Rechts­extreme Hetze ist bei der NZZ ganz normal

Ein Kommentar in der NZZ fordert eine mili­ta­ri­sierte Mauer um Deutsch­land. Er zeigt exem­pla­risch, wie sehr rechts­extreme Ideen im Main­stream veran­kert sind – und welche real­po­li­ti­schen Absichten hinter dem Frei­heits­be­griff des Neoli­be­ra­lismus stehen. 
Die Berichterstattung der Neuen Zürcher Zeitung verankert rassistische und autoritäre Ideen in den Köpfen des Bürgertums. (Bild: Von Mitzscha / Unsplash)

Das Selbst­ver­ständnis der NZZ als eine Publi­ka­tion, die laut ihrem Leit­bild der “indi­vi­du­ellen Frei­heit” und einer “offenen demo­kra­ti­schen Gesell­schaft” verpflichtet sei, liest sich schon seit längerem als ein schlechter Scherz. Und späte­stens seit Eric Gujer 2015 die Chef­re­dak­tion über­nahm und den braunen Sumpf, der sich in Deutsch­land um die AfD zu formieren begann, als lukra­tiven Expan­si­ons­markt iden­ti­fi­zierte, mutet es nur noch zynisch an.

Seither ist gefühlt kein Tag vergangen, am dem die NZZ nicht in irgend­einer Form hyste­risch die “linke Meinungs­dik­tatur” herauf­be­schwört und rechten Hetzer*innen das Wort redet. Gerade mit ihrer neuen Deutsch­land­stra­tegie hat sich die NZZ auf die Migra­ti­ons­the­matik einge­schossen und malt auch mal völki­sche Unter­gang­sze­na­rien an die Wand, gemäss denen “Bio-Deut­sche“ – das soll Deut­sche ohne Migra­ti­ons­hin­ter­grund heissen – bald in der Minder­heit seien.

In den letzten Wochen hat sich das Blatt unter anderem dadurch hervor­getan, den rechts­extremen Präsi­denten Argen­ti­niens, Javier Milei, als “liber­tären Welt­star” zu loben –  für seine Wirt­schafts­po­litik, die dazu geführt hat, dass über die Hälfte der argen­ti­ni­schen Bevöl­ke­rung unter der Armuts­grenze lebt. Oder dadurch, dass Eric Gujer sowie Ausland­re­daktor Marcus Bernath laut­hals über­legen, dass der “Brand­mauer-Fimmel”, also die strikte Abgren­zung bürger­li­cher Parteien gegen­über rechts­extremen, viel­leicht doch der falsche Weg sei, die AfD zu bekämpfen. Die CDU/CSU solle nach den Wahlen besser mit der AfD Koali­ti­ons­ge­spräche aufnehmen. Man könne die Rechts­ra­di­kalen schliess­lich besser kontrol­lieren, wenn man mit ihnen zusam­men­ar­beite, als wenn man sie ausgrenze.

Noch nie wurden auch nur annä­hernd so viele „Grenz­schutz­an­lagen“ gebaut, wie in den letzten 20 Jahren.

Diese Beispiele rechter Meinungs­mache zeugen von einem bemer­kens­werten Ausmass an Geschichts­ver­ges­sen­heit. Es wäre besser, sich daran zu erin­nern, wie gut bezie­hungs­weise schlecht die soge­nannte Einrah­mungs­stra­tegie in Deutsch­land 1933 funk­tio­niert hat.

Neue mili­ta­ri­sierte Grenz­an­lagen

Nicht geschichts­ver­gessen gibt sich hingegen der NZZ-Gast­kom­men­tator Martin Wagener in der Ausgabe vom 28. Januar 2025. Unter dem Titel “Wer Sicher­heit will, muss über Grenz­an­lagen reden” fordert er eine Mauer um Deutsch­land. Dabei beschreibt er mit befremd­li­cher Genüss­lich­keit, wie er sich eine mili­tä­risch befe­stigte deut­sche Grenze vorstellt:

“Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass eine solche Vorrich­tung nur dann hinrei­chend Wirkung entfaltet, wenn sie auf den ange­strebten Zweck ausge­richtet wird. […] Ziel wäre, Personen zurück­zu­weisen bezie­hungs­weise zu ergreifen, die illegal oder als Krimi­nelle einreisen wollen. Im Ideal­fall wird dazu ein gestaf­feltes Sperr­sy­stem geschaffen, das aus mehreren Annä­he­rungs­hin­der­nissen besteht. Dazu gehören Mauern und Zäune von minde­stens vier Metern Höhe, bewehrt mit Nato-Stachel­draht. Auch der Einsatz von Stol­per­drähten und Gräben kann Sinn haben. Die Anlage müsste von Grenz­truppen mittels Über­wa­chungs­tech­no­logie, Flut­licht­ma­sten, Wach­türmen und Patrouillen gesi­chert werden. Der benö­tigte Umfang der Grenz­schützer hängt von der Staf­fe­lung der Sicher­heits­vor­rich­tungen ab.”

Da fehlt eigent­lich nur noch die Selbst­schuss­an­lage. Als Leser*in mag man sich wundern, wohin genau der deut­sche Poli­tik­wis­sen­schaftler Martin Wagener seinen Blick in die Geschichte richtet. Man könnte meinen, die Berliner Mauer und der Eiserne Vorhang seien das Vorbild für die Grenz­po­litik der soge­nannt “freien Welt”. Tatsäch­lich muss man aber nicht bis in den Kalten Krieg zurück­schauen, um Wageners Vorbilder zu finden. Im Gegen­teil: Noch nie wurden auch nur annä­hernd so viele „Grenz­schutz­an­lagen“ gebaut, wie in den letzten 20 Jahren.

Israels Mauer als Vorbild

Als Vorbilder nennt der Autor denn auch die mili­ta­ri­sierten Grenz­an­lagen von Polen und Ungarn. An diesen Grenzen finden routi­ne­mässig brutale Menschen­rechts­ver­let­zungen und ille­gale Push­backs statt. Zehn­tau­sende von Menschen sind in den letzten Jahr­zehnten an den euro­päi­schen Aussen­grenzen dadurch ums Leben gekommen. Für Martin Wagener nicht erwähnenswert.

Ein weiteres viel­sa­gendes Vorbild, auf das Wagener verweist, sind die israe­li­schen Sperr­an­lagen an der Grenze zum West­jor­dan­land, die der inter­na­tio­nale Gerichtshof in Den Haag als völker­rechts­widrig erachtet. Genau die rassi­sti­sche Apart­hei­dideo­logie, die die israe­li­sche Besat­zungs­po­litik in Palä­stina bestimmt, moti­viert auch Wagener:

“Eine post­mo­derne Grenz­an­lage würde dagegen wie ein Filter wirken: Auf der einen Seite könnten sich Grenz­pendler, Studenten, Touri­sten sowie Unter­nehmer wie bisher frei bewegen, müssten aber ausnahmslos Kontrollen hinnehmen. Auf der anderen Seite wäre das Ende der irre­gu­lären Migra­tion absehbar. Orga­ni­sierte Krimi­nelle, Schlep­per­banden, Terro­ri­sten, Drogen- und Waffen­schmuggler könnten einge­dämmt werden. Ausge­schafften Migranten und Krimi­nellen würde die Wieder­ein­reise nicht gelingen.”

Genauso wie Israel die Unter­drückung der palä­sti­nen­si­schen Bevöl­ke­rung mit dem Pauschal­vor­wurf des Terro­rismus legi­ti­miert, recht­fer­tigt Wagener hier die struk­tu­relle Entrech­tung von ausser­eu­ro­päi­schen Migrant*innen, indem er sie alle­samt als „Terro­ri­sten, Drogen­händler und Krimi­nelle“ darstellt.

Die mili­ta­ri­sierten Grenzen sortieren brutal aus, und liefern auch dieje­nigen, die es über diese Grenzen schaffen, als Entrech­tete und Menschen zweiter Klasse der Margi­na­li­sie­rung und Ausbeu­tung aus.

Die meisten Migrant*innen flüchten vor Kriegen, die auch von euro­päi­schen Waffen­ex­porten befeuert werden, vor der ökolo­gi­schen Krise und dem Klima­wandel, die die euro­päi­schen Indu­strie­länder mehr­heit­lich verant­worten, oder vor wirt­schaft­li­cher Not und Perspek­tiv­lo­sig­keit, die aus der Ausbeu­tung des globalen Südens durch die kapi­ta­li­sti­schen Zentren resultiert.

Sie haben ein Recht auf Schutz und auf gleich­wer­tigen Zugang zu den gesell­schaft­li­chen Ressourcen. Statt­dessen sortieren die mili­ta­ri­sierten Grenzen brutal aus, und liefern auch dieje­nigen, die es über diese Grenzen schaffen, als Entrech­tete und Menschen zweiter Klasse der Margi­na­li­sie­rung und Ausbeu­tung aus. Jene, die es nicht schaffen, sterben an den Aussen­grenzen Europas. Das hat System, und ist abseits der Blicke des grössten Teils der EU-Öffent­lich­keit in den letzten Jahren nichts Neues.

Dass man inzwi­schen aber im bürger­li­chen Diskurs eine deut­sche Mauer fordert, ohne auch nur ein Lippen­be­kenntnis an die Menschen­rechte zu machen, zeigt, wie weit radi­ka­li­siert das Bürgertum mitt­ler­weile ist.

Die Brand­mauer ist gefallen

Martin Wagener rechnet vor, dass die Mauer, die er sich wünscht, 19 Milli­arden Euro kosten würde. Darauf kommen jähr­lich 9,3 Milli­arden Euro für den “Unter­halt inklu­sive Mate­ri­al­ko­sten”. Zum Vergleich: Die Sozi­al­trans­fer­lei­stungen im Asyl­be­reich in Deutsch­land kosteten im Durch­schnitt der letzten 9 Jahre 5,9 Milli­arden – immerhin 3 Milli­arden weniger als die Mauer jähr­lich kosten würde. Für die Sicherheits‑, Über­wa­chungs- und Rüstungs­in­du­strie wäre die deut­sche Mauer ein profi­ta­bles Busi­ness. Sie würde aber das Leben von keinem*keiner einzigen Lohn­ab­hän­gigen auf irgend­eine Weise verbes­sern, sondern im Gegen­teil massen­haftes Leid verursachen.

Das Leid von Migrant*innen inter­es­siert Martin Wagener nicht: Er ist ein Rechts­extremer. Seit 2012 war er Professor für Poli­tik­wis­sen­schaft an einer Hoch­schule des Bundes, die unter anderem Geheimdienstmitarbeiter*innen ausbildet. Diese Tätig­keit musste er 2021 aufgeben, weil ihm der Verfas­sungs­schutz die Sicher­heits­frei­gabe für das Betreten des Zentrums für Nach­rich­ten­dienst­liche Aus- und Fort­bil­dung entzogen hat. Der Grund: In seinem Buch “Kultur­kampf um das Volk: Der Verfas­sungs­schutz um die natio­nale Iden­tität der Deut­schen” propa­gierte er rechts­extreme Konzepte wie “Ethno­plu­ra­lismus”.

Die “Brand­mauer”, die die bürger­liche von der rechts­extremen Politik trennen sollte, ist inhalt­lich schon lange gefallen.

Dass die NZZ solchen Rechts­extremen eine Platt­form bietet, ist an sich nichts Neues und auch nicht über­ra­schend. Es ist aber sympto­ma­tisch dafür, wie bürger­liche Diskurse die rassi­sti­schen Posi­tionen der radi­kalen Rechten gesell­schafts­fähig machten und machen. Die ehemals libe­ralen und konser­va­tiven Parteien – sei es die FDP sowohl in der Schweiz als auch in Deutsch­land oder die CDU/CSU – sind inhalt­lich, zumin­dest was die Migra­ti­ons­po­litik angeht, inzwi­schen von den rechts­extremen der AfD oder der SVP kaum noch zu unterscheiden.

Und auch die deut­sche Sozi­al­de­mo­kratie über­nimmt die rechten Diskurse und schreit danach, in grossem Stil abzu­schieben. Tatsäch­lich ist die “Brand­mauer”, die die bürger­liche von der rechts­extremen Politik trennen sollte, inhalt­lich schon lange gefallen. Die Posi­tionen der extremen Rechten sind inzwi­schen so norma­li­siert, weil sie bürger­liche Parteien und Medien bereit­willig übernehmen.

Dass die CDU bereit war, das rassi­sti­sche „Zustrom­be­gren­zungs­ge­setz“ mit Hilfe der AfD durchs Parla­ment zu bringen, löste grosse mediale Empö­rung aus. Dabei ist der Fall der formellen Brand­mauer im Parla­ment bloss die Konse­quenz davon, dass der Rassismus der AfD längst in der „Mitte“ ange­kommen ist. Das zeigt sich auch daran, dass bei aller Empö­rung über den Fall der Brand­mauer im Parla­ment kaum Empö­rung über den eigent­li­chen rassi­sti­schen Inhalt des Gesetzes laut wurde.

Die Inter­essen hinter dem Mauerbau

Dabei ist das Ziel nicht einmal, Migra­tion tatsäch­lich zu stoppen. Abge­sehen davon, dass dies gar nicht möglich ist, wird die euro­päi­sche Wirt­schaft in den näch­sten Jahr­zehnten auf grosse Migra­ti­ons­be­we­gungen von Arbeits­kräften nach Europa ange­wiesen sein. Die repres­sive Migra­ti­ons­po­litik dient dazu, Migrant*innen syste­ma­tisch zu entrechten und damit ihre Arbeits­kraft billig zu halten. Gleich­zeitig diszi­pli­nieret sie diese Menschen durch massive Repres­sion und die recht­liche Unsi­cher­heit ihres Aufent­halts­status – und schwächt dadurch die Soli­da­rität unter den Lohnabhängigen.

Darüber hinaus versu­chen die Bürger­li­chen, teil­weise bis hin zur Sozi­al­de­mo­kratie, mit ihrem Fokus auf die Migra­ti­ons­po­litik die poli­ti­sche Legi­ti­ma­ti­ons­krise des neoli­be­ralen Regimes zu über­winden. Dieses Regime ist unfähig, Antworten auf die sozialen und ökolo­gi­schen Krisen unserer Zeit zu geben. In diesem Kontext legen die Bürger­li­chen die Maske der Menschen­rechte und der demo­kra­ti­schen Werte ab, mit denen sie ihre Herr­schaft im letzten Jahr­hun­dert recht­fer­tigten. Und schliessen sich statt­dessen dem Angebot der extremen Rechten an: ein zuneh­mend auto­ri­tärer, offen rassi­sti­scher Kapi­ta­lismus, der verspricht, das “Volk” gegen die “Bedro­hung” durch migran­ti­sche Menschen zu schützen. 

Das wird die Lebens­be­din­gungen von uns allen verschlech­tern. Immerhin ist jetzt für alle ersicht­lich, was die NZZ schon immer gemeint hat, wenn sie von der “indi­vi­du­ellen Frei­heit” und der “offenen demo­kra­ti­schen Gesell­schaft” sprach: Die Frei­heit der Unternehmer*innen und die gewalt­volle Vertei­di­gung kapi­ta­li­sti­scher Besitz- und Ausbeutungsverhältnisse.

Dieser Artikel erschien zuvor bei sozialismus.ch.

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