Wenn der Regen­bogen Gefühle verletzt

In Polen standen kürz­lich drei Frauen vor Gericht, weil sie mit ihrem Akti­vismus «reli­giöse Gefühle» verletzt haben sollen. Es ist nur der vorläu­fige Tief­punkt im Kampf der polni­schen Kirche gegen die LGBTQI- Bewegung. 
Verletzt dieses Bild wirklich die religiösen Gefühle von Gläubigen? Oder geht es eigentlich nur um Homophobie? (Bild: Amnesty International)

Erschienen ist Anna Prus vor Gericht an diesem Verhand­lungstag in einem über­grossen Woll­pull­over in Regen­bo­gen­farben. „Maria hätte auch ein queeres Kind nicht verstossen“, sagt Prus und lächelt selbstbewusst.

Im Mai 2019 hatten die drei queer­fe­mi­ni­sti­schen Akti­vi­stinnen Anna Prus, Elżbieta Podleśna und Joanna Gzyra-Iskandar im polni­schen Plock Plakate geklebt, auf denen der Heili­gen­schein der berühmten Heiligen Maria von Tschen­sto­chau und derje­nige des Jesus­babys in ihren Armen gegen einen regen­bo­gen­far­benen ausge­tauscht worden waren. Sie plaka­tierten dieses Bild an Frei­lei­tungs­ma­sten, Strom­kä­sten und Wänden in der ganzen Stadt.

Eine harm­lose poli­ti­sche Aktion, könnte man meinen, doch im erzkon­ser­va­tiven Polen ein Sakrileg. Schnell wurde die „Rainbow Mary“ zum Poli­tikum, die drei Frauen wurden kurze Zeit später verhaftet. „Es war leicht, uns zu finden“, sagt Prus heute, „schliess­lich hatten wir uns auch nicht versteckt. Wir dachten, das Schlimmste, was uns drohen könnte, wäre eine Busse wegen uner­laubten Plakatierens“.

Nie im Leben hätten die drei damit gerechnet, dass ihre Aktion zu einem dermassen poli­tisch aufge­la­denen Straf­ver­fahren führen würde – zu einem Verfahren wegen „Belei­di­gung reli­giöser Gefühle“, einem Straf­be­stand mit Aussicht auf bis zu drei Jahre unbe­dingten Frei­heits­entzug. Das von der regie­renden PIS gelenkte polni­sche Staats­fern­sehen berich­tete über die Frauen, im ganzen Land erzürnten sich Kleriker und konser­va­tive Poli­tiker laut­stark. Selbst der polni­sche Innen­mi­ni­ster äusserte sich per Twitter zu dem „Vergehen“ der drei Frauen und kriti­sierte dieses scharf.

„LGBT-freie Zonen“

Die rechts­na­tio­na­li­sti­sche, stark mit der katho­li­schen Kirche verban­delte PIS hatte bald nach ihrer Wahl als regie­rende Kraft 2015 nicht nur Ausländer:innen, Geflüch­teten, Linken, Feminist:innen, dem Sexu­al­kun­de­un­ter­richt, Agnostiker:innen oder Atheist:innen den Kampf ange­sagt, sondern vor allem der LGBTQI-Gemein­schaft. Diese sei laut der PIS kein Sammel­be­griff für unter­schied­liche sexu­elle Orien­tie­rungen oder Geschlech­ter­iden­ti­täten, sondern eine Ideo­logie, welche die Jugend „versexen und verderben“ wolle und welche es zu verbieten und „auszu­rotten“ gelte.

Immer wieder vergli­chen hohe polni­sche Amtsträger:innen Schwule, Lesben und trans Personen mit Tieren und Para­siten oder entmensch­lichten sie auf andere Art und Weise. Diverse Prie­ster bezeich­neten Queer­sein wieder­keh­rend als „einen Fehler“, etwas „Thera­pier­bares“ oder als Todsünde.

Seit 2019 gibt es in Polen zudem soge­nannte „LGBT-freie Zonen“. Dutzende Gemeinden im Land haben sich selbst­ständig zu solchen erklärt und sagen damit: „So etwas möchten wir hier nicht.“ Die EU-Kommis­sion sowie einzelne Mitglieds­länder rügten Polen mehr­fach wegen seines Umgangs mit queeren Menschen.

Die Folgen dieser Hass­po­litik sind massive Gewalt­an­griffe gegen queere Menschen in der Öffent­lich­keit, am Arbeits­platz oder inner­halb der Familie. Trau­riges Beispiel für diese Entwick­lung sind etwa die Gewalt­ex­zesse an der ersten Pride-Parade in Biały­stok 2019. Rund 800 Queers und Unterstützer:innen wurden von rund 4’000 Gegendemonstrant:innen mit Flaschen, Pfla­ster­steinen und Fäusten ange­griffen. Es gab zahl­reiche Verletzte, die Polizei griff nur sehr zöger­lich ein.

Auf all diese Punkte wiesen Prus, Podleśna und Gzyra-Iskandar vor Gericht hin, als der Prozess gegen die drei diesen Winter begann.

Vergleiche mit der Swastika

Haupt­an­kläger in der Causa tęczowa maryjka – zu Deutsch: „Regen­bogen-Maria“ – war der Pfarrer der Stadt Plock, promi­nente Neben­klä­gerin die erzkon­ser­va­tive Abtrei­bungs­geg­nerin Kaja Godek, welche am Tag nach der Plakat­ak­tion eine Pres­se­kon­fe­renz hinsicht­lich der Euro­pa­wahlen in Plock abhielt und sich von den Plakaten persön­lich ange­griffen fühlte.

Zwei ältere Frauen aus Plock traten als Zeuginnen auf, sie seien auf dem Weg in den Gottes­dienst an den Plakaten vorbei­ge­laufen und hätten sich eben­falls in ihren reli­giösen Gefühlen gekränkt gefühlt. „Die beiden wider­spra­chen sich aber ständig in ihren Erzäh­lungen“, erin­nert sich Anna Prus: „Für uns war es eindeutig, dass sie einfach das wieder­gaben, was der Prie­ster ihnen erzählt hatte, ohne die bean­stan­deten Plakate selbst gesehen zu haben.“

Für die Akti­vi­stinnen sei somit von Anfang an klar gewesen, dass es um poli­ti­sche Deutungs­macht geht – nicht um verletzte Gefühle. Schnell entwickelte sich das Verfahren zum Polit­pro­zess. Die drei Ange­klagten zählten vor Gericht Selbst­mord­sta­ti­stiken von queeren Kindern und Teen­agern auf, zitierten Geist­liche und Politiker:innen, welche queere Personen entmensch­lichten. Der ankla­gende Pfarrer seiner­seits verglich vor Gericht die Regen­bo­gen­fahne mit der Swastika, sprach von Neomar­xismus, der „LGBT-Ideo­logie“ als verlän­gertem Arm des Kommu­nismus und dem Nieder­gang der west­li­chen Kultur.

„Wir waren ange­ekelt, wie da vor laufender Kamera über queere Menschen gespro­chen wurde. In kaum einem anderen euro­päi­schen Land wäre es möglich gewesen, solche Dinge vor Gericht und in die Mikro­fone der Medi­en­schaf­fenden hinein­zu­sagen“, so Prus. „Kaja Godek sagte uns, wir seien Heuch­le­rinnen, weil wir uns ja so um schwule Kinder sorgen, aber gegen Konver­si­ons­the­ra­pien seien. Es gab Momente, da war das alles schwer erträglich.“

An jedem der insge­samt drei Prozess­tage standen Hunderte Menschen vor dem Gericht. Die Soli­da­rität, die den drei vonseiten der queeren und femi­ni­sti­schen Bewe­gung entge­gen­schlug, war riesig. „Wir sassen im Saal und hörten von draussen die Sprech­chöre ‚Du wirst nie alleine diesen Weg gehen‘.“

Auch im Internet und auf den Strassen in Polen sowie in manchen euro­päi­schen Städten schlug den Frauen eine Welle der Sympa­thie und Anteil­nahme entgegen: Es gab Soli­da­ri­täts­kund­ge­bungen und zahl­reiche Nach­ah­mungs­ak­tionen. Selbst Amnesty Inter­na­tional Holland verfasste einen Bericht zu dem Fall.

Ein uner­war­tetes Urteil

Nach zwei Verhand­lungs­tagen verlangte die Staats­an­walt­schaft am 17. Februar je sechs Monate Frei­heits­entzug für die drei Frauen sowie zahl­reiche Sozi­al­ar­beits­stunden. „Wenn ich ins Gefängnis gehe, muss sich jemand um meine Zimmer­pflanzen kümmern“, schrieb Prus wenige Tage vor der defi­ni­tiven Urteils­ver­kün­dung auf ihrem Instagram-Kanal.

Die Forde­rung der Staats­an­walt­schaft war eine Premiere: Selten zuvor waren in Polen Menschen wegen der Verlet­zung reli­giöser Gefühle ange­klagt, geschweige denn verur­teilt worden. Und wenn, dann weil jemand zum Beispiel einen Schwei­ne­kopf in eine Moschee geworfen hatte.

Am 2. März wurden die drei schliess­lich frei­ge­spro­chen. Rich­terin Agnieszka Warchol begrün­dete den Frei­spruch damit, dass es das Ziel der drei Frauen gewesen sei, „LGBT-Personen zu unter­stützen und für deren Rechte zu kämpfen“ – und nicht Gefühle zu verletzen.  „Die Rich­terin war auf unserer Seite“, erzählt Prus. Es hätte auch anders kommen können.

Für Kaja Godek und ihre erzkon­ser­va­tive Gefolg­schaft war der Prozess derweil eine Bruch­lan­dung: Erst dank der Anklage erreichte das vorher nur in akti­vi­sti­schen Kreisen verwen­dete Symbol der Regen­bogen-Maria natio­nale und inter­na­tio­nale Aufmerk­sam­keit und findet seither bei Prote­sten, Plakaten, Wand­ma­le­reien, Kunst­ak­tionen und T‑Shirts im In- und Ausland Verwendung.


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