Sterben die Krab­bel­tiere, bleibt nichts als ein damp­fender Komposthaufen

Eine deut­sche Studie hat jüngst fest­ge­stellt, dass die Insek­ten­be­stände seit 1989 um 75 Prozent geschrumpft sind und erhärtet damit den Verdacht: Ein neues Massen­sterben ist in vollem Gang. Wie bei vergan­genen Massen­sterben spielt der Klima­wandel eine entschei­dende Rolle. 
Weil Mensch nur die Crevette mag, bleibt am Schluss noch die Seegurke übrig. (Foto: prilfish)

Das Sterben der Dino­sau­rier hatte etwas Entla­stendes. Sie waren unvor­stellbar gross, stark, gefähr­lich. Sie hatten den Planeten fest im Griff respek­tive im Gebiss – bis sie ihr Arma­geddon hatten, weil kein Bruce Willis da war, der ihnen den todbrin­genden Meteo­riten recht­zeitig mit einer Atom­bombe wegsprengte. Chicx­club hiess der Klumpen aus dem All, der, als er bei Yucatan einschlug, nicht nur einen gigan­ti­schen Tsunami, diverse Erdbeben und Vulkan­aus­brüche auslöste, sondern auch noch so viel Staub aufwir­belte, dass es für ein paar Jahre dunkel wurde. Erst hatte Bron­to­saurus nichts mehr zu fressen, dann Tyran­no­saurus, und dann war es mit ihnen zu Ende.

Die Einschlag­hy­po­these mit der anschlies­senden Apoka­lypse war bis zum Ende des Kalten Kriegs so wirk­mächtig wie zeit­ge­mäss, dass man kurzer­hand für alle früheren Massen­sterben der Erdge­schichte nach einem Todes­bringer aus dem Weltall suchte. Massen­sterben ohne Feuer­ball, Explo­sion und Staub­wolke (oder Atom­pilz): Das war damals nur schwer vorstellbar. Erst in den letzten zwei Jahr­zehnten hat man die Suche nach Einschlag­lö­chern einge­stellt und neue Killer ins Auge gefasst. Auch diesmal sollten sie zeit­ge­mäss sein.

Wie der Palä­on­to­loge Peter Ward dem New York Maga­zine mitteilte, mussten er und seine Mitfor­schenden für das, was sie in ihrer Arbeit fanden, einen neuen Begriff schmieden: „green­house extinc­tions“. Für den Tod der Dino­sau­rier gilt zwar trotz neuem Killer­profil weiterhin Chicx­club als verant­wort­lich. Aber bei den rest­li­chen vier der fünf grössten Massen­sterben in der Geschichte des Lebens auf unserem Planeten sind Klima­wandel die Haupt­ver­däch­tigen – so etwa beim grössten Massen­sterben auf Erden am Über­gang von Perm zu Trias, bei dem 95% aller Meeres­arten elimi­niert wurden. Wie das ohne British Petro­leum und Grund­schlepp­netze ging?

Paläo­li­thi­sche Ölförderung

In Sibi­rien brachen vor 252 Millionen Jahren Vulkane aus dem Boden und gossen glühendes Gestein über eine Fläche von der Grösse Europas. Das kleine Massen­sterben in den Lava­fluten war aber nur das Vorspiel. Das grosse Sterben begann erst, als dieselben Vulkane ihr flüs­siges Gestein statt auf die Erdober­fläche unter­ir­disch in das Tunguska-Becken entliessen – eine Lager­stätte von kohlen­stoff­hal­tigen Fossi­lien. Die Magma kochte das Gebein zu CO2 und schleu­dert es über riesige Krater in die Atmo­sphäre. In der Folge stieg die Tempe­ratur um 9°C. Die Ozeane versau­erten, wodurch die meisten Scha­len­tiere aufge­löst wurden wie Knochen in einer Cola. Und wer nicht aufge­löst wurde, der erstickte, weil der Sauer­stoff über das warme Ober­flä­chen­wasser nicht mehr ins Meer eindringen konnte. Den faulenden Gewäs­sern entwich in der Folge hoch­gif­tiger Schwe­fel­was­ser­stoff. Dieser gab den Land­le­be­wesen, die bereits unter dem Ozon­loch brieten, das die Vulkane in die Atmo­sphäre gerissen hatten, den Rest. Die Bilanz: 95 Prozent der Meeres- und 75 Prozent der Land­arten waren ausgerottet.

Auch wenn unsere Vorräte an fossilen Brenn­stoffen wohl nicht hinrei­chen werden, um es mit den sibi­ri­schen Vulkanen von damals aufzu­nehmen, so sind die Paral­lelen zu heute doch erschreckend. Auch wir bohren in fossilen Lager­stätten, um den Kohlen­stoff nach Verbrauch als CO2 in die Atmo­sphäre zu entlassen. Unsere Ozeane versauern, und es bilden sich (aller­dings vorerst nur wegen der Über­dün­gung) sauer­stoff­freie Zonen aus. Vor allem der in der jüngeren Erdge­schichte unge­kannt rapide Anstieg der CO2-Konzen­tra­tion hat einige Forsche­rInnen dazu bewogen, unsere gegen­wär­tige Lage eher mit der Perm-Trias-Extink­tion zu verglei­chen als mit sanf­teren Klimawandeln.

Wir schaffen es auch ohne Klimawandel

Obwohl er seine ganze Wucht erst in ein paar hundert Jahren entfaltet haben wird, macht der aktu­elle Klima­wandel den Lebe­wesen schon heute zu schaffen. Man hat beob­achtet, dass rund 50 Prozent aller Arten daran sind, ihren Lebens­standort zu wech­seln. So zum Beispiel die Seegurke centro­s­te­phanus rodgersii. Weil es ihr an der austra­li­schen Küste zu warm wurde, ist sie gegen Tasma­nien aufge­bro­chen, wo es ihr in den frisch aufge­wärmten Gewäs­sern nun gut gefällt. Zu gut, denn sie hat die dortigen Kelp-Unter­was­ser­wälder in kürze­ster Zeit ganz für sich einge­nommen und anderen Spezies den Platz weggenommen.

Aller­dings – und das verleiht dem sech­sten Arten­nie­der­gang seine ganz eigene Note – hätte sich die Seegurke nicht so breit­ma­chen können, wenn der Hummer nicht über­fischt und damit ein wich­tiger Feind der Seegurke so stark dezi­miert worden wäre. Deshalb warnte die Biologin Camilla Parmesan in der Fach­zeit­schrift Nature Commu­ni­ca­tions davor, alles Aus- und Wegsterben alleine über den Kamm der Klima­er­wär­mung scheren zu wollen, wo in Wahr­heit viele weitere Ursa­chen am Werk sind.

Was im Meer die Über­fi­schung, ist an Land die ‚Land­nut­zungs­än­de­rung‘, d. h. das Urbar­ma­chen von Land zu Zwecken unserer indu­stria­li­sierten Lebens­weise. Wie der Insek­ten­spe­zia­list Terry Erwin 1982 fest­stellte, leben an einem Baum im Regen­wald Panamas 1‘200 verschie­dene Insek­ten­arten, wovon mehr als 100 nur an diesem einen Baum aufge­funden wurden. Holzt man einen solchen Wald ab, um an seine Stelle eine Bana­nen­plan­tage zu pflanzen, dann hat man vermut­lich tausende von Insek­ten­spe­zies ausge­rottet, ohne sie je iden­ti­fi­ziert zu haben.

Aussterben, ohne je gekannt worden zu sein: Ein solches Schicksal erwartet gemäss einer Guar­dian-Recherche zehn­tau­sende von Insek­ten­arten. Um eine einzelne Mottenart wie neopalpa donald­trumpii wär es nicht allzu schade, global betrachtet muss man aber, so der Guar­dian, von einem ‚Insec­ta­geddon‘ spre­chen. Eine Forsche­rIn­nen­gruppe hat jüngst fest­ge­stellt, dass die Biomasse der flie­genden Insekten in deut­schen Natur­schutz­ge­bieten zwischen 1989 und 2016 um mehr als 75 Prozent einge­bro­chen ist. Da sich weder die Habi­tate um die Mess­stellen noch das lokale Klima verän­dert haben, vermuten sie, dass die Insekten von den nahe­ge­le­genen Äckern und Feldern „aufge­zehrt” wurden. Inten­si­viertes Düngen und Pflügen hat die Biodi­ver­sität auf den Äckern und damit den Lebens­raum von Insekten drastisch verrin­gert, und der Einsatz von persi­stenten Insek­ti­ziden hat wohl auch das Seine zur Dezi­mie­rung nicht nur der Bienen, sondern aller Insekten beigetragen.

Warum wir an unseren Krab­bel­tieren hängen sollten wie am süssen Panda und am stolzen Eisbären? Ohne Insekten und andere Arthro­poden hätten wir nur noch ein paar Monate zu leben, schätzt Edward Wilson von der Harvard Univer­sity. Nachdem es uns dahin­ge­rafft hätte, verwan­delte sich die Erdober­fläche in einen riesigen Kompost­haufen, der mehr schlecht als recht vor sich hingam­melte. Die Pilze hätten ein inten­sives, aber kurzes Fest­mahl, und danach würde die Entwick­lung des Lebens um 440 Millionen Jahre rück­gängig gemacht. Ein paar Schwämme und Moose würden das kahle Land über­ziehen und darauf warten, dass sich die ersten Crevetten an Land wagten. Gesetzt, es wären in den leer­ge­fischten Meeren noch welche übrig.

Bruce Willis fährt Rad und gräbt nach Zwiebeln

Der Klima­wandel dürfte auf lange Dauer die Arten­viel­falt und dann uns nieder­strecken, aber wir greifen ihm zurzeit ordent­lich unter die Arme. Alleine mit der inten­siven und pesti­zid­la­stigen Land­wirt­schaft und der Plün­de­rung der Welt­meere könnten wir unser kurzes Dasein auf Erden vorzeitig beenden, wie der Guar­dian warnt. Unser Arma­geddon schwebt derzeit nicht als Stein­klumpen über uns im All, sondern wir haben unsere mögliche Vernich­tung selbst geschmiedet. Wie können wir unser Damo­kles­schwert wieder runterholen?

Die Lösung ist wenig über­ra­schend, und doch nicht leicht zu bewerk­stel­ligen. Der Pesti­zid­ein­satz muss massiv gedros­selt, die Mono­kultur-Land­wirt­schaft aufge­geben und die Tier­hal­tung, mit Ausnahme exten­siver Wiesen­hal­tung, drastisch zurück­ge­fahren werden. Dass schwim­mende Fisch­fa­briken und Grund­netz­schlepper verbannt gehören, versteht sich von selbst.

Entla­stend ist der neue Befund zum sech­sten Massen­sterben also nicht. Statt Meteo­riten mit Kurs auf unseren Planeten mit Atom­bomben zu pulve­ri­sieren, muss man reife Zwie­beln zwischen Rüebli hervor­klauben, damit letz­tere noch ein biss­chen dicker werden können. Doch nicht nur deswegen hätte Bruce Willis die neue Rolle abge­lehnt. Denn wenn so viele zum Mitma­chen aufge­rufen sind, gibt es auch keine HeldInnen mehr. Und das ist viel­leicht die grösste Herausforderung.


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