Was Hoff­nung macht

Was stimmt uns in dieser von Krisen gezeich­neten Welt opti­mi­stisch? Unser Kolum­nist schreibt, warum wir nicht aufgeben dürfen. 
Immerhin die eine Sache, die Hoffnung macht. (Bild: Christian Lue / Unsplash)

Es ist bereits Nach­mittag, als ich endlich eine neue Datei in meinem Schreib­pro­gramm einrichte und sie mit dem Titel der Kolum­nen­folge beschrifte: „Was Hoff­nung macht“. Seit Stunden laviere ich um diesen Text herum und frage mich, warum ich das Thema über­haupt vorge­schlagen habe. Ich kenne die Antwort. Ich wollte über Hoff­nung schreiben, weil sie in meinem eigenen Leben und in meinem Blick auf die Welt meist viel zu kurz kommt. Damit bin ich natür­lich nicht allein.

Wenn David gegen Goliath antritt, hat er dann die Hoff­nung, den Kampf zu gewinnen oder kämpft er mit dem Mut der Verzweif­lung? Was bedeutet Hoff­nung und wie lässt sie sich von anderen Gefühlen unterscheiden?

Am vergan­genen Wochen­ende war ich mit meiner Mutter auf Recher­che­reise für einen Roman. An einem der Tage besuchten wir das Konzen­tra­ti­ons­lager Sach­sen­hausen, wo mein Gross­vater als poli­ti­scher Gefan­gener inter­niert war. Wir liefen am Erschies­sungs­graben vorbei, indem Zehn­tau­sende Häft­linge hinge­richtet wurden, vorbei an den Grund­mauern der Gaskam­mern und Genickschussanlagen.

„David gegen Goliath“ ist hier Programm: Olivier David gegen die Goli­aths dieser Welt. Anstatt nach unten wird nach oben getreten. Es geht um die Lage und den Facet­ten­reichtum der unteren Klasse. Die Kolumne dient als Ort, um Aspekte der Armut, Preka­rität und Gegen­kultur zu reflek­tieren, zu bespre­chen, einzu­ordnen. „David gegen Goliath“ ist der Versuch eines Schrei­bens mit Klas­sen­stand­punkt, damit aus der Klasse an sich eine Klasse für sich wird. Die Kolumne erscheint eben­falls als Newsletter.

Von Würde und Hoffnung

In einer Baracke, die wir uns anschauten, waren exem­pla­risch die Geschichten von Inhaf­tierten proto­kol­liert. Auf einer Tafel wurde von dem Wider­stand einer Gruppe luxem­bur­gi­scher Poli­zi­sten berichtet, die im Ange­sicht des Todes die SS-Soldaten angriffen. Niemand von ihnen hat über­lebt. Die mit dem Mut der Verzwei­felten unter­nom­mene Aktion schlug fehl.

Hatten diese Poli­zi­sten die Hoff­nung, entkommen zu können – oder, was reali­sti­scher ist, wussten sie von der Ausweg­lo­sig­keit ihrer Gegen­wehr? Ich glaube, man kann die Würde eines Menschen und seine Selbst­be­stim­mung nicht trennen von der Idee der Hoffnung.

Diese Poli­zi­sten haben mehr vertei­digt als ihr eigenes Leben. Sie standen für den Glauben ein, es besser haben zu dürfen. Ihr Heldenmut spendet anderen Menschen bis heute Hoff­nung. Und diese Hoff­nung, sie hat auch mit der jetzigen Situa­tion zu tun, die zwei­fellos noch viele barba­ri­sche Akte von jener Zeit entfernt ist.

Hier eine kurze und unvoll­stän­dige Liste der Dinge, die mir Hoff­nung spenden, in einer Zeit, in der haufen­weise Menschen um mich herum von sich sagen, dass sie ange­sichts des Rechts­rucks, des Klima­wan­dels und der Kriege in der Welt glauben, dass die Welt unauf­haltsam den Bach runtergehe.

Geschichte wird von Gewinner*innen geschrieben

1. Als meine Mutter und ich auf dem Weg hinaus aus dem Konzen­tra­ti­ons­lager waren, sagte ich in die betrof­fene Stille hinein, dass dies ein guter Tag sei. „Hätte Hitler gesiegt, wären wir nicht hier. Dass wir hier sind, bedeutet, er hat verloren.“ Meine Mutter nickt und ich denke, es stimmt: Die Gewinner*innen schreiben die Geschichte – und manchmal, da gewinnen die Richtigen.

3. Zu hören, wie mein Vater am Telefon weint, nachdem er das Ende meines Buches gelesen hat, das vor seiner Veröf­fent­li­chung steht. Zu hören, dass er das erste Mal in den fünf­und­dreissig Jahren meines Lebens weint, macht mir Hoff­nung. Ich könnte den Umstand genauso gut proble­ma­ti­sieren, ihn erklären mit männ­li­cher Sozia­li­sa­tion, mit der fran­zö­si­schen Ausprä­gung des Patri­ar­chats. Aber heute entscheide ich mich, darin Hoff­nung zu sehen.

Wenn Hoff­nung da ist, muss von ihr berichtet werden, denn wer hofft, der hat noch nicht aufgegeben.

4. Noch mal mein Vater, entschul­digt seine Präsenz in diesem Text. Wie er am Telefon sagt, er will sich endlich um einen Eintrag ins Wahl­re­gi­ster bemühen, weil er einen Kandi­daten gefunden hat, der ihm zusagt. Wie ich Sorge bekomme, es könnte ein Rechter sein. Wie er sagt, er will den Vorsit­zenden der kommu­ni­sti­schen Partei wählen, weil der nicht sei wie die anderen Politiker*innen, sondern echt – und er wähle ihn auch nur, weil es aussichtslos sei, dass er an die Macht käme.

Hoff­nung für psychi­sche Gesundheit

5. Hoff­nung empfinden als Möglich­keit, psychisch gesund zu bleiben. Denn was wartet in der Hoff­nungs­lo­sig­keit ausser Selbst­auf­gabe, Frustra­tion, Stagna­tion und an ihrem Ende der Rückzug ins Innere?

6. Die Hoff­nung und die falsche Hoff­nung vonein­ander trennen lernen. Falsche Hoff­nung gedeiht da, wo Abkür­zungen ins gute Leben vorge­schlagen werden. Das kann der nach-mir-die-Sint­flut-artige Hedo­nismus der Mittel­klasse sein. Oder das Beschwören der Kampf­be­reit­schaft der Arbeiter*innenklasse, wo es sie (noch) nicht gibt.

7. Hoff­nung aus Verant­wor­tung. Wer schreibt und gelesen wird, prägt den Blick anderer mit, zwangs­läufig ist das so. Soll ich als Autor dem gelernten Gleis­bauer mit seinem kaputten Knie, mit dem ich vor ein paar Wochen noch unter­ge­hakt im Stadion stand, sagen, dass ich nicht daran glaube, dass die Welt je gut sein wird. Soll ich zu Leuten wie ihm sagen, dass sich seine Situa­tion nie wird verän­dern können?

8. Eine kleine, aber sicht­bare Streik­welle rollt durch Deutsch­land. Arzthelfer*innen, Lokführer, das Boden­per­sonal in Airports, Warn­streik bei einem Geträn­ke­her­steller in Sachsen-Anhalt. Mehr davon! Es scheint, als seien Arbeiter*innen in Deutsch­land aus dem Winter­schlaf hoch­ge­schreckt. Kein Wunder, Arbeiter*innen in Deutsch­land haben im Jahr 2023 im EU-Vergleich einen über­durch­schnitt­li­chen Real­lohn­ver­lust zu verzeichnen.

Sich erlauben zu hoffen, kann den Pessi­mismus ersetzen und Platz schaffen für eine Erzäh­lung vom guten Leben für alle.

9. Die Schweiz hat sich vergan­genes Jahr endlich dazu durch­ge­rungen, ein eigenes, staat­lich finan­ziertes Holo­caust­denkmal in Bern zu errichten. Die Landes­re­gie­rung finan­ziert das nach aktu­ellen Schät­zungen 2.5 Millionen Franken teure Projekt. Es soll insbe­son­dere den jüdi­schen Geflüch­teten gedenken, die an den Grenzen abge­wiesen und so in einen sicheren Tod geschickt wurden. Einer der ersten Schritte in Rich­tung Verant­wor­tungs­über­nahme schwei­ze­ri­scher Erinnerungskultur.

10. Die 13. AHV-Rente wurde vergan­genes Wochen­ende deut­lich ange­nommen. Ein histo­ri­scher Sieg, gar die „erste sozi­al­po­li­ti­sche Initia­tive von links, die eine Mehr­heit erreicht“, sei das. Seit 50 Jahren erlebte das Schweizer Sozi­al­werk keinen Ausbau mehr. Linke in der Schweiz haben oft wenig Grund zur Hoff­nung. Aber diese Abstim­mung stimmt immerhin etwas optimistischer. 

„Was Hoff­nung macht“ lautet der Titel dieser Folge. Das kann man doppelt verstehen: Es bedeutet zum einen, Gründe für Hoff­nung zu sammeln. Die doppelte Bedeu­tung ergibt sich, wenn man den Fokus auf das Wort „macht“ legt. Sich erlauben zu hoffen, kann den Pessi­mismus ersetzen und Platz schaffen für eine Erzäh­lung vom guten Leben für alle. Viele Menschen haben schon so lange leiden müssen – unter Armut, Ausgren­zung und Ausbeu­tung. Da hilft es, sich auf das zu besinnen, was gut ist. Wenn Hoff­nung da ist, muss von ihr berichtet werden, denn wer hofft, der hat noch nicht aufgegeben.


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