Trans­feind­lich­keit als Geschäftsmodell

Vor einigen Jahren berich­teten bürger­liche Medien exoti­sie­rend, aber wohl­wol­lend über trans Personen. Heute gehört die feind­se­lige Bericht­erstat­tung von Tagi und Co. zu ihrem Alltags­ge­schäft. Das ist verant­wor­tungslos und bedroh­lich, findet unser Autor. 

Seit geraumer Zeit vergeht kaum ein Tag ohne minde­stens einen trans­feind­li­chen Beitrag in etablierten Schweizer Medien. So stellt das SRF Trans­sein als Resultat von online Porno­grafie dar, während Tages-Anzeiger und NZZ uner­müd­lich gegen Puber­täts­blocker oder trans Frauen im Sport anschreiben. Diese Texte haben eines gemeinsam: Sie basieren auf irre­füh­renden Infor­ma­tionen und befür­worten eine Benach­tei­li­gung von trans Menschen – beson­ders von Frauen und Jugendlichen.

Ein Ende scheint ange­sichts dieses lukra­tiven Rage-Baitings , also der bewusst provo­kanten und zu Wut animie­renden Inhalte, leider unwahr­schein­lich. Je aufwüh­lender das Thema, desto mehr Personen inter­agieren durch Klicken, Teilen und Spei­chern mit dem Beitrag. Hinzu kommen häufig unmo­de­rierte, hass­erfüllte Kommen­tar­spalten, die die Reich­weite weiter pushen. Eine hohe Inter­ak­ti­ons­rate ist für Medi­en­un­ter­nehmen erstre­bens­wert – auch wenn sie auf Hetze und Abwer­tung basiert. Mit den Klick­zahlen steigt die Wahr­schein­lich­keit, vom Algo­rithmus belohnt zu werden, und auch die Werbe­ein­nahmen schnellen in die Höhe.

Trotz recht­li­cher und gesell­schaft­li­cher Verbes­se­rungen für trans Menschen bedroht eine zuneh­mend feind­se­lige Bericht­erstat­tung deren Sicher­heit und Menschenwürde.

Der Blick in die jüngste Vergan­gen­heit zeigt dabei, dass es sich bei diesen Anfein­dungen nicht um den nötigen Geburts­schmerz einer allmäh­li­chen Über­win­dung der Sicht auf Geschlecht als biolo­gi­sches Schicksal handelt, sondern wir es mit einer bedenk­li­chen Pola­ri­sie­rung zu tun haben. Trotz recht­li­cher und gesell­schaft­li­cher Verbes­se­rungen für trans Menschen bedroht eine zuneh­mend feind­se­lige Bericht­erstat­tung deren Sicher­heit und Menschenwürde.

Von tole­rant zu tendenziös

Noch vor etwa zehn Jahren waren Beiträge über trans Menschen in der Deutsch­schweiz geprägt von schwül­stigen, exoti­sie­renden, aber häufig wohl­wol­lenden Porträts. Im Fokus standen neben akti­vi­stisch tätigen Personen meist bürger­liche trans Frauen mitt­leren Alters mit Frau und Kindern.

Dass die Schweiz im Gegen­satz zu anderen Ländern keine syste­ma­ti­schen Zwangs­schei­dungen bei Ände­rung des Geschlechts­ein­trags durch­führte, sorgte dafür, dass es bereits viele Jahre vor der Eheöff­nung einige gleich­ge­schlecht­liche Ehepaare zu verzeichnen gab. Das emotio­nale Erleben der cis Part­ne­rinnen, die nicht auf einmal „lesbisch“ sein wollten, um den „Verlust“ ihres Ehemannes trau­erten, nahm dabei viel Raum ein. Ebenso beliebt waren minu­tiöse Beschrei­bungen von Stimm­lage, Schul­ter­breite, Geschick beim Schminken, der Klei­der­wahl und der Umgang mit Vorur­teilen in männ­lich domi­nierten Berufsfeldern.

Über poli­ti­sche und recht­liche Rahmen­be­din­gungen wie etwa die Forde­rung zur Aufhe­bung des Steri­li­sa­ti­ons­zwangs als Bedin­gungen für die Perso­nen­stands­än­de­rung wurde meist knapp und auch auf bürger­li­cher Seite häufig unauf­ge­regt und sach­lich berichtet. Viel­mehr standen Leidens­druck und Appelle für Tole­ranz im Zentrum der Bericht­erstat­tung. Mit der zuneh­menden Sicht­bar­keit – gerade in Film und Fern­sehen – stieg die Zahl der Beiträge über trans Menschen weiter an.

Auch über trans Kinder und deren Fami­lien wurde noch bis vor Kurzem häufig und positiv in Schweizer Medien berichtet, was heute in Anbe­tracht des ständig präsenten Vorwurfs der Früh­sexua­li­sie­rung von Minder­jäh­rigen durch queere Personen – der etwa vor einem Jahr in der Bedro­hung einer Drag-Vorle­se­stunde durch Neonazis mündete – kaum mehr vorstellbar ist.

Die Qualität der Bericht­erstat­tung steht und fällt schluss­end­lich mit der Redak­ti­ons­linie und der indi­vi­du­ellen jour­na­li­sti­schen Professionalität.

Solange es sich bei trans Personen scheinbar um Einzel­schick­sale gehan­delt hatte, deren Haupt­for­de­rung in Akzep­tanz und Verständnis bestand, zeigten sich die Medien gerne von ihrer tole­ranten Seite. Eine selbst­be­wusste, wach­sende trans Commu­nity aller­dings, die mit eigener Exper­tise und Erfah­rung als Verhand­lungs­part­nerin auf Augen­höhe auftrat und nicht auf Sicht­bar­keit um jeden Preis ange­wiesen war, stellte die etablierte Dynamik auf den Kopf. Die gönner­hafte Haltung, die selbst auf konser­va­tiver Seite verbreitet gewesen war, schlug in eine uner­bitt­liche Angriffs­hal­tung um.

Anstatt ange­sichts dieser Entwick­lung Aufklä­rungs­ar­beit zu leisten und den Abbau der entste­henden Ressen­ti­ments mit ihrer Bericht­erstat­tung proaktiv zu unter­stützen, floss ein Gross­teil der medialen Aufmerk­sam­keit in die uner­müd­liche Produk­tion von Beiträgen über Unis­ex­t­oi­letten und inklu­sive Sprach­leit­fäden. Die Häufig­keit der Beiträge sugge­rierte der Öffent­lich­keit, dass es sich hierbei um die Haupt­an­liegen der Commu­nity handle – und bot durch stets offene und kaum mode­rierte Kommen­tar­spalten Nähr­boden für trans­feind­liche Äusserungen.

Gratis­zei­tungen respekt­voller als Prestigemedien

Ist ein diffa­mie­render Artikel erst einmal veröf­fent­licht, ist die Hand­habe gering. Die Hürden für Bean­stan­dungen bei Ombuds­stellen sind hoch und die Beweis­pflicht nicht leicht zu stemmen. Noch extremer ist der Aufwand bei Pres­se­rats­be­schwerden mit einer langen Reihe von formalen Ansprü­chen und wenig Erfolgs­aus­sicht, selbst bei fehlenden, irre­füh­renden oder fehler­haften Quellen und unhalt­baren Anschuldigungen.

Dieser Miss­stand wird dadurch geför­dert, dass ein Rechts­schutz für trans Personen in der Schweiz weitest­ge­hend fehlt. In die Erwei­te­rung der Anti­ras­sismus-Straf­norm, die nach dem gewon­nenen Refe­rendum von 2020 auch die Diskri­mi­nie­rung aufgrund sexu­eller Orien­tie­rung unter beson­dere Strafe stellt, wurde die Geschlechts­iden­tität trotz starker Bemü­hungen nicht als schüt­zens­wertes Merkmal miteinbezogen.

Die Qualität der Bericht­erstat­tung steht und fällt also schluss­end­lich mit der Redak­ti­ons­linie und der indi­vi­du­ellen jour­na­li­sti­schen Professionalität.

In Sachen respekt­volle und akku­rate Bericht­erstat­tung über Trans schneiden die weniger presti­ge­träch­tigen Gratis­me­dien wie Blick und 20Minuten besser ab, da sie eine höhere Bereit­schaft für Fehler­kor­rektur haben und das Thema viel­fäl­tiger angehen. Viele Leser*innen vom Tages­an­zeiger, der ein histo­risch eher progres­sives Image geniesst, mögen über­rascht sein, dass das ehemals gemäs­sigte Blatt seit Jahren nahezu obsessiv gegen trans Personen anschreibt.

Doch auch die Gratis­me­dien leisten unge­nü­gende jour­na­li­sti­sche Arbeit beim Thema Trans.

So prangte selbst an dem Tag, an dem 20Minuten die Erfolge der haus­ei­genen Initia­tive für verant­wor­tungs­be­wussten Jour­na­lismus feierte, auf der Home­page die Schlag­zeile „Mädchen lassen sich ihre Brüste entfernen – das ist Körper­ver­let­zung“ und schürte einer kleinen, aber äusserst aggres­siven Gruppe, die trans Jugend­li­chen medi­zi­ni­sche Versor­gung verwehren will, eine Plattform.

Sich nicht zu wehren, ist also keine Option für die Queer­com­mu­nity. Denn bleiben die Anschul­di­gungen und Fehl­in­for­ma­tionen unwi­der­spro­chen, wird das Diskurs­klima weiterhin vergiftet. 

Das alles geschah in einem Klima, in dem Ärzt*innen Medi­en­bei­träge aufgrund von Mord- und Gewalt­an­dro­hungen solcher Gruppen zurück­ziehen und dafür etwa vom Tagi ange­pran­gert und unter Verdacht gestellt werden. Bis anhin waren Mediziner*innen gern gese­hene Interviewpartner*innen der Journalist*innen, um trans Menschen zu patho­lo­gi­sieren und hohe Auflagen für bewil­ligte Behand­lungen zu recht­fer­tigen. Fort­schritte in der Zusam­men­ar­beit von Betrof­fenen und Fach­per­sonen führen nun jedoch zu Anfein­dungen und Abwer­tungen des Fach­per­so­nals selbst.

Diese Feind­se­lig­keit wird nicht nur in tenden­ziösen Arti­keln über angeb­liche medi­zi­ni­sche Risiken von Puber­täts­blockern oder in unhalt­baren Behaup­tungen zu über­stürzten medi­zi­ni­schen Inter­ven­tionen geschürt, sondern auch durch aufwie­gelnde Posts der betref­fenden Journalist*innen in den Sozialen Medien. Wie riskant dies ist, sollte aus der Anti-Abtrei­bungs­be­we­gung bekannt und mit dem jour­na­li­sti­schen Ethos unver­einbar sein.

Was getan werden muss

Die Frage, wie dieser medialen Pola­ri­sie­rung begegnet werden kann, bleibt umstritten. Die begrenzten Ressourcen der queeren Commu­nity genügen nicht, um noch stärker auf unter- oder unbe­zahlten Aufklä­rungs­ar­beit ihrer Mitglieder zu setzen und auf ein Umdenken zu hoffen.

Die Outrage-Maschi­nerie von NZZ, Tagi und Co. mit Gegen­dar­stel­lungen zu befeuern, bedeutet eine Teil­habe an diesem Geschäfts­mo­dell und eine riskante Expo­nie­rung für die Aktivist*innen.

Dazu kommt, dass die feind­se­lige Bezie­hung zur Presse rechten und trans­feind­li­chen Gruppen in die Hände spielt, die die Glaub­wür­dig­keit der Presse und öffent­li­cher Insti­tu­tionen unter­graben wollen. Ein erheb­li­cher Vertrau­ens­ver­lust der allge­meinen Gesell­schaft in etablierte Infor­ma­ti­ons­quellen fördert wiederum Verschwö­rungs­theo­rien und rechte Radi­ka­li­sie­rung, was die Situa­tion für queere Personen beson­ders perfide macht.

Es darf kein Zufall sein, ob ein heikles Thema bei einer verant­wor­tungs­be­wussten Person landet oder als Aufreger auf Kosten von Menschen­leben verheizt wird.

Sich nicht zu wehren, ist also keine Option für die Queer­com­mu­nity. Denn bleiben die Anschul­di­gungen und Fehl­in­for­ma­tionen unwi­der­spro­chen, wird das Diskurs­klima weiterhin vergiftet. Erzie­hungs­be­rech­tigte und Fach­per­sonen werden verun­si­chert und einge­schüch­tert – und trans Menschen, beson­ders jungen Alters, bleiben isoliert und verzwei­felt zurück. Die hohen Raten von Arbeits­lo­sig­keit, Obdach­lo­sig­keit, Suizi­da­lität unter trans Menschen, die sich aus der enormen gesell­schaft­li­chen Margi­na­li­sie­rung ergeben, maxi­mieren die unglei­chen Macht­ver­hält­nisse und machen Betrof­fene und Allys erpressbar. „Wenn ihr nicht mit uns redet, dann machen wir die Story halt ohne euch, die Gegen­seite redet immer mit uns“, so die impli­zite oder auch expli­zite Drohung von Journalist*innen.

Aus jour­na­li­sti­scher Sicht bräuchte es eine strin­gente Selbst­ver­pflich­tung zur Einhal­tung ethi­scher Stan­dards und Quali­täts­si­che­rung, auch wenn deren Befol­gung mitunter im direkten Wider­spruch zum inter­ak­ti­ons­ba­sierten und profit­ori­en­tierten Geschäfts­mo­dell steht. 

Es darf kein Zufall sein, ob ein heikles Thema bei einer verant­wor­tungs­be­wussten Person landet oder als Aufreger auf Kosten von Menschen­leben verheizt wird.

In dem Zusam­men­hang scheint es unab­dingbar, dass die Einfor­de­rung von verant­wor­tungs­be­wusster und würde­voller Bericht­erstat­tung nicht allein auf den Betrof­fenen lastet, sondern von einem soli­da­ri­schen Netz­werk an gleich­ge­sinnten Orga­ni­sa­tionen, Insti­tu­tionen und Indi­vi­duen getragen wird, die eine syste­ma­ti­sche Reform der Branche verlangen und ermöglichen.


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