Es ist geschehen: Donald Trump wird im Januar ins Weisse Haus zurückkehren, was – das muss man ihm zugestehen – einem der bemerkenswertesten politischen Comebacks der jüngeren amerikanischen Geschichte gleichkommt.
Trotz seiner katastrophalen Corona-Politik, einer demütigenden Niederlage gegen Joe Biden im Jahr 2020 und dem clownesken Spektakel am 6. Januar 2021, hat der karikaturhafte Avatar des kleinbürgerlichen Ressentiments seinen Thron zurückerobert – und laut dem vorläufigen Ergebnis, eine stabile Mehrheit hinter sich.
Wie vor acht Jahren werden in den meisten politischen Kommentaren, die in den kommenden Stunden und Tagen erscheinen werden, verschiedene Bevölkerungsgruppen für Trumps Wiederaufstieg verantwortlich gemacht werden: heterosexuelle weisse Männer über 50, die die Vorstellung einer Schwarzen Präsidentin nicht ertragen konnten; weisse Frauen, deren Feminismus schon immer blind gegenüber Race und Klasse war; oder einfach zig Millionen unbelehrbare Plebejer, die wohlwissend für einen offenen Faschisten gestimmt haben.
Doch auch wenn solche Erzählungen sicherlich auch einen wahren Kern haben (in den USA gibt es zweifelsohne einen beachtlichen Anteil an rassistischen Weissen) und auch wenn das Ergebnis für überzeugte Anhänger*innen der Demokraten ohne Frage bestürzend ist, so halten diese Erklärungen den Fakten nicht stand.
Denn Trump scheint seinen Stimmenanteil in praktisch jeder demografischen Gruppe erhöht zu haben. Auch unter der afroamerikanischen und lateinamerikanischen Bevölkerung und unter Frauen hat er zugelegt. Harris hingegen scheint in den meisten entscheidenden Bundesstaaten schlechter abgeschnitten zu haben als Biden vor vier Jahren, insbesondere in Michigan, wo Bidens Unterstützung für Israels Vernichtungskrieg in Gaza Harris möglicherweise den Sieg gekostet hat.
Vor diesem Hintergrund betrachtet, scheint das Ergebnis der Präsidentschaftswahl weniger ein durchschlagender Sieg der Republikaner zu sein. Es ist vielmehr das Ergebnis der aufgestauten Frustration der US-amerikanischen Arbeitnehmer*innen über ihre wirtschaftliche Situation unter der vorangegangenen demokratischen Regierung.
Die selbstmörderische Entscheidung, mit Harris’ Wahlkampf genau die Art von Kampagne zu wiederholen, mit der die Demokraten schon 2016 Trump unterlegen waren, dürfte ihr Übriges getan haben. Harris versprach, nicht Trump zu sein. Aber es scheint, dass Trumps Versprechen, nicht Harris zu sein, mehr Wähler*innen überzeugt hat.
Wieder auf das falsche Pferd gesetzt
Auch wenn Trumps Sieg nicht als eindeutige Befürwortung des Faschismus durch die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung gewertet werden sollte, so lässt sich doch nicht leugnen, dass seine Botschaft im Laufe des Wahlkampfs immer düsterer wurde – sein Rassismus und seine Frauenfeindlichkeit traten deutlich zutage, seine persönlichen Angriffe gegen seine Gegner wurden bösartiger, seine apokalyptische Darstellung vom moralischen und wirtschaftlichen Verfall der Vereinigten Staaten wurde finsterer.
Er appellierte erfolgreich an die niedrigsten Instinkte und setzte darauf, dass Angst und Ressentiment mehr Menschen mobilisieren würden als Harris’ abstrakte Appelle zur Rettung der amerikanischen Demokratie – eine Aufforderung, die für Millionen Amerikaner*innen, deren Einkommen kaum ausreicht, um die Miete zu bezahlen und Essen auf den Tisch zu bringen, besonders hohl klingt.
Trumps Erzählung, obwohl moralisch verwerflich und oft von der materiellen Realität losgelöst, identifizierte klare Feinde und versprach, „mit ihnen fertig zu werden“ – mit allen Mitteln. Seit er vor fast einem Jahrzehnt die politische Bühne betrat, hat sich Trump erfolgreich als Verfechter der amerikanischen Arbeiter*innenklasse inszeniert, der gegen eine verlogene politische Elite kämpft, die die Regierung, die Medien, die Universitäten und die Finanzwelt kontrolliert.
Dass er selbst ein korrupter Milliardär mit vielen Milliardärsfreunden ist, spielt in der zynischen Welt der amerikanischen Politik kaum eine Rolle – durch Affekt und sein seltsames Charisma hat Trump es wieder einmal geschafft, sich als der Anti-Elite-Kandidat bei dieser Wahl zu verkaufen und als die einzige Möglichkeit, Unzufriedenheit mit dem Status quo auszudrücken.
Aber woher kommt diese Unzufriedenheit? Die Antwort ist immer wieder dieselbe: die Wirtschaft. Es stimmt, dass die US-Wirtschaft auf dem Papier recht gut dasteht. Es gibt Lohnerhöhungen und Wachstumsraten, die allen Wirtschaftsliberalen Tränen in die Augen treiben würden. Aber in den meisten Teilen des Landes wurde dieses Wachstum von einer Inflation und Preiswucher übertroffen.
Seit Bidens Präsidentschaft sind allein die Preise für Lebensmittel um 25 Prozent gestiegen, auch die Mieten haben sich um einen ähnlichen Betrag erhöht. Fast die Hälfte der Amerikaner*innen hat keinerlei Rücklagen für unerwartete Notfälle oder um ein paar Monate der Arbeitslosigkeit zu überbrücken.
Trotz des ganzen Hypes um die boomende Wirtschaft hat die amerikanische Arbeiter*innenklasse das Gefühl, dass es ihnen schlechter geht als vor der Pandemie, weil dies schlicht stimmt: Gemessen an Realeinkommen hatten die meisten arbeitenden Menschen am Monatsende unter Trump tatsächlich ein bisschen mehr übrig als unter Biden.
Insgesamt war die wirtschaftliche Lage unter Trump vielleicht nicht viel besser und seine Steuer- und Ausgabenpolitik wird nur noch mehr Elend für die Arbeiter*innenklasse verursachen. Aber in einem Zweiparteiensystem, in dem sich keine Partei traut, von dem neoliberalen Glaubenssatz abzuweichen, scheinen Trumps Versprechen, „illegale“ Migrant*innen auszuweisen, hohe Zölle auf chinesische Importe zu erheben und Regulierungen abzubauen, für viele Menschen überzeugender zu sein.
In dieser Situation mussten die Demokraten eine Entscheidung treffen: Setzen sie auf die gescheiterte Strategie von 2016 und positionieren sich als Partei der breiten Mitte und Verteidigerin der Institutionen oder versuchen sie, Trump von links zu überholen, indem sie eine wirtschaftspopulistische Botschaft verbreiten, Trumps Steuersenkungen für Milliardäre anprangern und versprechen, die unter Biden begonnenen Infrastrukturinvestitionen zu erweitern und auszubauen?
Tragischerweise entschieden sie sich für eine Neuauflage von 2016 und verbrachten die letzten Monate des Wahlkampfs damit, einen republikanischen Trump-Kritiker nach dem anderen sprechen zu lassen – ganz so, als ob unentschlossene Wählerschichten für die Demokraten stimmen würden, wenn mehr Kriegsverbrecher wie Dick Cheney eine Wahlempfehlung für Harris aussprechen.
Politisch gesehen hat Harris den Sommer damit verbracht, einen progressiven Vorschlag nach dem anderen über Bord zu werfen, sich ihre Wirtschaftspolitik von Partei-Insidern und Wall-Street-Beratern diktieren zu lassen und sogar bizarre Annäherungsversuche an die Krypto-Industrie zu unternehmen. Die Art von links-sozialdemokratischem, populistischem Wahlkampf, die Bernie Sanders vorgemacht hat und die die Biden-Kampagne zumindest teilweise nachahmen wollte, war nirgends zu finden.
Bedeutet dies, dass Bernie damals gewonnen hätte, wie viele Linke nicht müde werden anzumahnen?
Das werden wir nie erfahren. Aber diese Einsicht weist einen möglichen, wenn auch schmalen Weg, aus der Sackgasse, in die sich die Demokraten hineinmanövriert haben: Es braucht eine breite linke Koalition, die versucht, die diffuse Anti-Elite-Stimmung der Amerikaner*innen in eine Art Populismus zu kanalisieren, der eher nach oben als nach unten zielt, und der versucht, den Mächtigen die Macht zu nehmen, anstatt die Machtlosen zu Opfern zu machen.
Die Harris-Kampagne hat trotz all ihrer rhetorischen Floskeln über Chancen und Fortschritt nie auch nur einen ernsthaften Versuch unternommen, genau das zu tun. Das Ergebnis werden weitere vier Jahre des sich beschleunigenden zivilisatorischen Niedergangs und des realen, materiellen Schmerzes sein.
Sie bewegt sich doch
Für das liberale Kommentariat in Deutschland ist die Wahl in den USA ein absoluter Albtraum. Seit der Wahl Bidens im Allgemeinen und der russischen Invasion in der Ukraine im Besonderen haben weite Teile des liberalen (und sogar nominell linken) Establishments ihre Liebe für das transatlantische Bündnis mit Washington an der Spitze wiederentdeckt.
Mit Trump im Weissen Haus ist dieses ohnehin schon wackelige ideologische Kartenhaus in sich zusammengefallen. Bald werden Spiegel-Journalisten zweifellos wortreich von der Notwendigkeit sprechen, die deutsche Unabhängigkeit von den USA zu stärken – eine Meinung, die gestern noch als Wagenknechtsche Angstmacherei verspottet worden wäre.
Aller Wahrscheinlichkeit nach werden die politischen Geschäfte auf beiden Seiten des Atlantiks, sobald sich der Staub gelegt hat, mehr oder weniger ungestört weiterlaufen, genau wie im Jahr 2016. Tatsache ist, dass die Vereinigten Staaten zu mächtig und zu grundlegend für das Funktionieren des globalen Kapitalismus sind, als dass sich die Dinge ändern könnten.
Trump, der von den Demokraten noch vor wenigen Tagen als Faschist angeprangert wurde, wird vom politischen Establishment als legitimer Wahlsieger akzeptiert und friedlich ins Amt eingeführt werden. Internationale Staatsoberhäupter, ob sie ihn persönlich mögen oder nicht, werden ihre Glückwünsche übermitteln und die Beziehungen wie gewohnt fortsetzen.
Die diplomatischen Bemühungen zur Bekämpfung des Klimawandels werden zweifellos darunter leiden, und die militärische Unterstützung für die Ukraine könnte gekürzt werden. Die Zerstörung des Gazastreifens wird weitergehen, nun gebilligt durch eine republikanische Partei, die ethnische Säuberungen in Palästina begrüßt und ein Weißes Haus, das sich nicht mehr darum kümmert, ob das nun mit dem Bekenntnis zu Menschenrechten vereinbar ist oder nicht.
Ähnlich wie die Klimakrise wird auch Trumps zweite Amtszeit kein apokalyptischer Ausbruch sein, sondern eher eine allmähliche und sich stetig verschlimmernde Verschlechterung. Die Armen werden ärmer werden, die Behandlung von Migrant*innen wird rauer werden, die Zerstörung der Umwelt wird sich beschleunigen, und der neue Kalte Krieg mit China wird heisser werden. Nichtsdestotrotz ist es sehr wahrscheinlich, dass die Wähler*innen im Jahr 2028 der Trump-Show einmal mehr überdrüssig sein werden und sich dafür entscheiden, einem anderen unbedarften Demokraten eine Chance im Weissen Haus zu geben.
Könnte es also in vier Jahren anders ausgehen?
Wenn es nach dem Willen der Milliardäre geht, die beide Parteien kontrollieren, dann sicher nicht. Aber es ist noch gar nicht so lange her, dass die Kampagne von Bernie Sanders kurzzeitig einen anderen Weg nach vorne aufzeigte – einen Weg, der bedeutete, sich mit den Ultrareichen anzulegen, anstatt ihnen entgegenzukommen, und eine klassenbasierte Koalition über kulturelle Grenzen hinweg aufzubauen.
Ein paar Demokraten, die diese Art von Politik verkörpern, wie die palästinensisch-amerikanische Abgeordnete Rashida Tlaib, wurden gestern Abend wiedergewählt. Aber sie bleiben einsame Stimmen der Vernunft innerhalb eines liberalen Establishments, das lieber dabei zuschaut, wie Trump alles niederbrennt, als sich mit den grundlegenden Ungleichheiten auseinanderzusetzen, auf denen ihre Macht beruht.
Dieser Text wurde in leicht abgewandelter Form zuvor im Jacobin veröffentlicht.