Gibt es bei euch noch Fleisch zu Weihnachten? Für die meisten Leute in der Schweiz ist das selbstverständlich. Fondue Chinoise gehört einfach dazu, oder Pastetli, oder Filet im Teig.
Oder man macht es wie über 70 Prozent der Welschen: Für sie gehört zu den Feiertagen einfach Foie Gras. Das ist die Leber von Enten oder Gänsen, die durch gezieltes Überfüttern („Stopfen“) verfettet ist. Herstellung nach Schweizer Tierschutzgesetz illegal, Import legal.
Für die Fleischbranche ist der Advent einer der zwei Verkaufshöhepunkte des Jahres. Der andere ist der Grillsommer, wie mir ein freundlicher Mitarbeiter der Fleischlobby-Organisation Proviande am Telefon erklärte. Er dachte zuerst, ich schreibe für ein Magazin der Lammfleisch-Industrie.
Schaut einmal zum Fenster raus, wahrscheinlich seht ihr bald ein Tier. Sie sind die Mehrheit der Bevölkerung. Doch in der Schweizer Medienlandschaft werden sie meist ignoriert. Animal Politique gibt Gegensteuer. Nico Müller schreibt über Machtsysteme, Medien, Forschung und Lobbyismus. Und denkt nicht, es gehe immer „nur“ um Tiere. Ihre Unterdrückung hängt oft mit der Unterdrückung von Menschen zusammen. Animal Politique macht das sichtbar.
Nico Müller hat den Doktor in Tierethik gemacht und arbeitet an der Uni Basel. Daneben setzt er sich politisch für Tierschutz und ‑rechte ein, besonders mit dem Verein Animal Rights Switzerland.
Damit es weiterhin so gut läuft, gibt es Werbung für fleischlastige Festtagsmenüs. Der Wortlaut und Inhalt dieser Empfehlungen sagen viel darüber aus, wie kulinarische Propaganda funktioniert.
Hier sind drei Menüvorschläge.
„Quick Kalbszüngli“
Bell ist das grösste Schlachtunternehmen der Schweiz. Sein Rinderschlachthof in Oensingen im Kanton Solothurn wird gerade ausgebaut. Bald sterben dort pro Tag nicht mehr 750 Tiere, sondern 1100.
Die Weihnachtsseite des Unternehmens schwärmt von Produkten wie „Quick Schweinehals“, „Quick Kalbszüngli“ und „Poulet Partymix“. Eines für jeden Dezembertag. Quasi eine Mischung aus Adventskalender und Kadaversammelstelle.
Dazu schreibt Bell: „Das grosse Festtags-Menü an den Weihnachtstagen gehört einfach dazu. Aber wieso diese kulinarische Zeit nur an den Weihnachtstage [sic] erleben? Mit Bell erlebst du in der ganzen Weihnachtszeit das beste Essen – genau wie an Weihnachten, einfach nur davor, oder danach. WARUM WARTEN?“
Die Message des Vier-Milliarden-Konzerns ist vielleicht nicht fehlerfrei getippt. Aber clever ist sie: Iss immer wie an Weihnachten! Auch davor und danach.
Bei Bell hat man etwas Entscheidendes begriffen: Über die Feiertage gönnen wir uns nicht nur was. Wir essen nicht nur gut. Wir definieren auch für uns selbst die Bedeutung von „sich was gönnen“ und „gut essen“.
Geht es nach Bell, heisst „sich was gönnen“: Fleisch essen. Quick Kalbszüngli und Poulet Partymix zum Beispiel. Das gilt dann nicht nur an Weihnachten, sondern auch für den Rest des Jahres. Das Festtagsmenü ist kulinarische Propaganda, die wir uns selbst auftischen.
„¡Vamos! Südamerika – exotisches Fleischfondue“
Proviande wird als Lobbyorganisation von der Schweizer Fleischbranche finanziert. Aber sie erhält auch über zehn Millionen pro Jahr vom Bund, fünf bis sechs Millionen davon gehen direkt in die Werbekasse.
Auf ihrer Webseite gibt es 28 fleischlastige Rezepte für die Festtage. Das ist nur ein kleiner Baustein der Dauerkampagnen für Fleisch, die Proviande über Plakate, Werbespots und Internetanzeigen schaltet.
Kleinbauern-Präsident Kilian Baumann hat den Bundesrat einmal gefragt: Warum unterstützt der Bund so etwas überhaupt? Angesichts der schädlichen Auswirkungen des Fleischkonsums widerspreche das doch allen Umwelt- und Gesundheitszielen.
Die Antwort des Bundesrats: Die Absatzförderung für Fleisch sei „nicht konsumtreibend“. Es gehe nur darum, Schweizer Fleisch von ausländischem abzugrenzen. Man wolle den Einkaufstourismus bremsen, nicht den Fleischkonsum ankurbeln.
Genau das Gleiche hatte man schon Nationalrat Balthasar Glättli gesagt. Der wollte 2019 die Steuergelder für Proviande-Werbung streichen. Doch im Parlament wurde seine Motion gar nicht erst diskutiert.
Proviande gibt währenddessen den Festtagstipp: „Rücke das Fleisch immer ins Zentrum des Tellers.“ Die Symbolik ist etwa so sanft wie der Bolzenschuss im Schlachthof: Rücke das Fleisch ins Zentrum deiner Ernährung. Zum Beispiel „¡Vamos! Südamerika – exotisches Fleischfondue“.
Glaubt der Bundesrat, das sei effektive Werbung gegen ausländisches Fleisch? Glaubt er, das sei nicht konsumtreibend? Da kann er gerade so gut ans Christkind glauben.
„Partyfilet“
Überraschend fleischlastig gibt sich Swissmilk, die Marketingabteilung der Schweizer Milchproduzenten. Auch an sie zahlt der Bund sechs bis acht Steuermillionen pro Jahr („rund ein Sechstel“ der Jahreseinnahmen von über 40 Millionen).
Auf der Weihnachtsseite von Swissmilk steht:
„Klingt etwas abgedroschen, aber ja: An Festtagen darf man sich ruhig mal was gönnen. Für uns gilt das z. B. fürs Fleisch: Wir sind grosse Fans eines reduzierten und bewussten Fleischkonsums im Alltag. Beim Weihnachtsessen darf es ruhig mal ein Filet sein, aber bewusst kann dein Konsum trotzdem sein: Denn das Wie, also z. B. Herkunft und Qualität, macht den grossen Unterschied.“
Das sind viele Wohlfühlfloskeln. Dahinter versteckt sich die gleiche Botschaft wie bei Bell und Proviande: An Weihnachten gönnt man sich was, und „sich was gönnen“ heisst „Fleisch essen“. Swissmilk hat recht: Das klingt abgedroschen.
Man könnte sich auch fragen, warum Swissmilk nicht etwa Käsefondue und Raclette als Schweizer Weihnachtsessen par excellence propagiert. Das käme ja den Milchprodukten zugute, für die sie werben.
Aber die Solidarität zwischen Milch und Fleisch macht schon Sinn. Die beiden Industrien sind untrennbar miteinander verbunden. Irgendwo müssen die ganzen Kälber hin, die man züchtet, damit bei ihren Müttern die Milch einschiesst. Und wer weiss: Verschwindet das Fleisch vom Weihnachtsteller, folgen vielleicht schon bald die Milchprodukte.
Swissmilk handelt klug und käut die immer gleichen Fleischgerichte wieder. Die Fantasie reicht hier im Wesentlichen von Fleisch-umhüllt-mit-Fleisch („Partyfilet“) bis Fleisch-in-irgendeinem-Teig.
Vielleicht ist dir bei den obigen Menüvorschlägen von Bell, Proviande und Swissmilk direkt das Wasser im Mund zusammengelaufen. Falls nicht, holst du dir deine Rezepte besser woanders. Ich habe zum Beispiel gute Erfahrungen mit „Zucker & Jagdwurst“ gemacht.
Und vielleicht überlegen wir uns fürs nächste Jahr, ob wir uns die Steuermillionen für Weihnachtsrezepte nicht lieber schenken.
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