Neutra­lität mit auto­ri­tärer Schlagseite

Der Spani­sche Bürger­krieg löste in der Schweiz eine hitzige Debatte über die eigene Neutra­lität aus. Der Bundesrat versuchte mit seiner Neutra­li­täts­po­litik denn auch, gegen kriti­sche Stimmen vorzugehen. 
Solidarität mit dem kämpfenden Arbeiter*innen in Spanien am 1. Mai im Zürich der 30er Jahre. (Foto: Autor*in unbekannt/Sozialarchiv)

In der Basler Muster­messe, in der Genfer Victoria Hall, im Zürcher Volks­haus – von 1936 bis 1939 fanden in der ganzen Schweiz regel­mässig Soli­da­ri­täts­kund­ge­bungen für die spani­sche Repu­blik statt. Denn seit Juli 1936 tobte in Spanien ein blutiger Bürger­krieg. Das liess insbe­son­dere die Schweizer Arbeiter*innen nicht kalt.

An den Kund­ge­bungen für die Repu­blik trat die Linke geeint auf, obwohl bei anderen Fragen grosse Meinungs­ver­schie­den­heiten bestanden. Mal sprach ein*e Sozialdemokrat*in, mal ein*e Gewerkschafter*in, mal ein*e Kommunist*in. Der Tenor war eindeutig: „Der Sieg des spani­schen Faschismus bedeutet [...] die Gefähr­dung der schwei­ze­ri­schen Demo­kratie“ – so drückte es der Basler SP-Natio­nalrat Fried­rich Schneider in einer Rede aus. Wer den „Opfer­sinn“ der spani­schen Arbeiter gesehen habe, der könne „nie und nimmer“ neutral sein. 

Mit dieser Haltung machten sich die Genoss*innen nicht nur Freunde. Die NZZ erwi­derte auf Schnei­ders Rede, dass die Linke den „schwei­ze­ri­schen Staats­ge­danken“ miss­achte und das Volk mit ihrer Spanien-Soli­da­rität in „schwere Gefahren“ bringe. Sie sagte es nicht offen, aber meinte es doch: Wenn die Schweiz Spanien zu Hilfe eile, drohten Vergel­tungs­mass­nahmen Deutsch­lands und Italiens.

Der Bürger­krieg in Spanien eröff­nete in der Schweiz eine Debatte über die eigene Neutra­lität. Ein Vorge­schmack auf noch kommende Kriege und ein Indiz, dass Neutra­lität immer eine Inter­pre­ta­ti­ons­frage ist. 

Ein Bürger­krieg mit inter­na­tio­nalen Verstrickungen

In Spanien putschte 1936 der Anführer der Armee General Fran­cisco Franco, flan­kiert von monar­chi­sti­schen, konser­va­tiven und faschi­sti­schen Grup­pie­rungen, gegen die laizi­sti­sche libe­rale Repu­blik. Diese wurde von einer demo­kra­tisch gewählten „Volks­front“, einer Koali­tion aus links­bür­ger­li­chen und linken Parteien, regiert. Aus dem dilet­tan­tisch geplanten Putsch­ver­such entzün­dete sich rasch ein grau­samer Krieg: Anar­chi­sti­sche, kommu­ni­sti­sche und sozia­li­sti­sche Arbeiter*innenmilizen stellten sich der Armee und ihren Alli­ierten in den Weg. Ein drei­jäh­riger Abnut­zungs­kampf begann.

Dieser inner­spa­ni­sche Konflikt, der auf tiefen sozialen, ideo­lo­gi­schen und poli­ti­schen Gegen­sätzen beruhte, hatte auch eine inter­na­tio­nale Dimen­sion: Insbe­son­dere anar­chi­sti­sche Grup­pie­rungen versuchten parallel zum Kriegs­ge­schehen, ihre Vorstel­lung einer sozialen Revo­lu­tion in die Tat umzu­setzen. Hundert­tau­sende aus ganz Europa und Nord­ame­rika zogen daher nach Spanien, um begei­stert die Repu­blik vertei­digen, aber auch die Utopie zur Realität machen.

Die soziale Revo­lu­tion sollte aber an der Repres­sion schei­tern: nicht der an der rechten, sondern der kommu­ni­sti­schen. Die spani­schen Kommunist*innen, die unter dem Einfluss der Sowjet­union zur stärk­sten Kraft der Repu­blik aufge­stiegen waren, wollten keine stalin­kri­ti­sche linke Bewe­gung neben sich dulden. Die revo­lu­tio­näre Begei­ste­rung war schnell wieder verflogen.

Ande­rer­seits war es die Einmi­schung auswär­tiger Nationen, die den Bürger­krieg zum inter­na­tio­nalen Konflikt machte. Deutsch­land und Italien halfen mit Flie­gern, Panzern und Zehn­tau­senden Soldaten den Aufstän­di­schen. Auf der anderen Seite standen die Sowjet­union und marginal Mexiko der Repu­blik bei. Die Inter­ven­tion poli­tisch so gegen­sätz­li­cher Staaten machte den Krieg in der dama­ligen Wahr­neh­mung endgültig zum Kampf der Ideologien.

Blutige Kämpfe in Spanien – publi­zi­sti­sche Kämpfe in der Schweiz

Diese ideo­lo­gi­sche Konflikt­linie fand auch in der Schweiz ihren Nieder­schlag – obwohl die poli­ti­sche Land­schaft der Schweiz der spani­schen nur bedingt entsprach. Während die vereinte Linke und links­li­beral gesinnte Bürger­liche die Repu­blik unter­stützten, stellten sich das Gros des Bürger­tums und rechts­extreme Kreise hinter den Aufstand. 

Beson­ders das Arbeiter*innenmilieu bewies tatkräftig ihre Soli­da­rität mit der Repu­blik: Nicht nur orga­ni­sierte sie Demon­stra­tionen, sondern auch Geld­samm­lungen für huma­ni­täre Zwecke. Etwa 800 Personen gingen nach Spanien, die meisten, um zu kämpfen. Schliess­lich sollte nicht noch eine weitere Arbeiter*innenbewegung dem Faschismus zum Opfer fallen, so wie das etwa in Deutsch­land geschehen war.

Wie das eingangs erwähnte Zitat von Fried­rich Schneider zeigt, hielten die (meisten) Linken nichts von Neutra­lität und „Abseits­stehen“. Schneider forderte ein Eingreifen nicht nur der Schweiz, sondern aller euro­päi­schen Demo­kra­tien: Der verei­nigte Faschismus gefährde alle demo­kra­ti­schen Staaten Europas. 

Das bürger­liche Lager hingegen wollte an der Neutra­lität fest­halten. Man fürch­tete sich vor Deutsch­land und Italien. Es gab aber auch andere Gründe: Das Bürgertum lehnte die links­do­mi­nierte Spani­sche Repu­blik grund­sätz­lich ab. Die revo­lu­tio­nären Tendenzen inner­halb der Volks­front waren ihm nicht entgangen. Insbe­son­dere das katho­lisch-konser­va­tive Milieu fürch­tete sich vor dem Regime des athe­isti­schen „Bolsche­wismus“. Die katho­li­sche Presse war voller Schau­er­mär­chen über „bolsche­wi­sti­sche“ Gräu­el­taten – ande­rer­seits waren die Zerstö­rung von Kirchen und das Ermorden von Geist­li­chen auch trau­rige Realität in diesem Krieg.

Das libe­rale Bürgertum unter­stützte die rechts­extre­mi­sti­sche, konser­va­tive Aufstands­be­we­gung eben­falls. Ausschlag­ge­bend war die Angst vor einem linken Umsturz. Für die NZZ war es der rote „Terror“, der den Krieg ausge­löst hatte und nicht die Absicht der Aufstän­di­schen, mit Libe­ra­lismus und linken Ideo­lo­gien endgültig aufzu­räumen. Tatsäch­lich hatte es gewalt­tä­tige Ausschrei­tungen im Vorfeld des Krieges gegeben, diese waren aber nicht nur von linker Seite ausgegangen.

Ähnlich dachte der nach wie vor rein bürger­liche Bundesrat. Vor allem der katho­lisch-konser­va­tive Aussen­mi­ni­ster Giuseppe Motta zeigte seine Sympa­thien für die Aufstän­di­schen recht unver­blümt. Das trug dazu bei, dass die Schweiz als eine der ersten Demo­kra­tien 1939 die fran­quisti­sche Regie­rung aner­kannte, noch bevor der Krieg beendet war.

Die öffent­liche Debatte war gehässig. Schneider nannte die bürger­li­chen Parteien wegen ihres Fest­hal­tens an der Neutra­lität „rachi­ti­sche Demo­kraten“ – eine Rachitis äussert sich in zu weichen, daher defor­mierten Knochen. Weil die Linken die Unter­stüt­zung der Repu­blik einfor­derten, warf ihnen die NZZ vor, sie wollten einen „Präven­tiv­krieg“ anzetteln.

Neutra­li­täts­po­litik mit repres­siver Tendenz

Die Inter­ven­tion Deutsch­lands, Italiens und der Sowjet­union liess ganz Europa vor einem neuen Welt­krieg fürchten. Im Glauben, so den Frieden bewahren zu können, verfolgten Frank­reich und Gross­bri­tan­nien eine Appease­ment­po­litik. Sie orga­ni­sierten die euro­päi­schen Staaten – mit Ausnahme der Schweiz – im soge­nannten „Komitee der Nicht­in­ter­ven­tion“, in dem auch die inter­ve­nie­renden Mächte dabei waren. Für die Repu­blik war das desolat: Im Namen des Frie­dens wurde die mili­tä­ri­sche Einmi­schung, vor allem der rechten Dikta­turen, igno­riert. Deutsch­land und Italien konnten so relativ unge­stört den Aufstän­di­schen unter die Arme greifen und trugen entschei­dend zu deren Sieg bei.

Der Bundesrat gab sich derweil neutraler als neutral. Seine Nicht-Teil­nahme am „Komitee der Nicht­in­ter­ven­tion“ erklärte er mit der „totalen“ Neutra­lität der Schweiz – obwohl die Bestim­mungen des Komi­tees zumin­dest auf dem Papier prak­tisch die glei­chen waren wie die Beschlüsse des Bundesrates.

In diesen Beschlüssen vom 14. und 25. August 1936 nahm die neutra­li­täts­po­li­ti­sche Linie des Bundes­rates Gestalt an. Sie enthielten etwa das Verbot, Waffen nach Spanien zu liefern oder an den „Feind­se­lig­keiten“ in Spanien teil­zu­nehmen. Eben­falls verboten wurden das Anwerben von Frei­wil­ligen und die Beihilfe zur Ausreise nach Spanien. 

So unver­dächtig diese Bestim­mungen wirken, waren sie auch ein Versuch, kriti­sche Stimmen einzu­schüch­tern oder gar zum Verstummen zu bringen. So hiess es etwa: „...wer die Feind­se­lig­keiten in Spanien von der Schweiz aus irgendwie unter­stützt oder begün­stigt“, könne mit Gefängnis oder Bussen bestraft werden. Das war – zumin­dest zu Beginn – Grund genug, dass einige Kund­ge­bungen von ihren Organisator*innen abge­sagt wurden. Schliess­lich sind „unter­stützen“ und „begün­stigen“ recht dehn­bare Begriffe.

Zudem wurde fest­ge­halten, dass Kund­ge­bungen zugun­sten „einer an den Feind­se­lig­keiten betei­ligten Partei“ von den kanto­nalen Behörden erlaubt werden müssten. Mit dem Hinweis, dass an solchen Veran­stal­tungen gegen die Beschlüsse des Bundes­rates agitiert werde, wurde den Kantonen empfohlen, solche Demon­stra­tionen grund­sätz­lich zu unter­sagen. Gleich ganz verboten wurden „Druck­schriften“, die sich kritisch zu den Beschlüssen äusserten.

Ein auto­ritär ange­hauchter Bundesrat

Natür­lich sollten diese Bestim­mungen vor allem die Linke treffen, die sich in der Öffent­lich­keit am stärk­sten für eine der beiden Kriegs­par­teien einsetzte. Einige Kantone erliessen ein Demon­stra­ti­ons­verbot zum Thema Spanien, so etwa die Waadt. In anderen Kantonen wie Zürich wurden verein­zelt Veran­stal­tungen unter­sagt. Verschie­dene Broschüren, die sich kritisch zur Politik des Bundes­rates äusserten, wurden beschlagnahmt. 

Schluss­end­lich waren es aber die heim­keh­renden Spani­en­kämpfer, die von den Beschlüssen am härte­sten getroffen wurden. Ihnen drohten bei der Rück­kehr mehrere Monate Gefängnis sowie der Verlust der Ehren­rechte. Letz­teres bedeu­tete, dass ihnen mit einer Verur­tei­lung das aktive und passive Wahl­recht für einige Jahre entzogen wurde. 

Die Schweiz verfolgte ihre Frei­wil­ligen im inter­na­tio­nalen Vergleich streng. Während diese in anderen Demo­kra­tien gegen Ende des Bürger­krieges amne­stiert wurden, geschah dies hier­zu­lande in einem symbo­li­schen Akt erst 2006. Zudem wurden die wenigen Frei­wil­ligen, die für Franco ins Feld gezogen waren, meist milder bestraft als die repu­bli­ka­ni­schen Heimkehrer*innen. Dies sorgte nicht nur im linken Spek­trum für Empörung.

Die Beschlüsse geben Zeugnis ab über die auto­ritär ange­hauchte Politik des Bundes­rates in den 30ern. Der allge­meine Trend in Europa, weniger Demo­kratie, mehr Auto­ri­ta­rismus, hinter­liess auch in der Schweiz seine Spuren. Dies äusserte sich nicht nur in Angriffen auf die Meinungs­frei­heit oder in poli­ti­sierten Justiz­be­hörden. Auch das poli­ti­sche System litt darunter. Oftmals hebelte die Landes­re­gie­rung die direkte Demo­kratie aus, indem er sich auf Notrecht – Gesetze müssen nicht per Refe­rendum abge­segnet werden – oder Dring­lich­keits­klau­seln – Gesetze müssen erst nach einer bestimmten Zeit per Refe­rendum bestä­tigt werden, da sie eben „dring­lich“ sind – stützte. 

Neutra­lität im Spiegel der Zeit

Die Repu­blik verlor den Krieg. Das lag nicht nur an den besser ausge­bil­deten Truppen der Aufstän­di­schen und der deutsch-italie­ni­schen Unter­stüt­zung, sondern auch an internen Strei­tig­keiten, die sich mitunter in einem „Bürger­krieg im Bürger­krieg“ entluden. Eben­falls trug die Neutra­lität der euro­päi­schen Demo­kra­tien dazu bei, das Schicksal der Repu­blik zu besie­geln. Die Franco-Diktatur hielt bis 1975 an.

Der Spani­sche Bürger­krieg zeigt, dass die Schweizer Neutra­lität keine unver­än­der­liche und schon immer fest­ge­legte Praxis ist, wie dies in aktu­ellen Debatten zuweilen darge­stellt wird. Sie ist immer auch ein Spiegel der poli­ti­schen Kräf­te­ver­hält­nisse und deren Präfe­renzen. Die Bürger­li­chen und der Bundesrat hielten nicht zuletzt wegen eines starken Anti­mar­xismus an der Neutra­lität fest – auch um den Preis, damit einer alles andere als libe­ralen Aufstands­be­we­gung in die Hände zu spielen.

Die eidge­nös­si­sche Neutra­li­täts­po­litik wider­spie­gelte zudem eine auto­ri­täre Grund­stim­mung der euro­päi­schen Politik: Sie wurde benutzt, um gegen den poli­ti­schen Gegner vorzu­gehen. Neutra­lität selbst ist und war eben nie neutral, sondern immer ein Spiegel ihrer Zeit.


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