Krieg und Klima

Am 6. Februar erschüt­terte ein schweres Erdbeben Teile Syriens und der Türkei. Als vor ein paar Monaten türki­sche Bomben auf die kurdi­schen Gebiete fielen, endete zeit­gleich die UN-Klima­kon­fe­renz (COP) in Ägypten. Die Türkei und Europa, Krieg und Klima: All das ist eng mitein­ander verflochten. 
Kämpfer*innen der Peschmerga feiern Neujahr. Der Krieg gegen die Kurd*innen ist auch für das Klima eine Katastrophe. (Foto: Levi Meir Clancy / Unsplash)

Unter der Parole „Die Klima­krise drängt, wir machen jetzt vorwärts!“ finden an der COP (Confe­rence of the Parties) jähr­lich Abge­ord­nete verschie­dener Länder zusammen. Kaum ist die Konfe­renz jedoch vorbei, fliegen alle Dele­gierten zurück in ihre Länder und lassen von dort nur noch ein müdes „Die Reduk­ti­ons­ziele wurden zumin­dest nicht abge­schwächt…“ kommunizieren.

Der Still­stand der insti­tu­tio­nellen globalen Klima­po­litik ist nichts Neues. Da reiht sich auch die Türkei mit ein: Das Land habe an der COP27 neue scharfe Emis­si­ons­ziele präsen­tiert und würde ihren Teil zu mehr Klima­schutz beitragen, schrieb die grösste englisch­spra­chige türki­sche Tages­zei­tung Daily Sabah, die dem türki­schen Despoten Erdogan nahe­steht, während der Konferenz.

Bei genauerer Betrach­tung entpuppt sich diese Meldung als falsch. Das neue Reduk­ti­ons­ziel der Türkei sieht gar eine Erhö­hung der Treib­haus­gas­emis­sionen bis 2038 vor und verschiebt somit das von der Türkei im Jahre 2021 ange­kün­digte Netto-Null-Ziel um einige Jahre nach hinten.

Von Inter­esse an mehr Klima­schutz kann also (auch) in der Türkei nicht die Rede sein. Viel­mehr schien der COP-Auftritt der türki­schen Gesandten einer propa­gan­di­sti­schen Selbst­dar­stel­lung zu dienen und die „UN-Green­wa­shing-Konfe­renz“ in der ägyp­ti­schen Diktatur unter dem Haupt­sponsor Coca-Cola diente dafür als ideale Bühne.

Denn Erdogan ist auf den Good­will der Nationen-Gemein­schaft ange­wiesen, um seine mili­tä­ri­schen Angriffe auf die kurdi­sche Bewe­gung und deren Auto­no­mie­ge­biete zu legi­ti­mieren. Der Klima­schutz dient hierfür höch­stens als Deckmantel.

Erdo­gans Krieg gegen die Kurd*innen

Den Kurd*innen gelang im Zuge des Arabi­schen Früh­lings in Nord­sy­rien eine Revo­lu­tion. Seit 2012 verwalten sie ein Gebiet, das sie Rojava nennen, und haben dort begonnen, eine Gesell­schaft mit den Grund­pfei­lern der föde­ra­li­sti­schen Basis­de­mo­kratie, der Frau­en­be­freiung und der Ökologie aufzubauen.

Das auto­nome, in Räten orga­ni­sierte Gebiet erstreckt sich heute über Rojava hinaus und bedeckt eine grosse Fläche Syriens. Wie die Rosa Luxem­burg Stif­tung schreibt, wurden im vergan­genen Jahr­zehnt verschie­dene basis­de­mo­kra­tisch orga­ni­sierte Unter­nehmen aufge­baut, ganze Land­striche aufge­for­stet und eine Ökolo­gie­aka­demie gegründet, welche Projekte in der Region vorantreibt.

Zudem wurde die inter­na­tio­nale Kampagne „Make Rojava Green Again“ lanciert, welche zum Ziel hat, ein ökolo­gi­sches Bewusst­sein in die inter­na­tional orga­ni­sierte Frei­heits­be­we­gung hinein­zu­tragen. Dadurch besitzt Rojava nicht nur in der Region, sondern auch global eine grosse Strahlkraft.

Doch die Kurd*innen befinden sich in einer unge­wissen Situa­tion. Während sie auf der einen Seite den Isla­mi­schen Staat (IS) bekämpfen müssen, stellt auf der anderen Seite der türki­sche Staat unter Präsi­dent Erdogan eine existen­zi­elle Bedro­hung dar.

Erdogan hat zum Ziel, eine dreissig Kilo­meter breite soge­nannte Sicher­heits­zone an der ehemals türkisch-syri­schen Grenze zu errichten, in die er syri­sche Migrant*innen umsie­deln kann. Dies berichtet unter anderen das Rojava Infor­ma­tion Center (RIC), eine unab­hän­gige Medi­en­or­ga­ni­sa­tion mit Sitz in Nord­sy­rien, in ihren „Occu­pa­tion Reports“. Erdogan will das Gebiet von den Kurd*innen ethnisch säubern und die kurdi­sche Orga­ni­sie­rung als Ganzes zerschlagen.

Hierzu nutzt er jede Gele­gen­heit, so auch das Erdbeben vom 6. Februar 2023. Während Erdogan aus dem sicheren Ankara weitere Luft­an­griffe auf Kurdi­stan befiehlt, verhin­dert er, dass huma­ni­täre Hilfe zu den Erdbe­ben­op­fern in den auto­nomen Gebieten gelangen kann.

Auch gewisse Hilfs­or­ga­ni­sa­tionen – spezi­fisch der Rote Halb­mond, welcher momentan auch mit dem Roten Kreuz zusam­men­ar­beitet – wurden von Erdogan und seinem Umfeld schon genutzt, um die eigenen Kassen zu füllen, anstatt die nun vom Erdbeben betrof­fenen Regionen zu unter­stützen.

Rojava und dessen sozio-ökolo­gi­sche Versuche werden von türki­scher Seite auch in Krisen­si­tua­tionen konstant ange­griffen. Obwohl das ökolo­gi­sche Projekt an sich ein passendes Thema für die COP wäre und die basis­de­mo­kra­ti­schen Versuche der Kurd*innen, gerade für die „demo­kra­ti­sche“ Schweiz span­nend wären, ist Kurdi­stan in der inter­na­tio­nalen Gemein­schaft kaum je Thema.

Dies hängt wohl in erster Linie mit der Präsenz der Türkei an UN-Konfe­renzen und dem Einfluss Erdo­gans auf den Westen zusammen. Geschwiegen wird in der Konse­quenz dann aber nicht nur über Rojava, sondern auch über die Ziele Erdo­gans und die menschen- und klima­ver­ach­tende Art und Weise, wie er diese verfolgt. Denn auch die Natur wird im Kampf gegen die Kurd*innen bewusst zerstört.

Zerstö­rung der Natur als Kriegstaktik

Im Mitt­leren Osten haben gerade der Irak und Syrien mit einer zuneh­menden Wasser­knapp­heit zu kämpfen. Dies ist nicht nur eine Folge der Klima­krise, sondern hat auch viel mit der poli­ti­schen Lage in der Region zu tun, wie in einem von der EU finan­zierten Bericht des „Middle East Direc­tions Programme“ steht. Der Euphrat als grösster Wasser­strom im Mitt­leren Osten ist für die Wasser­ver­sor­gung in der Region uner­läss­lich. Er entspringt in der Türkei, die nicht davor zurück­schreckt, ihn als Macht­hebel zu benutzen.

So hat die türki­sche Regie­rung in den vergan­genen Jahren 22 neue Stau­dämme bauen lassen, mit welchen sie das Wasser im eigenen Land zurück­hält. Laut dem erwähnten Bericht war der Wasser­stand des Euphrats 2021 auf einem nie da gewe­senen Tief­stand. Hunger, Krank­heit und zerstörte Ökosy­steme in den Gebieten weiter fluss­ab­wärts sind die direkten Folgen davon.

In dem von der Türkei seit 2018 eroberten Gebiet Afrîn, einem Teil Rojavas, wurden über­ein­stim­menden Medi­en­be­richten zufolge 1.5 Millionen Bäume gerodet, die Hälfte davon hunderte Jahre alte Oliven­bäume. So soll kurdi­schen Milizen der Aufent­halt in der Region erschwert werden. Doch nicht nur das Anheizen der Klima­krise durch dieses unmit­tel­bare Zerstören der Natur macht den Angriffs­krieg auf Rojava klimaschädlich.

Zerbombte Infra­struktur und die Emissionen

Auch wenn Angriffe auf zivile Infra­struktur völker­recht­lich verboten sind, greifen kriegs­füh­rende Länder regel­mässig Schulen, Spitäler, Kraft­werke, Stau­dämme und Ähnli­ches an. Auch in den momen­tanen Bomben­an­griffen auf Rojava wurde die Ener­gie­ver­sor­gung anvi­siert. Deren Wieder­aufbau erfor­dert zukünftig unge­heure Ressourcen. Hinzu kommen die Emis­sionen für die krie­ge­ri­schen Hand­lungen selbst und die dadurch verur­sachten Fluchtbewegungen.

Zum Krieg in Rojava existieren keine offi­zi­ellen Zahlen betref­fend der Höhe der durch den Krieg verur­sachten Emis­sionen. Beim russi­schen Angriffs­krieg auf die Ukraine hingegen schon: Dieser hat laut einem Bericht aus dem vergan­genen November bis dahin für minde­stens 100 Millionen Tonnen an THG-Emis­sionen gesorgt, was dem Doppelten der jähr­li­chen Emis­sionen der Schweiz entspricht.

Auch wenn der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolo­dymyr Selen­skyj es zu Beginn der COP27 forderte: Ange­rechnet an die THG-Emis­sionen eines Landes werden diese Kriegs­emis­sionen von der UNO nicht. Die Klima­krise wird beim Versuch Kriege zu gewinnen igno­riert. Ob Erdogan oder Putin – um macht­po­li­ti­sche Ziele zu errei­chen, wird das Klima nach­haltig geschä­digt. Im Gegen­satz zu Putin hat Erdogan jedoch seit vier Jahren keine Boden­of­fen­sive mehr befohlen. Hierfür hat er seine Gründe.

Inter­na­tio­nale Machtspiele

Seit Jahren führen die kurdi­schen Milizen YPG/YPJ den Kampf der Syrian Demo­cratic Forces (SDF) gegen den IS in Nord­sy­rien an. Hierbei arbeiten sie aus takti­schen Gründen unter anderem mit verschie­denen NATO-Ländern zusammen. Die Türkei als Teil der NATO kann deshalb nicht offi­ziell in Nord­sy­rien einmar­schieren. Trotzdem haben die letzten Jahre verdeut­licht: Der Globale Norden schert sich herz­lich wenig um Kurdistan.

So veran­lasste Donald Trump 2019 den Abzug US-ameri­ka­ni­scher Truppen aus Nord­sy­rien, obwohl klar war, dass im Anschluss eine Offen­sive durch die Türkei auf Rojava drohen würde und die NATO-Länder verkaufen immer wieder Waffen an die Türkei, obwohl hinläng­lich bekannt ist, dass diese für die syste­ma­ti­sche Ermor­dung von Kurd*innen genutzt werden.

Auch im Kontext der momen­tanen huma­ni­tären Kata­strophe in der Region schweigen die NATO-Länder lieber, als die Türkei für ihre mutwil­lige Verschlim­me­rung der Lage zu kriti­sieren. Hinzu kommt: Erdogan kennt sich mit inner­im­pe­rialen Wider­sprü­chen der NATO aus und ist sich nicht zu schade, diese immer wieder zu forcieren und in die gewünschten Bahnen zu lenken.

Ein Beispiel: Erdogan nutzt Migra­ti­ons­be­we­gungen aus dem globalen Süden und die Unei­nig­keit respek­tive Unfä­hig­keit der euro­päi­schen Staaten im (Nicht-)Umgang mit Migrant*innen als Druck­mittel gegen die EU, was ihm den Zugang zu den Erdgas­vor­komm­nissen im Mittel­meer­raum verein­facht.

Ein weiteres Beispiel: Erdogan zögerte 2015 die Unter­zeich­nung des Pariser Klima­ab­kom­mens bewusst hinaus und forderte, dass die Türkei nicht mehr dem Kyoto-Proto­koll unter­stehe. Diesem Proto­koll, welches die Indu­strie­na­tionen aufgrund ihrer histo­ri­schen Schuld zur Reduk­tion von CO2-Emis­sionen verpflichten sollte, trat die Türkei 1997 bei.

Damals wollte sie sich als aufstre­bende Indu­strie­na­tion präsen­tieren. Solche sind aber nicht berech­tigt, auf inter­na­tio­nale Milli­ar­den­gelder für Klima­schutz­pro­jekte in „armen Ländern“ zurück­zu­greifen. Daher wollte Erdogan 2015 die Türkei von der Liste der Indu­strie­länder streichen.

Andere Parteien fürch­teten jedoch, dass durch jegliche Ände­rung die Liste als Ganzes infrage gestellt würde, da verschie­dene Länder wie China bis zu diesem Zeit­punkt nicht als Indu­strie­na­tion dekla­riert waren. Die Türkei unter­schrieb das Pariser Klima­ab­kommen erst, als Frank­reich, Deutsch­land und die Welt­bank im Zuge der COP26 über Umwege Milli­ar­den­kre­dite für die Türkei organisierten.

Zuletzt nutze Erdogan auch den russi­schen Angriffs­krieg auf die Ukraine spezi­fisch für seinen Kampf gegen die Kurd*innen: Der Eintritt von Schweden und Finn­land in die NATO vergan­genen Sommer erfor­derte Einstim­mig­keit. Die Türkei machte ihre Zustim­mung unter anderem davon abhängig, dass die Länder ihre Waffen­lie­fe­rungen an die YPG, welche die Kurden­miliz im Kampf gegen den IS braucht, einstellen. Erst als die Länder einwil­ligten, zog Erdogan sein Veto zurück.

Der Realität trotzen

Das Auftreten der Türkei im inter­na­tio­nalen Kontext dient immerzu der eigenen Posi­tio­nie­rung auf dem globalen poli­ti­schen Parkett und somit auch einer Legi­ti­ma­tion der völker­rechts­wid­rigen Kriegs­hand­lungen gegen die kurdi­schen Auto­no­mie­ge­biete. Die inter­na­tio­nale Gemein­schaft bietet dem Despoten Erdogan aber kaum je Paroli. Zu gross ist die Angst vor Konflikten und Profit­ein­bussen, zu klein scheint das Inter­esse am Menschen zu sein.

Das Auftreten der Türkei an der COP27 war wohl nicht nur aus ökolo­gi­scher Sicht heuch­le­risch, sondern ein weiteres Kapitel in diesem tödli­chen Spiel Erdo­gans mit den anderen NATO-Ländern. Als am 20. November 2022 Bomben auf Rojava fielen, ging das Kalkül Erdo­gans ein weiteres Mal auf.

Weder die Tatsache, dass bei inter­na­tio­nalen insti­tu­tio­nellen Kongressen Macht­po­litik betrieben wird, noch die Erkenntnis, dass die UN-Klima­kon­fe­renz davon nicht ausge­nommen ist, über­ra­schen. Die Gleich­gül­tig­keit des Globalen Nordens gegen­über einem ökolo­gi­schen und basis­de­mo­kra­ti­schen Projekt wie in Rojava ist nichts Neues. Dass in der macht­po­li­ti­schen Welt der Kriege ökolo­gi­sche Über­le­gungen hinten­an­stehen, ist bekannt.

Das Erdbeben in der Türkei zeigt jedoch erneut die Notwen­dig­keit, dieser trau­rigen Realität zu trotzen. Nur dank soli­da­ri­scher Unter­stüt­zungs­struk­turen gelingt es momentan, Hilfs­güter nach Rojava zu bringen.


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