Ein qualmender Schornstein, ein stinkender Auspuff. Egal wie CO2 in unsere Luft entweicht – jede Tonne ist gleich schädlich.
Aber nicht gleich teuer: Während der Bund auf Heizöl eine CO2-Abgabe erhebt, gilt bei Benzin und Diesel nur eine Kompensationspflicht. Treibstoffimporteure wie Shell, Migrol oder Agrola müssen einen Teil des CO2 kompensieren, das sie als Benzin oder Diesel an ihren Tankstellen verkaufen. Dazu finanzieren sie beispielsweise eine Coop-Filiale dabei, klimafreundlichere Kühlanlagen einzubauen oder fördern den Einsatz von effizienteren Kochöfen in Peru.
Das kostet Geld. Geld, das sich die Treibstofffirmen teilweise über den Benzinpreis wiederbeschaffen. Gemäss geltendem CO2-Gesetz dürfen sie maximal fünf Rappen pro Liter Benzin aufschlagen, um die Kosten für die Kompensationsprojekte zu decken. Was darüber hinausgeht, müssen die Importeure aus der eigenen Tasche bezahlen.
Das wirft Fragen auf: Wer kontrolliert das? Wie wird sichergestellt, dass die Treibstofffirmen nicht zu viele Kosten weiterreichen? Und was passiert, wenn sie es trotzdem tun?
CO2-Kompensation für fünf Rappen
Zuständig für die Koordination der CO2-Kompensationen ist die Stiftung Klimaschutz und CO2-Kompensation, kurz Klik. Klingt grün, ist es aber nicht. Klik ist ein Konstrukt aus der Erdölbranche. Der Stiftungsrat setzt sich aus Vertreter*innen von Raffinerien, Treibstofffirmen und Tankstellennetzwerken zusammen. Das Präsidium ist bei Avenergy Suisse mit dabei, der ehemaligen Erdöl-Vereinigung.
Klik beschafft im Auftrag von Shell, Migrol, Agrola und Co. also Kompensationszertifikate und erhebt dafür bei den Treibstofffirmen eine Gebühr. Je mehr Geld Klik für diese Zertifikate braucht, desto höher ist die Gebühr. Bis Ende 2023 verrechnete KliK den Treibstoffimporteuren genau fünf Rappen pro Liter Benzin.
Auf Anfang 2024 hat Klik diese Gebühr auf acht Rappen erhöht. Der Grund: Das CO2-Gesetz schreibt vor, dass die Treibstofffirmen über die Jahre langsam aber stetig mehr kompensieren müssen. Nun ist also der Preis, den Klik von den Treibstofffirmen verlangt, höher als die im CO2-Gesetz festgelegte Obergrenze von fünf Rappen pro Liter – also höher als das, was die Treibstofffirmen ihren Kund*innen maximal weitergeben dürfen.
Das darf Klik. Relevant ist hingegen die Frage: Nehmen die Treibstoffhändler den Gewinnausfall in Kauf und zahlen die Differenz von drei Rappen pro Liter aus der eigenen Tasche – wie dies das Gesetz vorschreibt – oder geben sie die Erhöhung der Gebühr an ihre Kundschaft weiter?
Kommunikative Kapriolen
Das Lamm hat bei verschiedenen Treibstoffhändlern nachgefragt.
Die A.H. Meyer & Cie AG gehört zur Avia-Gruppe und antwortet auf die Frage, ob die Benzinpreise an den Zapfsäulen wegen der erhöhten Gebühr um drei Rappen pro Liter ansteigen: „Dies kann man leider nicht so pauschal beantworten.“ Verwunderlich, zumal es gesetzlich verboten ist, mehr als fünf Rappen Kompensationsaufschlag weiterzureichen. Darauf angesprochen antwortet A.H. Meyer & Cie auch nach wiederholter Nachfrage nicht mehr.
Agrola-Tankstellen stehen in der Schweiz jeweils neben einem Landi-Laden und werden auch von diesen betrieben. Doch die beiden Firmen sind sich uneinig, wer sich um die anfallenden Mehrkosten zu kümmern hat. „Die Preise an Agrola-Tankstellen werden durch die jeweiligen lokalen Landi-Genossenschaften festgelegt, welche die Tankstellen betreiben“, schreibt Agrola. Fragen zur Preisbildung könne man deshalb nicht beantworten. Die Landis sehen das anders: „Mit unserem Einkaufspreis sind alle Abgaben abgegolten.“ Um die Kompensationen müsse sich Agrola kümmern, erklärt beispielsweise die Landi Furt- und Limmattal. Auf Nachfrage schwenkt Agrola um: „Die Pflicht der Einhaltung und Weitergabe der Kompensationszahlungen liegt beim Importeur, also bei uns.“ Man habe sich jedoch immer an geltendes CO2-Recht gehalten.
Auch die Migrol-Tankstellen machten kommunikative Kapriolen. Zunächst schien die Antwort klar: „Der Aufschlag war von fünf auf acht Rappen, dieser wurde dem Markt weitergegeben und ist in den aktuellen Säulenpreisen enthalten“, schreiben diese auf Anfrage. Konfrontiert damit, dass es illegal ist, mehr als fünf Rappen auf den Benzinpreis umzulegen, machte Migrol eine Kehrtwende. Die Antwort könne wohl „missverständlich ausgelegt werden“, heisst es nun. Und: „Selbstverständlich sind uns die Gesetze bekannt und wir halten uns jederzeit daran.“ Obwohl die von Klik in Rechnung gestellten Kosten angestiegen seien, habe man die Preise deswegen nicht erhöht, so Migrol weiter. Die beiden Preiserhöhungen im Januar 2024 um insgesamt fünf Rappen pro Liter seien ausschliesslich aufgrund der stark gestiegenen Beschaffungspreise für Treibstoffe verursacht worden.
Von den rund 30 angefragten Unternehmen antworten die allermeisten nicht oder ausweichend – einzig Shell weist auf die Deckelung hin und schreibt, dass laut CO2-Gesetz der zulässige Kompensationsaufschlag aktuell maximal fünf Rappen pro Liter beträgt.
Kosten durchreichen oder nicht?
Dabei würde das Durchreichen der Kosten aus Sicht des Klimaschutzes laut Beat Hintermann, Professor für öffentliche Finanzen an der Universität Basel, durchaus Sinn machen. Um das Verhalten zu steuern, müsse das Preissignal zwingend von den Importeuren zu den Konsument*innen weitergereicht werden. „Von daher ist eine Deckelung an sich absurd, und auf einem zu tiefen Niveau sowieso.“ Was Hintermann meint: Nur wenn die höheren Kosten auch bei den Kund*innen ankommen, können sie zu einer Verhaltensänderung führen.
Das mag sein. Aber Klimaschutz sollte nicht nur wirksam, sondern auch fair sein. Werden alle Kosten durchgereicht, zahlen die einzelnen Konsument*innen alles. Wird nichts durchgereicht, geht alles vom Profit der Firmen weg. Bei einer Deckelung hingegen wird die Last gemeinsam getragen. Das ist fairer, reduziert aber auch den Druck, rasch Emissionen zu senken, weil die Kosten auf mehreren Schultern verteilt werden.
So oder so: Den Kompensationsaufschlag für Autofahrer*innen zu erhöhen, ist politisch chancenlos. Links-Grün hat 2021 dafür gekämpft, die Deckelung zu erhöhen – das war einer der Gründe, weshalb das CO2-Gesetz damals Schiffbruch erlitt. Und auch beim zweiten Anlauf für das CO2-Gesetz, das nun am 1. Januar 2025 in Kraft tritt, drohte die bürgerliche Seite mit dem Referendum, sollte die Deckelung erhöht werden.
Während die progressiven Klimakräfte im Parlament also wollten, dass die Konzerne die Kompensationskosten durchreichen dürfen, waren die bürgerlichen Parteien und das Volk dagegen.
Doch wie diese Recherche zeigt: Die Treibstofffirmen agieren undurchsichtig. Und so lässt sich nicht ausschliessen, dass sie in ihrer Blackbox genau das tun, wozu das Volk in der Abstimmung zum CO2-Gesetz im Jahr 2021 eigentlich nein gesagt hat.
100 Millionen Franken
Dabei sind die Emissionen aus dem Auspuff generell viel billiger zu haben als diejenigen aus dem Schornstein. Laut Berechnungen von Professor Hintermann werden Benzin und Diesel bezüglich CO2 zurzeit fünf bis sechs Mal weniger besteuert als Brennstoffe. Für letztere bezahlt man 120 Franken pro Tonne CO2. Um bei Benzin und Diesel auf denselben Preis zu kommen, müsste man bei den Treibstoffen einen CO2-Aufschlag von 28 Rappen einführen.
Trotzdem kommt auch bei den Treibstoffen einiges zusammen. Das Durchschnittsauto fährt in der Schweiz laut Bundesamt für Statistik (BFS) rund 10’000 Kilometer pro Jahr und verbraucht laut Bundesamt für Energie (BFE) 6.7 Liter pro hundert Kilometer. Ein Aufpreis von drei Rappen pro Liter macht also rund 20 Franken pro Fahrzeug aus.
In der Schweiz gibt es laut BFS 4.8 Millionen Personenwagen. Bei einer Differenz von drei Rappen sind das also allein bei den Personenwagen fast 100 Millionen Franken, die eigentlich die Erdölbranche bezahlen muss. Ob sie das wirklich tut, ist fraglich.
Zahnlose Klimaregeln für Konzerne
So oder so – die Treibstofffirmen haben wenig zu befürchten. Denn das CO2-Gesetz sieht keine Sanktionen vor, wenn sie der Kundschaft mehr als fünf Rappen pro Liter für die CO2-Kompensationen aufbürden. Das wird auch mit dem neuen CO2-Gesetz, das Anfang 2025 in Kraft tritt, so bleiben.
Im aktuellen Gesetz sind die Firmen nicht einmal dazu verpflichtet, darüber Bericht zu erstatten, ob sie die Deckelung einhalten. Immerhin dies soll sich laut dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) mit dem neuen CO2-Gesetz ändern. Zudem bestätigt das BAFU auf Anfrage, dass man zurzeit prüfe, „ob der zulässige maximale Kompensationsaufschlag überschritten wird“.
Dass man bei den CO2-Aufschlägen an den Zapfsäulen genauer hinschauen müsste, ist jedoch bereits seit über einem Jahr klar. Schon Ende September 2023 teilte die Stiftung Klik mit, dass sie die Gebühren anheben wird.
Und was sagt das BAFU zu den fehlenden Sanktionsmöglichkeiten?
Wenn ein Gesetz keine Strafbestimmungen vorsieht, könne man zum Beispiel eine „Verfügung zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes“ erlassen. Nur: Um den rechtmässigen Zustand wiederherzustellen, müssten die Tankstellen allen Kund*innen, die zu viel bezahlt haben, das Geld zurückerstatten.
Wie so etwas in der Praxis umgesetzt werden soll, ist schwer vorstellbar. Denn es ist schlichtweg unmöglich zu rekonstruieren, wer wo zu viel für sein Benzin bezahlt hat.
Keine Expertise
Generell hält sich die Verwaltung eher bedeckt. Nur schon die Liste der kompensationspflichtigen Unternehmen ist nicht öffentlich einsehbar und musste für diese Recherche über einen Antrag, gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz, eingeholt werden.
Andere Bundesstellen interessieren sich erst gar nicht für den vermeintlichen Gesetzesbruch. Die Preisüberwachung schreibt auf Anfrage: „Der Preisüberwacher ist nicht für die Einhaltung des CO2-Gesetzes zuständig.“ Doch wer, wenn nicht die behördliche Stelle, die in der Schweiz die Preise überwacht, sollte sich dafür interessieren, wenn sich die Treibstofffirmen vielleicht nicht an das geltende Recht zur Bildung der Benzinpreise halten?
Auch aufseiten der Wissenschaft fällt die Bilanz mager aus. Das Lamm hat für diese Recherche neun verschiedene Expert*innen für Klimarecht angeschrieben. Weiterhelfen konnte niemand.
Die Vereinigung für Umweltrecht antwortete auf die Frage, wen man für dieses Thema empfehlen könne: „Das CO2-Gesetz ist immer noch eher eine Nische bei uns Umweltjurist*innen. Es gibt nur sehr wenige, die sich an dieser Materie abmühen.“
„Offensichtlich widerrechtlich“
Klare Worte findet hingegen die Stiftung für Konsumentenschutz: „Falls das Entgelt tatsächlich auf die Preise der Konsument*innen überwälzt wird, wäre dies offensichtlich widerrechtlich. Die zuständige Bundesbehörde müsste diesen Preisaufschlag unterbinden.“
Auch aus dem Parlament kommen kritische Stimmen. Mitte-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt bekräftigt auf Anfrage, dass das Weiterreichen von mehr als fünf Rappen Kompensationskosten durch die Treibstofffirmen gesetzeswidrig ist und stellt nüchtern fest: „Die ganze Kompensationsgeschichte ist zum Hochseilakt geworden, weil man aus Angst um die Mehrheitsfähigkeit einen Deckel eingeführt hat.“
Nicht nur nüchtern, sondern schon eher ernüchternd fällt die Analyse von Philippe Thalmann vom Labor für Umwelt- und Stadtökonomie der ETH Lausanne dazu aus: „Ich würde vermuten, man weiss beim BAFU, dass sich die Einhaltung der Deckelung gar nicht prüfen lässt“. Denn der Benzinpreis ist nicht nur von Angebot und Nachfrage, sondern etwa auch vom Wechselkurs des Dollars abhängig und unterliegt deshalb – gerade seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine – regelmässigen Schwankungen.
Es scheint also fraglich, ob die Prüfung des BAFU überhaupt brauchbare Resultate liefern wird, oder ob das Parlament hier eine Regel geschaffen hat, deren Einhaltung schlichtweg nicht kontrolliert werden kann.
Wie es die Treibstofffirmen genau handhaben, bleibt vorerst im Dunkeln. Klar ist: Für Autofahrer*innen ist nicht erkennbar, ob Agrola, Migrol und Co. die drei Rappen zusätzliche Kompensationskosten auf sie abwälzen oder nicht.
Diese Reportage wurde mit Unterstützung von JournaFONDS recherchiert und umgesetzt.
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