Rache ist süss

Zwei Frauen über­gossen einen SVP-Stand mit Sirup. Statt über den poli­ti­schen Kontext zu berichten, konzen­trierten sich Medien auf Äusser­lich­keiten, Empö­rung und wieder­holen rechte Narrative. 
Die Sirup-Attacke war ein süsser Angriff auf rechte Politik. (Bild: Luca Mondgenast)

Letzten Samstag sorgte ein mutmass­lich links­extremer Sirup-Protest auf einen SVP-Stand am Röschi­bach­platz in Zürich für Schlag­zeilen. Zwei Frauen über­gossen Unter­schrifts­bögen mehrerer SVP-Initia­tiven mit Himbeer­sirup. „Diese Antifas und Queeren werden alle von der SP bezahlt“, behaup­tete eine SVP-Vertre­terin in einem Video auf 20 Minuten. „Das ist ein Beispiel für die Into­le­ranz der vermeint­lich Tole­ranten!“, plap­perte Tele­Züri den SVP-Sprech nach.

Die mediale Bericht­erstat­tung beschäf­tigte sich auch gerne mit dem Äusseren der Frauen – sie seien „adrett gekleidet“ gewesen, wie ein anwe­sender SVPler betonte, offen­sicht­lich erstaunt darüber, dass sie nicht im schwarzen Hoodie und mit Sturm­maske auftraten. Kaum einer der zahl­rei­chen Beiträge griff jedoch den poli­ti­schen Kontext auf – etwa die Inhalte der SVP-Initia­tiven oder die dahin­ter­ste­hende Ideologie.

An besagtem Morgen sammelte die SVP unter anderem für ihre „Grenz­schutz­in­itia­tive“ – ein erneuter Versuch, in ihre liebste poli­ti­sche Kerbe zu schlagen: Stim­mung machen gegen Asyl­su­chende. Die Initia­tive fordert, nur noch einen Bruch­teil aufzu­nehmen und Personen innert 90 Tagen ausschaffen zu können. Zudem sollen „illegal Einge­wan­derte“ von sämt­li­chen Sozi­al­lei­stungen ausge­schlossen werden. Das Sozi­al­hil­fe­ni­veau von vorläufig Aufge­nom­menen ist bereits jetzt tiefer als regu­läre kanto­nale Sozi­al­hilfe. Abge­wie­sene Asyl­su­chende erhalten schon heute keine regu­läre Unter­stüt­zung, sondern ledig­lich Nothilfe: Nahrung, einen Schlaf­platz und medi­zi­ni­sche Grundversorgung.

Etablierte auto­ri­täre Kräfte können in der Schweizer Logik nicht unde­mo­kra­tisch sein.

Auch für die von drei Milli­ar­dären lancierte „Kompass-Initia­tive“ sammelte die SVP Unter­schriften. Sie gibt vor, die Demo­kratie zu stärken und den Einfluss der Schweiz in der EU zu erhöhen. Tatsäch­lich aber würde sie demo­kra­ti­sche Prozesse schwä­chen, indem sie verlangt, dass sämt­liche wich­tigen Staats­ver­träge dem obli­ga­to­ri­schen Refe­rendum mit Stän­de­mehr unter­stellt werden – ein Mecha­nismus, der den Willen der Bevöl­ke­rung massiv verzerrt. So würde die Stimme einer Urnerin bis zu 41-mal mehr zählen als die einer Zürcherin. Das Ziel der Initia­tive ist offen­kundig: rechts­na­tio­nale Kräfte zu stärken und den poli­ti­schen Einfluss von Milli­ar­dären auszu­bauen, die sich über kleine, konser­va­tive Kantone ihre Stel­lung sichern.

Die SVP bezeich­nete den Sirup-Angriff als „Into­le­ranz der vermeint­lich Tole­ranten“ – ein Narrativ, das von vielen Medien bereit­willig über­nommen wurde, ohne die Ironie darin zu erkennen: Ausge­rechnet jene rechts­kon­ser­va­tive bis rechts­extreme Partei, die als Vorbild für Grup­pie­rungen wie die AfD dient – deren Verbot aktuell heftig disku­tiert wird – und die sich aktiv am Abbau demo­kra­ti­scher Struk­turen betei­ligt, sorgt sich um Intoleranz.

Das soge­nannte Tole­ranz­pa­ra­doxon lässt sich auf poli­ti­sche Akteure wie die SVP beson­ders gut anwenden: Wenn eine Gesell­schaft into­le­rante Kräfte unbe­grenzt tole­riert, riskiert sie, dass diese die Frei­heiten nutzen, um sie abzu­schaffen – etwa durch Hetze, Angriffe auf Minder­heiten oder auto­ri­täre Machtübernahme.

Die Spon­tan­ak­tion brachte süsse Abwechs­lung in den bitteren Kampf gegen rechts.

Auch Tele­Züri liess sich nicht lumpen und zog zur Einord­nung der Sirup-Aktion einen „Gewalt­ex­perten“ heran, der sie als „unschwei­ze­risch und unde­mo­kra­tisch“ verur­teilte. Unschwei­ze­risch war sie tatsäch­lich – sie war spontan, kreativ und konse­quent. Sie als unde­mo­kra­tisch zu diffa­mieren, offen­bart einen tief verwur­zelten Schweizer Reflex: Etablierte auto­ri­täre Kräfte wie die SVP gelten hier­zu­lande kaum je als unde­mo­kra­tisch – weil sie durch das bürger­liche Mehr legi­ti­miert sind.

Mit der Demo­kratie verhält es sich jedoch wie mit der Tole­ranz: Auch sie kann sich selbst abschaffen. Die SVP wird zwar durch keine Sirup­at­tacke dieser Welt in der kleb­rigen Versen­kung verschwinden – im Gegen­teil: Solche Aktionen verschaffen ihr vermut­lich eher Aufmerk­sam­keit und stärken ihre bequeme Opfer­rolle. Aber immerhin: Diese Spon­tan­ak­tion brachte süsse Abwechs­lung in den bitteren Kampf gegen rechts.


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