Tiere im Krieg: Leiden ist keine Konkurrenz

Wenn Krieg ist, spricht man kaum über Tiere – selbst die Tier­rechts­be­we­gung schweigt. Das liegt an ihrer proble­ma­ti­schen Geschichte und einer plumpen Vergleichs­rhe­torik. Unser Kolum­nist plädiert dafür, Mensch- und Tier­leid zusammenzudenken. 
Das Ziel ist eine Perspektive auf Menschen- und Tierleid, die beide schärfer sieht, weil sie sie zusammen sieht. (Illustration: Luca Mondgenast)

Wie geht es eigent­lich den Tieren in Gaza, in der Ukraine, im Sudan? Bomben und Gewehr­schüsse treffen immerhin auch sie. Aber die Frage wirkt fast unan­ge­bracht. In Kriegen leiden und sterben Menschen, werden vertrieben und trau­ma­ti­siert – was inter­es­sieren uns da die Tiere?

So liest man in deutsch­spra­chigen Medien kaum über Tiere im Krieg. Tier­or­ga­ni­sa­tionen halten sich mit Kommen­taren zurück. Und diese Animal Poli­tique-Kolumne hat hinter den Kulissen für mehr Diskus­sionen gesorgt als jede vorhe­rige. Wer nach Tieren fragt, droht von Menschen abzulenken.

Aber es ist inter­es­sant, wie selektiv wir dieses Entweder-oder-Denken anwenden. Zum Vergleich: Die meisten Leute würden in einem bren­nenden Haus eher ein Kind retten als einen Senior, wenn sie sich entscheiden müssten. Aber wir würden deshalb noch lange nicht sagen: Im Krieg leiden und sterben Kinder, werden vertrieben und trau­ma­ti­siert – was inter­es­sieren uns da die Senior*innen? Hier wäre uns klar: Das eine schliesst das andere nicht aus. Im Gegen­teil, das Leid von Enkeln und Gross­el­tern hängt sogar zusammen.

Aber Tiere sind anders. Zumin­dest werden sie anders gesehen. Im Wesent­li­chen sind sie eine Extrem­form von sozialen Aussenseiter*innengruppen, fasst der Bioethiker T. J. Kasper­bauer zusammen. Sie werden als fremd und unbe­re­chenbar wahr­ge­nommen, als „sie gegen uns“. Das ist auf denselben Skalen messbar wie Vorur­teile gegen margi­na­li­sierte Menschen. Sie korre­lieren auch mitein­ander. Darum essen Rechte tenden­ziell mehr Fleisch.

Diese Herab­wer­tung von Tieren ist aber nicht der einzige Grund, warum ihr Leiden mit demje­nigen von Menschen in Konkur­renz gesetzt wird. Auch die Tier­schutz- und Tier­rechts­be­we­gung trägt Mitschuld daran.

Proble­ma­ti­sche Vergleiche

Es ist kein Geheimnis, dass Tier­liebe histo­risch oft mit Menschen­hass verbunden war. Zum Beispiel forderte die aller­erste Schweizer Volks­in­itia­tive 1893 ein Verbot des Schäch­tens, also des Schlach­tens von Tieren ohne vorhe­rige Betäu­bung. Das kam zwar tier­schüt­ze­risch daher, war aber vor allem gegen koscheres Schlachten gerichtet und anti­se­mi­tisch motiviert.

In Deutsch­land führte das Nazi-Regime 1933 das erste Tier­schutz­ge­setz ein. Hitler war zwar kein konse­quenter Vege­ta­rier, posierte mit seiner Hündin „Blondi“ aber gern als Tier­freund. Wie der Jour­na­list Jan Mohn­haupt in seinem Buch erzählt, waren es in Wahr­heit drei verschie­dene Hündinnen mit demselben Namen – eine verdrehte Maske­rade der Tier­liebe, die aber beim Publikum verfing.

Vor diesem Hinter­grund ist es erstaun­lich, wie leicht­fertig die Tier­rechts­be­we­gung der letzten zwanzig Jahre mit dem Thema Genozid umge­gangen ist. So lancierte People for the Ethical Treat­ment of Animals (PETA) 2003 die Kampagne „Holo­caust auf deinem Teller“. Das Argu­ment lautete im Wesent­li­chen: Was mit Tieren in Schlacht­häu­sern geschieht, sei genau wie das, was damals mit Menschen geschah. Also müsse man dagegen sein.

Den Vergleich kennt man auch in der Schweiz. Der grüne Natio­nalrat Jonas Fricker machte ihn 2017 im Parla­ment – und erntete so heftige Reak­tionen, dass er als Entschul­di­gung zurück­trat. Inner­halb der Tier­rechts­szene führte die Vergleichs­rhe­torik zu tiefen Graben­kämpfen. Der promi­nente Schächt­gegner Erwin Kessler verwen­dete den „Holo­caust-Vergleich“ insbe­son­dere fürs Schächten.

Diese Rhetorik soll mora­li­schen Horror vermit­teln, kein tieferes Verständnis. 

Kessler wurde deshalb von Tier­rechts­demos ausge­schlossen und als Anti­semit benannt, woraufhin er Dutzende Tierrechtler*innen vor Gericht zog. Das Bundes­ge­richt bestä­tigte im Jahr 2000, dass zumin­dest manche Einzel­per­sonen Kessler straf­frei Anti­semit nennen durften. Er verstarb 2021. 

Seither sieht man die grobe Vergleichs­rhe­torik kaum noch, aber die Tier­rechts­be­we­gung ist deswegen nicht auf einen Schlag rehabilitiert.

Trivia­li­sie­rende Rhetorik

Der „Holo­caust-Vergleich“ ist verhee­rend für die Bezie­hung der Tier­rechts­be­we­gung zu anderen Gerech­tig­keits­be­we­gungen, weil er trivia­li­siert. Soll heissen: Er spielt Wich­tiges herunter, verkürzt es, verein­facht es.

Er redu­ziert die Schoa auf eine Chiffre für tech­nisch durch­op­ti­miertes Massen­töten. Das ist die Über­schnei­dung mit der Fleisch­in­du­strie. Dass die Schoa ein Vernich­tungs­pro­jekt basie­rend auf poli­ti­schen Hass­ideo­lo­gien war, die wiederum eine bestimmte Geschichte haben, wird dadurch verklärt.

Der Vergleich lenkt den Blick also weg von Aspekten, die man sehen muss, um die Nazi-Verbre­chen zu verstehen und ähnliche Verbre­chen in Zukunft verhin­dern zu können. So entsteht ein direkter Konflikt zwischen den Inter­essen von Menschen und Tieren.

Die Tier­rechts­be­we­gung hat sich in eine Gesprächs­si­tua­tion manö­vriert, in der sie Tier­leid ausge­rechnet dann totschweigen muss, wenn es mit Menschen­leid einhergeht.

Der „Holo­caust-Vergleich“ ist jedoch kein Einzel­fall. Die Tier­rechts­be­we­gung hat auch andere Vergleiche mit Gräu­el­taten an Menschen bemüht. Zum Beispiel mit der US-ameri­ka­ni­schen Skla­verei oder bezüg­lich Tier­ver­su­chen mit der berüch­tigten Syphilis-Studie von Tuskegee. Dabei werden die so konstru­ierten Sche­mata auch den spezi­fi­schen Eigen­heiten der Tier­aus­beu­tung nicht gerecht.

Diese Rhetorik soll mora­li­schen Horror vermit­teln, kein tieferes Verständnis. Sie erzeugt viel Hitze, wenig Licht. Und indem sie versucht, das Publikum auch mal an Tiere denken zu lassen statt nur an Menschen, setzt sie Menschen und Tiere unwei­ger­lich in Konkur­renz zueinander.

Und darum kann man heute kaum über Tiere in Gaza, in der Ukraine oder im Sudan schreiben, ohne dass es so klingt, als würde man von Menschen ablenken wollen. Die Tier­rechts­be­we­gung hat sich in eine Gesprächs­si­tua­tion manö­vriert, in der sie Tier­leid ausge­rechnet dann totschweigen muss, wenn es mit Menschen­leid einhergeht.

Schaut einmal zum Fenster raus, wahr­schein­lich seht ihr bald ein Tier. Sie sind die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung. Doch in der Schweizer Medi­en­land­schaft werden sie meist igno­riert. „Animal Poli­tique“ gibt Gegen­steuer. Nico Müller schreibt über Macht­sy­steme, Medien, Forschung und Lobby­ismus. Und denkt nicht, es gehe immer „nur“ um Tiere. Ihre Unter­drückung hängt oft mit der Unter­drückung von Menschen zusammen. „Animal Poli­tique“, geschrieben von Tier­ethiker Nico Müller, macht das sichtbar.

Es geht auch anders

Sehen wir uns mal ein konkretes Bild eines Tiers im Krieg an: Ein viel­leicht acht­jäh­riges Kind mit voll­ge­packtem Ruck­sack über­quert eine Strasse im zerbombten Gaza und hält dabei notdürftig eine Katze fest, die ihm aus den Armen zu gleiten droht.

Es nimmt nichts vom Leid des Kindes weg, wenn man das Leid der Katze mitdenkt – im Gegen­teil. Katzen mögen keine unge­wohnten Umge­bungen, fremde Leute und plötz­li­chen Lärm. Sie brau­chen Routine und Rück­zugs­orte. Bei Gefahr laufen sie weg und verstecken sich. Fällt die Katze runter, verschwindet sie also höchst­wahr­schein­lich für immer. Wer den Stress der Katze sieht, sieht auch, wie fragil und flüchtig der letzte Rest eines Zuhauses für das abge­bil­dete Kind ist.

Das muss das Ziel sein: eine Perspek­tive auf Menschen- und Tier­leid, die beide schärfer sieht, weil sie sie zusammen sieht.

Ebenso wenig nimmt es vom Leid der Vertrie­benen weg, wenn man die Esel beachtet, die sie mangels Benzin als Zugtiere verwenden. Sie werden oft umso mehr geschlagen, wenn sie vor Angst still­stehen, erzählt ein Vertreter einer Hilfs­or­ga­ni­sa­tion gegen­über The Inde­pen­dent. Ihre Wunden sind also das Produkt der Panik zweier Spezies.

Das muss das Ziel sein: eine Perspek­tive auf Menschen- und Tier­leid, die beide schärfer sieht, weil sie sie zusammen sieht. Das geht nicht nur mit Bildern, sondern auch mit Gedanken. Man stelle sich zum Beispiel eine Zukunft vor, in der auch Tierrechtler*innen inter­ve­nieren, wenn ein Poli­tiker sagt, sein Land würde „mensch­liche Tiere bekämpfen“, wie es Vertei­di­gungs­mi­ni­ster Yoav Gallant letzten Oktober tat. Tierrechtler*innen könnten dies als rheto­ri­sche Figur analy­sieren, die sowohl menschen- als auch tier­ver­ach­tend ist. Man kann sich mit dem Verhältnis von Menschen- und Tier­gräueln so ausein­an­der­setzen, dass es allen zugutekommt.

Damit das klappt, muss die Tier­rechts­be­we­gung aber drin­gend auf plumpe Vergleichs­rhe­torik verzichten. Das tut sie zum Glück zuneh­mend. Sie muss sich fürs Leid unter­drückter Menschen inter­es­sieren, es verstehen und zu seiner Analyse und Bekämp­fung etwas beitragen wollen.

Es braucht nicht nur einen Bogen um Menschen­hass, sondern aktives Enga­ge­ment dagegen. So setzt sich die Tier­rechts­be­we­gung nicht bloss in einem Wett­be­werb um Aufmerk­sam­keit durch, sondern ist ein soli­da­ri­sches Mitglied in einer Familie von Gerechtigkeitsbewegungen.


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