„20 Prozent auf alle Turnschuhe beliebter Marken wie Adidas, Nike oder Jordan – nur am 8. März!“ Während Feminist*innen rund um den Globus zu Streiks und Demonstrationen am Internationalen „Frauentag“ aufrufen, machen Firmen und Unternehmen wie Amazon auch hier nicht halt, um ihre Wirtschaftsleistung anzukurbeln.
Dabei war der 8. März schon immer ein feministischer Kampftag, der sich auch gegen den Kapitalismus richtete.
Aber alles der Reihe nach.
Der erste Internationale „Frauentag“
Über achtzig Jahre vor der Proklamierung des ersten 8. März, gründeten sich in der Schweiz lokale Frauenvereine, die oft vergeblich versuchten, ihre rechtliche Stellung oder Handlungsfähigkeit bei anstehenden Verfassungs- und Rechtsreformen zu verbessern.
Der 1877 gegründete Schweizerische Frauenbund zur „Hebung der Sittlichkeit“ wurde schliesslich die grösste Frauenorganisation der Schweiz vor dem Ersten Weltkrieg. Sein Erfolg beruhte nicht zuletzt darauf, dass er an den traditionellen Geschlechterrollen und an der Strategie der Partizipation durch Zusammenarbeit mit Behörden und einflussreichen Männerverbänden festhielt.
Weniger moralreformistisch als die Schweizer Frauenverbände polemisierte die deutsche Sozialistin Clara Zetkin 1894 in ihrer sozialdemokratischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“: „Der bürgerliche Feminismus und die Bewegung der proletarischen Frauen“, machte Zetkin deutlich, „sind zwei grundlegend verschiedene soziale Bewegungen.“
Nach Zetkin drängten bürgerliche Feministinnen durch ihren Kampf gegen Männer ihrer eigenen Klasse auf Reformen, ohne jedoch die Existenz des Kapitalismus selbst zu hinterfragen. Im Gegensatz dazu strebten die arbeitenden Frauen danach, durch den gemeinsamen Klassenkampf und zusammen mit den Männern ihrer Klasse, den Kapitalismus zu überwinden.
Im Jahr 1907 forderte die Internationale Konferenz sozialistischer Frauen in Stuttgart erstmals “das Recht auf ein allgemeines Frauenwahlrecht ohne Eigentums‑, Steuer‑, Bildungs- oder sonstige Schranken“, die Angehörige der Arbeiterklasse daran hindern könnten, von ihren politischen Rechten Gebrauch zu machen. Wieder betonten sie die Notwendigkeit, den Kampf für das Wahlrecht in enger Zusammenarbeit mit sozialistischen Parteien zu führen und nicht mit der bürgerlichen Frauenbewegung.
Auch die Schweizer Sozialistinnen strebten an, die Wahlrechtsfrage getrennt von bürgerlichen Frauenrechtlerinnen anzugehen. Denn diese hatten sich vielerorts in Stimmrechtsvereinen organisiert. Doch statt auf eine „Schwesternschaft des Geschlechts“ wollten sich die Sozialistinnen auch hier entlang internationaler Klassengrenzen solidarisieren. Da in der Schweiz aber nur eine Abstimmung etwas bewirken konnte, waren pragmatische Aktivistinnen der Meinung, dass ein Zusammenspannen mit den bürgerlichen „Damen“ zwingend sei, um die männliche Mehrheit für sich zu gewinnen.
Um das universelle Frauenwahlrecht voranzutreiben, bestanden Clara Zetkin und Käte Duncker drei Jahre später an der Konferenz in Kopenhagen darauf, den Internationalen Frauentag einzuführen. Sie liessen sich von amerikanischen Sozialist*innen inspirieren, die bereits im Jahr zuvor den ersten nationalen Frauentag ausgerufen hatten. Als Ergebnis der Konferenz wurde der Internationale Frauentag erstmals am 19. März 1911 in Österreich-Ungarn, Dänemark, Deutschland und der Schweiz begangen, wo mehr als eine Million Frauen und Männer an Märschen teilnahmen.
Zwischen Arbon und Zürich traten an etlichen Orten Rednerinnen und Männerchöre auf, wobei die Festivitäten, zumal in der Schweiz, nicht nur harm‑, sondern auch wirkungslos blieben. Der zuständige Verein setzte sich hauptsächlich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen, den Mutterschutz und die Aufnahme von Frauen in die Krankenkassen ein.
Der Internationale Frauentag am 8. März wurde dann erstmals im Jahr 1914 proklamiert. Ein bekanntes Schild mit der Aufschrift „Heraus mit dem Frauenwahlrecht“, auf dem eine Frau in Schwarz die rote Flagge schwenkte, kennzeichnete diesen Anlass.
Die Folgen des Krieges
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges nur wenige Monate später führte zu einer Spaltung und Schwächung der internationalen sozialistischen Frauenbewegung. In Deutschland verbot die SPD kritische Demonstrationen und verfolgte eine Politik des „sozialen Friedens“. Diejenigen, die sich über das Verbot hinwegsetzten und den Internationalen Frauentag öffentlich feierten, wurden von der Regierung und der Polizei unterdrückt. Die Kommunistische Partei in Deutschland hingegen hielt an den Feiern zum 8. März fest.
1917 erlangte der Tag eine neue Bedeutung: Als am Internationalen Frauentag russische Fabrikarbeiterinnen auf den Strassen von St. Petersburg für mehr Brot protestierten, schlossen sich andere Streikende an, die unter der ökonomischen Belastung des Krieges litten. Trotz des Widerstands aller Parteien, einschliesslich der Bolschewiki, verwandelten sie die Demonstration zum Internationalen Frauentag in einen Massenstreik, der die Russische Revolution auslöste.
Bei den Genossinnen in der Schweiz lief es damals noch immer ernüchternd: 1920 votieren über 80 Prozent der Zürcher stimmberechtigten Männer gegen das Frauenwahlrecht. Von der propagierten Klassensolidarität war in diesem Februar nur wenig zu spüren. Auch die Doppelmoral der sozialistischen Männer, die sich in Parteilokalen gerne ihrer progressiven Haltung rühmten, zu Hause aber wenig von Gleichberechtigung wissen wollten, war Grund für diesen feministischen Misserfolg.
Der Aufstieg des Faschismus und Nationalsozialismus in Europa führte abermals zur Unterdrückung des Befreiungskampfes der proletarischen Frauenbewegung. In der Schweiz schlossen sich Frauen im Rahmen der geistigen Landesverteidigung zu einer „Notgemeinschaft“ zusammen. Nach der Machtergreifung im Januar 1933 verboten die Nationalsozialisten den Internationalen Frauentag in Deutschland. Ihre Begründung: Da der Frauentag eine linke Initiative war, die von den Sozialdemokraten eingeführt und von der Kommunistischen Partei unterstützt wurde. Für eine rechtsextreme Partei erschien das Verbot daher als logischer Schritt.
Adolf Hitler äusserte während eines Monologs im Führerbunker in Berlin seine Verachtung für politisch aktive Frauen. „Die Frau hat die Aufgabe, schön zu sein und Kinder zur Welt zu bringen“, betonte er die Wichtigkeit der Mutter, die ihm Soldaten und Arbeiter gebären, jedoch keine eigenen Ideen oder Rechte haben sollte. Diese Ideologie passte zur Politisierung des Muttertags, der als Ersatz für den verbotenen Frauentag propagiert wurde.
Nachdem Hitler den Frauentag verboten hatte, regte sich Widerstand. So wurde auch unter Hitler speziell am 8. März zu Kaffeekränzchen geladen, manche Frauen verteilten Flugblätter und andere lüfteten ihre rote Wäsche auf den Wäscheleinen oder Fensterbänken als Zeichen für den sozialistischen Kampf. Der Frauentag wurde damit auch zu einem Protesttag gegen das Naziregime.
Klassendenken schwindet
Nach 1945 setzte sich das vom Faschismus und Nationalsozialismus propagierte Bild der Frau als Mutter fort. In den 1950er- und 1960er-Jahren verlor der Frauenkampf an Dynamik und die Frage nach einem selbstbestimmten Leben für Frauen trat in den Hintergrund. Obwohl der Frauentag wieder gefeiert wurde, standen die Veranstaltungen unter Parolen wie „Glück der Familien – Frieden für die Welt“.
Lautstarke Forderungen für Frauen spielten zu dieser Zeit keine grosse Rolle mehr, da das Bild der harmonischen Kleinfamilie propagiert und die Befreiungsbestrebungen der Frauen verdrängt wurden.
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg bleibt der Internationale Frauentag gespalten. Im Osten inszenieren sich die Kommunisten als Vorreiter der Frauenförderung und präsentieren regelmässig zum 8. März neue Massnahmen wie Kinderkrippen oder Waschanstalten, die das Leben der Frauen erleichtern sollten. Die Massnahmen zielten jedoch hauptsächlich darauf ab, die weibliche Arbeitskraft möglichst vollständig in die Staatswirtschaft zu integrieren, ohne emanzipatorische Ambitionen oder revolutionäre Rollenmodelle in die Tat umzusetzen.
Im Westen entfernten sich die Frauenkampftage von ihren ursprünglich emanzipatorischen Wurzeln. Linke Gruppen organisierten den Anlass zwar auch in der Nachkriegszeit, die Themen, mit denen sie versuchen, Frauen zu mobilisieren, wurden jedoch immer abstrakter. Im Fokus standen Begriffe wie „Weltfrieden“ oder „Leben ohne Furcht“.
Diese Orientierungslosigkeit war mit der aufschwingenden Wirtschaft der damaligen Zeit verknüpft. Da die Löhne der Männer anstiegen, konnten Mittelschichtsfamilien erstmals auf ein weibliches Einkommen verzichten. Vielerorts zogen sich Frauen wieder ins Private zurück und führten aus der Küche heraus keine grossen Kämpfe.
1968 aber machte eine neue Frauengeneration das Private zum politischen Thema der Öffentlichkeit. So rückte zusammen mit dem Aufkommen der autonomen Frauenbewegung die Frau als eigenständiges Individuum – unabhängig von ihrer Rolle als Mutter – wieder in den Mittelpunkt der Aktivitäten zum Internationalen Frauentag.
In der Schweiz erhielten die Frauen 1971 endlich das Stimm- und Wahlrecht – aber vorerst nur auf Bundesebene. Begangen wurde der Frauentag zu dieser Zeit mancherorts mit Blumen, andernorts mit Demonstrationen.
Kommerzialisierung des 8. März
Im Zuge des Kalten Kriegs war der ursprünglich sozialistische Kampftag im Westen in den Verruf geraten, ein Instrument des sowjetischen Imperialismus‘ zu sein. Dann beschloss die UNO 1975, den Internationalen Frauentag zum offiziellen Tag der Frau zu küren. So verschwand das Klassendenken immer mehr aus der Bewegung und es fanden europaweit und über politische Lager hinweg Aktionen zu aktuellen feministischen Themen statt.
Bald hatte die Tradition des Internationalen Frauentags auch andere Kontinente erfasst. Besonders ehemalige Kolonien verbinden den 8. März oft mit ihren staatlichen Befreiungsbewegungen. Viele Länder, die nach der Unabhängigkeit ein sozialistisches Projekt starteten, haben den Tag direkt in ihre offizielle Feiertagsliste aufgenommen – inspiriert von der Sowjetunion.
Am 14. Juni 1991 nahmen Hunderttausende Frauen in der gesamten Schweiz an Protesten und Streiks teil, unter dem Motto „Wenn Frau will, steht alles still“. Seit zehn Jahren war der Gleichberechtigungsartikels in der Bundesverfassung, umgesetzt wurde er nur zögerlich. Also rief der Schweizerische Gewerkschaftsbund dazu auf, gegen die bestehenden Ungleichheiten in verschiedenen Bereichen von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zu protestieren.
Auch in Deutschland kommt es 1994 zum „FrauenStreikTag“, wodurch auch der Internationale Frauentag ein politisches Comeback erfuhr. Nach der Wiedervereinigung galt es nicht mehr länger als opportun, einen DDR-Feiertag zu veranstalten. Auch in Betrieben in Ostdeutschland wird der Internationale Frauentag wieder verstärkt beachtet, wobei es üblich ist, dass Chefs ihren weiblichen Mitarbeiterinnen zum Frauentag gratulieren.
Seit Mitte der Neunziger wurde der 8. März immer weiter zum Marketingschlager für Unternehmen und Firmen, die sich einen progressiven Anstrich verpassen wollen. Die Österreichischen Bundesbahnen boten beispielsweise 1996 „Freie Fahrt für Frauen“ an. Heute werden wir überall mit Sonderangeboten zum 8. März überschüttet, gar Zeitungen haben eine extra Gutscheinseite für Parfum, Kosmetik oder Mode speziell für den „Weltfrauentag“.
Doch trotz der fortschreitenden Kommerzialisierung des 8. März und seiner politischen Kämpfe, gehen die Proteste international weiter und trotzen der staatlichen Repression. In den letzten Jahren wurde der Tag auch immer häufiger dazu verwendet, Kämpfe zu verbinden und die Binarität der Geschlechter in Frage zu stellen. So demonstrieren Feminist*innen heute vermehrt unter dem Namen „feministischer Kampftag“ statt „Frauentag“ und Schulter an Schulter mit genderqueeren, inter, trans und agender Personen, die besonders hart vom Patriarchat getroffen werden.
In Zürich ruft das Bündnis 8.-März-Unite seit einigen Jahren zur traditionellen Demonstration auf und macht klar, was Sozialistinnen wie Zetkin schon über hundert Jahre zuvor propagierten: Der feministische Kampf bedeutet auch Klassenkampf.
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