Von bren­nenden Lungen, belei­digten Staats­chefs und dem bedrohten Nashorn

Während der Amazo­nas­re­gen­wald in Flammen steht, flüchten sich Jair Bolso­naro und Emma­nuel Macron in gegen­sei­tige Vorwürfe. An der Arten­schutz­kon­fe­renz in Genf wurde derweil am Handels­verbot mit Nashorn­horn fest­ge­halten, während Trump laut darüber nach­denkt, Alaska zu roden. Was diese Ereig­nisse gemeinsam haben? Mehr als uns allen lieb sein dürfte. 
Bilder wie dieses schockieren. Um vom Aussterben bedrohte Tierarten zu schützen reicht es jedoch nicht, nur Verkaufsverbote zu verhängen. (c) Slices of Light via Flickr.

Nur wenig rührt uns so fest wie die Bilder von gequälten oder leidenden Tieren (ausser viel­leicht bren­nende goti­sche Kathe­dralen). Nicht verwun­der­lich also, ist ein ange­ko­kelter, auf den Hinter­beinen stehender und abge­kämpfter Amei­senbär momentan sinn­bild­lich für die Feuer­hölle im Amazo­nas­ge­biet.

Die globale Aufmerk­sam­keit für den Brand ist mitt­ler­weile gross, die Mitleids­be­kun­dungen und Gebete zahl­reich. Auch wenn #Pray­forA­mazon wohl nur mittel­mässig hilf­reich sein dürfte, so verdeut­licht die grosse Social-Media-Soli­da­rität immerhin: Das Thema ist ange­kommen. Und wenn es einen Hashtag zu einem Thema gibt, geht es nicht lange, bis es auch auf der ganz grossen poli­ti­schen Bühne disku­tiert wird.

Zum Ende des G7-Gipfels im fran­zö­si­schen Biar­ritz haben sich die anwe­senden Staaten unter der Leitung von Emma­nuel Macron auf eine finan­zi­elle Unter­stüt­zung zur Brand­be­kämp­fung im brasi­lia­ni­schen Teil des Amazo­nas­ge­bietes geei­nigt. Doch noch bevor aufge­atmet werden konnte, sagte Brasi­liens faschi­sti­scher Präsi­dent Jair Bolso­naro „não!” – nein. Die finan­zi­elle Unter­stüt­zung der west­li­chen Geld­ge­be­rinnen wolle er nicht, denn diese sei kolo­nia­li­stisch und ein Schlag ins souve­räne Gesicht Brasi­liens. Viel lieber, so Bolso­naro, sollten sich die G7-Staaten um den Umwelt­schutz auf den eigenen Konti­nenten kümmern und etwa die Wälder in Europa wieder auffor­sten, als die südliche Hemi­sphäre weiter zu bevormunden.

Das Entsetzen war gross. Das Unver­ständnis noch grösser. Bolso­naro doppelte nach und sagte, man werde die Hilfe even­tuell annehmen – aber zuerst müsse sich Macron für dessen über­heb­liche Art persön­lich bei ihm entschul­digen. Wäre die Szene nicht so tragisch machoid und pubertär, wäre sie saulustig.

Doch Bolso­naro kann nicht darüber lachen. Der Präsi­dent Brasi­liens, das den grössten Teil des Amazo­nas­ge­biets behei­matet und nicht Teil der G7 ist, fühlte sich von den G7-Staaten zur „Kolonie” degra­diert, wie er über Twitter verlauten liess. Er fühle sich in der Debatte um die Brände des Amazonas über­gangen. Es werde über seinen Kopf hinweg entschieden.

Der eine will schützen, der andere zerstören und der Rest grinst etwas beläm­mert? So einfach ist es leider nicht. © The White House via Flickr

Von US-Präsi­dent Donald Trump erhielt Bolso­naro derweil Unter­stüt­zung. Bolso­naro leiste „einen gross­ar­tigen Job für das brasi­lia­ni­sche Volk – nicht leicht”, schrieb Trump am Dienstag auf Twitter, und zog wohl seine ganz eigenen Schlüsse aus dem Buben­zank zwischen Bolso­naro und Macron: Der US-Präsi­dent liess Ende August verlauten, er erwäge, das Rodungs­verbot für den Regen­wald Alaskas aufzuheben.

Wenig­stens die Nashörner können aufatmen

Szenen­wechsel: Vor einigen Tagen ging in Genf die inter­na­tio­nale Arten­schutz­kon­fe­renz – genauer: die „Konfe­renz zum Handel mit bedrohten Tier- und Pflan­zen­arten” – zu Ende. An der alle drei Jahre statt­fin­denden Konfe­renz wird jeweils neu ausge­han­delt, welche Arten besseren Schutz brau­chen und wo Handels­ver­bote gelockert werden können. Disku­tiert wurde in diesem Jahr unter anderem über einen Antrag des kleinen und maus­armen König­reichs Eswa­tini (vormals Swasi­land). Eswa­tini forderte, die Rest­be­stände der Nashorn­hörner, welche in Lager­hallen aufbe­wahrt werden, verkaufen zu dürfen.

Für Nashorn­horn gilt seit rund 40 Jahren ein welt­weites Handels­verbot. Der Antrag wurde deut­lich abge­schmet­tert. Für Eswa­tini ist der Beschluss eine grosse Nieder­lage, wäre mit dem ‚Reste­aus­ver­kauf’ doch ein globaler Markt zu bedienen und somit etwas Geld in die Staats­kassen zu spülen möglich gewesen.

Expert*innen fürchten sich jedoch davor, dass ein solcher ‚Ausnah­me­be­schluss’ die Nach­frage deut­lich erhöhen und somit auch den Schwarz­markt und Wilderei wiederum befeuern würde.

Es ist also kompli­ziert. Das Argu­ment der Expert*innen ist sicher­lich gerecht­fer­tigt. Aber der Beschluss ist dennoch ein gutes Beispiel für die Kontrolle, die wirt­schaft­lich starke Länder über das Schicksal von klei­neren und wirt­schaft­lich schwä­cheren Staaten ausüben. Was wiederum eng mit der anhal­tende Ausbeu­tung der Länder des globalen Südens durch den Westen – und damit mit kolo­nialem Erbe verknüpft ist.

Hat einer wie Bolso­naro also doch recht, wenn er sagt, die Staaten des globalen Nordens, des Westens und der Sonnen­seite des globalen Kapi­ta­lismus sollten sich zurück­nehmen mit Empfeh­lungen für Arten- und Klima­schutz? Viel­leicht. Aber es ist eben kompliziert.

Auf der einen Seite ist da, wie ein Damo­kles­schwert über allen Volks­wirt­schaften, die wich­tigste Prämisse des globalen Kapi­ta­lismus: Wachstum. Mit Handel und der Einbin­dung möglichst aller Staaten in dieses System, so das Argu­ment, werde deren Entwick­lung geför­dert. Und Entwick­lung wird erwartet. Auch oder beson­ders von den Ländern des globalen Südens, den soge­nannten Entwick­lungs- (Eswa­tini) oder Schwel­len­län­dern (Brasi­lien).

Wenn Länder wie Eswa­tini versu­chen, mit den wenigen Möglich­keiten, die sich ihnen bieten, sich am inter­na­tio­nalen Waren­handel zu betei­ligen, werden sie von der besorgten Welt­ge­mein­schaft zurück­ge­pfiffen, da die zu handelnde Ware ethisch nicht vertreten werden will. Souve­räne Staaten zerstören die ‚eigene’ Umwelt, roden die ‚eigenen’ Wälder und töten die einhei­mi­schen Tiere, um schluss­end­lich auf dem globalen Welt­markt Gewinne zu erzielen oder Jobs zu sichern, die aufgrund des globalen Tief­lohn- und Konkur­renz­wett­laufs unter Druck geraten.

Was national zerstört oder nicht geschützt wird, hat jedoch global verhee­rende Folgen, die ‚uns alle’ betreffen. Und somit werden die souve­ränen Staaten von inter­na­tio­nalen Orga­ni­sa­tionen zur Raison gemahnt, finan­ziell unter­stützt oder mit Sank­tionen belegt – was den souve­ränen Staaten wiederum als Einmi­schung in innere Ange­le­gen­heiten oder kolo­nia­li­sti­sches Getue sauer aufstösst.

Kurz: Wenn Macron das Amazo­nas­ge­biet als „Gemeingut” bezeichnet, hat er recht. Wenn Bolso­naro aber sagt, das sei eine Eimi­schung in seinen staat­li­chen Souverän, hat er eben auch recht. Genauso wie auch Eswa­tini, das nicht versteht, was falsch daran sein sollte, mit dem ‚Reste­aus­ver­kauf’ an Nashorn­horn etwas in die Staats­kassen zu spülen.

Hundert­tau­sende von Menschen in Eswa­tini sind auf das Welt­ernäh­rungs­pro­gramm der UN ange­wiesen. Die kleine Monar­chie liegt ökono­misch am Boden, und auch der Handel mit Nashorn­horn würde dem Land nicht nach­haltig helfen. Aber solange dieses unglaub­liche Wohl­stands­ge­fälle bestehen bleibt, wird das Land versucht bleiben, aus seinen Natur­schätzen Kapital zu schlagen. Verständlicherweise.

Umwelt­schutz lässt sich nicht unab­hängig von ökono­mi­schen Fragen betrachten. Es ist kein Zufall, dass der Schutz bedrohter Tier­arten einzig und allein über die Regu­lie­rung des Handels defi­niert wird.

Satel­li­ten­bild der Amazo­nas­brände vom August 2019. (Wiki­com­mons)

Eine hämi­sche Summe

Wenn die Klima­ju­gend „System Change not Climate Change” skan­diert, dann wird sie dafür verlacht. Aber wer denkt, dass zwischen gebeu­telten Ländern des globalen Südens, immensen Wohl­stands­ge­fällen und dem fort­schrei­tenden Unter­gang unserer Umwelt kein Zusam­men­hang besteht, ist schlichtweg naiv.

Jair Bolso­naro liess vergan­gene Woche verlauten, ein 60 Tage währendes Brand­ro­dungs­verbot für den brasi­lia­ni­schen Teil des Amazo­nas­re­gen­waldes zu verhängen. Die von den G7 an Brasi­lien ange­bo­tene Sofort­hilfe – Bolso­naro foutiert sich weiterhin um deren Annahme – beträgt übri­gens 18 Millionen Euro. Der dies­jäh­rige G7-Gipfel in Biar­ritz kostete gemäss Schät­zungen 36,4 Millionen Euro. Frank­reichs Präsi­dent Emma­nuel Macron zeigt sich sehr stolz auf diesen Betrag. Schliess­lich sei das rund elf Mal weniger, als der letzte G7-Gipfel in Kanada geko­stet habe.

Das BIP pro Kopf im König­reich Eswa­tini beträgt 3’224.39 USD. Dasje­nige Frank­reichs 38’476.66 USD und dasje­nige der Schweiz 80’189.70 USD.

Natür­lich ist dieser Zahlen­ver­gleich zynisch. Eine Umwelt- und Arten­schutz­po­litik, wie sie derzeit auf inter­na­tio­naler Bühne betrieben wird, ist es aber auch.


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