Lobby­istinnen für den Frauenhass

Der Erfolg von Anti­fe­mi­ni­stinnen wie Alice Weidel oder J.K. Rowling zeigt: Wer gegen Frau­en­rechte kämpft, kann auch Frau sein – und genau daraus Kapital schlagen. Eine Analyse über Gali­ons­fi­guren des Anti­fe­mi­nismus und warum niemand dem Zentrum patri­ar­chaler Macht so nahe ist wie sie. 
Die drei Antifeministinnen J.K. Rowling, Phyllis Schlafly und Alice Weidel erkämpften ihre Macht mit Tritten gegen unten: An der Spitze bleibt nur, wer andere unterdrückt. (Bild: Luca Mondgenast)

Ist es sexi­stisch, Frau­en­hass bei Frauen verlet­zender und abstos­sender zu finden als bei Männern? So zumin­dest vertei­digen Anhän­ge­rinnen – das gene­ri­sche Femi­ninum drängt sich hier auf – frau­en­feind­li­cher Ikonen häufig ihre Vorbilder.

Wieso sollten Frauen höheren mora­li­schen Ansprü­chen genügen als Männer? Wieso sollte man von Frauen verlangen, dass sie einander unter­stützen, „allein” aufgrund ihres Geschlechts? Während­dessen wird Männern nicht nur die Konkur­renz unter­ein­ander, sondern auch fehlender Femi­nismus und häufig sogar Frau­en­hass verziehen.

Es ist nur dann logisch, Frauen keine beson­dere Soli­da­rität abzu­ver­langen, um Gleich­stel­lung zu fördern, wenn man über­sieht, dass der Status quo mit seiner sexi­sti­schen Struktur für Frauen gefähr­li­cher ist – weil Männer sich im Patri­ar­chat weniger selbst gefährden.

Es ist sicher­lich auffällig, wie viel mediale Aufmerk­sam­keit die Harry Potter-Autorin J.K. Rowling oder AfD-Poli­ti­kerin Alice Weidel im Vergleich zu männ­li­chen Kollegen für ihre reak­tio­nären und anti­fe­mi­ni­sti­schen Hand­lungen erhalten. Ande­rer­seits schlagen beide erheb­li­ches Kapital aus der Aufmerk­sam­keit. Ob sexi­stisch oder nicht, fahr­lässig darf man es wohl nennen, wenn Frauen sich dem Ziel verschreiben, die Unter­drückung, Ausbeu­tung und Diskri­mi­nie­rung von Frauen voranzutreiben. 

Selbst­ge­wählte Abgrenzung

Anti­fe­mi­ni­stinnen streiten es ab, gegen das Wohl der eigenen sozialen Gruppe zu agieren. Sie distan­zieren sich entschieden von denen, für deren Entmensch­li­chung sie sich einsetzen. 

Etwa indem Weidel erklärt, sie sei nicht queer, ledig­lich mit einer Frau verhei­ratet. Als ginge es sie dadurch nichts an, dass ihre Partei die Abschaf­fung der gleich­ge­schlecht­li­chen Ehe forderte. Oder wenn Rowling ihre eigene Unsi­cher­heit über ihre Geschlechts­iden­tität ins Feld führt, um trans Personen als krank und gefähr­lich darzu­stellen. Weidel wie Rowling scheinen anzu­nehmen, diese selbst­ge­wählte Abgren­zung werde sie vor den Konse­quenzen ihres Handelns schützen.

Vor Kurzem sorgte die milli­ar­den­schwere Rowling für Schlag­zeilen, als sie ein Urteil des Ober­sten Gerichts des Verei­nigten König­reichs als persön­liche Errun­gen­schaft feierte. „Ich liebe es, wenn ein Plan aufgeht”, kommen­tierte die Autorin das Bild, aufge­nommen auf ihrer Yacht, in einer reich geschmückten Hand eine Zigarre, in der anderen einen eisge­kühlten Drink.

Weidel und Rowling inter­pre­tieren jede Kritik an sich als frau­en­feind­lich, in völliger Leug­nung der eigenen Macht­stel­lungen als Poli­ti­kerin und Milliardärin.

Rowlings Plan fordert, trans Frauen den Zugang zu Frau­en­häu­sern, Frau­en­toi­letten, Umkleiden und anderen geschlechts­spe­zi­fi­schen Ressourcen zu verwehren. Mit dem Urteil Mitte April wurde beschlossen, dass sich briti­sche Gesetze zur Gleich­stel­lung der Geschlechter allein auf biolo­gi­sches Geschlecht beziehen. Also haben trans Frauen keinen Anspruch auf Dienst­lei­stungen und Schutz­me­cha­nismen für Frauen. 

Rowlings Rolle in diesem desa­strösen Rück­schlag beschränkt sich nicht auf ihre schier uner­müd­liche Aufwie­ge­lung gegen trans Frauen via Social Media, sondern liegt vor allem in der Finan­zie­rung der Kampagne: Die Gruppe, welche die Klage bis ans Oberste Gericht zerrte, erhielt allein für das offi­zi­elle Crowd­fun­ding zu diesem Zweck 70’000 Pfund von Rowling.

Doch damit nicht genug; Ende Mai kündigte die Milli­ar­därin an, mit einem eigens kreierten Fond weitere Klagen zu finan­zieren, um trans Frauen aus dem öffent­li­chen Leben zu verbannen und ihnen Zugang zu staat­li­chen Ressourcen zu verweigern.

Anti­fe­mi­nismus als Karriere

Rowling und Weidel sind bei weitem nicht die ersten und auch aktuell nicht die einzigen weib­li­chen Gali­ons­fi­guren des Antifeminismus.

Ab den 1960ern wurde die studierte Juri­stin Phyllis Schlafly in den USA zu einer Ikone der Bewe­gung. Sie verteilte Brote und Marme­lade an Poli­tiker – versehen mit Zettel­chen, die Botschaften enthielten wie: „Würdige dieje­nige, die den Haus­halt führt, sonst wirst du es am Ende selbst tun müssen”, um sich gegen die recht­liche Gleich­stel­lung von Mann und Frau einzusetzen.

Anfang der 2000er war es kein Mann, der sich mit Alice Schwarzer im öffent­li­chen Fern­sehen über die Verschie­den­heit von Mann und Frau stritt, sondern die ehema­lige Schön­heits­kö­nigin und spätere Fern­seh­mo­de­ra­torin und Werbe­i­kone Verona Pooth. „Aber ich bin doch das Weib­chen!”, entgeg­nete Pooth, nachdem Schwarzer deren klischee­haftes Verhalten anpran­gerte. Der Ausspruch erntete Applaus und Schlag­zeilen, wie es eine vergleich­bare Äusse­rung eines Mannes wohl kaum geschafft hätte. 

Anti­fe­mi­ni­stinnen erle­digen die Drecks­ar­beit für Männer, die sich nicht expo­nieren wollen. Sie geraten ins Kreuz­feuer von miso­gynem Hass und femi­ni­sti­scher Kritik. Als Ausgleich erhalten sie Zugang zu Macht und Einfluss, der anderen verwehrt bleibt. Wird ihnen das zum Vorwurf gemacht, drehen sie den Spiess um. Sie inter­pre­tieren jede Kritik an sich als frau­en­feind­lich, in völliger Leug­nung der eigenen Macht­stel­lung. Wer Weidel und Rowling kriti­siert, so die Logik, attackiere keine trans­feind­liche Milli­ar­därin und rechts­extreme queer­feind­liche Poli­ti­kerin, sondern eine einst allein­er­zie­hende Mutter, die von häus­li­cher Gewalt betroffen war. Respek­tive eine lesbi­sche Frau, die es an die Spitze einer Partei geschafft hat. 

Gerade aktuell ist es gefähr­lich, tradi­tio­nelle Geschlech­ter­rollen zu verherrlichen.

Im Umkehr­schluss heisst das: Wenn andere Feminist*innen die margi­na­li­sierten Frauen, als die sie sich insze­nieren, nicht vorbe­haltlos unter­stützen, schulden sie – Rowling und Weidel – auch niemandem Solidarität.

Nicht zuletzt zahlt sich der anti­fe­mi­ni­sti­sche Grift als Karriere aus. Umgangs­sprach­lich bezeichnet man Personen als „grifter” (zu Deutsch: Gauner*innen/Schwindler*innen), die sich mit extremen ideo­lo­gi­schen Posi­tionen öffent­liche Aufmerk­sam­keit verschaffen – hinter denen sie nicht mal unbe­dingt stehen müssen – um daraus Profit zu schlagen.

Phyllis Schlafly und Verona Pooth führten entgegen ihrer öffent­li­chen Persona keines­wegs häus­liche Leben, sondern legten enorm erfolg­reiche Karrieren im öffent­li­chen Leben hin. Analog dazu sind auch viele Influen­ce­rinnen auf Social Media alles andere als Heim­chen am Herd – und treiben die Verklä­rung und Roman­ti­sie­rung eines vermeint­lich tradi­tio­nellen Frau­en­bilds in immer absur­dere Extreme, ohne es selbst tatsäch­lich zu leben.

Nara Smith und Co.

Natür­lich würde diese Masche nicht funk­tio­nieren, gäbe es keinen Absatz­markt für anti­fe­mi­ni­sti­sche Inhalte.

Hoch­kon­junktur hat aktuell beson­ders der „Trad Wife”-Trend (Kurz­form von tradi­tional wife, tradi­tio­nelle Ehefrau). Gemeint sind Influen­ce­rinnen, die so tun, als würden sie eine christ­lich-konser­va­tive Geschlech­ter­rolle erfüllen und dem Publikum weis­ma­chen wollen, dieses Leben habe sie von den Zwängen einer modernen Leistungs­ge­sell­schaft befreit.

Nara Smith, eine der bekann­te­sten Vertre­te­rinnen des Trends, zeigt ihren über 11 Millionen Tiktok-Follower*innen keines­wegs reali­sti­sche Alltags­si­tua­tionen einer drei­fa­chen Mutter, sondern aufwendig herge­stellte, durch­ge­stylte Videos. Follower*innen können ihr dabei zusehen, wie sie in Desi­gner­klei­dung gewandet Marsh­mal­lows selbst herstellt oder eigens Käse produ­ziert, um ihren Klein­kin­dern einen Käse­toast als Snack zuzu­be­reiten. In der Insze­nie­rung des häus­li­chen Idylls zeigen sich die Frauen tiefen­ent­spannt, anstatt sich neben der Lohn­ar­beit die Zeit und Energie für Kind und Kegel aus den Rippen schneiden zu müssen. 

An sich ist diese Reak­tion verständ­lich. Weil nach wie vor erschwing­liche Kinder­be­treuung fehlt, eine gerech­tere Vertei­lung von Care-Arbeit in hete­ro­nor­ma­tiven Haus­halten nur schlep­pend voran­geht und die Lohn­ar­beits­be­din­gungen oft unat­traktiv und unfle­xibel sind. Für Mütter ist es nur unter grossen persön­li­chen Opfern möglich, Lohn­ar­beit mit dem Privat­leben zu verein­baren. Viele wünschen sich einen Ausweg aus dieser ernüch­ternden Sack­gasse, ohne sich selbst in dem verzwei­felten Versuch, alles unter einen Hut zu kriegen, völlig zu verausgaben

Niemand ist dem Zentrum patri­ar­chaler Macht so nahe wie weisse, hete­ro­se­xu­elle cis Frauen. 

Eine Rück­kehr zu einer vermeint­lich tradi­tio­nellen Ehe als Ausweg zu sehen, ist eine gefähr­liche Illu­sion. Altbe­kannte Risiken sind der Verzicht auf ein unab­hän­giges Einkommen und die starke finan­zi­elle Abhän­gig­keit vom Ehemann – gerade in Sachen Alters­vor­sorge. Zudem wird aber auch der Schutz, den dieses Lebens­mo­dell bieten sollte, immer stärker abge­baut, so dass Frauen nach einer Tren­nung trotz Jahren unent­gelt­li­cher Kinder­be­treuung nicht mehr grund­sätz­lich auf Unter­halts­zah­lungen zählen dürfen.

Tarn­mantel Männerhass

Aber auch andere anti­fe­mi­ni­sti­sche Stra­te­gien zeigen Wirkung – und bedrohen damit femi­ni­sti­sche Anliegen. 

Häufig treten die reak­tio­nären Forde­rungen unter dem Deck­mantel von Männer­hass auf. Narra­tive um eine unab­än­der­liche männ­liche Trieb­haf­tig­keit und sexu­elle Über­grif­fig­keit impli­zieren, dass Männer sich nicht ändern können, für ihre Hand­lungen nicht verant­wort­lich sind und sexua­li­sierte Gewalt damit normal und nicht zu verhin­dern ist.

Mit solchen Argu­menten setzten sich Akti­vi­stinnen wie Schlafly gegen die Rechte von schwulen Männern ein. Und trans­feind­liche Personen wie Rowling lobby­ieren uner­bitt­lich dafür, trans Frauen aufgrund ihrer ange­bo­renen Verdor­ben­heit Schutz und Gleich­stel­lung zu verwehren. Sie über­nehmen damit die Vorstel­lung, dass geschlechts­spe­zi­fi­sches Verhalten nicht zu verän­dern ist und unter­graben damit Jahr­hun­derte femi­ni­sti­scher Arbeit.

Was Anti­fe­mi­ni­stinnen eint

Was auch immer die privaten Über­zeu­gungen von anti­fe­mi­ni­sti­schen Frauen sein mögen, die Sach­zwänge sind leichter nach­zu­voll­ziehen. Niemand ist dem Zentrum patri­ar­chaler Macht so nahe wie weisse, hete­ro­se­xu­elle cis Frauen.

Und trotzdem müssen sie sich Macht und Einfluss mit harten Bandagen erkämpfen. An der Spitze kann sich nur halten, wer andere Frauen und Männer unter­drückt und sich damit Frei­heiten und Bequem­lich­keiten erschleicht. 

Anti­fe­mi­ni­stinnen glauben nicht an eine Zukunft, in der sich ihre Lage als Frauen erheb­lich verbes­sern würde. 

Auch das ist nicht neu. 

Wie die Histo­ri­kerin Stephanie Jones-Rogers aufzeigt, waren es gerade Skla­ven­halterinnen, die mit ausser­ge­wöhn­li­cher Grau­sam­keit und Verbis­sen­heit ihr Recht, Menschen zu besitzen, vertei­digt haben. Durch den Besitz von versklavten Personen – beson­ders Frauen –, konnten sie sich vom Stillen und allen damit einher­ge­henden gesund­heit­li­chen Risiken, von der Aufzucht der eigenen Kinder und häufig auch vom Sex mit ihrem eigenen Mann, frei­kaufen. Diese Frei­heit und der Reichtum erlaubten ihnen einen für Frauen zu der Zeit kaum denk­baren Lebens­stan­dard. Der Preis, den sie dafür zu zahlen bereit waren, lag in der quälenden Entmensch­li­chung der Männer und Frauen, über die sie verfügen konnten.

Damals wie heute ist es vielen Männern gleich­gültig, ob sich ihre Ehefrau oder jemand anderes um Kinder, Haus­halt und andere Formen der Care- und Repro­duk­ti­ons­ar­beit kümmert, solange es ihre eigenen Frei­heiten nicht tangiert. Frauen, die diesen Männern nach­ei­fern, „müssen” diese Arbeiten also an andere Frauen ausla­gern – möglichst billig. Deshalb haben sie oft wenig Inter­esse daran, die Arbeits­be­din­gungen von Sexar­bei­te­rinnen, Nannys, Putz­kräften, Kinder­gärt­ne­rinnen zu verbessern.

Was Anti­fe­mi­ni­stinnen eint: Sie alle glauben nicht an eine Zukunft, in der sich ihre Lage erheb­lich verbes­sern würde. 

Manche sind enttäuscht über die Behä­big­keit der Real­po­litik, welche die Verein­bar­keit von Familie und Beruf propa­giert, dabei aber die Verant­wor­tung auf Einzelne abwälzt und gleich­zeitig soziale Unter­stüt­zung streicht. Andere glauben nicht daran, dass sich Männer und Frauen je wirk­lich gleich­be­rech­tigt begegnen können. Ernüch­tert von unzäh­ligen privaten Enttäu­schungen, die sie sich als Konse­quenz biolo­gi­scher Unter­schiede erklären müssen, um sich mit der schein­baren Unaus­weich­lich­keit ihrer Unter­drückung abzufinden. 

Und wieder andere wissen nur zu genau: Eine gerech­tere Welt, in der sich Frauen ihren Aufstieg nicht mehr durch die Unter­drückung und Ausbeu­tung anderer erkaufen könnten, wäre weitaus weniger komfor­tabel für sie als die jetzige. 


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