen an: Sie spannen Plastikbänder in küstennahen Gewässern und knoten Setzlinge etwa der roten Gracilaria, der braunen Golftange oder der grünen Caulerpa daran. Als Auftrieb nutzen sie leere Plastikflaschen – Geld für professionellere Ausrüstung haben sie keines. Eine Analyse des philippinischen Büros für Fischerei und aquatische Ressourcen (BFAR) ergab, dass eine Farm von einem Hektar Grösse mit der Rotalge Eucheuma mit einem Produktionszyklus von 45 Tagen umgerechnet nur knapp 140 Euro verdient.
Trotzdem zählen Algen zu den Top-3-Exportprodukten des philippinischen Fischereisektors, denn landesweit bauen mehr als eine Millionen Menschen auf diese Art Algen an. Ein Teil davon landet in bunten Plastikkörbchen auf den Fischmärkten, angestrahlt von grellen LED-Lichtern und von surrenden Plastikventilatoren frisch gehalten. Viel mehr Geld lässt sich aber mit dem absoluten Exportschlager Carrageen machen, das aus Rotalgen gewonnen wird. Die meisten von uns konsumieren es täglich als Verdickungsmittel und Stabilisator unter der Zusatzstoffnummer E 407 in Zahnpasta, Süssigkeiten, Brotaufstrichen oder Sahne.
Doch das alles könnte ein Ende haben, denn das Meer wird heisser, als es die Algen ertragen können. Sie wachsen dann nicht mehr oder entwickeln die Ice-Ice-Krankheit, bei der sie – wie Korallen – bleichen. Seit 2011 brach die Algenproduktion auf den Philippinen um zwanzig Prozent ein. Laut dem BFAR im Wesentlichen wegen klimawandelbedingten Ereignissen wie Wetterstörungen und Taifunen, der Ice-Ice-Krankheit und dem Anstieg der Meeresoberflächentemperatur.
Die höheren Temperaturen bringen den natürlichen Wasserauftrieb zum Erliegen, der normalerweise das kältere, nährstoffreiche Tiefenwasser mit dem Oberflächenwasser vermischt. Es gibt dann zwei Möglichkeiten: Entweder, man bringt die Algen in das tiefe Wasser, oder man bringt das tiefe Wasser zu den Algen. Die Climate Foundation experimentiert in ihrem aktuellen Modellversuch mit ersterem, deep cycling nennt sie das.
Dass sie auch vorhat, das Wasser zu den Algen zu bringen, verneinen mehrere Gesprächspartner*innen, denn die Methode ist höchst umstritten. Sie nennt sich artificial upwelling und wird als Geoengineering eingestuft, also als eine technische Methode, die das Klima künstlich beeinflusst. Dass die Climate Foundation davor nicht zurückscheut, wird sich erst später zeigen.
Der verheerende künstliche Auftrieb
Einige Tage später führt Pepe Tubal über die Nachbarinsel Bohol. Er arbeitet für die Climate Foundation und zeigt, wie sie aus den Algen Düngemittel herstellen und an die lokalen Reis- und Fischfarmer*innen vermarkten. Der Fischfarmer Crestito Garacia, der die Algen in das Futter seiner Fische und Krabben mischt, sagt, dass er seither bessere Erträge habe.
Die 66-jährige Reisfarmerin Gliceria Limbaga steht vor ihrem giftgrünen Reisfeld und erzählt, dass sie auf den Algendünger umgestiegen ist. Seitdem benutzt sie auch keine Pestizide mehr, da das Düngemittel auch für die Reispflanzen schädliche Insekten fernhalte. Vorher benutzte sie wie im konventionellen Reisanbau üblich chemischen Stickstoffdünger, der nicht nur dem Boden schadet, sondern auch dem Klima – laut einer Studie der britischen Cambridge Universität verursachen Stickstoffdünger rund fünf Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen.
Der Einsatz auf Limbagas und anderen Feldern zeige, dass der Reis mit dem Algendünger besser und schneller wachse, erklärt Pepe Tubal. „Wir produzieren nicht genug Reis hier auf den Philippinen“, sagt er. „Wenn alle Reisbauer*innen unser Produkt verwenden und ihre Erträge steigern, brauchen wir denke ich keinen Reis mehr zu importieren.“ Das ist die Erfolgsgeschichte, die die Climate Foundation erzählen möchte.
Kurz vor dem Abschied erzählt Tubal dann aber fast beiläufig, dass sie in der Region auch mehrere artificial upwelling-Projekte planen. Sie wollen sie nah an der Küste entlang von Riffen installieren, erzählt er. Auf erneutes Nachhaken räumt das dann auch Brian von Herzen ein. Artificial upwelling lässt sich zu „künstlicher Auftrieb“ übersetzen, von Herzen findet aber schon die Bezeichnung falsch: „Es ist nichts Künstliches daran, wir stellen einen natürlichen Prozess wieder her.“ Das würden sie tun, indem sie mit hunderte Meter langen Rohren Wasser an die Oberfläche pumpen.
Nur könnten sie damit mehr Schaden anrichten, als helfen.
Es sei falsch, die Komplexität natürlicher Auftriebsereignisse mit künstlichen gleichzusetzen, mahnt die Heinrich-Böll-Stiftung in einer Analyse. Tut man das, können die Folgen verheerend sein. „Der Ozean ist stark geschichtet und das ist gut so, weil er in der Tiefe unheimlich viel CO2 speichert“, erklärt Andreas Oschlies, Leiter der Forschungseinheit Biogeochemische Modellierung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel. Auch er hat im Videocall einen Meereshintergrund – nur ohne Algen.
„Dieses CO2 wollen wir eigentlich gar nicht nach oben bringen. Wenn wir in die Klimamodelle artificial upwelling reinbringen, zeigt sich aber, dass zusammen mit den Nährstoffen ganz viel CO2 hochgepumpt wird.“ Das gelangt dann an der Oberfläche zurück in die Atmosphäre und könnte den Gewinn an neu gespeichertem CO2 zunichte machen. „Und alle Nährstoffe, die diese Algen aufnehmen, fehlen woanders“, fährt Oschlies fort. „Also hat man dann irgendwo einen Algenfarmer, der verdient prächtig Geld, aber nebenan oder vielleicht einen halben Kontinent weiter weg fangen die Fischer plötzlich weniger, weil da wegen weniger Nährstoffen weniger Algen wachsen und dadurch weniger Fische da sind.“
Die Liste der Probleme ist noch länger: Das Tiefenwasser kühle zwar sogar die Atmosphäre, verdränge gleichzeitig aber auch das warme Oberflächenwasser nach unten, das dort lebenden Pflanzen und Tieren schaden könne. Der Eingriff kann die Blüte unerwünschter giftiger Algen begünstigen, zu Sauerstoffarmut im Wasser führen und Meeresströmungen verändern, was wiederum Wettermuster beeinflussen kann.
Und ein positiver Effekt kann den Algenwäldern auch zum Verhängnis werden: Weil sich Meerestiere in ihnen wohlfühlen, vermehren sie sich in ihrer Umgebung, das haben mehrere Studien bestätigt. Sie fressen die Algen aber auch und stossen dabei CO2 aus. „Das kann zehn bis dreissig Prozent der CO2-Aufnahme der Algen wieder zunichte machen“, sagt Oschlies. Als Mitglied einer internationalen Expert*innengruppe, die die Vereinten Nationen berät, kam er zu dem Schluss: „Diese Methode hat [...] nur ein sehr begrenztes Potential zur Kohlenstoffbindung und das Risiko erheblicher Nebenwirkungen.“
Brian von Herzen kennt diese Risiken. Er sagt: „Ob es uns gefällt oder nicht, wir haben den Planeten bereits durcheinandergebracht. Jedes Mal, wenn Sie in einem Flugzeug fliegen oder mit dem Auto fahren, ist das ein Akt des Geoengineering – wir wissen, welche Folgen es hat, wenn wir mehr Kohlenstoff in die Atmosphäre ausstossen, und trotzdem tun wir es weiterhin.“ Wir gehen laut von Herzen also ein viel grösseres Risiko damit ein, den Planeten wissentlich weiter zu zerstören, als bei dem Versuch, ihn zu retten. Er ergänzt: „Im schlimmsten Fall schalten wir die Pumpen ab, und alles wird wieder so, wie es vorher war.“
So leicht ist das aber leider nicht. Simulationen des GEOMAR zeigen, dass die einmal gestarteten Pumpen nicht mehr gestoppt werden dürfen – weil sie sonst sogar zu einem deutlichen Anstieg der CO2-Konzentration und Oberflächentemperaturen führen würden. Das GEOMAR vergleicht das in einer Publikation mit Goethes Zauberlehrling, der die Geister, die er ruft, nicht mehr loswird. Trotzdem erforscht auch das GEOMAR artificial upwelling neben anderen Methoden der marinen CO2-Entnahme und ‑Speicherung. Das Forschungsministerium fördert das mit 26 Millionen Euro.
Die Rettung der Welt muss sich rechnen
Der letzte Tag auf den Philippinen führt nochmals mit dem Team raus zur Plattform, die Algenleinen – genauer gesagt sind es schlauchförmige Netze – müssen gewogen werden. Die Mitarbeitenden der Climate Foundation knoten sie dafür einzeln vom Ring ab, schwimmen mit ihnen zum Wiegen zur Plattform und knoten sie anschliessend wieder fest.
Noch experimentieren sie mit unterschiedlichen Algenarten, um herauszufinden, welche am besten mit dem deep cycling zurechtkommen. Und noch müssen sie den Ring manuell hoch- und runterfahren – bald soll das automatisch passieren. Dann wollen sie Algenfarmer*innen, die wegen der zu hohen Temperaturen keine Algen mehr anpflanzen können, darin trainieren, die Ringe zu bewirtschaften. Einen Hektar gross sollen sie mal werden, das ist ungefähr so gross wie ein Fussballfeld. Die Farmer*innen sollen die Systeme von der Climate Foundation pachten, die ihnen im Gegenzug die gesamte Ernte abkauft und daraus Biodünger und Carrageen produziert – nichts soll ungenutzt bleiben.
Doch ähnlich wie ein Wald an Land speichert auch ein Algenwald nur so lange CO2, wie er nicht abgeerntet und weiterverarbeitet wird. Um möglichst viel CO2 langfristig aus der Atmosphäre zu ziehen, müsste die Climate Foundation die Algen zum Meeresboden herabsinken lassen, wo sie gefressen, zersetzt oder von Sedimenten begraben würden. Je tiefer die Algen absinken, desto länger wird das CO2 gespeichert, bevor es wieder zur Oberfläche hochsteigt. Bei einer Tiefe von tausend Metern dauert es rund tausend Jahre, bei 300 Metern nur rund hundert Jahre. Die deep cycling-Plattform vor der Küste Cebus hängt in 220 Meter tiefem Wasser.
Liesse die Climate Foundation aber alle Algen zum Meeresboden sinken, dann könnte sie mit ihnen kein Geld verdienen. Das mit dem Verkauf von CO2-Zertifikaten zu finanzieren hat sie 2010 modelliert und ist damals zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich nicht rechnet. Also wird nur das CO2 derjenigen Algen gespeichert, die einfach so herunterfallen, „wie Blätter von den Bäumen“, so beschreibt es die Climate Foundation. Wie viele Algen herunterfallen, haben sie zwar mal gemessen, eindeutige Ergebnisse haben sie aber nicht. „Wir schätzen, dass zwanzig bis vierzig Prozent der Algen während des Wachstums von der Plattform abfallen“, sagt Brian von Herzen.
Die Rettung der Welt, sie ist eine Schätzung.
Das Team in Cebu hat gerade neue T‑Shirts aus glänzendem Trikot-Stoff bekommen, überall werden sie hektisch übergezogen. Darauf wachsen Algen vom Saum und von den Ärmeln nach oben, auf dem Rücken steht „Food Security, Ecosystems, Carbon Removal“. In dieser Reihenfolge. Ist der Klimaschutz also die dritte Wahl?
„Konzentrieren wir uns darauf, dass wir die Menschheit ernähren können“, sagt Brian von Herzen. „Wir können den Kohlenstoff messen, der von der Plattform nach unten sinkt. Wir können die vermiedenen Emissionen messen und diese Vorteile dokumentieren. Aber wir müssen meiner Meinung nach für Ernährungssicherheit und eine Regeneration der Ökosysteme sorgen, damit wir die Ökosysteme an Land und im Meer für kommende Generationen erhalten.“
Auf die Frage, wie die Menschen in der Umgebung auf die Climate Foundation reagieren, sagt einer der Mitarbeitenden: „Sie haben den Eindruck, dass wir im Algengeschäft tätig sind.“ Wer könnte es ihnen verdenken.
Dieser Artikel ist Teil der Serie „Blue New Deal“, einem Projekt von Svenja Beller, Julia Lauter, Martin Theis, Fabian Weiss und der deutschen Wochenzeitung „Der Freitag“. Es wird vom European Journalism Center (EJC) über den Solutions Journalism Accelerator finanziert, dieser Fonds wird von der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt.