Was die Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive wirk­lich bringt

Nicht abzu­stimmen, ist auch ein Methode, nein zu sagen. Beson­ders bei Initia­tiven mit lang­fri­stigen und schwer zu bezif­fer­baren Zielen, kann Desin­ter­esse zu einem Problem werden. Darum hier sechs Beispiele, die helfen, das Inter­esse an der Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive wieder zu befeuern. 
Symbolbild (Patrick Hendry / unsplash)

Die Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive (KVI) wirkt sich weniger direkt auf das Leben in Zürich aus als neue Velo­wege oder ein Stadion auf der alten Brache. Viele Ergeb­nisse werden sich erst in Jahren zeigen. Und vor allem: in weit entfernten Ländern. Es besteht die Gefahr, dass das Bewusst­sein für die Dring­lich­keit der KVI zwischen Lock­down-Angst und Masken­dis­kus­sion zerrieben wird – was am Ende dazu führen könnte, dass das entschei­dende Prozent der Wähler*innen bei der Abstim­mung am 29. November zu Hause bleibt.

Umso wich­tiger ist es jetzt, die zwar weniger unmit­tel­bare, aber nicht weniger grosse Dring­lich­keit der KVI darlegen zu können. Am besten funk­tio­niert das über konkrete Fall­bei­spiele. Wir haben sechs kurze Erzäh­lungen zur direkten Auswir­kung der KVI gesam­melt – als Argu­men­ta­ti­ons­hilfen in der Ausein­an­der­set­zung mit weniger Überzeugten.

1) Glen­cores Kupferfabrik

Wenn die KVI ange­nommen wird, könnte es in der Schweiz zu einem Prozess gegen den Rohstoff­kon­zern Glen­core kommen. Momentan muss der Prozess noch in Sambia mit sambi­schen Steu­er­gel­dern geführt werden, weil Glen­core dort eine Kupfer­fa­brik betreibt. Die Fabrik setzt so viel Schwe­fel­di­oxid frei, dass die Werte teil­weise 70-fach über dem von der WHO empfoh­lenen Anteil von 20 Mikro­gramm pro Kubik­meter Luft liegen. In der nahe gele­genen Stadt und beson­ders in einer Schule häufen sich die Asth­ma­fälle. Eine bekannte Poli­ti­kerin ist bereits gestorben, woraufhin ihre Ange­hö­rigen Glen­core verklagten. Die Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive kann dazu beitragen, zukünf­tige Prozesse gewis­ser­massen nach Hause in die Schweiz zu holen, also dorthin, wo die Verursacher*innen leben und arbeiten.

2) Lafar­ge­Hol­cims Kalksteinbruch

Mehr als die Hälfte des Zements, der in der Schweiz vermauert wird, stammt von der Schweizer Firma Lafar­ge­Holcim. Sie lässt ihn unter anderem von einer Toch­ter­ge­sell­schaft in dem nige­ria­ni­schen Dorf Ewekoro produ­zieren. Der bei der Produk­tion und beim Abbau im Kalk­stein­bruch entste­hende Staub hängt dick in der Luft, legt sich auf Klei­dung, auf Haare und Haut nieder. Über Atem­luft und Trink­wasser gelangt der Staub in den Körper, wo er zu Leber‑, Lungen- und Milz­schäden führen kann. Nach einem Ja zur KVI könnten die Bewohner*innen von Ewekoro vor einem Schweizer Gericht Scha­den­er­satz einfordern.

3) Nestlé und die Kinderarbeit

Gegen den Konzern Nestlé wird immer wieder der Vorwurf laut, er verar­beite Rohstoffe, die mit Kinder­ar­beit geför­dert wurden, etwa Kakao, Palmöl und Kaffee. Nestlé hat verspro­chen, das Problem genauer zu unter­su­chen, damit Kinder­ar­beit in Zukunft ausge­schlossen werden kann. Dieses Verspre­chen wurde gebro­chen. Die KVI würde es Kinderarbeiter*innen und ihren Vertreter*innen erleich­tern, vor Schweizer Gerichten zu klagen, um Nestlé neben einem einfa­chen Verspre­chen auch die Pflicht abzu­ringen, die eigene Produk­tion fair zu gestalten und besser zu überwachen.

4) Die Skan­dale der Pharmariesen

Wir befinden uns in der grössten Gesund­heits­krise der jüngeren Geschichte. Gerade jetzt wäre es wichtig, sich darauf verlassen zu können, dass Medi­ka­mente sicher und fair produ­ziert werden. Sollte ein Corona-Impf­stoff kommen, muss er trans­pa­rent entwickelt, geprüft und herge­stellt werden können, um auf breite Akzep­tanz zu stossen. Im Moment ist das aber alles andere als garan­tiert. Die beiden Schweizer Phar­ma­riesen Novartis und Roche sind in mehrere Skan­dale invol­viert – und weigern sich, zur Aufklä­rung beizu­tragen. So wurde zum Beispiel das Novartis-Mittel Vals­artan, das blut­druck­sen­kend wirkt, zu Studi­en­zwecken Kindern in Indien verab­reicht. Einige von ihnen starben. Und der Konkur­rent Roche ließ das Medi­ka­ment Cell­Cept, das bei Organ­trans­plan­ta­tionen verwendet wird, in China testen, wo nach­weis­lich Organe von Hinrich­tungs­op­fern für medi­zi­ni­sche Expe­ri­mente verwendet werden. Die Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive würde den beiden Unter­nehmen mehr Klar­heit abverlangen.

5) Glen­cores Ölfeld

Noch einmal Glen­core: Der Rohstoff­kon­zern unter­hält im Süden des Tschad ein Ölfeld mit einem Auffang­becken für giftiges Abwasser. Der Damm des Beckens war für die Bela­stung während der Regen­zeit nicht ange­messen konstru­iert und brach im September 2018 ein. Das Abwasser ergoss sich in den Fluss Nya Pende. Das Gift tötete Fische, Kühe, Schafe und Ziegen und verur­sachte groß­flä­chige Haut­ver­ät­zungen bei badenden Kindern. Mit einer erfolg­rei­chen Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive im Rücken könnten die Menschen im Tschad Glen­core auf Scha­den­er­satz verklagen und dazu verpflichten, in Zukunft – im Tschad genauso wie in anderen Teilen der Welt – höhere Baustan­dards einzuhalten.

6) Und viele mehr

Neben den vielen grossen Skan­dalen gibt es zahl­reiche weitere Beispiele für verant­wor­tungs­loses Handeln schwei­ze­ri­scher Konzerne im Ausland. Etwa dass Schweizer Phar­ma­firmen Wirk­stoffe für die Anti­bio­ti­ka­pro­duk­tion aus Indien beziehen. Dort werden in der Stadt Hyde­r­abad Anti­bio­ti­ka­werte im Wasser gemessen, die die vorge­schla­genen Grenz­werte um das 100- bis 1000-fache über­schreiten. Oder dass lokale Bäuer*innen, die gegen eine Glen­core-Mine bei Anta­paccay in Peru demon­strierten, von Sicher­heits­per­sonal ange­griffen und geschlagen wurden. Die KVI würde einen neuen Hebel im Kampf gegen solche Vergehen bieten. Und vielen von ihnen über­haupt erst Aufmerk­sam­keit zuteil­werden lassen.

Bei der KVI geht es schliess­lich auch darum, ein insge­samt trans­pa­ren­teres Welt­han­dels­sy­stem zu schaffen. Womit wir wieder bei der Frage wären: Was bringt mir das Ganze? Nahezu alle beschrie­benen Fälle werden auf kurze oder lange Sicht auch einen Einfluss auf unser Leben in der Schweiz haben. Sei es, weil Anti­bio­tika nicht mehr wirken oder weil Abgase in der Luft zum Klima­wandel beitragen.

Was die Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive diesen globa­li­sierten Gefahren entge­gen­hält? Soli­da­rität. Mit einem kleinen Ja auf dem Stimm­zettel am 29. November kann ich mich zu dieser Soli­da­rität bekennen – und sie stärken. Es wäre ein Ergebnis, das uns schliess­lich allen zugutekäme.


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